KAPITEL 18

LUCIFER

I n meinem Leben hatte ich viele Meisterwerke kreiert, aber Francesco Oscuro übertraf sie alle. Nicht nur im künstlerischen Sinne, sondern auch wenn ich daran dachte, wie sehr ich mich mit seinem Schmerz verausgabte.

Normalerweise interessierte ich mich nicht dafür, wenn eines meiner Opfer frühzeitig den Löffel abgab, weil mein Ziel – ihr Tod – von vornherein feststand. Doch in diesem Fall war es von größter Relevanz, ihn nicht aus Versehen über die Styx zu schicken, bevor nicht alle das bekommen hatten, was sie wollten.

Lucas Folter hatte mit Abstand am wenigsten Weile gehabt, doch war dafür umso verheerender ausgefallen. Ich selbst hatte mich bereits mehrere Stunden mit Francesco befasst. Nicht nur mit seinem Körper, auch mit seiner Psyche. Mein Messer in seiner Schulter vergangene Woche war eben doch nur der Anfang gewesen und nicht das Ende.

Heute Mittag hatte ich ihn mit dem Feuer bekannt gemacht. Ihm demonstriert, wie gut ein Mensch brannte, wenn man es nur richtig anstellte. Mittlerweile wusste er also, wie es sich anfühlte, wenn die oberste Hautschicht langsam schmolz. Welche Gefühle durch den Körper jagten, wenn die Nervenenden langsam verbrutzelten. Wie interessant es wurde, wenn das Fett unterhalb der Haut schmolz und dann die gleichen Eigenschaften besaß wie Kerzenwachs. Es war wirklich ein interessanter Nachmittag gewesen. Lehrreich. Heiß. Schmerzhaft. Fast tödlich, aber mit etwas Nachhilfe war er dann doch am Leben geblieben. Die paar Minuten hatten mich wirklich einiges gekostet, denn ich wollte letztendlich doch ungerne derjenige sein, der verkünden musste, dass Francesco aus einem dummen Versehen heraus gestorben war.

Während ich seinen einen Arm also aktiv zerstört hatte, indem ich ihn in eine menschliche Fackel verwandelt hatte, war es bei seinem anderen Arm eher indirekt geschehen. An den Fingerspitzen zeigten sich erste Anzeichen einer Nekrose, was bedeutete, dass er die Sepsis bereits im Blut hatte. Die würde durch die Brandwunden nur gefördert werden … dementsprechend war die Zeit, die ihm generell noch blieb, eindeutig begrenzt.

Aus diesem Grund hatte ich mir eine ganz besondere nette letzte Foltermethode ausgedacht. Die hatte mich auch nur einen Ausflug ins hiesige Krankenhaus gekostet, wo ich mir eines dieser Geräte besorgt hatte, die den Herzschlag konstant überwachten und auf einem Display verkündeten, wie es um den Patienten bestellt war. Und weil es in der Medizin häufiger kritische Fälle gab, kamen diese Geräte mit einer speziellen Ausstattung, die man auf der Brust des Patienten anbrachte. Wenn seine Vitalwerte in einen kritischen Bereich rutschten, gab es einen kurzen, aber kräftigen Stromschlag.

In Krankenhäusern überbrückte es die Zeit, bis das Notfallteam anwesend war. Heute Abend würde es zu einem kleinen Spiel beitragen. Wann würde es Francesco Oscuro gelingen, schneller zu sterben als die Maschine ihn wiederbeleben konnte?

Die simple Antwort darauf lautete: wenige Minuten nach Mitternacht. Die etwas ausführlichere belief sich darauf, dass ich mich zu den anderen setzte, den Blick auf Francescos Hals fokussiert, sodass ich seinen Puls über Stunden hinweg mitzählen konnte. Eigentlich war es unnötig, weil das Piepsen im Hintergrund genau verkündete, was passierte, doch war diese Angelegenheit zu persönlich für mich, als dass ich es anders hätte handhaben können.

Den ersten Schock bekam er schon wenige Minuten, nachdem ich ihn an der Maschine angeschlossen hatte, verpasst. Offensichtlich machte sein Kreislauf schlapp und sein Herz benötigte das erste Mal Unterstützung. Auf das zweite Mal musste ich deutlich länger warten.

Francesco war eben Hurensohn durch und durch – selbst jetzt, wo er keinen anderen Job mehr hatte als zu sterben, ließ er alle darauf warten.

Meine persönliche Heldin während der gesamten Prozedur war jedoch Callisto. Nicht ein einziges Mal merkte man ihr an, dass es sich bei diesem Mann um ihren Vater handelte. Schon das erste Mal, als sie darum gebeten hatte, dass ihn jemand umbringen sollte, hatte ich ihr jedes Wort abgekauft. Doch Zeuge davon zu werden, wie es sie tatsächlich absolut kalt ließ, entsprach einem ganz anderen Level an Bestätigung.

Es hatte sich nicht einfach nur um eine Bitte gehandelt, es war eine Notwendigkeit gewesen – und das schon bevor er beschlossen hatte, sie zu entführen und ihr einen Teil dessen zu rauben, was überhaupt irgendeine Art von Bedeutung für sie hatte.

Unsere erste Begegnung war ein Mord gewesen, den ich für sie ausgeführt hatte. Mit dem heute Nacht würde sich ein Kreis schließen.

Der zweite Elektroschock ließ uns beinahe glauben, dass es bereits vorbei war. Doch auch dieses Mal fing er sich wieder, was Callisto die Augen verdrehen ließ.

Ich bot ihr an, sein Ende zu beschleunigen, doch sie hatte sich längst darin verbissen, ihn leiden zu sehen, bis sein Körper von allein aufgab. Eine Entscheidung, die ich durchaus nachvollziehen konnte.

Also harrten wir weiter aus. In der ersten Reihe, mit guter Verpflegung, besseren Gesprächen und einer Art Feier, auch wenn es offiziell nicht zu einer deklariert worden war.

Zwei weitere Elektroschocks folgten.

Der darauffolgende war es, bei dem die horizontale Doppellinie nicht mehr nach oben ausschlug, auch nicht, als das Gerät ein zweites und drittes Mal schockte.

Der langgezogene Piepton war ein relativ endgültiges Geräusch, welches den Raum eine ganze Weile lang erfüllte, bis Callisto sich erhob, das Gerät ausschaltete und sich im Anschluss zurück auf ihren Stuhl fallen ließ.

Es bestand kein Zweifel daran, dass sie sich auf allen möglichen Ebenen von ihm distanziert hatte. Vor Kurzem war ihr Instinkt noch gewesen, ihn zu retten. Inzwischen schien es ihr so egal, dass sie nicht einmal eine Träne für ihn vergoss.

Im Endeffekt war es also genau so gekommen, wie sie es prophezeit hatte. All die Männer, die ihr Unrecht getan hatten, waren gestorben und sie persönlich war zu Francescos Untergang geworden.

Wo sie einst einen guten Draht zu ihrem Vater gepflegt hatte, war er am Ende trotzdem nur noch der Mafiaboss gewesen, den sie abgrundtief verabscheute.

Und damit war, ganz so wie sie es gewollt hatte, die Vergangenheit mit all ihren schmerzhaften Ereignissen zu einem Ende gekommen.