I hre Entschlossenheit konnte einem wirklich Angst einflößen. Nicht nur, weil sie das Problem an der Wurzel packte und plante, es auszumerzen, sondern auch weil sie es auf eine Weise tun würde, die eine ganz bestimmte Botschaft sandte. Und ich wollte wirklich nicht mit jenen tauschen, die gerade in das Privatflugzeug stiegen und der Meinung waren, ihr neuer Capo hätte ihre Taten für besonders lobenswert erachtet und gönne ihnen deshalb einen kleinen Ausflug – obwohl sie diejenigen waren, die ihr am liebsten das Messer in den Rücken gerammt hätten.
Es war ein gut durchdachter Plan. Von den Einladungen bis hin zu dem Setup, das die Gäste – oder Verschwörer, was auch immer man nun bevorzugte –, in Tramonti erwarten würde.
Callisto würde mit einer anderen Maschine fliegen … wir alle. Was dieses Unterfangen anging, würden wir kein Risiko eingehen. Weder während der Vorlaufphase, noch später, wenn es dann tatsächlich darum ging, diesen Männern und Frauen ihre gerechte Strafe zukommen zu lassen.
Sie waren so gutgläubig. So naiv. Nahmen sie wirklich an, dass Callisto ihnen etwas schenkte, um sie glücklich zu machen? Um ihnen einen Gefallen zu tun?
Ich konnte den Moment kaum erwarten, in dem ihnen dämmerte, um was es wirklich ging. Kein netter Ausflug. Nur Lämmer, die zur Schlachtbank geführt wurden.
Mit Genugtuung sah ich dabei zu, wie einer nach dem anderen mit seinem Handgepäck in den Flieger stieg. Drinnen würden sie es sich gemütlich machen, vielleicht während des Fluges nach Italien sogar ausruhen.
Dort angekommen brachte ein Fahrer sie nach Tramonti. Nette Weinregion, wie einige sich bereits informiert hatten. Nur dass sie nicht dort waren, um Wein zu testen. Sie würden sich an einer kleinen Jagd beteiligen. Einer, bei der sie die Trophäen darstellen würden.
Vorab gab es einen hübschen kleinen Empfang, während dem sie von ihrem Schicksal erfahren würden. Und dann … Wir hatten ausführlich mit Vincenzo de Archard besprochen, was passieren würde und was eben nicht.
Weil wir die Organe nicht zu sehr beschädigen durften, würde es auf Gummigeschosse hinauslaufen. Wer niedergemetzelt wurde, würde der Gnade desjenigen in die Hände fallen, der ihn fand. Und nachdem wir jeden einzelnen Verräter daran erinnert hatten, dass Callisto nun die Spitze der sizilianischen Mafia bildete, würden sie allesamt an Domenicos Organisation übergehen und ihre Organe freiwillig für den guten Zweck spenden.
Es gab nur einen Mann, der qualvoll sterben würde … und den hatte ich bereits gefesselt und geknebelt im Laderaum der anderen Maschine verstaut, sodass keiner mitbekommen hatte, dass er uns nach Italien begleiten würde.
Ein besonderes, kleines Geschenk für Callisto. Es würde sie unvorbereitet treffen, aber dem Tagesausflug auch die Kirsche auf die Sahnehaube setzen.
Obwohl es nicht einmal vierundzwanzig Stunden waren, die wir nicht auf der Insel sein würden, hatte Callisto die Führung offiziell ihrem Bruder überlassen. Romero würde nach dem Rechten sehen und dafür sorgen, dass es keine unvorhergesehenen Probleme gab. Nur, weil wir eine Gefahr mit Bulldozern aus dem Weg räumten, hieß das noch lange nicht, dass da draußen nicht noch andere lauerten.
Luca trat neben mich, den Blick ebenfalls auf die wartende Maschine gerichtet. Domenico und Callisto befanden sich bereits darin.
»Verrätst du mir, wer der blinde Passagier ist?«
Ich warf ihm einen Seitenblick zu. Seit seinem Versäumnis hatte er es sich mehr als zuvor zum Ziel gesetzt, dass ihm nichts mehr entging. In all den Jahren, in denen wir uns bereits kannten, hatte ich ihn nie auf die gleiche Weise aufmerksam erlebt. Ja, Luca hatte seinen Job immer ernst genommen und sein Bestes gegeben, aber seit Giannis Tod waren mehrere Ebenen hinzugekommen.
Obsessiv. Ein wenig kontrollierend. War es nur die Angst, dass ihm etwas Wichtiges entgehen könnte, oder steckte mehr dahinter, als er selbst womöglich zugeben wollte?
»Sein Name ist Davide«, erklärte ich.
Nur, weil ich diese Überraschung vor Callisto geheim halten wollte, hieß das noch lange nicht, dass ich Luca etwas verschweigen würde. »Hat sie den Namen mal fallen lassen?«
Sein Blick verfinsterte sich. »Möglich?«
»Ich glaube, sie hat einfach angenommen, dass er mit der Lagerhalle in die Luft geflogen ist. Aber er war nicht unter den Männern – ich habe nachgesehen, nachdem einer von Romeros Männern auf mich zugekommen ist.«
»Was genau hat er getan?«, knurrte er, auch wenn die Antwort darauf bereits zwischen uns stand.
Bevor ich die Antwort aussprechen konnte, musste ich schlucken. »Er hat die erste Folter durchgeführt. Und die zweite.«
Wegen seines Misserfolgs war er durch jenen Mann ausgetauscht worden, den Luca schließlich getötet hatte …
»Und du wolltest nicht erwähnen, dass er am Leben ist?«
Beiläufig hob ich die Schultern. »Meiner Meinung nach hätte es ihr wohl kaum geholfen zu wissen, dass er noch da draußen rumrennt. Also habe ich ihn aufgespürt und auf den richtigen Moment gewartet.«
Mit dem heutigen Tag war er gekommen, sodass ich losgezogen war, um seine Schulden einzutreiben. Natürlich hatte Davide nicht damit gerechnet, mich vor seiner Tür vorzufinden. Das hatte mich allerdings nicht davon abgehalten, ihm einen Kinnhaken zu verpassen, der ihn einige Zähne kostete. Anschließend hatte ich ihn in den Kofferraum meines Wagens gepackt und auf direktem Weg zum Flughafen gebracht. Er war wie ein Präsent verpackt, denn ich hatte ihm tatsächlich eine rote Schleife direkt auf die Stirn getackert.
»Du musst lernen–«
»Solche Sachen nicht für mich zu behalten?«, unterbrach ich ihn.
Wir alle hatten unsere Geheimnisse. Und solange sie niemandem schadeten, sah ich kein Problem darin.
»Ganz genau.«
»Es ist etwas Persönliches, verstehst du? Ein Versprechen, das ich ihr gegeben habe.« Ich biss mir auf die Zunge, um nicht davon zu beginnen, wie sie angefangen hatte eine Liste über all die Menschen zu führen, die sie sterben sehen wollte. Egal, ob sie nur ein Teil der Wachmannschaft gewesen waren, oder aktiv daran beteiligt, ihr Schmerzen zuzufügen.
Bis auf Davide waren sie allesamt tot. Er war der Letzte, der von ihrer Liste übrig geblieben war. Deswegen gebührte ihm eben auch die besondere Ehre, durch einen Wald in den Bergen Tramontis bis zum Tode gejagt zu werden.
Luca drehte sich direkt in meine Richtung. »Die Versprechen beinhalten jetzt aber drei Männer, Lucifer. Das sind keine individuellen Einzelerlebnisse mehr. Wir sind eine geschlossene Front. Das bedeutet, dass wir über solche Dinge reden. Genau wie vorher auch.«
Callisto wusste von unserem Deal.
Und es schien sie weder zu stören, noch ein Problem darzustellen. Im Gegenteil, je mehr Zeit verging, desto eher glaubte ich daran, dass sie Gefallen daran fand. Mochte sein, dass sie noch nicht bereit war, das auch zuzugeben … doch für den Augenblick stellte das kein Problem dar.
Andere Dinge hatten größere Relevanz. Allen voran das, was heute Nachmittag beginnen und heute Nacht sein Ende finden würde, damit wir uns im Anschluss gänzlich darauf konzentrieren konnten, ihren Aufstieg mit jenen zu zelebrieren, die tatsächlich auf ihrer Seite standen.
Angesichts von Lucas Worten verengte ich die Augen dennoch leicht. »Ich gelobe Besserung. Reicht dir das?«
Jetzt, nachdem wir beide unseren Schwanz in der gleichen Frau gehabt hatten, gleichzeitig wohlgemerkt, war etwas Vertrauen seinerseits doch nicht zu viel verlangt, oder?
Mochte sein, dass wir ansonsten kein weiteres Wort darüber verloren hatten, doch das bedeutete nicht, wir würden es für immer ignorieren. Zumindest hoffte ich das, immerhin würde es nicht das einzige Mal bleiben.
»Wenn du sie auch umsetzt, reicht mir das, ja.«
»Soll ich‘s dir schriftlich geben?«
»Glaubst du, ich brauche einen Vertrag, auf den ich dich festnageln kann?«
Im Grunde genommen wollte ich ihm nur aufzeigen, dass das, was er da verlangte, lächerlich war. Seine Argumentation nicht, aber was er mir im weiteren Verlauf unterstellen wollte, durchaus.
»Was du brauchst, Luca, ist ein wenig Entspannung.« Es war löblich, dass er alles im Blick behalten wollte, aber eines Tages würde er sich damit zielgerichtet in den Burnout treiben, wenn er nicht aufpasste.
Er verzog den Mund. »Ich entspanne, wenn–«
»Es ruhiger wird? Callie ist jetzt Capo . Die nächsten Jahrzehnte wird keine Ruhe einkehren. Es wird immer einen Grund geben, warum wir auf der Hut sein müssen.« Und auch wenn ich nicht aus der Familie kam, die seit Jahrhunderten über diese Insel regierte, verfügte ich über etwas, das sich gesunder Menschenverstand nannte.
»Und welche Gründe fallen dir da so ein?«, verlangte er von mir zu wissen, eindeutig mit düsterer Laune als zuvor.
Musste ich ihm das wirklich aufzählen? Ich begann, mich in Richtung der Maschine zu bewegen. Die andere rollte nun auf die Startbahn, was bedeutete, dass es auch für uns nicht mehr lange dauern würde.
»Wenn bekannt wird, dass sie sich nicht für einen Mann, sondern für drei entschieden hat. Wenn Nezza ein Kind bekommt, und Romeros Anspruch damit noch gestärkt werden könnte. Immerhin wird es nicht damit getan sein, jene Menschen zu töten, die gerade auf der Abschussliste stehen. Meine Schwester bekommt eine Tochter. Nach den alten Traditionen rechtfertigt das, genau wie es bei Callisto der Fall ist, ihren Tod. Es werden immer wieder neue Feinde auftauchen. Falls Callie irgendwann beschließen sollte, Mutter zu werden. Ich glaube nicht, dass auch nur ein Jahr vergehen wird, bei dem wir am Ende sagen können, dass es ruhig verlaufen ist. Ganz zu schweigen davon, dass Domenico seine eigenen Feinde mit sich bringen wird.« Ich hatte sehr viel Zeit damit verbracht, mich mit den möglichen Stolperfallen auseinanderzusetzen. Und da waren Verletzungen und dergleichen noch nicht einbezogen – auch wenn ich wusste, dass die erste größere dafür sorgen würde, dass alte Wunden gnadenlos aufrissen.
»Du hast das wirklich durchdacht«, stellte Luca fest, als ich die erste Stufe nach oben stieg.
»Es gab einige schlaflose Nächte, die ich sinnvoll nutzen wollte.« Sinnvoll … oder eben, um mit der Angst in meinem Hinterkopf ein Schachspiel zu beginnen, bei dem am Ende hoffentlich ich der Gewinner war, weil ich alle möglichen Züge bereits vorhergesehen hatte.
Über die Schulter warf ich ihm einen fragenden Blick zu, ob das Thema damit nun beendet war.
»Lass uns eine kleine Jagd veranstalten.«