KAPITEL 37

CALLISTO

W enn meine Hochzeit bereits intim gewesen war, so ließ sich das Gleiche über die Party behaupten, die Nerezza anlässlich ihrer Schwangerschaft feierte. Obwohl sie die Möglichkeit gehabt hätte, ein großes Ding aus der Sache zu machen, hatte sie sich nur für eine Handvoll Gäste entschieden. Romero war sicher Gast Nummer eins auf ihrer Liste gewesen. Möglicherweise hatte sie mich an Stelle zwei aufgeführt, und dann die Namen der drei Männer aufgeschrieben, mit denen ich nun verheiratet war. Interessanterweise hatte sie sich auch dazu entschlossen, Maddalena und Viviana einzuladen. Darüber hinaus Althea, deren Mann und das Kleinkind, welches sie die ganze Zeit über unter Verschluss gehalten hatten.

Alles in allem war es also eine private Angelegenheit. Keine Verwandten aus Italien, kein Prunk, keine große Geste. Wir feierten einfach nur in relativ kleinem Kreis, dass sie schwanger war und es ihr weiterhin gut ging. Die Ärzte schienen sich keine Sorgen zu machen, die irgendwen beunruhigen sollten.

Auch wenn es keiner als Bilderbuchschwangerschaft bezeichnen wollte, kam es schon relativ nahe heran – zumindest, wenn man bedachte, wie viel es Nezza gekostet hatte, überhaupt an diesen Punkt zu kommen.

Einem kleinen Wunder glich es schon, dieses Wesen, das in ihrem Bauch heranwuchs. Umso mehr hatte ich mich darüber gefreut, ihr jene Einkaufstüten zu überreichen, die ich vor der Entführung mit Lucifer zusammengetragen hatte.

Als Reaktion darauf bedeutete Nezza mir gerade, dass ich ihr folgen sollte. Etwas widerwillig ließ ich meinen Kuchen am Tisch zurück, bevor ich ihr nach draußen auf die Terrasse folgte.

Weil seitens Francescos seit geraumer Zeit keine Gefahr mehr drohte, wirkte der Garten um Romeros Villa herum wieder bedeutend einladender. Freundlicher irgendwie.

Nezza ließ sich auf einem der Stühle nieder, die in Richtung des Pools ausgerichtet waren. Ich nahm den zweiten, sah dabei zu, wie sie die Hände über ihren Bauch gleiten ließ, der mittlerweile nicht mal mehr mit gutem Willen zu übersehen war

»Ich hab auch ein Geschenk für dich«, eröffnete sie das Gespräch.

»Aber das ist deine Babyparty. Du musst mir nichts schenken«, hielt ich irritiert dagegen. »Oder glaubst du immer noch, du würdest mir etwas schulden?«

Wenn sie an diesem Glauben festhielt, weil ich gelogen und Francesco nicht erzählt hatte, dass anstatt meiner Nerezza schwanger war, dann musste ich sie gleich packen und durchschütteln, denn eigentlich ging ich davon aus, dass dieses Thema längst Geschichte war. Ich hatte getan, was getan werden musste – mehr gab es darüber nicht zu sagen. Ich wollte kein Lob dafür, genauso wenig wie ich ein Dankeschön brauchte. Nerezza zu schützen war mir nicht nur ein Bedürfnis, ich sah es als selbstverständlich an.

»Nichts dergleichen, Callie«, erwiderte sie schließlich und sah mich von der Seite an. »Versprich mir, dass du dich darüber freust.«

Eine ungewöhnliche Forderung, immerhin wusste ich noch nicht mal, über was ich mich da freuen sollte.

»Ich … gebe mein Bestes?«

Sie nickte, als würde ihr das als Antwort bereits ausreichen. »Du weißt, dass es ein Mädchen wird, richtig?«

Grinsend nickte ich. Das Geschlecht ihres ungeborenen Kindes zu erfahren war eines dieser Highlights gewesen, die man wohl nie wieder vergaß.

»Das hat sich nicht nochmal geändert, oder?«

»Nein, immer noch ein Mädchen«, bestätigte Nezza lachend.

Erleichtert atmete ich aus. Zwar ging es vorrangig darum, dass das Kind gesund zur Welt kam, doch irgendwie glich es einem Befreiungsschlag, dass das erste Baby nach Francescos erzwungener Abdankung ein Mädchen sein würde.

»Wir haben uns mittlerweile für einen Namen entschieden«, fuhr sie fort. »Und ich dachte, du solltest ihn als Erstes erfahren.«

»Ich? Warum ausgerechnet ich?«

»Weil … ich außerdem will, dass du Patentante wirst. Offiziell. Nicht nur während der Taufe, sondern auch in unserem Testament – falls uns irgendwann mal etwas zustoßen sollte, will ich, dass du mein Kind großziehst.«

Langsam öffnete ich den Mund. Dann schloss ich ihn wieder. Meinte sie das … ernst? Perplex starrte ich Nezza an, die mich wiederum mit einem sanften, recht eindeutigen Lächeln ansah. Gott. Sie meinte es ernst.

»Nein«, stieß ich aus und schüttelte den Kopf. »Du kannst doch von mir nicht erwarten, dass ich dein Kind großziehe.«

»Nur, falls uns was passiert. Ansonsten kannst du einfach nur die exzentrische Tante sein, ganz wie es dir beliebt.«

In meinem Kopf allerdings spielte sich längst ein Film ab. Wie ich ein kleines Kind auf den Armen trug, mich darum kümmerte, dass es alles bekam, was es brauchte, um zu einer starken, selbstbestimmten Frau heranzuwachsen … Ich spürte, wie mein Herzschlag sich beschleunigte.

Bei allen Göttern, das hatten sie wirklich nicht gut durchdacht. Oder?

»Ich bete natürlich, dass es nicht so kommt, aber falls, bist du nicht mal allein damit. Du hast da drei Männer an deiner Seite …«

»Und Luca ist der Einzige, der Erfahrung mit einem Säugling hat!«

»Versteh mich nicht falsch, Callie. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme, die eventuelle Vorkommnisse abdecken soll. Ich bete jeden Abend dafür, dass ich lange genug lebe, um dieses Kind aufwachsen zu sehen. Aber ich weiß auch, dass mein Körper nicht so funktioniert wie beispielsweise deiner. Die Schwangerschaft setzt mir zu, auch wenn es keinen offiziellen Grund zur Sorge gibt. Ich kann es bis tief in meine Knochen spüren, wie sehr es meinen Körper belastet. Und ich will auch gar nicht den Teufel an die Wand malen oder dir, mir und Romero unnötig Angst machen, aber manchmal denke ich darüber nach, was passieren könnte. Und dann frage ich mich, was die Konsequenzen daraus wären.«

Nicht nur fühlte ich ihre Aussage bis in die letzte Faser meines Bewusstseins, ich wusste auch, was für Schlüsse Romero aus einem Ereignis wie diesem ziehen würde.

Kind hin oder her, er war nicht mehr dazu in der Lage, ohne Nerezza zu existieren. Wenn ihr etwas zustieß, würde er sie nicht lange überleben.

Ich ballte die Hand zur Faust und schüttelte den Kopf. Diese Gedanken waren nicht nur belastend, sie versuchten regelrecht, mich in die Tiefe zu ziehen. »Versuch einfach, nicht zu sterben, ja? Soll ich Domenico eine Liste mit möglichen Spendern vorbereiten lassen, falls es irgendwann nötig sein sollte?«

Eigentlich hätte ich mir die Frage auch schenken können, denn egal wie Nerezzas Antwort auch ausfiel, ich würde Domenico diese Liste auf jeden Fall aufsetzen lassen. Für den Ernstfall, wenn es schnell gehen musste und keine Recherchezeit vorhanden war.

»Lass uns über den Namen sprechen, Callie.« Nezza versuchte zwar, mich zurück auf die Spur zu lenken, doch ihre Bemühungen scheiterten. Zumindest zum Teil, denn gedanklich hing ich immer noch an den unendlich vielen Möglichkeiten fest, wie das ablaufen könnte, wenn ich zur Patentante dieses Mädchens wurde.

Die Verantwortung, die damit einherging, flößte mir mehr Angst ein, als es bei all den Aufgaben als Capo der Fall war.

»Den Namen«, wiederholte ich schließlich.

Nezza sah mich aufmerksam an, ich erwiderte den Blick. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie immer wieder über ihren Bauch strich, als würde sie damit nicht nur sich, sondern auch das Baby beruhigen.

Und auch wenn ich mir erst kürzlich die Spirale hatte einsetzen lassen, kam ich nicht umhin daran zu denken, dass ich eine ganze Weile lang mit dem Teufel Russisch Roulette gespielt hatte. Vermutlich war es mehr Glück als Verstand gewesen, dass ich nicht ebenfalls hier saß und schützend die Hände auf meinem Bauch liegen hatte, weil einer der Breeding Kinks meiner Männer zu etwas geführt hatte, was momentan keiner von uns gebrauchen konnte.

»Der Name«, wiederholte ich, mich fragend, warum er von solcher Relevanz war, dass sie ihn mir als Erstes und unter vier Augen erzählen musste.

»Romero und ich haben uns lange darüber unterhalten, was die richtige Entscheidung ist und wäre es ein Junge geworden, hätte der Name sofort festgestanden. So war es allerdings ein wenig schwieriger. Mir behagt der Gedanke nicht, dass du dich damit überfordert fühlen könntest.«

Ich verengte die Augen und sah nach unten auf meine Hand. Auf den Ring an meinem Finger …

»Wir werden sie Gianna nennen. Ich weiß, es ist kein Ausgleich und vielleicht findest du die Idee auch vollkommen bescheuert, aber es ist das Mindeste. Du hast ein Opfer gebracht. Er ebenfalls. Ich will das würdigen. Und Gianna ist ein wunderschöner Name …«

Während sie noch weiter sprach, hörte ich schon längst nur noch dumpfes Rauschen.

Gianna.

Nach Gianni.

Immer, wenn ich dieses Kind sah, würde ich an ihn denken müssen. Sie würde mich bis an mein Lebensende verfolgen, wenn ich dann auch noch zu ihrer Patentante wurde. Alles in mir schrie danach, ihr zu sagen, was für eine bescheuerte Idee das war, weil ich nicht ständig diese Art von Erinnerung an ihn vor mir haben wollte, doch sobald ich den Ring ansah, wusste ich, dass es dafür ohnehin schon zu spät war.

Und Nerezza hatte recht – Gianna war ein schöner Name. Einer, der ihrer Tochter würdig war, auch wenn er für mich das Potenzial hatte, mich das ein oder andere Mal traurig zu machen.

Ich zwang mich dazu, tief Luft zu holen, bevor ich nickte. »Gianna ist ein schöner Name. Wirklich. Und …«

»Du musst nichts sagen. Ich kann dir ansehen, dass es für dich eine emotionale Angelegenheit ist«, bot sie mir an, doch ich lehnte kopfschüttelnd ab.

Ich plante nicht, in nächster Zeit schwanger zu werden oder Kinder zu kriegen, aber in meinem Kopf hatten sich ähnliche Gedanken gesammelt. Was würde es wohl bedeuten, wenn ich einen Sohn bekam, den ich nach ihm benannte? Würde er mir dafür den Vogel zeigen, oder sich über die Erinnerung an ihn erfreuen? Zwar würde Gianni allein durch die Erinnerungen, die wir mit ihm pflegten, niemals in Vergessenheit geraten, doch ein Kind mit seinem Namen war noch einmal eine ganz andere Art und Weise, ihm die Ehre entgegenzubringen, die ihm gebührte.

»Es gäbe so viel dazu zu sagen.« Von meinen Emotionen übermannt warf ich einen Blick über meine Schulter. Durch die geschlossene Terrassentür hindurch konnte ich sehen, wie Romero mit den anderen herumalberte. Im Hintergrund der dekorierte Kuchen. Die Girlande. All die Hinweise darauf, dass sie ein Mädchen bekommen würden, nicht nur aufgrund der Geschenke, sondern auch wegen der Auswahl an Dekoration, die getroffen worden war. »Aber weil ich endlich damit aufhören will, wegen jeder Kleinigkeit Tränen in den Augen zu haben … Danke. Wirklich. Ich finde, Gianna ist ein wunderbarer Name – und er wird gut zu der Kleinen passen. Gianna Oscuro. Ich meine, wer kann sich da beschweren?«

Nezzas Seitenblick verriet, dass sie noch nicht ganz am Ende angekommen war. Also holte ich erneut tief Luft, weil ich das Gefühl hatte, mich wappnen zu müssen.

»Verrätst du mir, wie du diese Männer dazu gebracht hast, deinen Nachnamen anzunehmen?«

Das war es, was sie noch beschäftigte?

Schmunzelnd hob ich die Schultern. »Überzeugende Argumente. Immerhin kann ich nicht mit drei Nachnamen rumlaufen.«

Natürlich hatte es Gründe gegeben, die dagegen sprachen. Aber keinem dieser Männer war es wichtig, seinen Nachnamen zu vererben – darin waren sie sich auf eine Weise einig gewesen, dass es mir die Gänsehaut über den gesamten Körper getrieben hatte.

Nein, wenn es irgendwann Kinder gab, war es ihnen um ein Tausendfaches wichtiger, dass sie nach mir kamen. Nachnamen schienen nur auf dem Papier wichtig zu sein … und in der Realität waren es mein freches Mundwerk, meine Augen, meine Haare, ja selbst die Falte zwischen meinen Brauen, die sie bei einem Kind lieber sehen wollten, als irgendeinen Namen.

»Bist du dir eigentlich im Klaren darüber, wie viele Normen und Traditionen du gerade niederreißt, als wäre es ein Kinderspiel?«

Wir wussten beide, dass es keines war. Fast täglich führte ich Gespräche mit aufgebrachten Mitgliedern. Mit Familien, die darüber nachdachten, der Mafia den Rücken zu kehren. Dabei war es vorrangig immer die ältere Generation, die ein grundsätzliches Problem zu haben schien. Nicht die jungen Leute, die sich darum stritten, mit Lucifer oder Luca zu trainieren und auch nur selten Frauen, denn die begrüßten die Veränderungen fast ausnahmslos.

Manchmal glaubte ich, dass ich in all diesen Problemen versinken würde … doch dann erinnerte ich mich an die weisen Worte, die ein Mafiaboss an mich gerichtet hatte und riss mich zusammen.

Eine Revolution ließ sich schnell lostreten, doch um sie zu Ende zu bringen, brauchte es Mut, Courage und eine fast endlose Ausdauer.

»Ich akzeptiere dein Angebot, Giannas Patentante zu werden, wenn du mich festhalten lässt, dass sie, sollte ich keine Kinder bekommen, meine Nachfolgerin wird.« Ohne lange zu überlegen, streckte ich Nezza meine Hand entgegen.

Entweder sie nahm sie – oder eben nicht.

»Du willst, dass ich das mögliche Schicksal meines Kindes schon jetzt festlege?«

»Ich will, dass es eine Perspektive hat und es irgendwann in Zukunft keine Probleme bezüglich der Nachfolge gibt.«

»Nur, wenn du keine eigenen Kinder kriegst?«

»Ja«, versicherte ich. »Sollte ich welche bekommen, wird mein Erstgeborenes der Nachfolger. Unabhängig von dessen Geschlecht.«

»Woher kommen diese Ideen bloß?«, fragte sie kopfschüttelnd, griff jedoch nach meiner Hand.

»Was soll ich sagen? Ich wurde mit offenen Armen in einem Kreis aus Menschen willkommen geheißen, die sich seit Jahren für eine Veränderung einsetzen. Und da rede ich nicht nur von Vincenzo, der Rina zu seiner Erbin erklärt hat.« Was sollte ich sagen? Die internationalen Beziehungen liefen für Sizilien besser als jemals zuvor.

Das war ein Erfolg, und auch kein kleiner.

»Sollen wir den anderen verkünden gehen, was wir besprochen haben?«

»Wenn wir all die Eventualitäten rauslassen. Mögliche Todesfälle, meine ich.«

Nezza nickte. »Selbstverständlich. Nur den Namen und die Tatsache, dass du ihre Patentante wirst.«

Vielleicht musste ich mehr Zeit mit Viviana verbringen, um zumindest ein wenig von mir behaupten zu können, dass ich gut mit Kindern umgehen konnte. Wie ähnlich waren Zwölfjährige einem Säugling noch gleich?

Ich streckte ihr die Hand erneut entgegen, diesmal allerdings um Nezza aufzuhelfen. Bevor wir uns auf den Weg nach drinnen machten, zog ich sie in eine enge, feste Umarmung.

Wie weit wir in den letzten Jahren gekommen waren. Gemeinsam. Getrennt. Jede hatte auf ihre Weise mit dem Schicksal zu kämpfen gehabt, und trotzdem war es uns irgendwie gelungen, zu guten Freundinnen zu werden.

Als ich die Tür aufzog, richteten sich alle Blicke auf uns, doch es gelang mir keine zwei Sekunden lang, das breite Grinsen von meinem Gesicht zu halten.

»Scheint so, als würde ich Patentante für die kleine Gianna werden«, verkündete ich.

Lucas Gesichtsausdruck sagte mir, dass er bereits davon gewusst hatte – natürlich. Mir entging nicht, was er auf sich genommen hatte, um den Verlust, den ich erlitten hatte, auszugleichen. Nicht nur hatte er sich Seiten zugelegt, die zuvor sicher nicht in ihm geschlummert hatten, nein. Es waren auch keine Seiten, die nur ab und an zum Vorschein kamen, wenn es ihm gerade gefiel. Luca hatte sie so sehr gefestigt, so verdammt gut in seinem Charakter verankert, dass ich ihm manchmal gegenüber stand und beinahe glaubte, ich würde mich statt ihm mit Gianni unterhalten.

Er tat es für mich. Nicht, weil er musste. Oder verpflichtet war. Sondern einzig und allein aufgrund der Tatsache, dass ihm etwas an meinem Wohlergehen lag.

Während die anderen die Verkündung also feierten und erneut Romero und Nerezza beglückwünschten, schob ich mich zu Luca, der mich mit offenen Armen erwartete, sodass ich nichts weiter tun musste, als mich gegen ihn sinken zu lassen. Ich schmiegte mich an ihn, während er mich fest in seinen Armen hielt, das Kinn auf meinem Kopf ruhend.

»Bist du in Ordnung, principessa ?«, raunte er mir zu.

Sofort fiel ein Teil des Gewichtes von meinen Schultern ab.

»Mittlerweile schon, ja.«