6 Adler: Alle von Adler kommen.

Habicht: Hier Habicht. Sollen wir uns jetzt einzeln melden?

Adler: Ob alle bereit sind, will ich wissen? Ihr seht, wer aller da ist, Habicht hat nicht zu viel versprochen.

Falke: Hier Falke. Sagst du das absichtlich in jedem Satz, um uns zu verarschen?

Adler: Was?

Falke: Alle! Damit wir paar Kasperln uns wenigstens nach mehr anhören, obwohl wir so wenige sind.

Adler: Ihr habt gesehen, was passiert ist. Mehr Personal hilft uns nichts.

Habicht: Hier Habicht. Da muss ich Adler recht geben. Vor allem hilft mehr Personal nichts, wenn wir einen Spitzel darunter haben.

Adler: Ich kann mir das nicht vorstellen, Habicht. Ihr seid die besten Männer, die ich bekommen konnte.

Taube: Gleich Ex-Adler von Taube, bitte kommen! Dringende Frage: Männer?

Adler: Bitte verzeih mir, mein Täubchen. Und jetzt Obacht. Vielleicht taucht ja auch Josip auf. Wenn wir hier keine Spur zur Füchsin finden, wars das.

Falke: Da sind wir leider nicht die Einzigen, die sich das wünschen, verdammt. Papamobil ist im Anrollen.

Texas

Hell erleuchtet ist die Nacht. Solar-Fackeln lassen die Weinberge künstlich aufglühen wie sonst anderswo beginnende Buschfeuer. Was also hier schön sein soll, bedeutet dort den Tod.

Den schmalen Schotterweg zwischen den Rebstöcken geht es empor, auf die kleine Anhöhe hinauf, denn diesmal war die Zufahrt unmöglich. Autos überall. Darunter ein riesiger Lastwagen, als hätte sich Dornhauer noch schnell ein zweites Salettl liefern lassen.

Ergo wurde Petar Wollnar unmittelbar vor dem Aufstieg mit den Worten „Dann wart hier im Auto!“ bedacht.

„Aber das ist zu gefährlich allein, Willibald!“

„Was? Allein im Pritschenwagen zu warten?“

„Du weißt, was ich mein. Du hörst doch den Lärm. Keine Ahnung, was dort oben los ist“, deutete Wollnar auf den Hügel und die hinter den Weinstöcken herausschießende Stichflamme. „Zu gefährlich für dich allein!“

„Kein Fluchtfahrer dieser Welt spaziert bei einem Überfall mit in die Bank hinein.“

„Wieso Fluchtfahrer!“

„Entspann dich!“ Ruckzuck weg war er, der Metzger. „Sind ja nur ein paar Meter da hinauf!“

Zumindest, was die Waagrechte betrifft, hat er recht.

Die Höhenmeter allerdings melden sich bereits nach den ersten paar Schritten schonungslos zu Wort. Ein Elend. Jetzt ist die Sauferei natürlich zwecks Gipfelsturmes nicht grad das ideale Antriebs-, sondern eher Abführmittel, insbesondere für jene, die betrunken hinter dem Steuer erwischt werden. Willibald Adrian Metzger allerdings kann dem Bergwandern auch ohne jeden Tropfen beziehungsweise Liter Alkohol im Körper keine Freude abgewinnen, nicht einmal mit 20 Kilo weniger. Sich irgendwo hinaufschleppen, den Fernblick genießen, mit Blasen an den Füßen begreifen, wie begrenzt für gewöhnlich die Aussichten sind, nur um dann genau denselben Weg wieder retourhatschen zu müssen, zurück in die alltägliche Unübersichtlichkeit? Was soll daran schön sein? Frustrierend ist das. Und anstrengend. Aber bitte. Jedem das Seine!

Heut jedenfalls muss es sein, heiligt der Zweck die Mittel.

Also weiter. Und wüsste er, wer sich da im Hintergrund mittlerweile an seiner Schlepperei ergötzt, ohne ihn zu überholen, vielleicht fielen ihm die Schritte etwas leichter.

Irgendwann schließlich nähert sich der Metzger seinem Ziel. Und kann es ein Stück entfernt bereits sehen. Unmittelbar nach dem Ende des Schotterweges wurde ein großer, roter, aufblasbarer Bogen zwischen den Weinstöcken errichtet und dient nun als Durchgang hinein in ein völlig verwandeltes Areal. Manege frei. Ein riesiges Trallala wird hier gefeiert. Liebe, lebe, lache. Als wäre Thaddeus Dornhauer des in seinem Namen fehlenden Ls müde. Ergo:

Lichterketten und Lampions. Loungemöbel und Loungemusik.

Leute, Leute, Leute.

Launige, luftige, lallende.

Inner- und außerhalb des Pavillons, sommerlich elegant gekleidet. Mittendrin zwei Artisten. Ein Keulen werfender Jongleur mit Kopfverband, nicht unbedingt vielversprechend seine Kunst, und ein Feuerspucker. Darum vorhin die Stichflamme.

Ein euphorisches „Schau, wie leiwand!“ hört der Metzger hinter sich, offenbar kommen da noch weitere Gäste etwas verspätet, dazu die Steigerung: „Urleiwand sogar. Lol. Ich bin grad voll lucky!“ L, L, L. Und alles, was dem Restaurator dabei hochkommt, ist sein Fluchtinstinkt:

Lasses. Liebernicht. Lauf!

Nein, hätte er die Wahl, wäre er jetzt bevorzugt nicht dabei als ein Adabei. Und wie es aussieht, dürfte es auch so bleiben.

„Stopp!“, ertönt es schroff.

Dazu passend ein auf halsbrecherisch hohen Absätzen leuchtendes Rot.

„Stehen bleiben!“, wird der Metzger eingebremst, auch wenn sein Blick immer noch an dem Feuerspucker haftet, der nun auch vice versa den Metzger erspäht und unter seiner sichtlich bereits mehrfach gebrochenen Nase offenbar einen gewaltig trockenen Mund bekommt, denn da züngelt nun keine Flamme mehr aus seinem Maul, sondern funkeln nur noch haufenweise Goldzähne in die Nacht. So viel derart gestaltete Visagen wird es wohl kaum geben, auf dass dem Metzger innerhalb weniger Stunden gleich zwei davon den Weg kreuzen. Ist der nebenberufliche Schlägertyp also im Haupterwerb Zirkuskünstler? Und hat sein Kumpel, der Jongleur, den Kopfverband vielleicht gar nicht der Schwerkraft und seinen Keulen, sondern dem Schwarzen Blitz und Weißen Witz zu verdanken? Zwei Männer jedenfalls, die es nun offenbar eilig haben.

So erstaunt ist der Willibald, grad dass er nicht mit jener Dame kollidiert, die nun unter dem roten, aufblasbaren Bogen forsch hinter einem Pult hervortritt.

Überheblich die Blicke, auch physisch. Riesenhaft, von oben herab, trotz Willibalds Größe. Womit bewiesen wäre: Es gibt sie tatsächlich, nicht nur als Schattenrisse auf den Etiketten diverser Weinflaschen, sondern aus Fleisch und Blut. Groß, aufrecht, mit schulterlangen blonden Einheitsmähnen und mächtigen Brüsten, der abgemagerte Rest eingepfercht in hautenge, verschiedenfarbige Lackoveralls, umgeben von – der Metzger kann es nicht glauben – Lichterketten. Vor ihm also zwei der vielen Dornhauer-Angel.

„Lucy“ steht auf dem Catsuit der einen.

„Texas“ auf dem der anderen.

Und so wie in dem gleichnamigen Bundesstaat seit 2016 das offene Tragen eines Colts wieder gestattet ist, bringt auch dieser Dornhauer-Angel die beiden schärfsten und gefährlichsten Waffen einer Frau besonders freizügig zum Einsatz. Den Verstand und das Mundwerk.

„Falls Sie sich verlaufen haben: Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?“, baut sie sich vor dem Metzger auf, mustert ihn keineswegs engelhaft und betrachtet vielsagend seine Adjustierung. Die Bundfaltenhose, das schäbige Jackett. „Oder was kann ich für Sie tun?“

Und das schafft er natürlich auch, der Metzger. Angespannt dreinschaun.

„Was Sie für mich tun können, Frau Texas Dornhauer-Angel?“, und nein, er spricht es nicht englisch aus. „Das ist leicht. Sie können mir einen schönen Abend wünschen und so ein Bändchen um mein Handgelenk binden!“ Nein, seine Laune wird nicht besser.

„Ich hab gar nicht gewusst, dass Herr Dornhauer so gern fischen geht, aber eines seiner Bändchen werden Sie sich leider nicht angeln, mein Herr, oder stehen Sie auf der Gästeliste?“

„Natürlich. Und zwar direkt hinter ihm!“, deutet der Restaurator auf einen eleganten, kahlköpfigen, trainierten Mittvierziger im körperbetonten Anzug, der Herr Leiwand also, begleitet von einer eleganten Dame, der Frau Urleiwand. Völlig unbefragt gehen die beiden an ihm vorbei und bekommen von Dornhauer-Angel Lucy ein Bändchen überreicht.

„Das war Herr Illicz!“, bleibt Texas zäh und blättert nun tatsächlich die Liste durch. „Wenn Sie hinter Herrn Illicz auf der Gästeliste stehen, müssten Sie der Herr Irschenberger sein, ein ehemaliger Skispringer. Was meinst du, Lucy?“

„Nein, nach Skispringer sieht der Herr nicht aus, und nach dem Toni Irschenberger kommt schon Buchstabe J, beginnend mit der Frau Janitschek!“

Texas übernimmt wieder: „Und wenn Sie auch nicht die Frau Janitschek sind, dann bitte ich Sie, das Privatgelände umgehend zu verlassen, sonst müssen wir die Security verständigen.“

Verdammt zäh, die Damen.

Dank Stöckelschuhen, Latex-Overall und Lichterketten-Umwicklung allerdings nicht zäh genug.

„Na dann, verständigen Sie!“, drängt sich der Metzger schnurstracks vorbei. Lässt das „Halt, halt!“ unbekümmert an sich vorbeiziehen.

Kein Umdrehen.

Hinter ihm die Sintflut:

„Sie können doch nicht einfach ...!“

„Kann er!“, wird da Partei ergriffen. Doch er hört es nicht mehr, der Metzger. Nur noch hinein ins Gewühl.

„Und Sie sind wer?“

„Niemand zum Spaßen, is zwa Trutschen!“

„Iszwa Trutschen? Steht keine auf der Liste! Weder unter I noch T.“

Satratra fährt nie Maserati

Wer untertauchen will, ist hier bestens aufgehoben.

Und wer Streit sucht, ebenso. Denn was der Metzger da bereits nach den ersten paar Metern an Ellbogen zu spüren bekommt, reicht anderswo für eine Massenschlägerei.

Leicht wird es also nicht, Thaddeus Dornhauer zu finden, ohne ihn ausrufen zu lassen. Rundum diese lauschig glühende Lampion-und-Fackel-Finsternis, die eng beisammenstehende gehobene Gesellschaft, aus der immer wieder latexleuchtende bunte Lichterkettendamen herausblinken, dabei tablettweise Dornhauer Fingerfood und Dornhauer Sparkling Rosé verteilen.

Zwangsweise durchwandert der Restaurator nun suchend das Innere des Pavillons. Heiß ist es, eng, laut die Musik, entsprechend fortissimo wird auch gesprochen.

Weit und breit kein Szene-Winzer.

Also fragen.

„Verzeihung?“, tippt der Metzger von hinten einem wuchtigen Wesen mit Dauerwellen-Trockenhauben-Frisur auf die Schulter.

Schwunghaft dreht sich die Dame um, freundlich, bis ihr klar wird, welcher Wurm es da wagt: „Was unterstehen Sie sich, mich anzufassen, obendrein von hinten!“ Schrill ihre Stimme, abfällig der Blick, aber das kennt er ja schon, der Restaurator. Trotzdem gelingt ihm nur eine unsichere Reaktion, denn er kennt die Madame. Nur woher? „Das tut mir leid, ich –!“

„Jetzt gehen Sie schon weiter!“

„Wenn Sie mir sagen, wo ich Herrn Dornhauer finde, gern!“

„Bin ich ein Auskunftsbüro?“

„Herrn Dornhauer, bitte!“, gibt der Metzger nicht auf.

„Ich kenn weder einen Herrn Dornhauer, noch kenn ich Sie!“

Weg ist diese Furie, rudert durch die Menge mit seltsamen Schwimmzügen, einer Art Brusttempo, und bei Willibald Adrian fällt der Groschen.

„Meine Güte!“, murmelt er in sich hinein und schnappt sich von einer Lichterkette Sabrina – „Noch ein Dornhauer-Secco, mein Herr?“, „Gern, meine Angel!“ – ein Glas Sparkling Rosé. Mit keiner Geringeren als Britta Satratra hatte er nun das Vergnügen, einst Operetten-Diva, nun, nomen est omen, stets auf Tratra und die Doyenne jenes Kreises, der sich selbst als prominent versteht.

Danjela Djurkovic wäre jetzt wohl völlig aus dem Häusl. „Willibald, Willibald, die Satratra, warum hast du nix gefragt wegen Autogramm!“

So weit kommt’s noch.

Fixpunkte waren das immer für sie. Pflichtprogramm. Wenn quer durch alle Kanäle zur besten Sendezeit der Blick in die Welt der Adabeis und Promis gerichtet wurde.

„Was ist daran so interessant?“, wollte er einmal wissen. „Man sieht doch ständig nur die gleichen Gesichter?“

„Gleiche vielleicht, aber sicher nix selbe. Sind immer bisserl anders. Botox-Spritze, Lifting, Busen plötzlich mehr und Tränensäcke weniger! Ist wie Suchspiel.“

„Traurig ist das.“

„Glaubst aber nur du. Weil wenn pfeift man auf Schamgefühl, machst du mit Klatsch und Tratsch beste Geschäfte, obendrein ersparst du dir kochen.“

Und je mehr sich der Metzger nun durch die Menge müht und umsieht, desto deutlicher erkennt er: Die Promi-Dichte ist enorm. Auch nüchtern in diesem Fall, sprich scharenweise. „Logisch“, vermutet er, „weil wenn es bei einem Winzer nicht genug zu saufen gibt, wo dann!“ Der Ex-Lamborghini- und nun Maserati-Mann ist hier, berühmt, weil er früher Lamborghini fuhr und jetzt Maserati fährt; haufenweis schöne Leut, ungebuchte Models wahrscheinlich; ein schlecht gebuchter Tenor; ein gut gebuchter Zauberweltmeister; und dort tatsächlich, der Metzger traut seinen Augen nicht, in Zivil der Polizeibeamte Michi Friedmann im Gespräch mit einem Ex-Torhüter der Nationalmannschaft und einem des Doping überführten Ex-Radfahrer. Gar nicht weit entfernt, und es wird immer absurder, der Herrenausstatter Senekowitsch Heribert zwischen zwei in schillernde Sakkos gepferchten Ex-Songcontest-Teilnehmern, Platzierung 15 abwärts. Hat er den beiden bereits einen Anzug angedreht oder wird er erst? Einen weiten Bogen macht er jetzt, der Metzger, nur nicht gesehen werden, und versteckt sich hinter einer Ex-Außenministerin, die grad über ihre Geldsorgen klagt. Also weiter, bevor er noch spenden muss, sich in den Windschatten einiger Baumeister-Ex-Frauen hängen, die den Baumeister kräftig dabei unterstützen, garantiert bald pleite mit der Ex-Außenministerin eine Selbsthilfegruppe gründen zu können. Und auch der Metzger gönnt sich einmal auf Ex, weil sonst packt er das alles nicht, also runter mit dem Sparkling Rosé und hinein in eine Gruppe bekannter Gesichter, von denen zwar kein Mensch weiß, was sie eigentlich beruflich so treiben, die aber trotzdem ständig vor der Kamera stehen.

Genau diese scheint nun eingetroffen, denn ein greller Scheinwerfer leuchtet auf und wirklich alles, was meint, in den Wohnzimmern der Fernsehzuschauer unverzichtbar zu sein, kreiselt hurtig um die Kamera wie die Mücke ums Licht, die Schmeißfliegen über dem Misthaufen. Die Kamera aber bleibt nicht stehen, bewegt sich suchend durch die Menge. Und wäre der Metzger nicht gar so seiner Freude beraubt worden die letzte Zeit, er hätte jetzt seinen Spaß daran, zu beobachten, wie nun im Inneren des Pavillons eine Art Massenverschiebung stattfindet, weil die Adabeis alle dem Kameramann und selbstverständlich dem verantwortlichen Society-Reporter hinterherschwanzeln. Allen voran die Operettenoma Britta Satratra, heut leider keine Singdrossel, sondern eher Pechvogel, weil wen soll der Journalist auch sonst fragen, wenn nicht grad die Erstbeste neben sich: „Frau Satratra?“

„Gern!“, richtet sie sich auf, ein, die Dauerwelle, das Kleid, kalibriert sich neu, von hantig auf freundlich, und legt los: „Ich freu mich so sehr. Ich hab übrigens ein Kleid ...!“

„Wo ist denn der Herr Dornhauer!“, wird sie unterbrochen.

„Wie?“

„Der Herr Dornhauer!“

Unwirsch ihre Antwort: „Wer soll das sein?“

Ein Handzeichen des Reporters lässt den Kameramann seines Amtes walten und das begehrte rote Lichtlein aufleuchten.

„Haben Sie schon mit Thaddeus Dornhauer angestoßen, Frau Satratra?“

„Helfen Sie mir auf die Sprünge!“

„Ihr Gastgeber! Der Winzer, bei dem Sie gerade eingeladen sind!“ Alles auf Bild und Ton. Auch der Hohn. „Letztklassig ist das, gar nicht zu wissen, wer einen grad durchfüttert!“, zwängt sich der Ex-Lamborghini- und nun Maserati-Mann vorbei – und der Metzger schiebt sich davon. Nicht, dass er irrtümlich ins Bild kommt.

Nur noch hinaus. An die Frischluft.

Und auch hier: „Noch ein Dornhauer-Secco, mein Herr!“

„Da haben Sie mich aber sofort an der Angel, Angel!“

Obwohl Willibald Adrian Metzger jetzt dringend etwas Stärkeres bräuchte, denn was er nun erspäht, ist kaum zu glauben.

Und nein, den unweit zwischen den Weinbergen marschierenden, in einen hellen Leinenanzug gehüllten Major Pichlmayr meint er damit nicht. Auch er also zählt zu den Besuchern, wie Michael Friedmann, Heribert Senekowitsch und Teile der nächtlichen Schlägertruppe. Gewiss erstaunlich, das alles, trotzdem ein Lercherlschas gegen diesen wie angewurzelt in der Wiese wartenden Stargast.

Charlie

Da steht ein Elefant!

Keiner aus Pappmaschee oder Plastik, sondern gemäß Ohren aus Afrika und aus Fleisch und Blut.

Einfach so. Ein Elefant inmitten der Weinberge. Darum also der riesige Transporter. Auf seinem Rücken liegt eine rote Decke. Um sein rechtes Bein eine Kette, fixiert an einem in die Erde geschlagenen monströsen Eisenhaken. Daneben ein Podest mit der Aufschrift Zirkus Juwel. Und offenbar verweilt der Dickhäuter hier schon lang, denn Beachtung wird ihm keine mehr geschenkt. Hat er sich für die Gäste also bereits zum Affen gemacht, auf Kommando hingesetzt, ein Bein gehoben oder gleich beide, Männchen sozusagen. Und ein solches dürfte er auch sein, denn auf der roten Decke ist in Blockbuchstaben Charlie zu lesen.

Da kann es mit der Qualität der Dornhauer-Produkte nicht weit her sein, wenn er sich zusätzlich noch einen Elefanten, Feuerspucker, Jongleur und den ganzen Zirkus mit den Adabeis hinstellen muss. Wie in diesen Nobel-Kleiderläden, beste Innenstadtlage, Türsteher, schöne Sitzmöbel, alles picobello, mitten im Geschäftslokal oft ein Deko-Cabrio oder Plastik-Kugelstoßer oder echter Olivenbaum, dafür kosten die Textilien dort das Zigfache dessen, was es bei Kik, Takko, C&A oder weiß der Teufel wo zu berappen gilt, und kommen trotzdem haargenau aus derselben Fabrik in Bangladesch, hergestellt von Menschen, wohnhaft in mit Karton ausgelegten Wellblechhütten. Nichts Neues natürlich, weder dieser Umstand noch die Zustände, und trotzdem bleibt alles beim Alten.

Jetzt ist der Metzger ja kein Biologe, aber ein zu Unterhaltungszwecken dressierter, inmitten einer Weinberge-Bummbumm-Party angeketteter Elefant hat mit artgerecht natürlich genauso viel zu tun wie der Begriff „artgerecht“ mit gerecht oder gar frei. So traurig, wie der gute Charlie dreinschaut, weiß er das offenbar auch selbst.

Und nicht nur er.

„Wollen wir ihn befreien?“

Wie aus dem Nichts springt ein schwarzer Blitz aus der Nacht. Und eines ist sicher: Da könnte sich jetzt hinten in der Menge zu allem Übel auch noch die Paris Hilton einfliegen lassen, mit einem Dornhauer-Sparkling-Rosé-Doserl in der Hand, den Metzger kann heut kein Überraschungsgast dieser Welt mehr verblüffen.

„Na, jetzt schau ich aber!“, erklärt er deshalb nüchtern.

„Ich auch, Herr Metzger! Ich auch. Schön, dass Sie Ihre Wohnung wieder verlassen. Am dritten Tage quasi auferstanden, trotz durchbohrtem Herzerl. Nicht, dass Sie da noch jemandem Konkurrenz machen!“

„So wie Sie Bruce Lee, weil wenn das kein Zufall ist, dann kann es nur Absicht sein. Sind S’ wieder hinter mir her und werfen ein Auge auf mich?“

Es ist ein ziemlich verdutzter Blick, den sich der Metzger nun gefallen lassen muss. „Na zack, Sie gehen’s an. Werden S’ jetzt zum Gigolo?“

Hürrem Yildirim ist neben ihm aufgetaucht, in einem eleganten, kurzen, schwarzen Trägerkleid. Klein, aber oho. Die Arme und Beine definiert, sportlich, braungebrannt. Der Körper trotzdem voll Weiblichkeit. Ihr langes Haar zu einem Zopf hochgesteckt. Wunderschön sieht sie aus.

„Nicht, dass Sie kein Traummann wären, oh Willibald! Obwohl Sie heut nicht wie ein Windsor aussehen, sondern eher ein bisserl wie ein verarmter Habsburger. Ich jedenfalls bin alles andere als eine Traumfrau. Da kommt sicher noch was Besseres. Was bitte machen Sie hier?“

„Erstens sind Sie selbstverständlich eine Traumfrau. Zweitens könnten Sie womöglich meine …“

Jetzt muss der Metzger abbrechen, denn ein Stück hinter Dickhäuter Charlie kommt das Objekt seiner Begierde ins Blickfeld. Mit zwei Herren steht Thaddeus Dornhauer zwischen den Weinstöcken beisammen. Wild gestikulierend. In rotem Slimfit-Sakko, rotem Hemd, die Hose schwarz. Ein wenig wie ein Zauberkünstler sieht er aus, oder wie der Direktor dieses ganzen Zirkus hier. Und für Willibald Adrian gäbe es kein Halten mehr, hätte sich Hürrem nicht bei ihm eingehakt, so eng, ihre Brüste kann er spüren.

„Sie waren gerade dabei, eine Aufzählung zu starten, Herr Metzger. Der Anfang hat mir schon mal gefallen: ‚Erstens sind Sie selbstverständlich eine Traumfrau. Zweitens könnten Sie womöglich meine …‘ Wie geht es weiter?“

„Meine Tochter könnten Sie sein. Und drittens wissen Sie ganz genau, warum ich frag, ob Sie hinter mir her sind, Hürrem. Wo haben Sie kämpfen gelernt wie Bruce Lee, und warum passen Sie auf mich auf?“

Und ahnungsloser dreinschauen geht kaum: „Ich versteh kein Wort, Herr Metzger, frag mich aber durchaus, was Sie herführt?“

„Dreimal dürfen Sie raten!“, zieht der Restaurator nun seinen Arm aus der liebevollen Schlinge.

Also los.

Dornhauer ist fällig.

Nur Hürrem gibt nicht auf, ändert den Ton, packt den Metzger an seinem Rockzipfel: „Ich kann mir vorstellen, wie dreckig es Ihnen wirklich geht, Willibald, aber bitte: Machen S’ jetzt keinen Fehler!“

„Glauben S’ mir, Hürrem, sollte es ein Fehler werden, dann kommt es auf den einen zusätzlich jetzt wirklich nicht mehr an!“

Nurejew

„Darf ich kurz stören!“, drängt sich der Metzger zwischen jene beiden Herren, die mit Thaddeus Dornhauer in offenbar gar nicht so trauter Dreisamkeit Wichtiges zu besprechen haben. Und wenn den Restaurator nicht alles täuscht, ist der Größere der beiden genau jenem Hochwürden, der hier im Salettl die Trauung vornehmen wollte, wie aus dem Gesicht geschnitten. Jetzt allerdings trägt er eine schwarze, enge Lederjacke und gebärdet sich, als müsste er zu einem Mission-Impossible-Casting. Von Freundlichkeit keine Spur. Direkt aggressiv wirkt er.

„Nein, dürfen Sie nicht!“

Nur hat der Restaurator ja gar nicht den Herrn Pfarrer um Erlaubnis gebeten, tritt noch weiter auf Dornhauer zu und kommt gleich direkt zur Sache: „Haben Sie es mitbekommen, Dornhauer?“

„Was?“

„Die Toten.“

Entsprechend verdattert die Reaktion.

„Bitte!“, deutet er dem Pfarrer, ein wenig zur Seite zu weichen, der zweite Kerl aber bleibt stehen. Kahlköpfig, grobschlächtig, wie einer der Herren aus den Nachrichten, nur lebendig.

„Metzger, was wollen Sie von mir?“

„Wissen, was hier los war! Danjela ist mit dem Sohn eines Kartellführers davon, und der ist jetzt tot. Dejan Sulemanjiu. Was haben Sie damit zu tun, Dornhauer?“

Keine Zeit für Diplomatie, Freundlichkeit. Auch bei Thaddeus Dornhauer.

„Mir scheint, Ihnen geht’s nicht gut …“

„Da haben Sie völlig recht. Gar nicht gut!“, unterbricht der Metzger. „Bei meiner Nicht-Hochzeit …“

„Was fällt Ihnen ein, hier aufzutauchen und …“

Nein, das wird nichts mit dem Ausreden-Lassen.

„Bei meiner Nicht-Hochzeit sind Ihnen eine ganze Hand voll Fehler unterlaufen, Dornhauer, gewaltige sogar!“ Seine Faust streckt er dem Wirt nun vors Gesicht, worauf die beiden Herrn näher rücken. Doch egal. Punkt für Punkt beginnt der Metzger seine Finger hochschnalzen zu lassen.

Zuerst der Daumen.

Der schüttelt die Pflaumen.

Der hebt sie auf.

Der trägt sie nach Haus.

Und der Kleine isst sie alle wieder auf.

„Mir sollen Fehler passiert sein? Dass ich nicht lach!“

Und während der Priester im Hintergrund nun sichtlich unsicher wird, ist Dornhauer nicht einmal das Aufblitzen einer Schamesröte anzusehen. Das ist eben der Vorteil von Steckdosen-Bräune, wenn sich der Toaster derart gründlich beide Seiten vorgenommen hat, um unter einer ganzjährigen berluscon- oder trumpschen Sommerfrische für einen kleinen Zusatz-Teint gar keinen Platz mehr zu haben. Wozu also noch groß genieren, wenn es peinlicher kaum geht?

Thaddeus Dornhauer denkt gar nicht daran, sich irgendwas aus der Nase ziehen zu lassen, sondern legt noch nach: „Wenn, dann haben Sie Fehler gemacht, schließlich hat mich die Braut ja nicht sitzenlassen! Haufenweise Fehler sogar, sich so ein Weibsstück auszusuchen und dann nicht Lunte zu riechen. Wie blöd kann man sein!“

Logisch trägt das bei Willibald Adrian Metzger nicht unbedingt zur Verbesserung der aktuellen ohnedies schon schlechten Gesamtsituation bei.

Wodurch ein simples Gesetz zur Geltung kommt, gegen das sich der Intellekt des Menschen zwar berechtigt zur Wehr setzt, nur bringt das halt nichts – elende Biologie! Da kann sich der größte Schnösel und Wichtigtuer dieses Planeten nämlich aufblasen wie ein Bazooka oder ein Hubba Bubba, bleibt er bei fehlender Körpergröße leider trotzdem ein Zniachtl. Kurzum: Mehr als eine ganze Kopflänge überragt der Restaurator den Szene-Winzer, und das ist unter Männern verdammt viel – obwohl sich Dornhauer jetzt ohnedies schon emporstreckt, eine Körperhaltung an den Tag legt wie in seinen besten Zeiten im Nussknacker der Nurejew.

Dazu ein Satz, so mächtig, kraftstrotzend, mehr geht eigentlich nicht: „Und jetzt verschwinden S’ hier umgehend, sonst lass ich Sie verschwinden!“

Für einen Menschen, der grad massiv an seinem Leben hängt, mit Sicherheit angsteinflößend. Für den Metzger allerdings eine Einladung: „Glauben Sie ernsthaft, bei dem, was ich grad alles verloren hab, wäre mir um mich leid! Also: Nur zu!“

So nahe es ihm nun erträglich ist, geht er an Dornhauer heran, da nutzt dem Winzer sein Spitzentanz jetzt auch nichts mehr. Und derart in Rage gerät er grad, der Willibald, alles rundum wie ausgeblendet. Der näher kommende Scheinwerfer, das rote Lichtlein, die Menschen dahinter. Dann legt er los.