Sonntag, 21. Dezember
E
igentlich dachte ich, ich hätte nur ein bisschen gedöst, aber als ich die Augen aufschlage, scheint die Wintersonne ins Wohnzimmer und es duftet nach frisch gebrühtem Kaffee. Ich blinzele gegen das strahlende Morgenlicht und versuche das gleichförmige Klackern zu orten, das den Raum erfüllt.
Und dann erblicke ich Serge. Er sitzt in T-Shirt, Schal und Jeans an seinem provisorischen Schreibtisch am Fenster und tippt in atemberaubender Geschwindigkeit auf seiner Computertastatur. Genau wie ich es mir vorgestellt habe, fliegen seine Finger über die Tasten wie die eines Klavierspielers. Es hat etwas Faszinierendes, beinahe etwas Sinnliches an sich, diesem weltberühmten Schriftsteller bei der Arbeit zuzusehen.
Just in diesem Moment dreht er sich zu mir um und schenkt mir sein atemberaubendes Lächeln. »Da ist wohl jemand wach geworden. Guten Morgen, kleiner Langschläfer.«
Ich unterdrücke ein herzhaftes Gähnen und dehne meine Schultern, ehe ich mich unter dem kuschelweichen Kaschmir-Plaid halb aufrichte. »Wie spät ist es denn?«
Serge sieht auf seine Uhr. »Gleich halb elf.«
»Ô mon Dieu!
Ich dachte, ich hätte nur ein kleines Nickerchen gemacht.«
Serge grinst. »Offenbar haben dir unsere préliminaires amoureux
auf dem Küchentisch ziemlich zugesetzt, chérie
. Du hast geschlafen wie ein Baby.«
Ich spüre, wie ich prompt erröte. »Du warst also die ganze Zeit über hier?«
»Natürlich war ich hier. Ich wollte keine Minute mit dir verpassen. Dich schlummernd in meinen Armen zu halten, war so ziemlich das Friedlichste, das ich je erlebt habe. Ich habe mich erst vor etwa einer Stunde aus dem Bett gestohlen, um ein bisschen zu arbeiten.«
»Du kannst also wieder schreiben?«
Serge nickt. »Es ist, als wäre ein Knoten geplatzt. Als hätte die Zeit mit dir meine Gedanken befreit. So intuitiv wie heute Vormittag habe ich seit Monaten – nein – seit Jahren nicht mehr geschrieben.«
»Tatsächlich?«
»Tatsächlich. Du scheinst mich zu inspirieren, Julie Bélingard.« Serge erhebt sich und gibt mir einen zärtlichen Kuss. »Und jetzt hole ich dir einen Espresso und das letzte Aufback-Croissant.«
Ich lächele ihn an. »Du bringst mir Frühstück ans Bett?«
»Ich muss meine Muse doch bei Laune halten«, entgegnet er grinsend.
Serge Signac, der Bestseller-Autor und Ex-Ehemann von Mia Bolan, bringt mir Frühstück ans Bett! Ich kann es kaum fassen und lächele glückselig in mich hinein, als er das Zimmer verlässt. Und dann fällt mein Blick erneut auf seinen aufgeklappten Laptop mit dem geöffneten Manuskript.
Von Neugier übermannt erhebe ich mich in das Kaschmir-Plaid gehüllt vom Daybed und gehe zum Schreibtisch. Schon beim ersten Schritt merke ich, wie wund und verkatert ich bin. Ich habe Muskelkater in den Oberschenkeln, als hätte ich gestern eine ausgedehnte Fahrradtour gemacht und mein Schoß ist so wund wie seit meinem ersten Mal nicht mehr.
Ich beuge mich über die Lehne des weißen Soft Pad Chairs und lese den letzten Absatz.
Truffaut stand wie vom Donner gerührt und starrte auf die Frau, die gerade den Raum betreten hatte. Sie war von ätherischer, beinahe elfenhafter Statur und zog doch alle Blicke auf sich. Ihre zarten Glieder wirkten wie von Künstlerhand aus schimmerndem Marmor gehauen. Hohe Wangenknochen und ein sinnlicher Mund bestimmten ihr fein geschnittenes Gesicht mit den großen, von dichten Wimpernkränzen umrahmten Augen, die die Farbe von himmelblauem Topas hatten. Das aschblonde Haar fiel ihr in sanften Wellen auf die Schultern. Die maigrüne Seide ihres bodenlangen Kleides umfloss ihre grazile Gestalt und changierte bei jeder ihrer Bewegungen. Nur von hauchfeinen Trägern auf ihren Schultern gehalten umschmeichelte es ihr Dekolleté mit dem kleinen Schönheitsfleck auf dem ausgeprägten Schlüsselbein. Es war der Auftritt einer Göttin. Truffaut wusste instinktiv, dass ihm diese Frau zum Verhängnis werden würde. Er hob sein Glas und prostete ihr zu.
»Gefällt es dir?«
Ich zucke zusammen. Wieder habe ich Serge nicht näherkommen hören.
»Ich habe nur die letzten Sätze gelesen«, murmele ich ertappt.
»Truffauts erste Begegnung mit Juliette. Wie findest du sie?«
»Ist sie das Flittchen mit den eindeutigen Absichten?«
Serge lacht. »Ja, so hatte ich die Figur zumindest ursprünglich angelegt. Aber dann wurde mir klar, dass sie ganz anders ist – subtil und sinnlich. Sie ist eine kühle Schönheit, eine große Verführerin und eine virtuose Strategin. Sie ist eine Frau, die Truffaut ernsthaft gefährlich werden könnte. Eine starke Gegnerin.«
»Sie hat mein Muttermal und sie trägt beinahe meinen Namen«, werfe ich ein. »Klingt nicht gerade nach einem Zufall, Serge.«
»Ich gebe zu, dass sie dir optisch ähnelt, Julie. Und wie du ist sie eine kluge, geistreiche und sinnliche Frau.« Er setzt einen weichen Kuss in meine Halsbeuge. »Aber da enden die Gemeinsamkeiten auch schon. Juliette ist eine Art Spionin, die von ihrem Auftraggeber, einer Investmentbank, auf Truffaut angesetzt wird. Und noch dazu verfolgt sie ihre ganz eigenen Interessen.«
Er legt seinen Finger unter mein Kinn, um mein Gesicht zu ihm zu drehen. »Es ist dir doch nicht etwa unangenehm, dass ich Juliette dein Erscheinungsbild geliehen habe, oder?«
Ich schüttele lächelnd den Kopf. »Ich fühle mich geschmeichelt, Serge. Wirklich. Wie du sie beschreibst, scheint sie eine wahre Schönheit zu sein.«
»Nur annähernd so schön wie das Original«, murmelt er und küsst meine Nasenspitze.
Mon Dieu!
Was für ein herrliches Kompliment!
»Aber ich frage mich, ob du das vielleicht immer so machst. Dass du in deinen Bondgirls die Frauen verewigst, mit denen du gerade geschlafen hast.«
Serge lacht. »Normalerweise ist es eher umgekehrt. Ich erschaffe für Truffauts Affären Frauen, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Geheimnisvolle Femme fatales und betörende Femme fragiles, aggressive Vamps und devote Betthasen. Das sind reine Männerfantasien; Stereotypen, mit denen jeder Mann nur zu gern ins Bett gehen würde. Diesmal ist es anders. Du hast mich inspiriert, die Figur der Juliette völlig neu anzulegen. Sie wird kein Bondgirl, kein schmückendes Beiwerk sein. Die neue Juliette hat das Zeug zur Antagonistin.«
»Wow«, murmele ich. »Das klingt ja nach einem völlig neuen Ansatz im chauvinistischen Universum des Professor Jean-Luc Truffaut.«
»Da siehst du, welchen Einfluss du auf mich hast«, entgegnet er grinsend. »Und jetzt solltest du deinen Kaffee trinken, ehe er kalt wird.«
Ich hauche einen Kuss auf seine Wange, ehe ich an ihm vorbei zurück zum Daybed gehe. Obwohl ich mich bemühe, nicht zu humpeln, ist mein Gang vermutlich nicht allzu damenhaft.
»Sieht so aus, als würde dir das köstliche Dessert von gestern Abend immer noch nachhängen, chérie
«, zieht Serge mich auf und grinst spitzbübisch.
»Ich bin es eben nicht gewohnt, das Dessert zu sein
«, kontere ich und schenke ihm ein zuckersüßes Lächeln.
Dann erst erblicke ich Mamans kleines Silbertablett, das mit einem Espresso, einem Glas Orangensaft und einem Croissant darauf auf dem Daybed steht.
❄❄❄
Als ich aus dem Badezimmer komme, hockt Serge auf dem Wohnzimmerboden.
»Was hast du denn mit dem alten Weihnachtsbaum-Ständer vor?«, erkundige ich mich verblüfft.
»Den habe ich in der Abstellkammer gefunden. Immerhin ist heute der vierte Advent und Mittwoch Heiligabend. Zumindest im Augenblick sieht es nicht so aus, als wenn wir vorher hier wegkommen würden, und da wäre es doch schön, wenn wir wenigstens einen Sapin de Noël hätten.«
Ich grinse. »Ja, das wäre wirklich schön. Aber du willst doch bei diesem Wetter nicht ernsthaft einen Baum schlagen?«
»Warum nicht?« Serge zuckt mit den Schultern. »Immerhin schneit es im Moment nicht und es scheint sogar die Sonne.«
»Du weißt schon, dass das ein bisschen verrückt ist?«, entgegne ich kopfschüttelnd und helfe ihm dabei, die schönen gusseisernen Schmuckelemente vom Staub zu befreien.
»Die letzten beiden Weihnachtsfeste habe ich bei über 20 Grad mit einem kreischend bunten Plastikbaum in Los Angeles verbracht. Ich freue mich auf einen echten Baum«, erklärt er.
»Na, wenn das so ist, müssen wir uns natürlich ins Zeug legen. Papas Werkzeug ist im Schuppen. Dort müssten sogar noch alte Winterstiefel von Maman stehen. Ganz hinten in der Kammer sind auch noch ein paar Schachteln mit altem Baumschmuck.«
»Das heißt, ihr feiert normalerweise hier Weihnachten?«, erkundigt sich Serge, während er aufsteht.
»Früher haben wir immer hier gefeiert. Da kam die ganze Familie zu Weihnachten in der cabane
zusammen. Aber seit Oma Estelle nicht mehr so gut zu Fuß ist und Pascal an der ENSAD in Paris studiert, treffen wir uns meistens bei meinen Eltern in Cannes.«
»Pascal?«, fragt Serge und klingt regelrecht misstrauisch.
»Mein kleiner Bruder«, erkläre ich lachend.
»Du hast gar nicht erwähnt, dass du einen Bruder hast.«
»Jetzt habe ich es erwähnt. Er ist vierundzwanzig und kommt, was die Kreativität anbelangt, sehr nach meiner Mutter. Er studiert Animationsfilm und macht wundervolle kleine Stop-Motion-Sachen mit Knetfiguren und selbstgebauten Displays.«
»Das klingt spannend.«
»Ja, ist es auch. In Zeiten von digitalem Computertrick ist es beinahe anachronistisch. Unglaublich zeitaufwendig, aber auch sehr poetisch. Das sind echte kleine Kunstwerke.«
»Ihr seid eine ziemlich kreative Familie.«
Ich schüttele den Kopf. »Nur Pascal und Maman sind kreativ. Papa und ich leben von der Kreativität anderer. Und du? Hast du Geschwister?«
Serge nickt. »Eine jüngere Schwester und einen älteren Bruder.«
»Und schreiben die auch Bücher?«
»Nein«, entgegnet er lachend. »Ich bin der einzige Exot der Familie. Meine Schwester arbeitet als PR-Beraterin, mein Bruder ist Verwaltungsbeamter. Beides ganz normale Leute.«
»Dann sind Schriftsteller in deinen Augen also keine normalen Leute?«, frage ich grinsend.
»Schriftsteller sind Vampire. Exzentrische nachtaktive Wesen mit seltsamen Marotten und Neurosen.«
Ich kreische auf, als er mich packt und so tut, als wolle er mir in den Hals beißen.
»Keine Angst, chérie
. Wir haben von Blut auf Kaffee umgesattelt. Koffein hält einfach länger wach.« Er setzt einen verspielten Kuss in meine Halsbeuge.
»Das ist aber ein reichlich düsteres Selbstbild.«
Serge zuckt theatralisch mit den Schultern. »Traurig aber wahr. Autoren sind eine merkwürdige Spezies mit schizophrenen Zügen. Die meisten sind introvertierte Sonderlinge mit übersteigertem Geltungsdrang – darin liegt unser Dilemma.«
»Für mich waren Schriftsteller immer Magier, die mit Worten neue Welten erschaffen. Die einzig wahren Herrscher über Raum und Zeit, die uns mitnehmen in die Vergangenheit und in die Zukunft, an ferne Orte und in fremde Welten, die es uns ermöglichen, ein anderes Leben zu leben. Sie machen uns zu Helden und zu Mördern, zu Komplizen und zu tragisch Liebenden. Das ist eine Gabe und ein großes Geschenk.«
Serge sieht mich an, ohne etwas zu entgegnen.
»Was ist das für ein Blick?«, frage ich verunsichert. »Ist das eine zu kitschige Sicht auf dein Handwerk?«
Serge schüttelt den Kopf. »Ein faszinierter Blick. Was für ein flammendes Plädoyer für die Schreiberei. Wenn ich dich nicht schon flachgelegt hätte, würde ich es jetzt auf der Stelle tun, Julie Bélingard.«
Das raue Timbre seiner Stimme lässt meine Haut kribbeln, als er mich herausfordernd ansieht.
»Ich dachte, der Herr Schriftsteller hatte vor, einen Baum zu fällen«, entgegne ich süffisant.
Serge grinst. »Du meinst, erst die Arbeit, dann das Vergnügen?«
Ich spüre, wie ich prompt erröte. »So könnte man es wohl auch ausdrücken.«
»Ich nehme Sie beim Wort, Mademoiselle Bélingard.«
Und dann machen wir uns beide ausgehfein. Das heißt in meinem Fall mal wieder improvisieren. Während Serge für den überraschenden Wintereinbruch vergleichsweise gut gerüstet ist, habe ich nicht einmal Handschuhe oder festes Schuhwerk dabei. Also leiht er mir einen dicken grauen Kaschmirschal, eine ebensolche Mütze und viel zu große Handschuhe. Obwohl mir die Mütze ständig ins Gesicht rutscht und ich mit den Handschuhen kaum zugreifen kann, duften die Sachen wunderbar nach Serge, sodass ich die Nase tief in den Schal grabe, um seinen Geruch zu inhalieren.
Derart vorbereitet, erweist sich schon das Verlassen des Hauses als erste Herausforderung. Wieder kommt uns beim Öffnen der Haustür ein ganzer Haufen Schnee entgegen und Serge muss durch den Tiefschnee waten, um an den Schneeschieber zu gelangen.
»Du bleibst erst mal hier, Julie. Ich hole die Axt und suche nach den Schneeschuhen.«
Ich seufze und verschränke die Arme vor der Brust. Mit meinen Booties würde ich tatsächlich nicht mal bis zum Schuppen kommen.
Ich sehe zu, wie mühsam sich Serge durch den Schnee kämpft und male mir aus, wie beschwerlich erst der Weg über das ganze Grundstück bis zum Waldrand sein wird.
Als Serge zurückkommt, hält er mir schwer atmend Papas Axt, die Säge und Mamans Schnürstiefel wie Trophäen entgegen.
»Willst du dich immer noch über eine steile Bergwiese kämpfen, um im Tiefschnee einen Weihnachtsbaum zu schlagen?«, frage ich skeptisch.
»Klar. Aber wenn du lieber hierbleiben möchtest …«
»Das hättest du wohl gern«, falle ich ihm ins Wort. »Damit du den starken Mann spielen kannst, der seine Beute ganz allein in die Höhle schleppt.«
Serge grinst. »Gut. Dann kommst du also mit.«
Ich steige in Mamans Stiefel und Serge bückt sich tatsächlich, um mir die Schnürsenkel zuzubinden.
»Wie aufmerksam von dir«, bedanke ich mich lächelnd.
Und dann stapfe ich hinter Serge her, der eine Art Trampelpfad in den beinahe hüfthohen Schnee treibt. Mamans Schuhe halten der Herausforderung stand, aber meine Jeans ist schon nach wenigen Schritten wieder völlig durchnässt und klebt mir kalt und schwer an den Beinen.
Dafür ist das Wetter an diesem Sonntagmittag ein einziger Wintertraum. Es ist bitterkalt, nachdem der eisige Ostwind von gestern Abend die diesige Schneeluft vertrieben hat. Jetzt ist der Himmel strahlend blau und die vereinzelten Schäfchenwolken wirken wie von einem Maler hingetupft. Die Sonne scheint und lässt Bäume und Berghänge in ihrem weißen Winterkleid glitzern wie Millionen Diamanten.
»Sieh mal!«, ruft Serge begeistert und weist zum Himmel, wo ein mächtiger Greifvogel majestätisch seine Kreise zieht. »Das ist ein Steinadler.«
Ich nicke. »Mit etwas Glück bekommst du hier sogar Steinböcke und Wölfe zu Gesicht. Die wandern in den letzten Jahren zunehmend aus Italien ein.«
»Ich weiß nicht, ob mich die Begegnung mit einem hungrigen Wolf im Winter beglücken könnte.«
»Da hättest du auf jeden Fall etwas, über das du schreiben könntest«, entgegne ich lachend.
»Aber nur, wenn ich noch dazu käme.«
»Da drüben«, sage ich und deute auf eine Gruppe von Tannen, »müssten ein paar junge Bäume stehen. Aber ich fürchte, die müssen wir erst ausgraben.«
»Wir sind auf der Suche nach einem Weihnachtsbaum, nicht nach einer Topfpflanze«, belehrt er mich grinsend und zeigt auf eine recht stattliche Tanne, die ihn selbst um etwa eine Kopflänge überragt. »Was hältst du von dem?«
Obwohl sich seine Äste unter der beträchtlichen Schneelast biegen, erkennt man, dass es sich um einen schönen, gleichmäßig gewachsenen Baum handelt.
»Ist der nicht ein bisschen zu groß?«, frage ich skeptisch.
»Nein, ich denke der ist perfekt.«
Ich zucke mit den Achseln und grinse. »Wenn du das sagst.«
Und dann beginnt Serge damit, den Schnee vom Baum zu schütteln.
Während ich ein paar Schritte zurücktrete, bekommt er selbst den ganzen Segen auf den Kopf.
»Putain de merde!
«, flucht er ziemlich derb und macht seltsame Verrenkungen, um den Schnee aus seinem Kragen zu schütteln. Die Szene ist einfach zu komisch!
»Vielleicht solltest du lieber über das Bäume fällen schreiben, statt es selbst zu probieren«, empfehle ich ihm kichernd.
Ich kreische auf, als mich ein Schneeball trifft. Verdattert blicke ich in Serges lachendes Gesicht.
»Das bekommst du zurück!«, rufe ich, während ich selbst einen Schneeball forme. Eigentlich ist der Schnee ein bisschen zu pulvrig für ordentliche Bälle. Dafür schmerzen die Treffer aber auch nicht. Ich ziele und – verfehle ihn. Merde!
Das war schon im Schulsport immer mein Problem.
»Daneben!«, ruft Serge und feuert erneut auf meine Schulter.
»Mince alors!
«, fluche ich und mache mich für den Gegenschlag bereit.
Doch Serge weicht meinem Angriff elegant aus, indem er sich wegduckt.
»Vielleicht solltest du lieber mit deinen Studenten über Schneeballschlachten mit Schriftstellern diskutieren, statt selbst daran teilzunehmen«, empfiehlt er mir lachend.
Ich nutze meine Chance, als er lachend dasteht, und treffe ihn am Kopf.
Flûte!
Eigentlich hatte ich auf seine Brust gezielt.
Serge sieht mich verdutzt an und schüttelt sich den Pulverschnee vom Kopf. Er sieht verdammt sexy aus mit den glitzernden Flocken in seinem schwarzen Haar. Wehgetan hat ihm mein Treffer offenbar nicht.
»Na warte!«, ruft er mit gespielter Empörung. »Jetzt kannst du was erleben!«
Ich kreische und gluckse wie ein Teenager, als er auf mich zugestürmt kommt. Ich versuche noch, vor ihm zu fliehen, aber im Tiefschnee habe ich keine Chance gegen ihn.
Ich schnappe nach Luft, als er mich packt und im pulvrigen Schnee niederringt.
Merde!
Jetzt bin ich auch überall voller Schnee.
Serge packt meine Handgelenke, um sie links und rechts meines Kopfes in den Schnee zu drücken. Dann küsst er mich voller Leidenschaft.
Ô mon Dieu!
Trotz der eisigen Temperaturen vermag sein Kuss meinen ganzen Körper zu entflammen. Dennoch winde ich mich unter ihm und versuche mich aus seinem eisernen Griff zu befreien. Ich bekomme etwas Schnee zu fassen, den ich ihm an die Wange werfe.
»Du kleine Wildkatze!«, knurrt Serge. »Hast du immer noch nicht genug?«
Ich sehe zu, wie er seinen rechten Handschuh abstreift und etwas Schnee in die Hand nimmt.
»Wage es bloß nicht!«, fauche ich, doch statt mich einzuseifen, öffnet er den obersten Knopf meines Mantels.
Mein Herz rast wie wild und ich schnappe nach Luft, als er den winzigen Schneeklumpen zwischen Schal und Mantel in meinen Ausschnitt wandern lässt und zielgenau zwischen meinen Brüsten platziert. Die Eiseskälte an dieser empfindlichen Stelle lässt mich am ganzen Körper erbeben.
»Pauvre con!
«, fluche ich keuchend und zappele wie wild, um den Schnee loszuwerden.
»Hältst du es wirklich für klug, mich in deiner momentanen Position als Vollidiot zu beschimpfen, chérie
?«, fragt Serge lachend und kneift mit den Zähnen spielerisch in meine Unterlippe, um meinen Mund aufzuzwingen.
Atemlos gebe ich ihm nach und glühende Hitze schießt durch meinen Körper, als ich seinen gierigen Kuss erwidere.
»Was machst du nur mit mir, Julie Bélingard?«, murmelt Serge und streicht mir eine schneefeuchte Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Das Gleiche könnte ich dich auch fragen, Serge Signac«, entgegne ich kichernd.
Einen Moment lang liegen wir beide schwer atmend im Tiefschnee, ehe Serge mir aufhilft.
»Ist er geschmolzen?«, erkundigt er sich.
Ich sehe ihn fragend an.
»Der kleine Schneeklumpen«, konkretisiert er seine Frage. »Hat deine erhitzte Haut ihn zum Schmelzen gebracht?«
Ich spüre, wie ich wieder einmal erröte, als ich mir notdürftig den Schnee von den Hosenbeinen klopfe. »War da nicht noch ein Weihnachtsbaum, den du schlagen wolltest?«
Serge grinst. »Von der Sache mit dem Schneeklumpen werde ich mich später persönlich überzeugen. Und jetzt an die Arbeit.«
Zuerst trampeln wir den Schnee rund um unseren auserwählten Baum platt, damit Serge mit der Säge an den Stamm herankommt. Und dann überrascht mich der Mann mit den feingliedrigen Künstlerhänden ein weiteres Mal. Routiniert schlägt er die dürren Äste ab, die ihm beim Sägen im Weg sein würden, ehe er die Säge ansetzt und den mannshohen Baum gekonnt zu Fall bringt.
»Gut gemacht!«, lobe ich ihn, als der Baum vor uns im Schnee liegt. »Und jetzt?«
»Jetzt schaffe ich ihn ins Haus«, entgegnet Serge grinsend.
»Wir
schaffen ihn ins Haus«, verbessere ich ihn und will mit anfassen.
»Kommt gar nicht in Frage, Julie. Das ist Männersache und nichts für zarte Damen.«
Ich lache. »Das ist jetzt nicht dein Ernst. So konservativ bist du nicht wirklich, oder?«
»Das hat nichts mit Konservativismus zu tun, sondern mit Anstand und Erziehung.«
»Okay«, erwidere ich grinsend. »Ich habe deinen ehrenhaften Protest vernommen. Und jetzt lass uns das Ding ins Haus schaffen.«
Serge grinst. »Du bist kein Mädchen, das sich Vorschriften machen lässt, oder?«
Ich schüttele den Kopf. »So wurde ich nicht erzogen.«
Und dann helfe ich ihm dabei, eine zwei Meter lange und beinahe ebenso ausladende Tanne durch den Tiefschnee zum Haus zu zerren. Etwa auf halbem Wege frischt der Wind plötzlich auf und treibt uns die Schneeluft in eisigen Böen ins Gesicht. Merde!
Der aufgewirbelte Schnee prickelt geschossartig auf meiner schweißfeuchten Haut und ich muss die Augen zusammenkneifen. Schneekristalle verfangen sich in meinen Wimpern, lassen mir Tränen über die Wangen laufen und ich ziehe sehr undamenhaft die Nase hoch.
»Geh vor, Julie! Ich will nicht, dass du dir eine Lungenentzündung holst«, ruft Serge gegen den Sturm an. »Ich schaffe das schon allein.«
»Kommt gar nicht in Frage!«, brülle ich zurück, wobei meine Stimme halb von der eisigen Luft verschluckt wird, die mir den Atem raubt.
Stöhnend, ächzend und fluchend kämpfen wir uns Meter um Meter voran. Der vertraute Weg über die Bergwiese kam mir noch nie so weit und beschwerlich vor wie heute.
❄❄❄
Als ich eine halbe Stunde später in der Badewanne liege, fühle ich mich in etwa so erschlagen, als wäre ich von einem Lastwagen überrollt worden. Meine Haut prickelt, meine Wangen glühen, meine Hände und Füße sind wie steif gefroren. Seit Kindertagen, als ich mit meinem kleinen Bruder hier oben an der cabane
Schlitten gefahren und im Schnee herumgetollt bin, habe ich mich nicht mehr so sehr im Tiefschnee verausgabt und auf so gute Art ausgepowert gefühlt.
Diese anderthalb Stunden mit Serge draußen im Schnee waren in vielerlei Hinsicht intensiver als alles, was ich in den zurückliegenden acht Monaten mit Théo erlebt habe. Wir haben miteinander gelacht und gebalgt wie Kinder, uns geküsst wie im Film, einen Baum gefällt und einem Schneesturm getrotzt. Serge Signac ist nicht nur ein berühmter Schriftsteller, der mit Worten umzugehen weiß, er ist ein faszinierender Mann mit erstaunlichen Fähigkeiten und unzähligen Facetten.
Ich lasse mich tiefer in das duftende Schaumbad sinken und spüre wie allmählich wieder Gefühl in meine kribbelnden Glieder zurückkehrt. Das wohlige Nass umwogt meine Brüste und umhüllt meinen Körper wie ein wärmender Kokon.
In diesem Moment klopft es an der Badezimmertür.
Wenn man bedenkt, dass wir bereits miteinander geschlafen haben und gemeinsam dieses Chalet bewohnen, ist es eigentlich keine große Sache, auch das Badezimmer miteinander zu teilen und doch pocht mein Herz ziemlich heftig, als ich Serge hereinbitte. Das Badezimmer als Ort der Intimität zu teilen bedeutet eine weitere Stufe der Vertrautheit zu erklimmen, eine Gradmarke zu überschreiten, die Affären von Beziehungen unterscheidet.
Serge steckt den Kopf zur Tür herein. Das schneefeuchte Haar fällt ihm in dichten blauschwarz schimmernden Strähnen in die hohe Stirn und das weiße T-Shirt klebt durchnässt an seinem athletischen Körper.
»Darf ich reinkommen?«, fragt er.
»Klar.« Ich nicke und lächele ihn an.
»Was für ein bezaubernder Anblick«, murmelt er und scheint seinen Blick nicht von meinem feucht glänzenden Dekolleté abwenden zu können.
»Was wolltest du denn?«, frage ich grinsend und spiele mit dem glitzernden Schaum, der meine Brüste einhüllt.
»Ich habe dir eine Bavaroise gemacht«, erklärt er mit belegter Stimme und hält mir ein duftendes Teeglas mit einer milchigen Flüssigkeit hin. Wäre es nicht so düster im Raum, wäre ich beinahe sicher, dass es diesmal Serge ist, dessen Wangen sich gerötet haben.
»Was ist das?«, frage ich neugierig und schnuppere an dem heißen, eindeutig alkoholhaltigen Getränk. Es duftet verführerisch nach Rum und nach Weihnachten.
»Sag bloß, du kennst keine Bavaroise. Laut meiner Großmutter in Wien ist das das beste Mittel, um einer drohenden Erkältung vorzubeugen.«
Ich nippe versuchsweise an dem dampfenden Gemisch. »Mhm. Das schmeckt lecker. Was ist da drin – abgesehen von Rum?«
Serge grinst. »Vermutlich hätte heißer Rum allein den gleichen Effekt. Aber das Familienrezept besteht aus Schwarzem Tee, Milch, Rum, Zucker, Zimt und in besonders kritischen Fällen noch einem Eigelb und einem Klecks Schlagoberst.«
»Schlagoberst«, wiederhole ich schmunzelnd und nehme noch einen Schluck. »Was für ein witziges Wort.«
Ich spüre, wie die Bavaroise meinen Körper von innen wärmt, während vor dem Fenster ein veritabler Schneesturm tobt.
»Darf ich?«, fragt Serge und greift nach meinem Badeschwamm.
Ich nicke und halte die Luft an, als er mir im nächsten Moment behutsam die Haare über die Schulter streicht, den Schwamm ins Wasser taucht und beginnt, mir damit den Rücken zu waschen. Es ist eine ebenso romantische wie intime Geste und mit einem Mal nimmt mein urgemütliches Vollbad eine überaus sinnliche Wendung. Immer wieder taucht Serge den Schwamm in das duftende Nass und schäumt damit voller Hingabe meinen Nacken, meine Schulterblätter, meinen Rücken ein. Ich seufze behaglich auf, als er den Schwamm mit kreisenden Bewegungen tiefer wandern lässt und damit meine Hüften und meinen Steiß kost.
Ich schließe die Augen und lege den Kopf in den Nacken, als Serge einen weichen Kuss in meine Halsbeuge setzt.
»Du schmeckst so gut«, raunt er, sodass ich seinen Atem auf meiner feuchten Haut spüren kann.
Ich taste nach seiner Hand, um sie an meine Lippen zu ziehen.
»Komm zu mir«, bitte ich leise und merke dabei selbst, wie belegt meine Stimme klingt.
Serge sieht mich fragend an. »In die Wanne?«
Ich nicke.
»La vache!
Was für ein Angebot!« Serge grinst auf diese unverschämt attraktive Weise, als er mir das Teeglas aus der Hand nimmt. »Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, Mademoiselle Bélingard.«
Und dann sehe ich ihm beim Ausziehen zu. Ô mon Dieu!
Ich beiße mir unwillkürlich auf die Unterlippe, als Serge sich das feuchte T-Shirt über den Kopf zerrt und seine langgestreckten Muskeln dabei spielen. Bei diesem Anblick wundert es mich nicht mehr, wie gut er sich vorhin bei der Weihnachtsbaumaktion geschlagen hat. Die tief sitzende Jeans gewährt mir einen ungehinderten Blick auf seinen perfekt definierten Sixpack und seine Leistengegend mit den ausgeprägten Muskel- und Sehnensträngen. Ich muss mich zwingen, nicht allzu direkt und lüstern hinzusehen, als Serge sich aus Jeans und Retroshorts schält. Dennoch verweilt mein Blick eine Idee länger als beabsichtigt bei seinen trainierten Oberschenkeln und dem beeindruckenden Objekt der Begierde dazwischen.
Zut!
Ich spüre, wie mir verräterische Hitze in die Wangen schießt.
Serge grinst jungenhaft. »Es freut mich, wenn dir gefällt, was du siehst, chérie
.«
Vermutlich erröte ich prompt noch mehr, als ich die Knie anwinkele und nach vorn rutsche, um Serge Platz zu machen. Die freistehende weiße Wanne ist skulptural als großes Oval gestaltet, das am Kopfteil weiter nach oben gezogen ist. Sie bietet sicher genug Platz für zwei Personen, auch wenn ich das bisher noch nie ausprobiert habe.
Als er zu mir in die Wanne steigt, sind wir uns plötzlich so nah, wie man einander nur sein kann. Ich sitze zwischen Serges angewinkelten Beinen, spüre seinen Atem in meinem Nacken, seinen muskulösen Körper dicht hinter mir und – mon Dieu!
– seine Männlichkeit an meinem Steiß. Was für ein unvorstellbar erotisches Gefühl!
»Lehn dich zurück, Julie«, murmelt er mit sonorer Stimme und ich folge seiner Aufforderung.
Ich lehne den Kopf an seine Brust und seufze behaglich auf, als Serge die Arme um meine Taille legt. Es ist, als wäre ich gänzlich umgeben und eingehüllt von ihm und seinem Duft. Ich glaube, ich habe mich in der Umarmung eines Mannes noch nie so geborgen gefühlt wie in diesem Moment in der Enge dieser Badewanne. Es ist so behaglich, so romantisch, so sinnlich!
Eine Weile liegen wir nur so da, eng umschlungen und träge von den Anstrengungen draußen im Schnee. Keiner spricht ein Wort und ich schließe die Augen, um seinem gleichmäßigen Atem, seinem festen Herzschlag zu lauschen, der so tiefenentspannend auf mich wirkt. Irgendwann greift Serge erneut nach dem Schwamm und beginnt, mich damit zu liebkosen. Diesmal findet er den Weg zu meinem Dekolleté, meinen Brüsten, meinem Bauch, meinem Schoß.
Ich seufze leise, als er den Schwamm an meinen Schenkelinnenseiten entlangwandern und ihn dann über meine intimste Stelle streicheln lässt. Er vollführt ein paar herrlich kreisende Bewegungen auf meinem hungrigen Geschlecht und drückt den Schwamm auf meiner intimsten Stelle aus, sodass ich die Finger erregt in seine muskulösen Oberschenkel grabe.
Und dann spüre ich Serges schwellende Männlichkeit in meinem Rücken. Eine Welle der Erregung brandet über mich hinweg, als er kehlig aufstöhnt.
»Eine derart schöne, nackte Frau im Arm zu halten, erfordert mehr Selbstbeherrschung, als ich aufbringen kann, Julie«, erklärt er mit rauer Stimme. »Ich hoffe, du hast dich ausreichend erholt, um …«
»Um was?«, frage ich atemlos. »Ich meine, wie soll das funktionieren?«
Ich gebe einen überraschten Laut von mir, als er im nächsten Augenblick mit beiden Händen meine Taille umfasst und mich im warmen Wasser hochhebt. Und dann wird mir schlagartig klar, was er vorhat. Hitze durchschießt meinen Körper und sammelt sich tief in meinem Unterleib, als ich Serges Härte an meiner intimsten Stelle spüre.
Ich schnappe nach Luft und ein gutturales Stöhnen entweicht meiner Kehle, als er mich behutsam auf seinen Schoß sinken lässt und sich dabei wie in Zeitlupe in mir versenkt. Das Gefühl, Zentimeter für Zentimeter aufgespießt zu werden, ist atemberaubend.
»Ô Serge!«, wimmere ich halb wahnsinnig vor Lust und süßer Qual, als er sich bis zur Wurzel in mir versenkt und ich auf seinen Schenkeln zu sitzen komme.
»Mon Dieu!
Du bist so heiß und eng«, keucht er mit vor Erregung bebender Stimme und presst seine Lippen beinahe schmerzhaft in meine Halsbeuge.
Ich lehne den Kopf gegen seine Schulter und fühle seinen rasenden Puls an meiner Wange. Ich spüre Serges harte Brust in meinem Rücken, seine Arme, die meinen Körper umfangen, seine Hände, die meine Brüste kneten und seine Härte, die mich bis an die Grenze des Erträglichen füllt. Es ist eine überwältigende Erfahrung, ihm so nah zu sein, ihn in mir und um mich zu spüren. Es ist, als wäre er überall gleichzeitig, wie ein vielarmiges Wesen, das meinen Körper von innen und außen liebkost. Und dann beginne ich, meine Hüften im wogenden Takt des Wassers auf und ab zu bewegen.
»Ô Julie!
«
Im nächsten Augenblick liegen Serges Hände wie Brandeisen auf meinen Hüften und geben mir den Takt vor, der uns beide unaufhaltsam der Erlösung entgegentreibt.
Es ist eine ganzheitliche, geradezu spirituelle Erfahrung, ihm dabei so nah zu sein und den magischen Moment der Erfüllung mit allen Sinnen herannahen zu spüren. Serges Puls rast, seine Finger graben sich tief in meine Hüften und sein Atem geht stoßweise.
»Komm mit mir, Julie!«, presst er kehlig hervor, ehe er pumpend und zuckend tief in mir explodiert und mich mit sich fort reißt in die schwerelose Unendlichkeit erdenferner Galaxien.