»Also, ich muss schon sagen, dass jemand wegen eines Dildos seinen Job verliert, höre ich heute auch zum ersten Mal.«
Seit ich offiziell arbeitslos bin, kann ich mich mit Nico zum Mittagessen in seinem Lieblingslokal auf der Insel treffen. Er sitzt mir gegenüber und riecht nach Salzwasser und Motoröl, aber er sieht trotzdem so gut aus, dass ich ganz hin und weg bin. Seine dunkelblonden Haare hat er sich mit einem roten Bandana aus dem Gesicht gebunden, seine sonnengebräunte Haut ist ganz glatt, und um seinen linken Bizeps schlängelt sich eine Tätowierung.
Wenn ich ehrlich bin, finde ich es irgendwie blöd, wenn sich ein weißer Typ ein Tribal Tattoo stechen lässt, das für ihn gar keine Bedeutung hat. Doch drei Tage nachdem wir uns kennengelernt hatten, hatte er sich für mich an den Rand seiner Tätowierung ein geschwungenes L setzen lassen. Das war dann doch ziemlich süß.
Er war süß.
Das ist er natürlich immer noch, aber anders als in unserer Anfangsphase. Als wir zusammenkamen, war die Ruhe, die er ausstrahlte, genau das, was ich brauchte. Jahrelang hatte ich mich um meine krebskranke Mutter gekümmert und mit allem klarkommen müssen: den Krankenhausaufenthalten, den Nebenwirkungen der Chemo, dem Geschrei und den Streitereien mit meinem Vater am Telefon.
Nico gehört zu den Menschen, die einem ständig sagen, man solle einfach loslassen, und man glaubt es wirklich – dass er dahintergekommen ist, wie man ein besseres Leben führt – und hat nicht mal Lust, ihn zu knuffen.
Na ja, zumindest nicht jedes Mal.
Jetzt trinkt er nur sein Mineralwasser und nickt mir zu. »Der Job war eh blöd.«
»Aber echt.«
»Und du kriegst jederzeit einen neuen«, fährt er fort und zeigt mit seinem Becher auf mich.
Ich spieße eine Nudel auf und zucke mit den Achseln. »Warum schauen wir nicht mal, wie viel wir schon zusammengespart haben? Vielleicht können wir die Susannah endlich reparieren lassen?«
Darauf antwortet er nicht, sondern rollt bloß den Kopf von einer Seite zur anderen – eine Geste, die ich ihn tausendmal habe machen sehen. Sie bedeutet im Grunde eine Mischung aus »Ähm« und »Können wir das später besprechen?«, und plötzlich steigt Frust in mir auf.
Es führt kein Weg an der Tatsache vorbei, dass Nico hier glücklich ist. Er sagt, dass er gern weiterreisen möchte, so wie wir es geplant hatten, aber je mehr Zeit verstreicht, desto länger sehe ich zu, wie er sich einlebt und Wurzeln schlägt. Er liebt seinen Job auf der Marina und die Arbeit mit den Booten. Er schließt überall schnell Freundschaften – er ist so einer, deswegen lieben ihn seine Kollegen (und wir haben einen Ort, wo wir umsonst wohnen können). Wenn es jemanden gibt, der »da blüht, wo er hingepflanzt wurde«, dann ist es Nico.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich je schon mal irgendwo geblüht habe. Manchmal frage ich mich, ob ich das überhaupt kann. Vielleicht finde ich deswegen die Vorstellung so verlockend, nie irgendwo eingepflanzt zu werden.
Vielleicht bin ich es auch satt, den Scheiß anderer Leute wegzuputzen, manchmal im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich stochere in meinem Essen herum und schaue zum Tresen, wo die Schlange endlich kürzer geworden ist. Es ist gleich zwei, was bedeutet, dass sie bald schließen und Nico zurück zur Marina muss, während ich … zum Haus gehe, oder? Wo ich mich auf die Couch setze und darauf warte, dass Nico heimkommt?
Das ist fast so deprimierend, wie Hotelzimmer sauber zu machen, und auf einmal überkommt mich leises Bedauern wegen dem, was heute passiert ist. Vielleicht hätte ich mich bei den Sandersons entschuldigen oder um Gnade winseln oder Mr. Chen sogar um eine zweite Chance anflehen sollen. Doch solche Gedanken bringen nichts, denn wenn ich anfange, eine Sache zu bereuen, dann fallen mir noch tausend andere Entscheidungen ein, die ich infrage stellen muss: vom College abzugehen, wie sich das Verhältnis zu meinem Dad immer mehr verschlechterte, verlorene Jahre, in denen ich mit Leuten Party machte, die nicht mal meine Freunde waren. Die Ziellosigkeit, mit der ich durchs Leben trieb, bevor ich mit Nico zusammenkam.
»Ich habe heute zwei Mädchen kennengelernt«, sagt er und reißt mich aus meinen Gedanken.
Ich sehe ihn an und ziehe die Augenbrauen hoch. »Und das erzählst du mir, weil …?«
»Also, die sind im Urlaub, um sich einen Typ zu angeln, und ich fand, dass das bestimmt viel mehr Spaß macht, als Bootsmotoren zu reparieren. Sieht so aus, als hätte ich auch bald einen neuen Job.«
Ich zeige ihm den Stinkefinger und esse noch ein paar Nudeln. »Jetzt mal im Ernst, Nico.«
Er zwinkert mir zu und schiebt grinsend seinen leeren Teller von sich. »Im Ernst, Lux, ich habe da zwei College-Mädchen getroffen. Amerikanerinnen. Von der Ostküste.«
Er sagt das mit so viel Geringschätzung, dass ich die Augenbrauen hochziehe. »Nicht jeder kann aus Südkalifornien sein, Nicholas.«
Ich erwarte, dass er lacht, doch er wirkt leicht gereizt. Keine Ahnung, ob es die etwas flapsige Anspielung auf seine Herkunft war oder die Tatsache, dass ich seinen richtigen Namen verwendet habe, aber ich fahre, so oder so, mit der Hand durch die Luft, denn ich will keinen Streit. »Tut mir leid, sprich weiter.«
Er belässt es dabei. »Also, die suchen ein Boot, das sie für ein paar Tage chartern können, aber der Typ, mit dem sie reden wollten, war nicht da, und so sind wir ins Gespräch gekommen. Ich glaube, sie wollen mich anheuern.«
Normalerweise bin ich nicht besonders eifersüchtig – bei einem Freund, der so gut aussieht wie Nico, lernt man das schnell, wenn man nicht den Verstand verlieren will –, trotzdem steigen in mir seltsame Befürchtungen auf. »Dich anheuern, damit du ihr Boot segelst? Mit ihnen um die Insel schipperst?«
Er zuckt mit den Achseln und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. Draußen hat es angefangen zu regnen, ein leichtes Nieseln, das in ein paar Minuten wieder vorbei ist und in der Luft einen schweren, süßen Duft zurücklassen wird. »Ich denke schon. Sie haben mich gefragt, ob ich heute Abend mit ihnen was trinken will, um alles zu besprechen, und ich habe gesagt, ich bringe meine Freundin mit.«
»Sieh einer an, wie treu du bist«, foppe ich ihn.
Er grinst mich wieder an, langt über den Tisch und nimmt meine Hand, um einen Kuss auf das Gelenk zu drücken. »Ich lebe in Angst und Schrecken, du könntest mir im Schlaf den Schwanz abschneiden, wenn ich mich ohne dich mit zwei Mädchen in einer Bar treffe.«
»Treu und klug.«
Der Regen nimmt zu und klatscht jetzt schwer auf das Dach. Nico schaut nach draußen, bevor er sich mir wieder zuwendet. Er hat schöne braune Augen, und als er lächelt, bilden sich in seinen Augenwinkeln kleine Fältchen.
»Also, wenn sie mich am Ende doch nicht anheuern, können sie uns wenigstens ein paar Bier spendieren. Außerdem habe ich heute Abend noch nichts vor.«
»Ich auch nicht.« Ich lache. »Ich meine, Mist, das war’s. Ich bin langweilig.«
Ich hasse es, dass es überhaupt nicht nach einem Witz klingt.