»Du flippst aber jetzt nicht aus, oder?«, fragt Eliza nach einer langen Pause, und ich schüttele fast automatisch den Kopf.
Das kann Eliza wirklich gut, wird mir klar: eine Feststellung als Frage zu formulieren, sodass man nur die Wahl hat, ihr beizupflichten.
Sie tritt vor, bückt sich und nimmt mir die Tasche ab. »Es ist keine große Sache«, fährt sie fort. »Nur ein bisschen Pot. Wir handeln nicht mit dem härteren Zeug, weißt du? Nur mit dem Spaßkram hier.«
Sie schenkt mir ihr strahlendes Lächeln, und ich nicke roboterhaft.
»Stimmt, Hasch ist ganz harmlos«, höre ich mich sagen, während ich mich frage, ob auf dem Boot noch mehr versteckt ist und wo.
Eliza kann eindeutig Gedanken lesen. »Ich weiß, es sieht nach viel aus, und ja, wir wären total geliefert, wenn man uns damit erwischen würde, aber du weißt doch, wie es ist – großes Risiko, große Belohnung.«
»Absolut«, sage ich und nicke fast schon manisch.
Eliza lacht und kommt zu mir, um mich zu umarmen. »O Lux, sag’s den anderen nicht, aber du bist mir die Liebste.«
Es ist richtig dämlich, aber mein ganzer Körper scheint vor Freude rot zu werden. Wie macht sie das, dass sie einem das Gefühl gibt, ihre Anerkennung wäre so wichtig, so entscheidend?
Dann sieht sie mich an. »Aber irgendetwas stimmt nicht, nicht wahr, Süße?«
Bevor ich es verhindern kann, platzt alles aus mir heraus. »Ich habe Nico und Amma zusammen erwischt. Im Bett.«
Sie zieht die Augenbrauen zusammen, und über ihrer Nase erscheinen drei Falten. »Ach, du Arme«, sagt sie. »So ein Mist.«
Tränen laufen mir über die Wangen, und ich lasse mich noch einmal in die Arme nehmen.
»Was für Wichser«, sagt sie.
Darüber muss ich sogar ein bisschen lachen, und ich löse mich und wische mir über die Wangen. »Ja, was für Wichser«, pflichte ich ihr bei. »Das muss an der Insel liegen. Dass wir hier so am Rande der Zivilisation sind, weit weg von allem und jedem. Ich glaube, es macht uns Menschen verrückt.«
Eliza nickt. »Was hast du jetzt vor? Hast du sie zur Rede gestellt?«
Ich schüttele den Kopf. »Nein. In dem Moment war ich total feige und bin weggelaufen.«
»Das kann ich gut nachvollziehen«, sagt Eliza. »Aber vielleicht würdest du dich besser fühlen, wenn alles auf den Tisch käme?«
Ich überlege, wie es wäre, Amma damit zu konfrontieren, doch die Vorstellung hat für mich nichts Verlockendes. »Im Augenblick würde ich es einfach gern vergessen«, erkläre ich ihr.
Sie drückt meine Schultern. »Verständlich. Bleib eine Weile hier bei uns, hm? Wir haben reichlich Platz.«
Ich weiß, dass es keine Dauerlösung ist, aber fürs Erste ist es gut. Ich nicke. »Das ist nett, danke.«
***
So gern ich mich auch für den Rest der Reise auf der Azure Sky verstecken würde, weiß ich doch, dass das nicht geht, und abgesehen davon bin ich nicht diejenige, die etwas falsch gemacht hat. Es ist nicht fair, dass ich die Insel aufgeben soll, nur weil Nico und Amma sich wie Arschlöcher verhalten. Trotzdem: Als ich am Nachmittag zur Insel schwimme, zieht sich mein Magen zusammen. Brittany sitzt auf einem Handtuch und sieht mich näher kommen, Jake hockt ein Stück den Strand weiter hoch mit einem Buch unter der Plane. Nico und Amma sind, Gott sei Dank, nirgendwo zu sehen.
Sobald ich den Sand hochgehe, steht Brittany auf, die Finger ineinander verdreht, die Mundwinkel mit einem übertriebenen Stirnrunzeln nach unten gezogen. »Lux«, sagt sie und seufzt. »Mist.«
Ich wringe mir die Haare aus, nicke und gebe etwas von mir, was ein Lachen zu sein versucht. »Ja, Mist, allerdings. Schätze, du weißt es schon.«
»Amma hat es mir erzählt.«
Sie tritt näher, und ihre Hand landet auf meinem Arm. Wir riechen beide nach Salzwasser und feuchten Handtüchern, darunter ein schärferer, erdigerer Geruch. Wir duschen uns kaum noch, denn wir gehen so oft ins Meer, dass wir das Gefühl haben, sauber zu sein, auch wenn wir es – eigentlich – nicht sind. Wie konnte es so schnell so weit kommen?
»Es tut mir sehr leid«, sagt sie, und dann purzeln die Worte aus ihr heraus. »Wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, dass so was passieren würde, hätte ich es verhindert, das kannst du mir glauben. Ich meine, Amma schien auf der ganzen Reise nicht im Geringsten an irgendwelchen Typen interessiert zu sein, deswegen hätte ich nie gedacht …«
»Brittany.« Ich lege meine Hand auf ihre, und sie verschränkt ihre Finger mit meinen und sieht mich an. »Es ist nicht deine Schuld«, erkläre ich ihr. »Es ist eben … passiert. Wirf ein paar Leute zusammen, gib Stress und reichlich Alkohol dazu …«
»Das ist keine Entschuldigung«, sagt sie, und ich bin überrascht, wie leidenschaftlich ihre Worte klingen. »So was tut man einer Freundin nicht an.«
Es fühlt sich gut an, dass sie mich so verteidigt, aber ich schüttele den Kopf. »Komm schon, Brittany. Du weißt, dass Amma und ich keine Freundinnen sind. Eigentlich nicht.«
Ich hatte sie gemocht, klar, aber ich war nicht dumm – auf solchen Reisen entstehen keine lebenslangen Freundschaften. Ich war nur die Freundin des Typs, den Amma und Brittany angeheuert hatten, und ich wette, dass sie sich in einem Jahr nicht mal mehr an meinen Namen erinnern.
Doch dann drückt Brittany meine Hand. »Aber wir sind Freundinnen. Oder?«
Wieder ist ein Ernst in ihrem Gesicht und in ihren Worten, der mich überrascht, und obwohl ich ziemlich neben der Spur bin, lächele ich sie an. »Ja«, sage ich. »Natürlich sind wir Freundinnen.«
»Gut«, sagt sie und zieht mich zu einer kurzen Umarmung an sich. »Dann ist es offiziell: Ich bin auf deiner Seite, und die beiden sollen sich zum Teufel scheren.«
Ich lache, auch wenn es mir die Kehle zuschnürt. »Okay, das weiß ich wirklich zu schätzen. Aber du kennst Amma schon viel länger als mich, also kündige ihr meinetwegen nicht die Freundschaft.«
Brittany löst sich von mir und schüttelt den Kopf. »Zu spät. Ich habe ihr schon gesagt, dass wir fertig sind miteinander, sobald wir in Hawaii sind.«
»Weil sie mit meinem Freund geschlafen hat?«
Ihr Blick geht an meiner Schulter vorbei, und als ich mich umwende, sehe ich, dass Amma auf dem Deck der Susannah steht und uns beobachtet.
»Wegen vielem«, sagt Brittany, und ich frage mich, was das wohl bedeutet.
Bevor ich sie fragen kann, kommt Jake zu uns herübergeschlendert. Die Hände hat er in die Hosentaschen gesteckt, und an seinen Waden klebt Sand. Mir wird schlagartig in Erinnerung gerufen, dass die Sache mit Nico und Amma nicht der einzige Schock ist, den ich heute erlebt habe.
Das Geld, die Drogen. Das passt gar nicht zu dem Mann, der jetzt in seinen lachsfarbenen Shorts vor mir steht und dessen verspiegelte Pilotenbrille das blaugrüne Wasser und den weißen Sand reflektiert.
»Alles in Ordnung?«, fragt er, und ich nicke und schaue zu Brittany. Ich bin mir sicher, dass Eliza ihm erzählt hat, was los ist, aber ich kann heute nicht noch einmal darüber reden.
Wie kann es sein, dass man so weit weg ist von allem, was an Zivilisation erinnert, und sich trotzdem beobachtet und abschätzend gemustert fühlt?
»Also, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht«, fährt Jake fort und senkt den Kopf, um uns über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg anzusehen. »Es ist mir heute Morgen gelungen, über das Satellitentelefon jemanden zu erreichen. Nächste Woche kommt eine Jacht von Honolulu hier rüber, die uns zwei Ersatzfunkgeräte mitbringen kann.«
»Nächste Woche?«
Wir wollten Meroe in ein paar Tagen verlassen, wenn alles nach Plan gelaufen wäre. Doch jetzt sagt Jake, dass es noch länger dauert.
»Was unseren Aufenthalt hier um etwa zehn Tage verlängert, ja«, pflichtet Jake mir bei und blickt über das Wasser. »Aber das kann uns schnurz sein, oder? Vielleicht müssen wir die Vorräte ein wenig strecken und dürfen am Abend nur drei Flaschen Wein trinken statt fünf.« Seine Zähne blitzen weiß auf. »Und es ist nicht so, als hätten Eliza und ich irgendeinen Termin zum Weitersegeln festgelegt gehabt. Das Universum will uns damit bestimmt sagen, dass wir es uns hier noch ein bisschen länger gut gehen lassen sollen.«
Zehn Tage länger.
Zehn Tage länger auf dieser Insel mit dem Mann, den ich geliebt habe, und der Frau, mit der er mich betrogen hat.
Zehn Tage länger mit Jake und Eliza und ihren Geheimnissen.
»Ist mir recht«, sagt Brittany, und ich nicke ebenfalls, auch wenn ich den Blick über den Sand, das Meer und den Dschungel schweifen lasse und mich frage, wie ein Ort, der so offen und so frei ist, sich dermaßen anfühlen kann wie eine Falle.