Kapitel 3

Jason nahm den Brief, den Steve ihm reichte, und las:

Liebe Mutter, lieber Vater,

ich werde Euch morgen vormittag gegen elf Uhr aufsuchen. Es wäre gut, wenn Jason auch anwesend sein könnte, da ich Euch etwas Wichtiges mitzuteilen habe.

In Liebe

Janice

»Nun, was hältst du davon?« erkundigte sich Steve, und Emily, die sehr aufrecht in ihrem Stuhl saß, setzte hinzu: »Was kann sie damit nur meinen? Weißt du etwas Genaueres?«

»Na ja«, machte er und lachte kurz auf. »Ich könnte mir schon denken, worum es geht. Sie lernt nämlich seit geraumer Zeit Autofahren.«

»Wie bitte? Warum das denn?«

»Um ein Auto lenken zu können, nehme ich mal an. Janice erklärt doch nie ihre Motive.«

»Und wie lange macht sie das schon?«

»Seit ein paar Monaten.«

»Das kann doch nicht sein. Als noch Krieg herrschte, hätte man ihr den Besitz eines Automobils gar nicht gestattet.«

»Soviel ich weiß, besitzt einer der Ärzte in ihrem Krankenhaus einen Wagen. Aber der setzt sich demnächst zur Ruhe und hat seiner Frau versprochen, diesen zu verkaufen, weil sie eine Heidenangst hat, in diesem Ding zu fahren. Ja, das hat Janice wohl auf die Idee gebracht, fahren zu lernen und ihm dann den Wagen abzukaufen.«

Steve stand auf und trat ans Fenster. Er sah eine Weile hinaus und meinte dann nachdenklich: »Ich glaube, da steckt mehr dahinter als ein Auto. Sie ist seit einiger Zeit ganz verändert, sie wirkt richtig glücklich.« Mit einer abrupten Bewegung fuhr er herum und musterte Jason mit einem durchdringenden Blick. »Dieser Direktor ist schon alt und hat eine Frau, sagst du? Bist du da ganz sicher?«

»Ja, das hat sie mir zumindest erzählt. Persönlich kenne ich ihn jedoch nicht.«

Steve wandte sich vom Fenster ab, ging auf Emily zu und blieb vor ihr stehen. »Es könnte doch sein«, sinnierte er, »daß sie einen Mann kennengelernt hat. Offenbar nicht diesen Doktor, aber vielleicht einen anderen. Vielleicht ist das die wichtige Neuigkeit, die sie uns mitteilen will.«

»Aber wozu diese Geheimniskrämerei? Du hast recht, mein Lieber, sie wirkte in letzter Zeit tatsächlich irgendwie verändert. Zunächst dachte ich, das liegt an der Aufregung wegen der beiden Stellenangebote; aber dann hat sie sich ja entschlossen, keines von beiden anzunehmen und in ihrem alten Krankenhaus zu bleiben. Ach, ach«, seufzte sie und erhob sich. Ihr Gesicht drückte höchste Anspannung aus, als sie sich jetzt an Jason wandte. »Weißt du, Jason, da ist noch etwas, das mir zu denken gibt: Sie war seit einer Woche nicht mehr hier bei uns. Sonst kam sie beinahe täglich auf einen Sprung vorbei. Irgend etwas stimmt da nicht. Ich weiß es genau.«

»Nein, meine Liebe, bis sie kommt und uns alles erzählt, weißt du gar nichts«, beschied ihr Steve und drückte sie sanft auf den Stuhl zurück. »Beruhige dich, meine Liebe. Beruhige dich!«

Emily sah zu ihm hoch. »Bist du denn ruhig?« wollte sie wissen, doch Steve wandte sich ab, ohne zu antworten. Nein, er war alles andere als ruhig. In ihm schwelte eine Angst, eine schreckliche Vorahnung, der nachzuspüren er sich fürchtete.

Fünf Minuten vor elf klingelte es an der Haustür. Alice, die die Tür öffnete, konnte gerade noch ausrufen: »Kommen Sie schnell herein, meine Liebe, Sie erfrieren ja da draußen«, dann preßte sie beim Anblick des Automobils, das vor dem Haus parkte, erschrocken die Hand auf den Mund. Es war ein wuchtiges, langgestrecktes Gefährt mit einem Stoffdach – und auf dem Beifahrersitz saß ein Mann.

»Sind Sie etwa mit dieser Höllenmaschine da gekommen?«

»Ja, Alice. Und ich bin sogar selbst gefahren.«

»Nein, das ist nicht wahr!«

»Wo sind sie?«

»Im Wohnzimmer. Master Jason ist auch da. Geben Sie mir Ihren Mantel.«

»Nein«, wehrte Janice leise ab und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Ich bleibe nicht, Alice. Ich ... ich gehe fort.«

»Um Himmels willen, Miß!«

»Du wirst bald alles erfahren. Laß mich nur soviel sagen: Ich werde dich schrecklich vermissen, weil ich dich hebe. Du warst in all den Jahren wie eine zweite Mutter für mich.«

»Lieber Herr im Himmel, steh uns bei!«

Janice beugte sich vor und küßte Alice auf die tränenfeuchte Wange. »Laß uns bitte eine Weile allein, ja?« bat sie und ging dann mit entschlossenen Schritten auf die Wohnzimmertür zu. Dort verweilte sie einige Sekunden, bevor sie eintrat.

Janice fand ihre Eltern und Jason in gespannter Erwartungshaltung mitten im Zimmer stehend vor, und keiner von ihnen sprach ein Wort, bis Janice das Schweigen brach: »Könnt ihr euch bitte hinsetzen? Was ich euch zu sagen habe, ist schon schlimm genug, auch ohne daß ihr wie drei Ankläger vor mir steht.«

»Ankläger? Wovon sprichst du denn überhaupt? Komm erst einmal herein und setz dich. Warum hast du deinen Mantel noch an?«

»Ganz einfach deshalb, weil ich nicht lange bleibe, Vater. Bitte!« Sie warf erst Jason und dann ihrer Mutter einen flehenden Blick zu. »Ich kann nicht mit euch reden, wenn ihr hier vor mir steht, als stünde ich unter Anklage.«

»Hast du denn etwas verbrochen, weshalb man dich anklagen könnte?«

»Es mag euch vielleicht so vorkommen, ja. Aber bitte, setzt euch doch endlich hin!«

Schulterzuckend nahmen die drei nebeneinander auf dem Sofa Platz. Janice setzte sich auf den Stuhl, auf dem Emily zuvor gesessen hatte.

Nachdem sie sich ein paarmal geräuspert und nervös mit der Zunge ihre Lippen befeuchtet hatte, begann sie zu sprechen. »Also, ich will es kurz machen. Robert und ich sind uns wieder begegnet; am Waffenstillstandstag im Hospital. Er kam mit einem der Verwundetentransporte zu uns. Wir haben uns angesehen und wußten im selben Augenblick, daß wir uns nie hätten trennen dürfen.« Als sie sah, wie ihr Vater die Hand an die Stirn legte und den Kopf auf die Brust fallen ließ, setzte sie eilig hinzu: »Ich wußte, daß es ein Schock für euch sein würde, deshalb habe ich es bis heute für mich behalten. Wir beide verlassen London ... und zwar jetzt gleich.«

»Nein! O Gott, nein!« kam es von Emily. »Das könnt ihr nicht machen. Das dürft ihr nicht!«

»Mutter«, begann Janice mit leiser, aber fester Stimme, »ich muß dir jetzt leider etwas sagen, auch wenn es dir weh tut: Ich habe diese Geschichte nicht begonnen. Und daß wir uns wiederbegegnet sind, war eine Laune des Schicksals. Wir haben uns vom ersten Augenblick an geliebt, und wir haben auch gewußt, daß wir uns trennen müssen, als wir einst im Mai die Wahrheit über unsere Herkunft erfuhren. Aber in all den vielen Jahren danach gab es keinen einzigen Tag, da ich nicht an ihn gedacht habe – und er an mich. Wir haben noch eine Zukunft vor uns, Mutter, und die wollen wir gemeinsam leben.«

»Mein liebes Kind, denk an die Konsequenzen, solange noch Zeit dazu ist«, warf Steve mit ernster Stimme ein, während er Anstalten machte aufzustehen.

»Bitte, Vater. Bleib sitzen«, rief sie und streckte abwehrend die Hand aus. Er aber fuhr ungerührt fort: »Ich wiederhole, denk an die Konsequenzen.«

»Die Konsequenzen, die du meinst, wird es nicht geben, dafür hat Robert auf Dauer Sorge getragen.«

Angesichts der drei reglosen Gestalten, die, ob dieser so kühn und ungeschminkt vorgebrachten Erklärung, indigniert zu Boden starrten, bemühte Emily sich jetzt um einen sanfteren Tonfall. »Die Welt hat sich verändert. Das brauche ich dir wohl nicht zu erzählen, Vater.«

»Aber Unrecht bleibt Unrecht«, brauste Steve auf. »Daran wird sich nie etwas ändern. Er ist dein Halbbruder, und das wird bald jeder Spatz vom Dach pfeifen.«

»Nicht, solange ihr darüber Schweigen bewahrt. Und ich habe euch noch etwas mitzuteilen: Seit gestern bin ich Mrs. Robert Anderson. Wir haben geheiratet.«

Emilys Kehle entrang sich ein gurgelnder Laut, der klang, als müsse sie sich übergeben, worauf Janice sie wütend anfuhr: »Ganz besonders du, Mutter, solltest versuchen, mich zu verstehen.«

Emily war aufgesprungen. »Das hast du nur gemacht, um mir weh zu tun«, schleuderte sie ihr entgegen. »Von dem Tag an, als wir dir die Wahrheit über deine Herkunft sagten, hast du dich von mir abgewandt.«

»Du weißt ganz genau, daß das nicht stimmt, Mutter. Zugegeben, diese Eröffnung war ein Schock für mich, aber wenn ich zurückblicke, muß ich sagen, daß ich mich damals angesichts der Umstände und meiner Gefühle für Robert sehr korrekt verhalten habe. Ich hätte genausogut meinen Gefühlen nachgeben können – und Robert ebenfalls. Nur aus Rücksicht auf unsere Familien und die Schande, die wir über sie gebracht hätten, haben wir uns getrennt. O ja, die Schande ... Ein Mann mußte sterben, damit die Wahrheit nicht ans Licht kam.«

Der Blick, mit dem Jason seine Schwester jetzt anstarrte, ließ Steve aufspringen. »Ja, Jason«, beeilte er sich zu erklären. »Ich habe ihr ein wenig davon erzählt, was damals geschehen ist. Wir hatten immer ein sehr vertrautes Verhältnis, und ich fand, sie habe ein Recht dazu, auch das zu erfahren.« Damit trat er vor Janice hin und nahm ihre Hände. »Ich kann dich verstehen, meine Liebe. Und ich wünsche dir alles Glück dieser Welt.«

Das war zuviel für Janice. So fest sie sich auch auf die Unterlippe biß, die heißen Tränen, die ihr in die Augen schossen, ließen sich nicht mehr aufhalten.

Steve schüttelte betroffen den Kopf. »Weißt du«, murmelte er, »das Schlimmste ist, daß Mutter und ich dich damit verlieren. Nichts wird mehr so sein wie früher.«

»Das weiß ich, und ich bin sogar froh darüber. Die letzten Jahre waren für mich sehr einsame Jahre. Sicher, tagsüber kann man sich hinter seiner Fassade verstecken, aber nachts, wenn die Gedanken frei sind ... Ja, ich dachte, daß vor allem du, Vater, das verstanden hättest. In dem letzten Gedicht deines Weihnachtsbandes hast du mein Leben in gewisser Weise vorausgesehen und in Worte gekleidet: ›Eine Ehefrau sollte ich nicht werden, aber was ich brauchte, war ein Freund .. .‹, hast du geschrieben. Aber ich hätte in all den Jahren mehr als nur einen Freund gebraucht. Nun, jetzt habe ich beides, einen Freund und Ehemann, den ich sehr liebe ... wahnsinnig liebe.«

Es folgte ein langes Schweigen, das sie alle einhüllte wie eine schwarze Wolke, und es war schließlich Jason, der es mit bebender Stimme brach. »Wo ... wo geht ihr denn hin? Ich meine, wo werdet ihr leben? In London?«

»Nein, Jason. Wir werden das Londoner Haus zwar behalten, aber wohnen werden wir überwiegend auf High Gully, dem Gut in Schottland.«

Emily und Steve starrten diese Frau an, die ihre Tochter war, die sie – jeder von ihnen auf seine eigene Weise – liebten und die jetzt so selbstverständlich von ihren Besitzungen sprach. Das allein entfernte sie schon von ihnen. Und dann sagte sie: »Er wartet draußen im Wagen. Möchtet ihr mit ihm sprechen?« Wie aus einem Mund kam die Antwort, die fast ein Schrei war: »Nein!«, und als Emily dann noch hinzusetzte: »Wie kannst du nur eine so schamlose Frage stellen!«, konnte Janice nicht mehr an sich halten. »Ausgerechnet du maßt dir an, über Schamlosigkeiten zu urteilen? Du stempelst ihn als schamlos ab?« brüllte sie. Ihre Brust hob und senkte sich heftig, als sie ihre Mutter mit aufgerissenen Augen anstarrte und dabei versuchte, die Wut, die in ihr brodelte, in Zaum zu halten. »Ich wußte, daß ich auf Opposition stoßen würde«, stieß sie hervor. »Aber mit dieser Reaktion habe ich weiß Gott nicht gerechnet. Diesmal hast du die Nabelschnur endgültig zerrissen.« Damit drehte sie sich um und wollte das Zimmer verlassen, doch Steve hielt sie am Arm fest. »Laß uns nicht auf diese Weise voneinander Abschied nehmen, meine Liebe«, sagte er mit sanfter Stimme. »Diese Mitteilung war ein Schock für uns, ja, das war sie fraglos... doch wir werden uns damit abfinden, ganz bestimmt. Aber schließe uns nicht aus deinem Leben aus. Bitte! Besuche uns, wenn du wieder in der Stadt bist. Oder besser noch, schreibe uns. Ich bitte dich!«

Janice blickte in das gequälte Gesicht dieses Mannes, den sie ihren Vater nannte und den sie so sehr liebte und schätzte. Und plötzlich streckte sie ihre Arme nach ihm aus, hielt ihn fest umschlungen, und er hielt sie. Nach einer Weile ließ sie die Arme sinken und sah zu ihrer Mutter hinüber, die sich krampfhaft mit einer Hand am Kaminsims festhielt, bleich wie die Wand. Mit zögernden Schritten ging Janice auf sie zu, blieb vor ihr stehen, und dann musterten sich die beiden Frauen geraume Zeit lang schweigend, bis Janice leise zu sprechen begann. »Es tut mir leid, Mutter. Ich wollte dich nicht verletzen. Es ist nur ... ich fühlte mich so hilflos. Ja, vielleicht genauso hilflos, wie du dich damals gefühlt hast.«

Die Umarmung ihrer Mutter ließ die vertraute Wärme vermissen, die Janice zuvor bei ihrem Vater gespürt hatte. Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen, und als sie mit unsicheren Schritten aus dem Zimmer wankte, war Jason bereits aufgestanden, hatte den Arm um ihre Schultern gelegt und führte sie nun hinaus in die Halle, wo Alice noch genau an derselben Stelle stand wie zuvor und ihr wortlos die Tür öffnete.

Jason begleitete seine Schwester über die Straße zu ihrem Wagen. Und als er den Freund, den er so lange nicht gesehen hatte, auf dem Fahrersitz sitzen sah, bückte er sich unter das Stoffdach und sagte schlicht: »Hallo, Robert.« Und Robert antwortete ebenso schlicht: »Hallo, Jason.«

Dann öffnete er die Wagentür. Bevor Janice einstieg, drehte sie sich noch einmal zu ihm um und murmelte mit erstickter Stimme: »Ich danke dir, mein Lieber. Wir kommen bei dir vorbei, wenn wir das nächste Mal in London sind. Und vielleicht kommst du uns mit Rosie und den Kindern auch bald einmal in Schottland besuchen.«

»Ja, bestimmt.«

»Ach, Jason.« Sie umarmten sich lange, dann stieg Janice in den Wagen, und Jason schlug hinter ihr die Tür zu. Einem inneren Impuls folgend, steckte er dann noch einmal den Kopf unter das Stoffdach, sah Robert direkt an und sagte: »Paß gut auf sie auf, Robert. Und werdet glücklich miteinander. Bis bald.«

Robert und Janice waren zu keiner Antwort fähig. Robert startete den Motor, und Jason sah dem Wagen hinterher, bis er seinem Blick entschwunden war.

Als Jason ins Wohnzimmer zurückkam, traf er dort nur noch Steve an. »Versuche die Angelegenheit aus ihrer Sicht zu betrachten, Vater«, begann er. »Wenn du ihre Entscheidung akzeptierst, wirst du sie nicht verlieren. Sie wird zurückkommen. Was mich betrifft, so habe ich mit ihrer Entscheidung keine Probleme. Ich habe Robert damals gemocht und mag ihn auch heute noch.« Er machte eine Pause, ehe er fortfuhr: »Frag dich doch einmal ehrlich, was Janice die vergangenen Jahre vom Leben gehabt hat,

besonders nachdem sie miterleben mußte, wie ich geheiratet und eine Familie gegründet habe. Ich finde, unter diesen Umständen hat sie sich wirklich sehr tapfer gehalten.« Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging hinaus. Wo seine Mutter war, konnte er sich denken – sie saß bestimmt in ihrem Zimmer und weinte sich die Augen aus.

Doch kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, da erschien Emily oben auf dem Treppenabsatz. Sie war auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer, wo Steve sie mit einem verwunderten Blick empfing, als er sah, was sie in der Hand hielt – den alten, goldenen Strohhut.

Schweigend folgten ihr seine Blicke, als sie mit entschlossener Miene vor den Kamin trat, den Hut in beide Hände nahm und so lange an dem im Laufe der Jahre brüchig gewordenen Stroh riß und zerrte, bis sich die Krempe von der Krone löste. Steve hob erschrocken die Hand. »Laß mich bloß in Ruhe!« schrie sie wie von Sinnen, worauf er einen Schritt zurückwich, erschrocken und verwundert zugleich, denn einen solchen Ton hatte sie ihm gegenüber noch nie angeschlagen.

Achselzuckend ließ er sie gewähren und sah zu, wie sie den Hut in kleine Teile riß und diese nacheinander ins Feuer warf, wo sie sich augenblicklich entzündeten und unter Knistern und einem seltsam irisierenden Farbenspiel verglühten. Und als er schließlich fragte: »Warum hast du das getan? Sie ... liebte diesen Hut, und er hat einmal dir gehört«, wiederholte sie bedeutungsvoll: »Ja, ja. Er gehörte einmal mir. Ich habe gerade entdeckt, daß sie schon vor geraumer Zeit ihre Kleider und Wäsche mitgenommen, den Hut aber hiergelassen hat... Sie wollte wohl seinem Bann entfliehen. Dieser Hut hatte etwas Böses. Ja, von Anfang an hat dieser Hut nur Unglück gebracht.«

»Nein, Emily. Nein.« Er zog sie beinahe gewaltsam vom Feuer weg. »Gib nicht diesem Hut die Schuld. Was wir aus unserem Leben machen, falls nicht ohnehin alles bereits vorbestimmt ist, liegt allein an uns selbst. Was immer auch geschah, der Hut hat damit nicht das Geringste zu tun.«

»O doch! Das hat er.«

»Wie du meinst, meine Liebe«, seufzte er resigniert. »Aber jetzt ist er nur noch ein Haufen Asche, und wenn du glaubst, er hatte etwas Böses, so ist dieses Böse jetzt ebenfalls verbrannt. Vielleicht hat Janice ähnliches gespürt und ihn deshalb hiergelassen. Komm, setz dich hin. Was geschehen ist, ist geschehen. Wir müssen uns damit abfinden, denn ändern können wir es nicht.«

Emily ließ sich von Steve zum Sofa führen, und in der Geborgenheit seiner Umarmung schrie es in ihr auf: Ich wollte sie loswerden, um ihn ganz für mich allein zu haben. Und jetzt habe ich ihn für mich ... oder nicht? Aber zu welchem Preis!

Unwillkürlich wanderte ihr Blick zum Feuer zurück. Und dieser Hut hatte doch böse Kräfte. Bestimmt wurde er einst genau deshalb auf den Speicher verbannt, wo er weiß Gott wie viele Jahre gelegen hatte, der Macht beraubt, seine teuflischen Fäden zu spinnen.

Ein kleiner Tumult draußen vor der Tür schreckte sie beide aus ihren Gedanken auf. Es war Alice, die die Enkelkinder zur Ordnung rief. »Morgen ist Weihnachten, Emily«, bemerkte Steve leise. »Und wir müssen auch an die Kinder denken; sie brauchen dich.«

Unvermittelt warf Emily sich an seine Brust, und ihre Stimme war ein einziges Flehen. »Halte mich! Bitte! Halte mich ganz fest!« flüsterte sie. »Verlaß mich nie. Ich habe doch nur dich. Nur dich.« Und er hielt sie fest umschlungen, während er ihr leise ins Ohr raunte: »Und ich habe nur dich.«

Vielleicht war es der Ruf der Vergangenheit, der Robert den Wagen genau an der Straßenecke parken ließ, an der sie sich vor vielen Jahren getrennt hatten. Und plötzlich rief Janice, ihm ihre Hände entgegenstreckend, aus: »Halte sie einen Moment fest, mein geliebter Mann; halte sie fest und wisse, daß du meine einzige Liebe bist – immer warst und immer sein wirst. Die letzten Jahre waren die Hölle. Aber das zählt jetzt nicht mehr.«

Robert nahm ihr Gesicht in beide Hände, brachte es nahe an das seine und küßte sie, ohne sich um die indignierten Blicke eines Passanten zu kümmern, der sie ungeniert anstarrte. Es war ein harter, verzweifelter Kuß. »Und du bist meine einzige Liebe«, sagte er dann. »Ich habe dich vom ersten Augenblick an geliebt und werde dich immer lieben, bis an mein Lebensende.«