Eigentümlicherweise war bei der Trainingsplanung nicht berücksichtigt worden, dass das Team gar nicht am berühmten Ballermann oder der sonstigen prominenten mallorcinischen Kulturszenerie bestehen sollte, sondern in Gijón, der Hafenstadt am Golf von Biskaya. Dennoch wurde nach den bekannt gewordenen Trinkeinheiten (die öffentliche Kritik am progressiven Trainingsverfahren nahm man billigend in Kauf) hinterher genauestens aussortiert, Bundestrainer Derwall wusste anschließend genau: Wer es am nächsten Tag noch auf den Fußballplatz schafft, mit dem kann man Kriege und Fußballschlachten gewinnen.
Knüppelharte Trainingseinheiten (wie hier zu sehen) waren Alltag am Schlucksee. Eike Immel, Karl-Heinz Rummenigge, Hansi Müller und Manni Kaltz bei einer besonders schweißtreibenden Übung.
Zusätzlich half der Randaspekt, dass der deutsche Torwart Schumacher, der schlicht so ehrgeizig war, das er sein Hauptaugenmerk auf die sportliche Vorbereitung legte, an den Rand der freiwilligen Abreise gedrängt wurde. Der Torhüter hatte nicht erkannt, dass die bewusst provokativ-unorthodoxe Vorbereitung ihm und dem Team nutzte. Im Turnier legte Toni Schumacher dann DIE Aggressivität und Leidenschaft an den Tag, die man nun einmal benötigt, um als Torwart bei einer WM zu bestehen (Siehe: „Battiston-Foul“).
„Zum ersten Mal trinkt der kein Bier, und schon verletzt er sich.“ (Trainer ‚Fiffi’ Kronsbein zur Fußverletzung seines Abwehrspielers Damjanoff, dem beim Teekochen der Wasserkessel auf den Fuß gefallen war) |
Die Trainingsinhalte wurden auf ungewöhnliche Sportarten ausgeweitet, so wurde etwa auch der Pokersport in die Vorbereitung mit einbezogen. Später merkte man dies auch im Turnier, als man sich im legendären Spiel gegen Österreich (siehe „Schande von Gijón“) abgezockt verhielt und dabei einen anderen Gegner (Österreich) „benutzte“ um einen Hauptgegner (Algerien) ausstechen zu können. Das bei den Pokerrunden um Summen bis zu 30.000 DM gewettet wurde, kann den Trainingseffekt nur verstärken, schließlich ging es bei der eigentlichen Weltmeisterschaft ja auch um sehr viel Prestige und Geld.
„Im Training habe ich mal die Alkoholiker meiner Mannschaft gegen die Antialkoholiker spielen lassen. Die Alkoholiker gewannen 7:1. Da war‘s mir wurscht. Da hab i g‘sagt: Sauft‘s weiter.“ (Max Merkel) |
Insgesamt ist dieses zu Unrecht gescholtene Trainingslager am Schluck-Schluchsee also, entgegen der öffentlichen Meinung, ein großer Erfolg gewesen. Heute weiß man gar, es war ein genialer Schachzug der DFB-Planer. Ein verspätetes Chapeau an alle Beteiligten!
Aus der erfolgreichen Schlucksee-Strategie hat der DFB schnell gelernt: Seit 1992 ist die Brauerei Bitburger Partner der Nationalmannschaft. Der Titelgewinn bei der Europameisterschaft 1996 war daher geradezu logisch!