Doch Vogts wäre kein echter Terrier, hätte er sich nicht an seinem Job festgebissen. Für zwei Freundschaftsspiele reichte es noch, da die deutsche Elf aber weiter vor sich hin dilettierte, hatte der für das Gardemaß etwas zu kurz geratene Übungsleiter ein Einsehen und zog sich freiwillig vom Amte zurück. Eine Nation atmete auf…
Nun schlug die große Stunde des Kartoffelhändlers Egidius Braun aus dem beschaulich-schönen Aachen. Der leicht tüdelige DFB-Präsident, Herr über 6,2 Millionen Mitglieder und verantwortlich für einen Jahresumsatz von damals über 100 Millionen DM, übernahm die Nachfolgesuche höchstpersönlich. Das machte Sinn, denn Braun speiste sein Wissen über die Welt des Fußballs vornehmlich aus der Lektüre einer Aachener Lokalzeitung, die sicher ganz vorne dabei war, wenn es um den Pulsschlag des deutschen Fußballs ging.
Der Blick auf diesem Sammelbild verrät schon 1970 den künftigen Bundestrainer.
Dennoch gab es Zweifel im Lande der Fußball-Experten. Einer, der immer als zurückhaltend und scheu bekannt war, hieß Paul Breitner, seines Zeichens Weltmeister von 1974 und Elfmeterschütze des Ausgleichs im Finale von München. „Diesen DFB-Herren geht es nur darum, mit ihren Hintern auf ihren Pöstchen zu bleiben“, zitierte Paul Breitner nach seiner flüchtigen Erfahrung mit Egidius Braun den Reportern in die Blöcke. Manchem DFB-Mitarbeiter schien das zu passen, man war der Meinung, dass „erst eine Revolution vernünftige Strukturen“ auf den Weg bringen kann.
Bundestrainer Ribbeck statt Breitner: Darauf muss man erst einmal kommen!
Mittlerweile hatte Egidius Braun bereits ganze Arbeit geleistet und sich zur öffentlichen Belustigung bereits diverse Absagen eingehandelt, u.a. die von Jupp Heynckes, mit dem er sich aus seiner Sicht bereits einig schien. War dumm gelaufen…
So klingelte eines schönen Abends gegen 20:30 Uhr im schönen Brunnthal in Oberbayern ein Telefon, nämlich das des einstigen Nationalspielers Paul Breitner. Der 17-jährige Sohn Max reichte den Hörer an den verdutzten Ex-Spieler weiter: „Du, Papa, ein Herr Braun ist dran. “
Die Familie Breitner war wie vom Donner gerührt, als sie sodann erfuhr, dass der Hausherr, zur Zeit immerhin E-Jugend-Trainer beim TSV Brunnthal, plötzlich die Offerte erhielt, Bundestrainer zu werden. „Mir ham scho an Spaß gehabt dahoam“, soll Sohn Max damals berichtet haben, „kommt ja net so oft vor, dass der Vater Bundestrainer wird.“ Auch Braun quillt über vor Freude – seinem neuen Partner Breitner gibt er mit: „Diese Idee revolutioniert die Welt“, und: „Endlich habe ich eine gute Presse.“ Und dennoch fragt er sich selbst: „Bin ich wahnsinnig geworden?“
„Ich habe nur immer meinen Finger in Wunden gelegt, die sonst unter den Tisch gekehrt worden wären.“ (Paul Breitner) |
Egal! Jedenfalls darf sich der Brunnthaler E-Jugendtrainer diese eine Nacht als neuer Bundestrainer der deutschen Nationalmannschaft fühlen. Was mag in Paule vorgegangen sein, als er während der Nachtruhe vermutlich die Strukturen des DFB pulverisierte und die Mannschaft nach seinem Gusto zusammenzimmerte? Welche Revolution hätte „uns Paule“ wohl als erstes angezettelt? Die Zwangsausweisung sämtlicher DFB-Funktionäre? Die Einführung der Bayern-Hymne?
Wir werden es nie erfahren, denn schon nach wenigen Stunden war die Revolution vorbei: Am nächsten Vormittag erfuhr Braun, dass sein neuer Lieblings-Bundestrainer in der Münchner „Abendzeitung“ Brauns Rücktritt wegen Inkompetenz gefordert hatte. Braun meldete sich also hochempört erneut in Brunnthal, und diesmal fiel das Telefonat nicht ganz so freundlich aus: „Vergessen Sie es!“ So soll Braun die Entlassung des noch nicht einmal eingestellten Paul Breitner verbal umgesetzt haben. Immerhin, so blieb wenigstens der E-Jugend des TSV Brunnthal der Trainer erhalten.
Aus: Münchner Merkur
Immerhin, Jahre später wurde das neue Maskottchen des DFB offensichtlich nach Breitner benannt. Ein Adler namens „Paule“ sorgte nun für Stimmung im DFB-Laden, ein irgendwie komischer Vogel … eine vergleichende Wertung wollen wir hier natürlich nicht vornehmen.
Ach ja, Braun sorgte wie erwartet weiterhin für Heiterkeit, schließlich fiel seine Wahl für das Amt des Bundestrainers auf den sonnenbadenden Rentner Erich Ribbeck und dem gar nicht so kleinkarierten Uli Stielike (siehe: Sakko-Uli) als Co-Trainer. Zwei mehr als überraschende Personalien, auf die man erst mal kommen muss. Hut ab!