48. Kapitel

Holden

»Das ist nicht wahr«, widerspricht sie sofort, aber ich weiß nicht, ob ihre Worte wirklich zu mir durchdringen.

Ich will daran glauben, will glauben, dass ich sie verdient habe, aber da ist die andere Seite meines Lebens, die mir etwas Gegenteiliges vermittelt. Die dunkle Seite mit all meinen Fehlern und falschen Entscheidungen. Das, was heute Abend passiert ist, ist nur eine der vielen Konsequenzen davon. Selbst wenn ich wie in den letzten Monaten verzweifelt versuche, das Richtige zu tun, mache ich am Ende trotzdem das Falsche und verletze die Menschen, die mir am wichtigsten sind.

Es wäre am besten, klügsten, sichersten, wenn Ember sich von mir fernhalten würde. Wenn sie nichts mehr mit mir zu tun hätte, wäre sie auch nicht länger in Gefahr und könnte ein ganz normales Leben führen. Und nicht eins, bei dem ihr Freund plötzlich verschwindet oder sie ihn zusammengeschlagen vor der Haustür vorfindet.

Beim Gedanken daran zieht sich mein Innerstes zusammen. Die Gesichter der Kerle sind inzwischen verschwommen, die Schläge und Tritte dafür umso präsenter in meiner Erinnerung.

Meine Muskeln sind zum Zerreißen angespannt. Auch wenn mein Verstand weiß, dass es vorbei ist, scheint die Nachricht nicht bei meinem Körper angekommen zu sein. Alles tut mir weh. Nachdem Taleisha akribisch jede einzelne meiner Wunden versorgt hat, hat Ember mir Schmerzmittel gegeben, doch von der Wirkung merke ich noch nichts. Nicht mal von dem Eis auf meinem linken Auge, das inzwischen völlig taub ist.

Körperlich mag ich hier sein, aber alles andere von mir? Alles andere ist noch immer dort, in dieser Straße, auf dem Boden liegend, hilflos ausgeliefert, ganz egal, wie sehr ich mich wehre.

»Schhh«, murmelt Ember beruhigend und rutscht etwas näher, bis sie den Kopf gegen meinen lehnen kann. »Alles ist gut.«

Ihr Duft und ihre Wärme umgeben mich, und vor meinen Augen flackert das Kaminfeuer, das sie irgendwann in den letzten Minuten angezündet haben muss.

Langsam streicht sie mir über das Haar. »Ich bin hier. Du bist okay. Wir sind okay.«

Sie sollte nicht hier sein. Ich verdiene es nicht, dass sie bei mir ist, dass sie sich um mich kümmert und mich festhält. Ich habe so viel Mist gebaut, dass nicht mal zwei Leben ausreichen würden, um alles wiedergutzumachen. Um all den Schmerz zu tilgen, den ich verursacht habe. Und es ist noch nicht vorbei. Ich stelle eine Gefahr für sie dar. Wenn sie heute Abend bei mir gewesen oder auch nur eine halbe Stunde früher aufgetaucht wäre, wäre sie in den Überfall auf mich hineingeplatzt, und dann hätten diese Typen …

Fuck , ich darf nicht daran denken. Wenn ich anfange, mir auszumalen, was dann passiert wäre, drehe ich auf der Stelle durch. Allerdings kann ich diese Gedanken genauso wenig abschütteln wie die Anspannung in meinen Gliedmaßen. Den Fight-or-Flight-Modus, in dem ich mich dauerhaft befinde. Die Erinnerungen, die ich nur zu gerne verdränge …

Obwohl ich dagegen ankämpfe, kommen die Bilder wieder hoch, ganz egal, wie oft ich sie von mir stoße. Die endlosen Tage und Nächte im Gefängnis. Die ständige Wachsamkeit. Die brutalen Schläge. Die Hilflosigkeit. Die Ungerechtigkeit. All das vermischt sich mit dem Erlebnis von heute in meinem Kopf zu einer grausamen Endlosschleife.

»Ich liebe dich«, flüstert sie – und ich erstarre.

Wärme fließt durch meinen Körper, legt sich wie Balsam auf die vielen Schrammen und Wunden, während mein Herz lospoltert. Trotzdem kneife ich die Augen zusammen und beiße die Zähne aufeinander. Erwidere nichts.

So lange habe ich mir gewünscht, diese Worte von Ember zu hören, doch nach den Ereignissen heute Abend wird mir eine Sache schmerzhaft klar: Genau das ist das Problem. Liebe hat uns bisher nicht glücklich gemacht. Stattdessen hat sie uns an genau diesen Punkt geführt – und ich kann das Ember nicht länger antun. Ich weigere mich, sie weiter mit mir in den Abgrund zu reißen. Sie hat viel mehr verdient als das. Als mich.

»Ich weiß, was du tust.« Sie beugt sich zu mir hinunter und raunt mir die nächsten Worte ins Ohr. »Wag es ja nicht, mich wieder von dir zu stoßen, Holden. Das ertrage ich nicht.«

»Ember …«

»Wir stehen das zusammen durch«, unterbricht sie mich mit fester Stimme und richtet sich wieder auf. »Egal, was kommt, okay? Ruh dich etwas aus.«

Ich nicke, obwohl ich weiß, dass das nicht allzu schnell passieren wird. Mein Körper ist dermaßen angespannt, als würde er jeden Moment damit rechnen, dass mich jemand von hinten anspringt und mir wieder eine reinhaut. Mein Puls hämmert noch immer wie wild, und meine Finger kribbeln vor Nervosität.

Nichts davon ist mir neu. Es ist die gleiche Reaktion wie schon an meinem ersten Tag im Knast und wie nach meiner ersten Schlägerei ein paar Monate später, die ich nicht mal angezettelt habe. Danach war ich ständig wachsam, stets auf der Hut, habe praktisch mit offenen Augen geschlafen, um sicherzugehen, dass mich niemand je wieder so überraschen und überfallen kann. Und dann ist es doch wieder passiert, als ich mich in der Gefängniswerkstatt zu sicher gefühlt habe.

Ich dachte, das nach meiner Entlassung hinter mir gelassen zu haben. Ich war überzeugt, dass es vorbei ist. Aber diese Begegnung mit Hendricks und Remis Leuten hat ausgereicht – und schon kommt alles wieder hoch. Schon hat mich all das wieder fest im Griff.

Nein, ausruhen oder gar schlafen kommt nicht infrage. Nicht in nächster Zeit. Auch wenn es genau das ist, was mein Körper gerade braucht, um zu heilen. Aber … fuck, ich kann nicht.

Wenn ich die Augen schließe, wenn ich es mir erlaube wegzudösen, wer passt dann auf? Wie kann ich sicher sein, dass das nicht wieder passiert? Wie soll ich …

Meine Gedanken kommen zu einem abrupten Stillstand, als ich Embers Atem an meinem Hals spüre.

Sanfte Küsse auf meiner Haut. Unbewusst lehne ich den Kopf zurück, um ihr mehr Platz zu verschaffen, um mehr von ihrem warmen Mund zu spüren, auch wenn ich weiß, dass ich genau das nicht tun sollte.

»Was machst du da …?«

»Ich helfe dir dabei, den Kopf auszuschalten und dich zu entspannen.« Sie hält inne und sucht meinen Blick. Wartet auf meine Zustimmung, aber mein Gewissen meldet sich laut und deutlich.

»Du musst das nicht …«

»Ich weiß.« Sie sieht mich fest an. »Aber ich will.«

Verdammt. Diese Frau wird mich noch ins Grab bringen – und ich kann mir keinen schöneren Tod vorstellen. Auch wenn es mich zu einem Arschloch macht, aber … ich kann nicht anders. Ich will sie nur noch ein bisschen länger spüren.

Ember wartet, bis ich unmerklich nicke, dann macht sie weiter, küsst meinen Hals und wandert tiefer, erreicht den Kragen meines T-Shirts. Mit den Händen fährt sie ganz sachte über meinen Oberkörper bis zum Saum meines Shirts und schiebt ihn ein Stück hoch.

Meine Atmung beschleunigt sich, doch die Schmerzmittel scheinen Wirkung zu zeigen, denn es tut nicht mehr so weh wie zuvor. Vielleicht blende ich es aber auch aus, weil der Anblick von Ember, wie sie vom Sofa rutscht und gleich darauf auf dem Boden vor mir zwischen meinen Beinen kniet, so verflucht heiß ist.

Ihre Lippen auf meinem Bauch, knapp über dem Hosenbund, entlocken mir ein erstes Stöhnen. Ich spüre sie an meiner Haut lächeln. Als sie über die Stelle leckt, kralle ich die Finger ins Polster.

Bin ich gestorben und im Himmel gelandet? Anders kann ich mir nicht erklären, womit ich das hier verdient habe – oder wie es dazu gekommen ist. In der einen Sekunde hagelt es noch Schläge, in der nächsten sitze ich auf dem Sofa und Ember verwöhnt mich mit Küssen und sanftem Streicheln.

Ich beobachte jede ihrer Bewegungen genau. Sehe dabei zu, wie sie den Knopf öffnet, den Reißverschluss meiner Jeans herunterzieht, den Stoff meiner Boxerbriefs beiseite schiebt, bis … Oh, fuck .

Mein Kopf fällt zurück. Das Atmen fällt mir schwer. Hitze schießt durch meinen Körper. Dabei ist es nur eine kleine Berührung, nur ihre Finger, die sich um meinen Schwanz schließen – doch das reicht aus, um ein Feuer in meinem Inneren zu entfachen.

Ein Feuer, das zu einem Flächenbrand wird, als sie sich nach vorne beugt und ich ihre warmen, feuchten Lippen an meiner Spitze spüre.

»Shit, fühlt sich das gut an …« Meine Hand gleitet ohne mein Zutun in ihr volles rotblondes Haar. »Ich liebe deinen Mund.«

Ihr leises Stöhnen, ihre Lippen, ihre heiße Zunge – alles an ihr treibt mich in den Wahnsinn. Ich brauche mehr davon. Mehr von ihr. Mehr von …

»Ember …«, warne ich und packe ihr Haar, denn verdammt, ich bin gleich so weit.

Aber sie hört nicht auf. Stattdessen nimmt sie ihre rechte Hand zur Hilfe, während mein Schwanz erneut zwischen ihre Lippen gleitet. Wieder und wieder, immer tiefer, bis ich es keine Sekunde länger aushalte und … fuuuck!

Mein raues Stöhnen übertönt jedes andere Geräusch. Hitze schießt durch meinen Körper, als ich so hart komme, dass mir kurz schwindlig wird.

Keuchend richtet sich Ember auf und wischt sich über den Mund.

»Gib mir einen Moment«, bringe ich gepresst heraus und versuche das schmerzhafte Pulsieren in meinen Rippen zu ignorieren. »Dann revanchiere ich mich.«

»Ich hab das nicht getan, weil ich eine Gegenleistung erwarte.« Sie schließt meine Hose und hilft mir, mich der Länge nach aufs Sofa zu legen. Dann schmiegt sie sich an mich. Mit den Fingerspitzen streichelt sie vorsichtig von meiner Schläfe bis zu meinem Kinn und vermeidet es dabei, die offenen Wunden zu berühren. »Ich wollte, dass du dich gut fühlst und entspannen kannst.«

»Du bist unglaublich.«

Das Lächeln, das erst ihre Augen und gleich darauf ihr ganzes Gesicht erhellt, fährt mir mitten ins Herz. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich es die letzten fünf Jahre ohne sie ausgehalten habe. Ich habe gelebt, aber das war kein Leben. Ein Teil von mir hat immer gefehlt. Ein Teil, den ich erst hier, auf Golden Bay, in Embers Armen wiedergefunden habe.

»Schlaf ein bisschen, ja?«

Ich drücke ihr einen Kuss aufs Haar und nicke mit geschlossenen Augen. Die Tabletten haben die meisten Schmerzen gedämpft, und Ember hat dafür gesorgt, dass auch der Rest von mir zur Ruhe kommen kann. Meine Muskeln haben sich gelockert. Meine Gedanken kreisen nicht mehr ständig um denselben Scheiß, sondern halten ausnahmsweise die Klappe.

Unbewusst ziehe ich Ember etwas näher an mich und atme tief ihren Duft ein.

»Ich werde mich trotzdem revanchieren«, murmle ich im Halbschlaf.

Ihr Körper bebt kurz an meinem. Lacht sie? Erschauert sie?

»Kann’s kaum erwarten«, flüstert sie. Ihr warmer Atem streift meinen Hals und löst eine angenehm prickelnde Gänsehaut aus. »Aber jetzt schlaf erst mal.«

Meine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. »Yes, Ma’am.«