Ein geregelter Schulbetrieb ist für das Funktionieren einer Gesellschaft ein wichtiger und stabilisierender Faktor. Deshalb hatte die britische Besatzungsmacht bereits im August 1945 zunächst die Volksschulen, wenig später dann auch die höheren Schulen der Hansestadt wieder geöffnet. Allerdings unter sehr schwierigen Bedingungen: Nur noch knapp 40 Prozent der Schulgebäude waren in einem akzeptablen Zustand. Mehr als die Hälfte aller Wohnungen in der Stadt waren zerstört oder unbewohnbar, noch zwei Jahre später hatte nur jedes zweite Schulkind ein eigenes Bett, von einem eigenen häuslichen Arbeitsplatz gar nicht zu reden.

Auch die Ernährungslage war katastrophal, in den Wintermonaten 1945/46 und 1946/47 verschärfte sich die Lage noch.[119] Bei einer Erhebung von 1947 zeigten sich 40 Prozent der Schulpflichtigen in einem besorgniserregenden Zustand.[120] Hätte es die von den Briten und ausländischen Hilfsorganisationen ermöglichte täglich ausgeteilte Schulspeisung nicht gegeben, wäre die Situation noch um einiges dramatischer gewesen.

Die Lehrerin Loki Schmidt hatte bereits vor dem offiziellen Schulbeginn im August ihre pädagogische Tätigkeit in einem bei Harburg liegenden ehemaligen Waisenhaus mit dem Namen »Landhaus Freude« wieder aufgenommen. Hier betreute und unterrichtete sie Kriegswaisen, gestrandete Flüchtlingskinder und als schwer erziehbar geltende Jugendliche. Die Organisation eines geregelten Tagesablaufs war die Hauptaufgabe, der »Unterricht« beschränkte sich auf Vorlesen, Erzählen, Singen und gemeinsames Spiel.

Hier im Landhaus Freude erreichte sie Ende Juni 1945 auch der sogenannte Entnazifizierungsbogen der britischen Besatzungsmacht. Der Bogen umfasste vier Seiten, fragte detailliert

Einige Wochen später wurde sie zu dem von ihr ausgefüllten Entnazifizierungsbogen noch einmal mündlich befragt. Anfang Oktober erhielt sie dann in einem offiziellen Schreiben die Nachricht, dass sie mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert sei. Gleichzeitig wurde sie zur Teilnahme an einem Sonderlehrgang verpflichtet. Zum Entsetzen der beiden Schmidts wandelte die Schulbehörde kurz darauf im November die verordnete Suspendierung in eine fristlose Entlassung aus dem Schuldienst um. Die Anordnung zur Teilnahme an dem angeordneten Sonderlehrgang galt weiter.

Vom Herbst 1945 bis ins Frühjahr 1946 besuchte Loki Schmidt nun die von der Universität durchgeführten Sonderlehrgänge, im Jargon der Nachkriegszeit auch »Entbräunungskurse« genannt. In den einzelnen Sitzungen zeigte sie Interesse und beteiligte sich rege. In einer Art Protokoll aus der Schulverwaltung heißt es: »Dabei wurde eine entschieden demokratische und kriegsgegnerische Haltung deutlich. Dabei ist sie nicht eigentlich politisch interessiert, nimmt vielmehr zu allen Fragen aus dem Bewusstsein innerer Verbundenheit mit der Schuljugend unter dem Gesichtspunkt der Erziehung zur Menschlichkeit Stellung.«[122]

Der Zeitaufwand und die Belastung durch den Sonderlehrgang waren hoch. Der Weg von Neugraben in die Stadt erwies sich in dieser Zeit als lang und beschwerlich. Kam sie am Nach

Für das Paar war diese Zeit extrem schwierig. Loki Schmidt und ihr Mann konnten und wollten sich allerdings mit ihrer Entlassung aus dem Schuldienst nicht abfinden. Loki macht mehrere Eingaben an die Schulbehörde, in denen sie ihre Notlage schildert, und zumindest um eine finanzielle Beihilfe zur Linderung ihrer Notlage ersucht. Später bittet sie den ehemaligen Kollegen Christian Bollmann und ihren Schulrat Fritz Köhne um Gutachten und fügt diese ihren Eingaben hinzu. Beide entlasten sie und bescheinigen ihr, eine ablehnende Haltung gegenüber dem NS-System gehabt zu haben.

Loki Schmidts eigene Schreiben sind bewegend und dokumentieren die schwierige Lebenssituation des Ehepaars. Im März 1946 heißt es: »Ich bin seit vier Jahren verheiratet, mein Mann war acht Jahre Soldat (1937 eingezogen), er steht jetzt mit 27 Jahren am Beginn des zweiten Semesters und ist seit Mai 1945 ohne jedes Einkommen oder Beihilfen und dergl. Wir haben in diesem Krieg zweimal einen vollständigen Haushalt verloren, das zweite Mal im April 1945. Da wir für die zweite Wohnungseinrichtung alles Ersparte verbraucht hatten, sind wir zur Zeit ohne jegliche Mittel. Die beiderseitigen Eltern und alle näheren Verwandten sind gleichfalls total ausgebombt und wohnen in kümmerlichen Verhältnissen, so dass wir unseren eigenen Hausstand führen müssen. […] Mein eigener Vater muss wegen Invalidität selbst unterstützt werden. Durch die Teilnahme am Sonderlehrgang kann ich neben meiner Hausarbeit nur unter großer Anspannung einem Nebenverdienst nachgehen. […] Die Überlastung führte im Winter zu einer Fehlgeburt mit Bettlägerigkeit, Klinikaufenthalt und Operation.«[123]

Im April 1946 erhält Loki Schmidt den Entnazifizierungsbogen ein zweites Mal. Nun liegt das Verfahren in den Händen der deutschen Behörden. Im Wesentlichen wiederholt sie ihre Angaben vom Juni 1945. Es gibt nur einige Präzisierungen zu Zeitangaben, vor allem aber lässt sie nun den Raum für »Anmerkungen« nicht mehr ungenutzt. So beschreibt sie den erzwungenen Eintritt in den BDM: »Gleichfalls wurde ich im Mai 1940 wider Willen gezwungen, die Aufnahme in NSDAP und NSV zu beantragen, da ich eine Bescheinigung dieser Anträge der Hamburger Schulverwaltung vorzeigen musste, um eine Anstellung zu erhalten. Nachdem ich meine Anstellung hatte, zog ich mich von NSDAP und NSV zurück, zahlte keine Beiträge und hatte seit März 42 nie wieder mit NSDAP oder NSV zu tun.«[125]

Das war zutreffend. Im Juni 1937 hatte der Leiter des Volksschulwesens und hohe NSLB-Funktionär Mansfeld in einem Schreiben an alle Hamburger Lehrer mitgeteilt: »Nach dem vom Führer aufgestellten Grundsatz ›Partei und Staat sind eins‹ wird es künftig immer weniger verstanden werden, wenn ein Beamter nicht Parteimitglied ist. […] Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass sich jeder hamburgische Erzieher und jede Erzieherin um die Aufnahme bewirbt.« Bei Loki Glasers Bewerbung im Mai 1940 verlangte die Schulbehörde eine NSDAP-Mitgliedschaft oder deren Beantragung. Genau ein Jahr später wird noch einmal postalisch nach dem Stand ihrer Mitglied

Aus Unterlagen im Privatarchiv der Schmidts wird aber auch deutlich, dass sie beim Ausfüllen dieses zweiten Fragebogens von ihrem Mann tatkräftig unterstützt wurde. Er hatte Notizen über mögliche Antwortvarianten erstellt und sogar einige Passagen für sie ins Englische übersetzt. Offenbar gingen beide davon aus, dass möglicherweise noch einmal eine mündliche Aussage vor britischen Stellen nötig sein würde.

Dazu kam es jedoch nicht mehr. Der zuständige Schulrat befürwortete unverzüglich die Wiedereinstellung, allerdings zog sich das Verfahren noch bis in den Herbst. Ende November 1946 wurde über die Akte Hannelore Schmidt noch einmal entschieden: Loki Schmidt wird als »entlastet« eingestuft, die fünfte und höchste Kategorie, die den zuständigen Stellen zur Beurteilung der vorgelegten Fälle zur Verfügung stand.

Im Januar 1947 stand Loki Schmidt in der Schule Fischbek, nicht weit von ihrer Wohnung in Neugraben gelegen, wieder vor einer Klasse. Der Neuanfang hatte für sie damit nun endlich auch beruflich eingesetzt. Zu ihrem persönlichen Glück kam hinzu, dass sie erneut schwanger war. Im Mai 1947 kommt ihre Tochter Susanne zur Welt. Die beiden glücklichen Eltern werden sie von Beginn an nur noch Suse nennen.