Die Schmidts im Wahlkampf

Es gibt Fotos von den Schmidts im Wahlkampfzug irgendwo auf der Strecke zwischen zwei Städten in der Republik, auf denen das Paar an einem Tisch inmitten großer Betriebsamkeit sitzt und Schach spielt. Beide werden an einem solchen Tag lange Stunden eines engagierten Wahlkampfs hinter oder vor sich haben. Schmidt wurde häufig nach Dienstgeschäften mit dem Hubschrauber oder Pkw zu einem großen Wahlkampfauftritt gebracht, nach der Veranstaltung ging es dann oft mit der Bahn weiter. Wenn das Kanzlerpaar gemeinsam mit dem Sonderzug unterwegs war, fanden die beiden tatsächlich ein wenig Zeit füreinander. Mehr vielleicht sogar als im Bonner Alltag, meinte Loki später. Sie berichtete Helmut dann von ihren eigenen Veranstaltungen. Er kannte die SPD-Genossen landauf und landab und konnte seiner Frau wichtige Hinweise für die nächsten Termine geben. Oft nahmen sie sich aber auch Zeit für ein Schachspiel. Fast demonstrativ saßen sie dann in trauter Zweisamkeit am Tisch ihres Salonwagens, tief konzentriert, scheinbar unberührt von dem Rummel um sie herum.

Es kam allerdings niemand darauf, Loki Schmidt deshalb als Hausfrau zu sehen. Zeigten doch im Gegenteil die Bundestagswahlkämpfe Helmut Schmidts von 1976 und 1980, dass sie eigenständig handelte und sehr bewusst die politischen Ziele des Ehemannes mittragen wollte. Bei ihrem Wahlkampfengagement handelt es sich durchaus nicht um isolierte Auftritte, sondern vielmehr um eine eigene Loki-Schmidt-Kampagne, die das Ehepaar am Brahmsee und im Kanzlerbungalow sorgfältig ausarbeitete und mit Hilfe der SPD-Zentrale perfekt plante und umsetzte.

Bereits im Februar 1976, also lange vor der heißen Wahlkampfphase im Sommer des Jahres, schrieb Helmut Schmidt einen Vermerk an den Leiter des Kanzlerbüros Klaus-Dieter Leister, mit der Bitte, seine Frau in die Vorbereitung des Wahlkampfes aktiv einzubinden. So reiste sie schon im Vorwahlkampf im März durch Baden-Württemberg und besuchte ausgewählte Betriebe und Berufsbildungswerke.

Ihr großer Wahlkampf begann mit einer spektakulären Aktion in ihrer Sommerfrische in Langwedel am Brahmsee. Viel Publikum und vor allem viele Medienleute waren gekommen, um den Auftakt der »Sozialdemokratischen Wählerinitiative« zu erleben, in dessen Zuge Loki Schmidt den Wahlkampfbus taufen wollte, der eine Art Schiffsaufbau hatte: »Bei bester Stimmung und unter dem Beifall der Brahmsee-Urlauber bestieg sie eine große Leiter, schmetterte ein Riesensektglas [sic!] gegen den Bug des Schiffs, taufte den Bus-Kahn auf den Namen ›Vorwärts‹ und wünschte gute Fahrt bis zum 3. Oktober«[199] – dem Tag der Bundestagswahl.

Schon wenige Wochen nach dem Auftakt am Brahmsee startete Loki eine von ihrer Vertrauten und Bundestagsabgeordneten Angela Grützmann gemanagten und von der Parteizentrale der SPD unterstützten Wahlkampftournee, die sie kreuz und quer durch das ganze Land führen sollte.

Insgesamt 180 eigene Veranstaltungen absolvierte sie, machte Pressetermine und Telefonaktionen für Leserinnen und Leser von Zeitungen, gab Interviews und hatte trotzdem noch Energie und Zeit genug, alle großen Wahlkampftouren ihres Mannes in dem von der SPD gemieteten Sonderzug zu begleiten. Ihre eigenen Veranstaltungen waren Auftritte und Gesprächsrunden in öffentlichen Betrieben, bei Gewerkschaften, in Seniorenheimen und Jugendwerkstätten. Alles funktionierte reibungslos, und Loki Schmidts Einsatz für den SPD-Kanzlerkandidaten wurde auch dringend benötigt. Im Sommer 1976 lag die SPD in Meinungsumfragen bei 42 Prozent und damit 5 bis 6 Prozent hinter der CDU und ihrem Kanzlerkandidaten Helmut Kohl. Die gestiegenen Arbeitslosenzahlen und die Frage nach der Sicherung des Rentenniveaus waren die heiklen Themen des

Was ihm im sozialen Umgang fehlte, konnte sie mit ihrem freundlichen Auftreten und ihrer Zugewandtheit mehr als kompensieren: Wo immer sie erschien, »gewann sie durch ihre fast altmodisch wirkende Bescheidenheit, ihren natürlichen Charme und ihr unauffälliges, aber doch eindringliches Interesse an den Problemen älterer Bürger, Behinderter oder auch den Fragen des Naturschutzes, die Sympathie ihrer Zuhörer«, hieß es etwa in der hessischen Presse.[203] Und: »Eine bessere Wahlkämpferin als Loki Schmidt kann der Bundeskanzler gar nicht ins Feld schicken.«[204]

Für beide Schmidts war der Wahlkampf eine große physische Herausforderung. Über 35000 Kilometer reiste der Kanzler für seine Auftritte durch die Republik, Loki Schmidt kam auf über 20000 Kilometer. Das waren doppelt so viele Kilometer wie der im Wahlkampf sehr aktive Parteivorsitzende Willy Brandt absolviert hatte. Eigentlich waren diese Bundestagswahlkämpfe für beide Fulltime-Jobs, für den Kanzler eine normale Herausforderung, für seine Ehefrau aber eine außergewöhnliche, wenn nicht sogar singuläre Leistung.

Bei den großen Veranstaltungen ihres Mannes, mit meist mehreren Tausend Zuhörern, saß Loki Schmidt immer vorne in seinem Blickfeld in der ersten Reihe. Für solche Gelegenheiten hatten die Schmidts im Laufe des Wahlkampfes eine eigene kleine Eheszene arrangiert. Der Auftritt des Bundeskanzlers begann ohne sie, sodann stieß Loki ein wenig später hinzu und wurde jedes Mal von ihrem Mann mit denselben Worten begrüßt: »Oh, da sehe ich ja meine Frau kommen. Herzlich willkommen. Sie war noch ein wenig unterwegs als Ein-Mann-Wählerinitiative, Verzeihung, als Ein-Frau-Wählerinitiative.«[205]

Das Kanzlerpaar Schmidt war ein reibungslos funktionierendes politisches Team geworden, ihre offenbar aufrichtige gegenseitige Unterstützung war für jedermann ersichtlich. Nahm Loki Schmidt so auch Einfluss auf die politischen Haltungen und konkreten Entscheidungen des Kanzlers? Zwar suchte er ihren Rat nicht in politischen Detailfragen, doch war das, was seine Frau beim gemeinsamen Frühstück und am späten Ende eines Arbeitstages zum politischen Geschehen äußerte, bedeutsam für ihn. Loki war dann »Volkes Stimme« für ihn.[207]

In zwei politischen Themenfeldern aber hatte Loki im Wahlkampf 1976 mit Gewissheit mehr als nur einen bestärkenden Einfluss auf ihren Mann: bei den Frauenrechten und beim Thema Bildung. Dass er in seinen Wahlkampfreden regelmäßig diese beiden Fragenkomplexe ansprach, wurde in der Öffentlichkeit explizit Loki Schmidts politischem Zuspruch gutgeschrieben.[208] 1974 hatte die von Schmidt geführte sozial-liberale Koalition den im § 218 geregelten Schwangerschaftsabbruch durch eine Fristenregelung liberalisiert, war aber 1975 am Bundesverfassungsgericht gescheitert und sah sich daraufhin gezwungen, die Fristenlösung durch ein erweitertes Indikationsrecht zu ersetzen. Das Thema elektrisierte die Frauen in der Republik bis hinein in diesen Wahlkampf, denn heftige Debatten im Parlament und in den Medien hatten vor und nach dem Rechtsstreit um den § 218 die Öffentlichkeit bewegt und gespalten. Kanzler Helmut Schmidt unterstützte in dieser zugespitzten Situation ebenso wie seine Frau öffentlich die Frauen, die für eine Selbstbestimmung kämpften. Den 374 Frauen, die sich im

Auch der zweite Schwerpunkt in Schmidts Wahlkampf, nämlich die Verbesserung der Bildungschancen von Mädchen und jungen Frauen, war für Loki Schmidt ein zentrales Thema. Die sozialen Benachteiligungen, die Mädchen und Frauen gerade auch in Arbeiterfamilien erfuhren, mussten beseitigt werden. Ihre eigene Biographie war ja das beste Beispiel für den steinigen Weg, den sie als Arbeiterkind und Mädchen hatte gehen müssen, um das Abitur und den qualifizierten Lehrerberuf zu erreichen.