Zu den ideellen Übereinstimmungen, welche die Schmidts miteinander hatten, zählten auch ihre Haltungen zur Sozialdemokratie und zur Kirche.
»Aus der SPD tritt man nicht aus«, das war die feste und auch erklärte Meinung der beiden. Als sie 2005 die meisten ihrer Mitgliedschaften in Vereinen und Verbänden mit dem Hinweis auf ihr fortgeschrittenes Alter kündigten, gab es zwei Ausnahmen: ihre Mitgliedschaft in der evangelischen Landeskirche und die in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. In der SPD summierte sich für das »einfache« SPD-Mitglied Loki Schmidt am Ende die Zeit ihrer Mitgliedschaft auf fast fünfzig Jahre, für den ehemaligen Abgeordneten, Senator, Bundesminister und Bundeskanzler Helmut Schmidt waren es nahezu siebzig Jahre.
Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind die im Godesberger Programm 1959 eingeschriebenen Grundwerte der deutschen Sozialdemokratie. Schmidt selbst hatte an diesem Programm maßgeblich mitgewirkt, er und seine Frau konnten sich mit diesen Wertvorstellungen bis zum Ende ihres Lebens identifizieren. Mit seinem Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft, zu einem starken Staat, zu einem militärischen Gleichgewicht der Weltmächte und mit seiner Befürwortung der Atomenergie gehörte er nach der Arithmetik der Partei zum rechten Flügel der SPD. Das galt auch für seine Frau, da sie in diesen Grundsatzfragen der Politik nie eine abweichende Meinung zu ihm formuliert hatte. Auch in der sehr rigorosen Ablehnung der 68er Bewegung stimmten sie überein, und selbst dem gesellschaftlich-kulturellen Umbruch, der von dieser Bewegung angestoßen wurde, konnten sie wenig Positives zuerkennen. Ihr Bild von den 68ern blieb entscheidend geprägt von dem doch quantitativ sehr kleinen, aber verhängnisvoll wirkungsmächtigen Flügel dieser Bewegung, der sich in den siebziger und achtziger Jahren den sogenannten »bewaffneten Kampf« auf die Fahnen geschrieben hatte oder ideologisch unterstützte.
Die große Übereinstimmung in politischen Fragen rührte nicht zuletzt auch daher, dass Loki Schmidt die politische Expertise ihres Mannes anerkannte, sich darauf verlassen wollte und das auch konnte. Das blieb so bis ins hohe Alter des Ehepaares, seine eher »linksorientierte« Kritik am »Raubtierkapitalismus« der Finanzmärkte teilte sie ohne Einschränkung. Womöglich hätte sie sich in seiner Kanzlerzeit von ihm und der Regierungspartei SPD ein stärkeres Engagement in Umweltfragen gewünscht, öffentlich geäußert hat sie das aber nie. Ohnehin vertrat sie in der Umweltpolitik einen Kurs, der die Interessen von Naturschutz und Wirtschaft im Auge behielt. Loki Schmidt war also politisch eine Parteigängerin ihres Mannes. Im Übrigen galt das auch weitgehend für Susanne Schmidt. 1980 trat sie der SPD bei, ohne damit eine Funktion in der Partei anzustreben. Innerparteilich ordnete sie sich auf dem Flügel ihres Vaters ein, »konservativ«, wie sie knapp formulierte.[291]
Loki Schmidt trat auch nach außen vorbehaltlos für die Positionen ihres Mannes ein. Friede Springer, mit der Loki gut befreundet war, schilderte, diese habe Helmut Schmidt in politischen Fragen selbst in privater Runde »wie eine Löwin« verteidigt.[292] Das galt auch bei innerparteilichen Konflikten um die Linie des Kanzlers. Als Oskar Lafontaine 1982 auf dem Höhepunkt der parteiinternen Diskussionen zum NATO-Doppelbeschluss im Stern formulierte, dass man mit den von Schmidt angeblich hoch gehaltenen »Sekundärtugenden« auch »ein KZ betreiben« könne,[293] war das für beide Schmidts sehr verletzend. »Sollte es auch sein. Das hat gewirkt«, sagte Schmidt noch Jahre später.[294] Loki Schmidt war in der Sache und in der Form von dieser unsäglichen Äußerung so aufgebracht, dass sie im Freundeskreis verkündete: »Wenn ich den Kerl treffe, dann knall ich ihm eine.« Wer sie aus der Schulzeit kannte, wusste, dass sie es mit so einer Drohung ernst meinen könnte. Die Vernunft setzte sich durch: »Wir begegneten uns kurze Zeit später, doch da war viel Presse dabei, und ich wollte denen dieses Vergnügen nicht gönnen.«[295] Gesprochen aber hat sie mit Oskar Lafontaine kein einziges Wort mehr.
Helmut und Loki Schmidt waren politische Profis und wussten natürlich, dass man auch in der eigenen Partei mit Attacken zu rechnen hatte und die »Parteifreunde« durchaus nicht immer Freunde waren. Ihre optimistische Grundannahme von den Parteien als wichtige Faktoren im Prozess der politischen Willensbildung und der Gestaltung des demokratischen Staates konnte das jedoch nicht erschüttern. Für sie persönlich kam hinzu, dass sie mit vielen der Weggefährten aus der eigenen Partei auch engere persönliche Kontakte knüpfen konnten. Auf den Hamburger Freundeskreis von SPD-Genossen ebenso wie auf Vertraute aus den Bonner Jahren konnten sie ein Leben lang bauen.
Loki Schmidt hatte in Bonn auch nähere Bekanntschaft mit zwei Frauen im Umkreis der SPD geknüpft. Das war zum einen Marie Schlei, die zunächst parlamentarische Staatssekretärin und dann Ministerin im ersten und zweiten Kabinett Schmidt war, und zum anderen Dorothea Bahr, die erste Ehefrau Egon Bahrs, mit der sie auch nach deren Trennung im engeren Kontakt blieb.
Im Wahlkreisbüro in Hamburg-Bergedorf
Für die Schmidts war die SPD also nicht nur eine abstrakte politische Gemeinschaft, in der SPD fanden sie Weggefährten, die ihnen auch persönlich viel bedeuteten. Wenn man sich auch nach den Bonner Jahren nicht mehr regelmäßig sah, ein Gefühl der Verbundenheit blieb bestehen. Die SPD war für die Schmidts auch ein Stück gemeinsame Heimat geworden.
Zur evangelischen Kirche gestaltete sich das Verhältnis der Schmidts – trotz der Zugehörigkeit über viele Jahrzehnte hinweg – bedeutend diffiziler. Seit ihrer Heirat (und Taufe) im Sommer 1942 bis zu ihrem Tod blieb Loki Schmidt Kirchenmitglied. Helmut Schmidt wurde am 2. August 1919 in der Heilig-Geist-Kirche in Barmbek getauft und feierte seine Konfirmation mit der Familie in der Uhlenhorster St.-Gertrud-Kirche, die übrigens seine zukünftige Frau Loki wenige Wochen vor ihrer kirchlichen Hochzeit auch zu ihrer eigenen Taufkirche wählte. Er sah sich zwar als Christ, aber eine tiefer gehende Beziehung zum Glauben hatte sich daraus nicht entwickelt.
Die eher weltliche Begründung ihrer kirchlichen Hochzeit ist bereits erwähnt worden. Tiefere religiöse Gefühle verbanden sie nicht mit ihrer kirchlichen Trauung. Beide konnten sich nicht an einen Trauspruch erinnern, und als die Zeremonie beendet war, standen bei Loki Schmidt die Sorgen des Alltags sofort wieder im Vordergrund: »Da die Trauung nach dem Gottesdienst stattfand, war die Kirche schon leer, doch auf der Empore standen meine ehemaligen Schülerinnen und Schüler und sangen. Mir gingen viele Gedanken durch den Kopf: Wie wird unsere gemeinsame Zukunft aussehen? Werden wir überhaupt zusammen leben? Wird es eine Zeit ohne Krieg und ohne Nazis für uns geben?«[296]
Die Schmidts hatten sich als Ehepaar den kirchlichen Segen geholt, also folgte für sie daraus, 1944 ihren Sohn Helmut Walter und 1947 auch ihre Tochter Susanne taufen zu lassen. Einen Grund für die Erziehung ihrer Tochter im christlichen Glauben sahen die Schmidts mit der christlichen Taufe allerdings nicht gegeben. Zumindest kann sich Susanne Schmidt nicht an Gespräche über den Glauben, Gebete oder regelmäßige Kirchbesuche erinnern. Das änderte sich auch nicht, als sie sich – auf eigene Faust – zum Konfirmationsunterricht angemeldet hatte, so wie alle anderen Mitschüler auch.
Kirche und Glauben spielten im Leben der Familie Schmidt kaum eine Rolle, auch nicht zu Weihnachten. Keine Weihnachtslieder, kein Verlesen der Weihnachtsgeschichte, noch nicht einmal an einen Weihnachtsbaum konnte sich Loki Schmidt erinnern. Man habe vielleicht früher eine Lichterkette draußen an einem Nadelbaum gehabt, aber einen geschmückten Weihnachtsbaum, »den hat es bei uns wahrscheinlich vor dem Krieg zuletzt gegeben«.[297] So folgte nur das Weihnachtsessen einer – angeblich norddeutschen – Tradition: Heiligabend gab es Würstchen mit Kartoffelsalat. In den späten sechziger und siebziger Jahren besuchten sie ab und zu auch den Weihnachtsgottesdienst, meist ging es in die Hauptkirche St. Petri, da sie deren Hauptpastor Carl Malsch persönlich kannten.
Die Beziehungen der Schmidts zu Geistlichen, Priestern und Kirchenvertretern waren überkonfessionell und hatten weitgehend persönlichen Charakter. So pflegte Loki Schmidt in Bonn eine vertrauliche Beziehung zum Benediktinerpater Athanasius Wolff aus dem Kloster Maria Laach. Ihr Briefwechsel zeigt, dass sie ihm mit ihrer Lebensklugheit in spirituell schwierigen Lebenslagen helfen und er mit großem Feingefühl auch auf sie eingehen konnte. Lokis Freundschaft mit dem katholischen Pater Wolff scheint auch Auswirkungen auf Helmut Schmidt gezeitigt zu haben, zumindest berichtete er später von drei Vertretern der katholischen Kirche als persönliche Ansprechpartner: den Jesuiten Oswald von Nell-Breuning, den ersten Bischof der neu gegründeten Diözese Essen, Franz Hengsbach, und den Wiener Kardinal Franz König. Als engagierte Befürworter der katholischen Soziallehre wurden sie für Schmidt wichtige Ratgeber in der Sozialpolitik.[298]
Zu der Gemeinde ihrer Hochzeitskirche in Hambergen nahmen die Schmidts in den achtziger Jahren erneut Kontakt auf, was dazu führte, dass Loki Schmidt 1983 die Schirmherrschaft für das 230. Kirchenjubiläum übernahm. Auch anlässlich ihrer goldenen und diamantenen Hochzeit bedachten die Schmidts die Kirche in Hambergen mit einer großzügigen Spende.[299]
Ihre Treue zur evangelischen Kirche und ihre Verbundenheit mit der Kirche in Hambergen bedeuten aber nicht, dass die Schmidts im Verlaufe ihres Lebens zu gläubigen Christen geworden wären. Im Gegenteil, für Helmut Schmidt, der sich selbst immerhin als einen »distanzierten Christen« beschrieb, wurde die Religionszugehörigkeit im Alter eher unwichtig.[300] Als »bekennende Heidin« traf das für seine Frau ohnehin zu. »Aber wenn Sie so wenig glauben, warum sind Sie dann noch in der Kirche?«, fragte der Chefredakteur der ZEIT Giovanni di Lorenzo seinen Gesprächspartner Schmidt im Sommer 2010 einmal. Dieser antwortete knapp, wie es sich für ein »Zigarettengespräch« gehörte: »Weil Traditionen nützlich sind. Die Kirchen gehören zum Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält.«[301]
Der Tradition der Hansestadt Hamburg entsprechend, werden Trauerfeiern für bedeutende Bürger in der Hauptkirche St. Michaelis abgehalten. Daher gaben auch die Schmidts ihre Einwilligung dafür. Der kirchliche Anteil solle nicht allzu groß sein und es müsse eine deutliche Trennung zum Staatsakt erkennbar sein, hatte Helmut Schmidt zuvor für seinen Abschied verfügt. So gab es den Kitt der Kirche, der gerade auch in der Trauer eine Gesellschaft zusammenhält, am Ende dann auch für das Leben von Loki und das von Helmut Schmidt.