Susanne in England

Für Besuche seiner Tochter Susanne in England fand Helmut Schmidt nur sehr gelegentlich Zeit. Susanne war mit ihrem Mann, dem Banker Brian Kennedy, in einen kleinen Ort in der Grafschaft Kent im Südosten von England gezogen. Ihr Arbeitsplatz war in London, wo sie, nach ihrem Engagement bei der Deutschen Bank, bis zur Finanzkrise 2008 als Analystin bei einer japanischen Investmentbank und dann als Journalistin beim Wirtschaftskanal Bloomberg TV tätig war. Es ist schon erstaunlich, dass ihr viel reisender Vater den Weg über den Ärmelkanal nur wenige Male antrat. »Ganz selten« habe er sie besucht, gab er 2010 in einem gemeinsamen Interview mit seiner Tochter unumwunden zu, und der letzte Besuch sei »schon lange her«.[306] Seine öffentlichen Auftritte und beruflichen Verpflichtungen im In- und Ausland hatten auch nach den Bonner Jahren die höhere Priorität. 2013, als er seine Abschiedsvisiten in Frankreich und Großbritannien absolvierte, besuchte er dann auch noch einmal seine Tochter in Kent – es war sein letzter Besuch bei Susanne. Das Verhältnis zu ihrem Vater hat Susanne mit den Worten umschrieben: »Es war ein sehr freundliches Verhältnis.«[307] Gern fügte sie auch den Begriff »hanseatisch« als kennzeichnend für die Beziehung zu ihrem Vater hinzu.

Dazu passt, wie sie in einem Interview erzählt, dass ihr Vater sich auch bei ernsten persönlichen Problemen nicht ein einziges Mal an sie gewandt habe. Nie habe er sich anmerken lassen, was in ihm vorging. Sogleich fügt sie aber hinzu, dass

Es war Loki Schmidt, die sich um die Kontakte zur Tochter in England kümmerte, und umgekehrt war es auch die Tochter, die sich um die Eltern bemühte und sie fünf bis sechs Mal im Jahr in Langenhorn – oder im Sommer am Brahmsee – besuchte. Vom Kopf her sei sie ein »Papa-Kind«, »vom Herzen her eher ein Mama-Kind« gewesen, hat Susanne ihre innere Einstellung zu den Eltern rückblickend beschrieben.[309]

Was Berufswahl und Berufsalltag anging, teilte sie sicher vieles mit dem Vater. Als sie 1975 ihre Doktorarbeit zum Thema Kapitalverkehrskontrollen abschloss, hätte sie sich gut mit dem ehemaligen Bundesfinanzminister und damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt austauschen können, nur mangelte es schon damals an Zeit. Später, als sie für den Londoner Wirtschaftskanal Bloomberg TV arbeitete, hätte sie ihren Vater als Interviewpartner gewinnen können, aber das kam für sie nicht infrage, das hätte ihre professionelle Distanz beeinträchtigen können. Diese klare Haltung war typisch für Susanne Schmidt. Als 2010 ihr Buch Markt ohne Moral erschien, gab es Gelegenheit zu Fachgesprächen zu Hause in Langenhorn und einem ersten gemeinsamen Zeitungsinterview mit dem Vater. Dabei konnten beide feststellen, dass sie in der Einschätzung der 2008/2009 kulminierenden Bankenkrise sowohl in der Analyse – Verlust von Risikobewusstsein und Moral – als auch in den Lösungen – stärkere staatliche Regulierungen – übereinstimmten.[310]

Mit ihrer Mutter telefonierte Susanne regelmäßig. Beide teilten eine große Liebe für Garten und Tiere und tauschten sich auch über Alltägliches gern aus. Loki kam auch zu Besuch nach England und entwickelte eine Beziehung zu den drei Kindern,