Am Schluss bleibt ein kritischer Blick auf das, was die Schmidts selbst zu ihrem Ruf als sehr besonderes Paar beigetragen haben. Denn dass die beiden einiges getan haben, um dem eigenen Mythos Nahrung zu geben, ist nicht zu übersehen. Hilfreich dafür waren zuallererst ihre exzellenten Verbindungen zu den Medien. Seit den sechziger Jahren hatten sie Kontakt zu den Herausgebern von Spiegel, Stern, ZEIT und Bild. Schmidt wird inzwischen von der Medienforschung sogar als der Medienkanzler der Bundesrepublik beschrieben, als ein Politiker, der besonders erfolgreich durch Nähe und Distanz sowie seine Fähigkeit zur Zuspitzung und Personalisierung die Medienlandschaft zu nutzen wusste. Nach seiner politischen Laufbahn wurde er dann selbst Teil des Medienbetriebs, mit all den sich daraus ergebenden Möglichkeiten der eigenen Darstellung für seine politischen Analysen und Wertungen, aber auch für die Einordnung seiner selbst als Person und Persönlichkeit des öffentlichen Lebens.
Auch Loki Schmidt nutzte und pflegte enge Kontakte zu den Medien. Augstein, Springer, Nannen und Bucerius kannte sie alle persönlich, mit Friede Springer verband sie sogar eine engere Freundschaft. Schon in den siebziger Jahren ließen die Schmidts die Medien auch an ihrem Privatleben teilhaben, 1976 brachte der NDR eine erste Homestory aus dem »kleinen Privathaus« am Neubergerweg. In den späteren Jahren empfing vor allem Loki Schmidt ausgewählte Journalisten zu speziellen Anlässen, gern zum Kaffee im heimischen Wohnzimmer. Man kann sicher sein, wenn die Schmidts ein Thema in die Öffentlichkeit bringen wollten, hatten sie sehr gute Möglichkeiten, die geeigneten Medienpartner dafür zu gewinnen. Der Einfluss auf die öffentliche Meinung wuchs noch einmal, als beide zu Premiumgästen in den Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wurden.
Ihren letzten großen Auftritt als Paar erlebte das Fernsehpublikum anlässlich der neunzigsten Geburtstage der beiden. Hier festigten sie noch einmal den zuvor schon von ihnen selbst evozierten Ruf eines »ewigen Paares«. Was daran Wirklichkeit war und was Mythos, ist in diesem Buch deutlich geworden. Sympathisch war an ihrer Haltung, dass sie die Beständigkeit ihrer Ehe nie im Duktus moralischer Bewertungen anderer vertreten haben. Eine moralische Instanz wollten sie definitiv nicht sein. Das gehörte nicht zu ihrem Selbstverständnis.
Bei einem kritischen Blick auf die Schmidts als Paar kann neben der Medienarbeit in »eigener Sache« auch die Einrichtung der eigenen Helmut und Loki Schmidt Stiftung als ein weiteres Instrument der Sicherung öffentlicher Wahrnehmung gesehen werden. Mit dieser Stiftung und den von den Schmidts ja selbst gesetzten Aufgaben scheint eine langfristig wirkende Erinnerungskultur gesichert zu sein. Auch die Einrichtung einer eigenen Schriftenreihe ausschließlich zum Leben und Wirken der beiden spricht nicht nur eine völlig uneigennützige Sprache. Dennoch werden die mit den Schmidts verbundenen großen Themen der Zukunft in der Erinnerung an sie besonders wirkungsmächtig sein. Um nur die beiden wichtigsten zu nennen: Natur- und Umweltschutz als Sicherung der Grundlagen menschlicher Existenz und das vereinte (strukturell reformierte) Europa als Antwort auf die neuen politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse in der Welt.
In gewisser Weise gehört zum Mythos der Schmidts auch die schon fast legendär gewordene Beschreibung des Hauses am Neubergerweg als das »Reihenhaus« des Kanzlerehepaares. Noch nach Schmidts Tod im Oktober 2015 titelte eine Zeitung: »Weltbürger aus dem Reihenhaus«.[346] Das hätte gewiss beiden gefallen. Tatsächlich war das Haus im Neubergerweg ein Doppelhaus. Auch dass die zweite Hälfte ihres Doppelhauses von den Eltern Helmut Schmidts bewohnt wurde und sich damit schon von Beginn an im Familienbesitz befand, war wenig bekannt. Erst recht nicht, dass die Schmidts ihre ehemalige Doppelhaushälfte durch verschiedene Erweiterungen und Zukäufe in ein durchaus stattliches Anwesen fortentwickelt haben. Zwar blieben alle Veränderungen in einem für die Umgebung sehr verträglichen Rahmen, aber der Neubergerweg 80 war am Ende weit mehr als eine einfache Doppelhausanlage.
Natürlich hätten sich die Schmidts andere Wohnorte leisten können, aber sie hatten es sich am Neubergerweg so eingerichtet, wie sie es für ihr Wohlbefinden benötigten. Der Neubergerweg passte zu ihnen und der damit einhergehende Ruf einer gewissen Bescheidenheit des Wohn- und Lebensstils war treffend und kam gleichermaßen auch ihrem Selbstverständnis sehr gelegen.
Am Ende ihres Lebens war der Neubergerweg als gemeinsame Heimat den beiden fast noch wichtiger geworden als in den Jahrzehnten zuvor. Hier hatten sie sich mit ihrer Kunst- und Buchsammlung und mit der kleinen Gartenanlage um das Haus eine von ihnen geliebte Umgebung geschaffen. Am Neubergerweg arbeiteten sie an ihren Büchern, hier tagte bis zuletzt die ihnen wichtige Freitagsgesellschaft, hierher kamen Freunde und Familie, und von hier aus entfalteten sie noch viele Verbindungen und Engagements in ihrer Heimatstadt Hamburg. Die Schwierigkeiten und Herausforderungen ihrer Beziehung in der Vergangenheit zählten nur noch als Erlebtes, nicht mehr als Gefühltes. Für ihn war sie nach seiner eigenen Darstellung immer das Gefühl, zu Hause und bei sich zu sein. Für Loki war das ein hohes Gut: »[…] das ist ein Schatz, wenn man für einen anderen Menschen das Zuhause ist.«[347]
Das Geheimnis geglückter Beziehungen und Ehen besteht wohl auch darin, bereit zu sein, das Positive zu bemerken, das Gemeinsame zu stärken und in schwierigen Phasen nicht gleich auseinanderzugehen. Nicht allen gelingt das, bei den Schmidts muss es so gewesen sein. Eine Freundin des Ehepaares Schmidt hat mir gegenüber eine treffende Äußerung dazu gemacht: »Am Ende zählt der Schluss.« Für die Schmidts trifft das besonders zu, vielleicht könnte man sogar sagen: Am Ende hatte die Wirklichkeit den eigenen Mythos fast eingeholt.