14

Brad wohnt nicht weit weg, in einer Straße mit kleinen Grundstücken und noch kleineren Häusern. Der Bungalow ist hell erleuchtet, als ich davor halte. Ich steige aus, und als ich in der geborstenen Betonauffahrt stehe, fällt mir auf, dass der Pick-up seines Vaters nicht da ist. Dafür steht Brads Wagen da. Dieses Mädchen kann sich auf was gefasst machen, wenn ich sie erwische.

Ich klopfe laut an die grüne Haustür. Dafür, dass hier ein Hausmeister wohnt, scheint es mir nicht sonderlich gepflegt. Graue Farbe blättert ab, und selbst im Licht der Veranda sehe ich, wie schmutzig es ist. Die Veranda selbst ist mit Kunstrasen ausgelegt.

Brad öffnet die Tür einen Spalt weit und macht ein erschrockenes Gesicht. »Mrs Garner!« Wahrscheinlich will er was Lustiges sagen, stutzt jedoch angesichts meiner Miene.

Ich schiebe ihn mit der Hand zur Seite. »Wo ist sie?«

Brad tritt zurück und verhält sich nicht gerade so, als müsste er sich für etwas schämen. Er wirft seine Haare zurück. »Riley! Deine Tante ist hier.«

Sie kommt aus einem der hinteren Zimmer, mit einem Handtuch um den Kopf. Der Kragen ihrer Bluse ist klatschnass. Samantha folgt ihr. Beide Mädchen sehen aus, als hätten sie etwas zu verbergen. Samantha kann mir nicht mal in die Augen sehen.

Ich stöhne auf. »Wieso hast du geduscht?«

»Ich kann es erklären.« Riley hebt eine Hand. »Wegen meiner Haare.«

»Was ist damit?«

»Wir haben sie gefärbt.« Samantha tritt vor und kaut auf einem Nagel. »Es sah nicht mehr schön aus. Meine Mutter hat was gegen das Färben, also haben wir es hier gemacht.«

Riley schüttelt ihr Haar. Es fällt herab, ein Wust von Blond und Braun. Kein Schwarz mehr. Und es ist erheblich kürzer, auf Höhe der Ohrläppchen abgeschnitten. Brad sieht sie bewundernd an.

»Wir mussten sie abschneiden. Die Spitzen waren alle kaputt.« Samantha hebt ein Haarbüschel hoch, um es mir zu zeigen.

»Ihr habt also die ganze Zeit Haare gefärbt?« Ich bin nicht sicher, ob ich das glauben soll. Ich habe noch nie Haare gefärbt. Ich vermute, dass sie noch etwas anderes gemacht haben, als nur Haare zu färben. Schließlich sind sie Teenager. Brad scheint mir kein Junge zu sein, der sich mit Haarefärben zufriedengibt. Obwohl ich in dieser Hinsicht auf keine persönliche Erfahrung mit Männern zurückgreifen kann, habe ich es doch oft genug in meiner Klasse erlebt und natürlich auch bei meiner Schwester. Missbilligend schürze ich die Lippen, doch er lächelt nur mit reinster Unschuldsmiene.

»Wir mussten erst das Schwarz rausbleichen, um danach färben zu können.« Samantha ist stolz auf sich. »Es sind zwei Arbeitsschritte.«

»Du klingst, als würdest du etwas davon verstehen.«

Sie zuckt bescheiden mit den Schultern. »Ich mache allen meinen Freunden die Haare.«

»Mein Dad ist der Einzige, dem das Chaos im Bad egal ist«, sagt Brad.

»Verstehe.« Ich reiße meinen Blick von dem Jungen los. »Samantha, deine Mutter möchte, dass du nach Hause kommst.«

Sie erstarrt vor Schreck.

»Ja, ihr solltet eure Geschichten vielleicht besser aufeinander abstimmen, bevor ihr sie erzählt.« Ich deute mit dem Kopf auf meine Nichte. »Ich musste bei deiner Mutter anrufen, weil ich Riley gesucht habe.«

»O Scheiße«, stöhnt Samantha. Sie läuft weg und taucht mit einem Rucksack und einem Arm voller Bücher wieder auf.

»Und wie viel habt ihr gelernt?« Ich sehe Brad an, dann Riley. Sie starrt zur Wand.

Brad sieht mich an. »Müsste reichen.«

»Was haben Sie meiner Mutter gesagt?« Samantha packt etwas grob meinen Arm. Ich nehme ihre Hand weg.

»Dass ich dich abhole.«

»Bitte verraten Sie ihr nicht, wo ich war.« Samanthas Augen sind gerötet. »Bitte.«

Entschlossen weiche ich zurück. »Samantha, ich kann das nicht vor deiner Mutter verheimlichen. Komm schon. Gehen wir.«

»Sie verstehen nicht!« Sie stellt sich hinter Brad. »Sie wird mich umbringen!«

Diese Teenies. Immer so theatralisch. Ich sehe sie mir an, wie sie da hinter Brad steht, der beide Arme hebt, als wollte er sie beschützen. Auch Riley stellt sich hinter ihn, hinter Samantha. Ich frage mich, welcher Art die Beziehung der Mädchen zu Brad eigentlich ist. »Bestimmt nicht.« Zu lügen, einen Jungen zu Hause zu besuchen und ihrer Familie vor einer Lehrerin Schande zu machen wird sicher nicht gut aufgenommen. Einen Moment erweicht sich mein Herz. Dann reiße ich mich zusammen. »Gehen wir.« Ich treibe Riley und Samantha in meinen Wagen. Samantha sitzt hinten und lässt den Kopf hängen. Wie ein schwarzer Wasserfall hängen die Haare vor ihrem Gesicht.

Am Montag sehe ich, dass Brad für sich allein geht. Samantha folgt einige Schritte dahinter, dazwischen mehrere andere Schüler. Dann Riley, genauso. Sie laufen im Flur an mir vorbei, ohne aufzublicken, und gehen weiter zur angrenzenden Kirche, um an unserer monatlichen Schulmesse teilzunehmen.

Samanthas Mutter zeigte keine erkennbare Reaktion, als ich ihre Tochter bei ihr absetzte. Sie hat sich nur bei mir entschuldigt. Samantha stand mit gesenktem Blick schweigend neben ihrer Mutter.

»Ist ja nichts passiert«, sagte ich, obwohl ich sehr wohl fand, dass Riley einen Rüffel oder eine Strafe verdient hatte, weil sie gewesen war, wo sie nicht sein sollte, und länger weggeblieben war, als ich ihr erlaubt hatte. Ich ging davon aus, dass Samanthas Mutter nichts Schlimmeres tun würde als ich, und machte mich mit Riley auf den Weg.

Mir war noch immer keine angemessene Strafe für meine Nichte eingefallen. Nicht weil sie sich die Haare gefärbt hatte, sondern weil sie viel länger weggeblieben war, als sie durfte, mir nicht gesagt hatte, wo sie sich befand, und nicht auf meine Anrufe reagiert hatte. »Du bist minderjährig. Was du tust, fällt auf mich zurück«, sagte ich am nächsten Tag mehrmals zu ihr.

»Ich weiß, ich weiß«, entgegnete Riley kleinlaut.

Jetzt schiebe ich mich in eine der hinteren Holzbänke und nehme das gepolsterte Kniekissen. Die nächsten Schüler sitzen sechs Reihen vor mir, aber ich habe im Moment keine Aufsicht, und ich brauche eine Pause. Die Kirche ist ein moderner Bau aus den Sechzigern, mit Eiche und Mahagoni getäfelt, und wird sowohl von der örtlichen Gemeinde als auch von unserer Schule genutzt. Große, klare Fenster ragen wie Pyramiden in den blauen Himmel über der Kanzel auf. An den Seitenwänden, fünf Meter über den Gläubigen, wird auf winkligen Buntglasscheiben der Leidensweg Jesu dargestellt. Unbeteiligt sehe ich mir an, wie Jesus sein Kreuz trägt, alle Gesichter spitze Winkel, die Kleider kantig. Der Organist, unser Musiklehrer, spielt eine Melodie, die ich nicht erkenne.

»Entschuldige, dass ich dich das ganze Wochenende nicht zurückgerufen habe.« Mit Mühe kniet Dara in ihrem engen grünen Chinakleid mit Stehkragen und roten Seidenknöpfen in Form kleiner Frösche neben mir nieder. Den ganzen Sonntag über habe ich versucht, sie anzurufen, nach dem Fiasko mit Riley, Brad und Samantha, konnte sie aber nicht erreichen, und sie hat auch nicht zurückgerufen.

»Ich habe jetzt ein Handy. Du kannst mich jederzeit erreichen.« Ich spreche noch leiser als sie. »Wo warst du?«

Sie hebt den Blick blinzelnd zum Himmel. »Ich war mit George aus.«

Magensäure brennt in meiner Kehle, obwohl ich mich nicht erinnere, zum Frühstück etwas Falsches gegessen zu haben. Mr Morton sitzt bei den Kindern, kniet in einer Bank. Seine Haare sind frisch geschnitten, und über dem grünen Hemdkragen sehen sie ganz weich aus. Ich schlucke. »Endlich nimmst du meinen Rat an. Hast du dich denn gut amüsiert?«

»Hab ich.« Sie gestattet sich ein kleines Lächeln. Ich überlege, wie sehr sie sich wohl amüsiert hat. Meine Freundin ist nicht gerade für ihre Tugendhaftigkeit bekannt. An der Messe nimmt sie nur aus Höflichkeit der Schule gegenüber teil, nicht aus einem religiösen Bedürfnis heraus. Es hat mich nie gestört. »Wie war die Rosenschau?«

Ich blicke zu den bunten Fenstern auf. »Nicht der Rede wert.« Ich habe sie nicht angerufen, um mit ihr über die Rosenschau zu sprechen, sondern über Riley. Ich setze sie ins Bild, während wir uns erheben, weil die Prozession in die Kirche beginnt und der Priester den Gang entlangschreitet.

Sie tritt aus der Kirchenbank und winkt mir, ihr zu folgen. Ich mache einen Knicks und bekreuzige mich, als ich gehe, meine Freundin nicht.

Wir treten in den Vorraum und schließen die schweren Türen hinter uns. Dara steht vor dem Schwarzen Brett mit den Angeboten für freie Zimmer und Spritschleudern. »Richtig schlimm finde ich eigentlich nur, dass du es Samanthas Mutter gesagt hast.«

Ich keuche hörbar.

Sie hebt eine Hand. »Samantha nimmt normalerweise am freiwilligen Kunstkurs teil. Jetzt darf sie nur noch wissenschaftliche Kurse belegen. Keine sozialen Kontakte mehr. Keine Freunde. Vor allem keine männlichen Freunde.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihre Beziehung zu Brad nicht rein platonischer Natur ist.«

Dara neigt den Kopf. »Das stimmt wahrscheinlich.« Sie ist richtig aufgebracht. »Aber weißt du auch, wie sehr sie leiden muss, weil sie etwas so Harmloses getan hat, wie Riley die Haare zu färben? Wahrscheinlich darf sie das Haus nicht mehr verlassen, bis sie aufs College geht!«

»Ich bin zufällig der Ansicht, dass Samanthas Mutter davon wissen sollte. Was sie mit dieser Information anfängt, ist nicht mein Problem.«

»Das sollte es aber sein.«

»Ich manipuliere andere Menschen nicht.«

»Nein, aber du weißt, dass manche Leute nicht so toll reagieren.« Dara verschränkt die Arme.

»Darum geht es nicht. Es geht darum, dass die Mädchen gelogen haben und sich nicht an die Regeln gehalten haben.«

»Wo warst du eigentlich, als Riley weg war?« Dara läuft herum.

Ich zögere. »Ich musste mich dringend hinlegen.«

Dara dreht sich zu mir um und sieht mich an, voll Mitgefühl. »Gal. Meinst du nicht, du hast dir womöglich etwas zu viel zugemutet?«

Ich schüttle den Kopf. Unglaublich. »Ich hatte gehofft, du würdest mir sagen, wie ich Riley bestrafen soll. Dafür verwickelst du mich in eine Moraldiskussion.«

»Es steht mir nicht zu, dir das zu sagen.«

»Aber es steht dir zu, mir zu sagen, dass ich in allen anderen Fragen falschliege.« Ich lege meine Hand auf den Türgriff, um wieder in die Kirche zu gehen. Ich brauche Unterstützung, keine Kritik. Ich fühle mich wie geohrfeigt.

»Gal.« Dara lässt die Schultern hängen, macht aber keine Anstalten, auf mich zuzukommen. »Sei nicht so.«

Ich gehe rein.

Der Priester bereitet das Abendmahl vor, die Oblaten und den Wein. Leib und Blut. Ich lehne mich an die Wand, will noch nicht wieder auf meine Bank. Hat Dara recht? Hätte ich es Samanthas Mutter nicht sagen sollen? Verdient Riley keine Strafe?

Eine kleine Einschränkung müsste reichen. Eine Woche, vielleicht zwei. Keine Computerspiele, keine Streifzüge mit ihren Freunden. Riley sitzt in ihrer Klasse weit weg von Samantha. Im Grunde weit weg von allen anderen. Samantha sitzt flankiert von ihrer Prä-Riley-Clique, den Eifrigen und Unverdorbenen. Mir wird klar, dass Samantha sich nicht mehr mit Riley treffen darf, obwohl Riley meine Nichte ist und ich diejenige bin, die glänzende College-Empfehlungen schreiben könnte. Aber was blieb mir denn anderes übrig, als die Wahrheit zu sagen? Es ist nicht an mir zu entscheiden, was Samanthas Mutter erfahren darf und was nicht. Genau wie in meiner Elternsprechstunde sage ich immer beides, das Gute und das Schlechte. Ich werde nichts zurückhalten.

Ich beschließe rauszugehen und Dara zu sagen, was ich denke. Als ich die Kirchentür einen Spalt weit öffne, höre ich ihre Stimme.

»Sie kann es nicht ertragen, wenn man ihr sagt, dass sie sich irrt. Niemals. Unter keinen Umständen. Es muss immer nach ihrem Willen gehen.« Ihre Stimme klingt laut und verzweifelt. »Und man fühlt sich sowieso schon schlecht dabei, sie zu kritisieren, weil sie ja krank ist.«

Dr. O’Malleys Stimme antwortet mit grollendem Bariton. »Das sind eigentlich ganz nette Kinder. Sie haben recht. Da gibt es ganz andere Fälle.«

Ich weiche zurück, und meine Hand schließt leise die Tür. Dara ist der einzige Mensch an dieser Schule, der sich die Mühe gemacht hat, hinter meine raue Schale zu blicken, meine einzige Freundin. Dachte ich. Ich kehre in meine Kirchenbank zurück, als die Schüler eben Aufstellung nehmen, um das Abendmahl zu empfangen. Mr Morton reiht sich hinter ihnen ein, aufrecht, mit geradem Rücken. Er dreht sich zu mir um und winkt mir, mich ihm anzuschließen. Stattdessen rutsche ich von der Bank auf das Kniekissen. In meinem Kopf geht alles drunter und drüber, und meine Knie protestieren. In dieser Haltung verharre ich, bis die Kirche sich geleert hat.