Die Dogmatiker nehmen die Sätze eines Philosophen als Ausdruck einer Lehre. Die setzt bestimmte Bedingungen voraus. Sie darf z.B. keinen Widerspruch enthalten. Eine Lehre des Widerspruchs würde zum Widerspruch anregen. Das hasst der Dogmatiker. Er hat grundsätzlich keine gute Meinung vom Selbstdenken. Das hängt mit dem Modell aller Dogmatiken zusammen: der christlichen Glaubenslehre. Auf der Grundlage von unumstößlichen Wahrheiten wird ein System von Lehrinhalten entwickelt.
Vielleicht an die Adresse der Dogmatiker aus Neigung sagt Heidegger einmal, er habe »keine Etikette« für seine Philosophie, weil er nämlich »keine eigene Philosophie«[83] habe. Gewiss, der Dogmatiker könnte nun das zur Lehre erheben. Dann würde er lehren, dass es keine Lehre gibt. Er würde sich seiner eigenen Karikatur annähern. Heidegger kannte die Gefahr der Dogmatisierung seines Denkens.
Das Denken sei »das einzige Handeln«,[84] schreibt er, später, nach dem Zweiten Weltkrieg, übertreibend. Es ist kein Werk, kein Ding, nichts, worauf man Etiketten klebt. Einziges Handeln, weil das Denken sich als Spur des »Seyns« versteht. Es befinde sich in der Nähe der Quelle, die allem Handeln Sinn einflößt. Damit wird jede Bewegung des Denkens performativ, sie hat Bedeutung an sich. Gebärdensprache als Philosophie – aus der Stille entspringt Sinn.
»Keine eigene Philosophie« – will sagen: kein fixes System, keine Lehre, kein Philosophie-Ding, mit Grenzen, mit Sätzen zum Nachplappern. Vielmehr sei Denken ein »Be-wëgen«,[85] ein Wege-Ermöglichen, einfacher, Denken als – Denken. Das gerät auf Abwege, Irrwege, Holzwege, Feldwege – Heidegger’sche Topographie. Ich füge hinzu: Spazierwege, Sackgassen, Autobahnen, Datenbahnen, Flugbahnen, Blutbahnen …
Nichts für Dogmatiker, die sich auf den »heiligen Text« berufen und ihre Unfähigkeit zur Philosophie als »Wissenschaft« verkleiden. Sie blasen ihren Philosophen so lange auf, bis er platzt … Wer ist ein Philosoph? Einer, der mit Philosophen gemeinsame Sache macht, mit ihnen unter einer Decke steckt, am gleichen Strang zieht. Da gibt es dann viel zu lernen, langsam, doch mit dem Ziel, in Freiheit zu denken. »Habe Mut …«