Kapitel 4
Verwirrt, verirrt, verspätet:
»Wir wissen leider selber nicht,
wo wir sind«
Schon auf wenige Minuten Verspätung reagiert der Passagier von heute gereizt, bei über einer Stunde Verzögerung fordert er ein Viertel des Fahrpreises zurück. Solche Probleme hatte der Reisende Anfang des 19. Jahrhunderts nicht – weder Smartphone noch Globalisierung machten sein Leben hektisch. Ganz im Gegenteil: Ihn begeisterte die ungeheure Geschwindigkeit der in Deutschland gerade eingeführten Eisenbahn von 35 km/h – galt doch bis 1835 die Postkutsche mit ihren höchstens 12 km/h als schnellstes Fortbewegungsmittel.Der Aufbruch ins Bahnzeitalter rief zwar Euphorie hervor, weil er bisher ungeahnte wirtschaftliche Möglichkeiten verhieß. Zunächst wirbelte er aber auch die Begriffe von Zeit und Raum durcheinander: »Welche Veränderungen müssen jetzt eintreten in unsrer Anschauungsweise und in unsern Vorstellungen«, schrieb Heinrich Heine 1843 im französischen Exil. Durch die Eisenbahn werde der Raum getötet, »es bleibt uns nur noch die Zeit übrig«. Dem deutschen Dichter war, »als kämen die Berge und Wälder aller Länder auf Paris angerückt. Ich rieche schon den Duft der deutschen Linde; vor meiner Türe brandet die Nordsee«. Die neue Geschwindigkeit brachte die ersten Bahner in Erklärungsnöte – wie sich an den damaligen Fahrplänen ablesen lässt. Eine »Eisenbahn Karte« von 1848 gab als Entfernung zwischen Berlin und Hannover 82 Stunden an, zwischen Altona und Kiel betrug sie 28 Stunden und von Köln nach Ostende 90 Stunden. Doch mit Fahrzeit hatten diese Angaben nichts zu tun – wie damals üblich, war die Wegstrecke in Gehzeit angegeben. Als eine »Stunde« galt noch jene Entfernung, die ein normal schneller Wanderer in einer Zeitstunde zurücklegen konnte, also vier bis fünf Kilometer. Die Karte gab Hilfestellung für die Umrechnung: »8 Stunden Entfernung sind im Durchschnitt einer Stunde Fahrzeit zu vergleichen.«
Solche Verwirrungen sind heutzutage längst passé. Würde man Heinrich Heine in einen ICE beamen können, er wäre von Berlin aus in einer Stunde und 39 Minuten in Hannover. Von Köln bis ins belgische Ostende an der Nordsee brauchte er kaum mehr als dreieinhalb Stunden. Würde es aber mal länger dauern – vielleicht würde auch Heine ein Fahrgastrechte-Formular der Deutschen Bahn ausfüllen und sich über die verlorene Zeit beschweren.
Vor einiger Zeit fuhr ich mit dem ICE von Stuttgart nach Hamburg, als der Zug kurz hinter Mannheim stehen blieb. Der Zugführer sagte, dass wir jetzt auf Sicht im Schritttempo an einer Gefahrenstelle vorbeifahren würden. Und wenig später: »Liebe Reisende, links von Ihnen sehen Sie jetzt den liegengebliebenen ICE, der schuld an unserer Verspätung ist. Böser ICE!«
Martina Boll, Stuttgart
Auf der Fahrt von Hannover Richtung München vergaß der Lokführer des ICE einfach mal, im Bahnhof Göttingen zu halten. Kurz darauf kam der Schaffner durch das Großraumabteil und fragte laut: »Noch jemand in Göttingen zugestiegen?«
Olaf Eisenberg, Wehretal
In der Nacht auf dem Weg von Bielefeld zum Flughafen Köln/Bonn: Kurz hinter Köln Hauptbahnhof hielt der ICE auf freier Strecke, dann rannte ein Bahnmitarbeiter aufgeregt durch den Zug. Schließlich kam die verblüffende Durchsage: »Der ICE hat sich verfahren.« Ob es an der Dunkelheit lag? Erst fuhr er ein paar Minuten rückwärts, dann wieder vorwärts. Mit eineinhalbstündiger Verspätung kam er am Flughafen-Bahnhof an. Der Zugbegleiter wollte sich vor Lachen ausschütten. Meinen Flieger habe ich aber noch erreicht.
Peter Allgöwer, Bielefeld
Eines Morgens im verspäteten Regionalexpress von Treysa nach Frankfurt sagte die Zugbegleiterin: »Der Zug hat zurzeit eine Verspätung von circa zwölf Minuten, da der Zugführer verspätet eingetroffen ist.« Keine Minute später folgende Lautsprecherdurchsage: »Hier spricht der Zugführer. Ich glaube, ich muss da mal was geraderücken. Um 5 Uhr heute Morgen bin ich mit dem Taxi von Frankfurt nach Treysa gefahren, um diesen Zug von einem plötzlich erkrankten Kollegen zu übernehmen. Schneller ging es nicht. An mir liegt es also nicht.« Daraufhin war laut die Stimme der Zugbegleiterin im Flur zu hören: »So war das doch gar nicht gemeint!«
Albrecht Schlottner, Marburg
Auf einer Zugfahrt von Frankfurt nach Hamburg sagte der Schaffner: »Sehr geehrte Damen und Herren, abweichend von unserem Fahrplan werden wir Hamburg voraussichtlich zwanzig Minuten früher erreichen. Bitte informieren Sie Ihre Angehörigen darüber.« Da kam Angst auf.
Ilja Pavkovic, Berlin
Ansage im – normalerweise verspäteten – RE 1 von Hamm nach Aachen: »Sehr geehrte Damen und Herren, wir erreichen in wenigen Minuten unseren Zielbahnhof Aachen Hauptbahnhof. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass wir pünktlich sind. Wenn Sie wollen, können Sie applaudieren.«
Christoph Lenssen, Aachen
Durchsage des Lokführers in der S-Bahn (mit kölschem Akzent): »Dat iss jetz peinlisch. Dat iss mir auch noch nie passiert. Aber isch bin jrad an Lövenich (S-Bahn-Haltepunkt) vorbeijefahren.«
Arnd Tüffers, Mettmann
Beim Einfahren in den Stuttgarter Hauptbahnhof hatte mein Zug über eine Stunde Verspätung. Es war früher Abend, und die meisten Passagiere waren müde Pendler, die nach Hause wollten. Der Zugbegleiter wollte gerade ansetzen, wie üblich die Verbindungen in Stuttgart durchzusagen, als er tief durchatmete, sein Hochdeutsch vergaß und meinte: »Also, Ihre Oaschlussziag, wisset se was, die kennet se älle vergessa!« Das war wunderbar wohltuend und ehrlich!
Jochen Weber, São Paulo, Brasilien
An einem Freitagnachmittag – die Leute starteten alle freudig ins Wochenende – stoppte der ICE kurz nach der Ausfahrt aus dem Frankfurter Bahnhof. Das Bahnpersonal informierte die Fahrgäste: »Eine Frau befindet sich direkt vor unserem Zug und will nicht aus dem Weg gehen. Die Bundespolizei ist informiert.« Nach einer Stunde ging es endlich weiter, und der Schaffner sagte durch: »Wer jetzt die Frau sehen möchte, muss aus dem Fenster auf der linken Seite sehen. Sie ist jetzt auf Wagenhöhe Nummer 5 … Nummer 6 …« Und so weiter. Die Passagiere lachten. Zur Belohnung gab es für alle noch im Bordbistro ein Getränk auf Kosten der Bahn. Geht doch!
Christoph Knigge
Morgens um 8 Uhr im vollbesetzten ICE von Köln Hauptbahnhof nach Hannover: Nach ein paar Minuten wurde der Zug immer langsamer, und mir war die Umgebung nicht mehr bekannt, obwohl ich die Strecke oft fahre. Kurz darauf hielt der ICE, und der Fahrer ging im Kies neben dem Zug nach hinten. Dann kam die Durchsage, dass man aus Versehen in den Güterumladebereich gefahren sei. Jetzt sei nicht ganz klar, wie man denn hier wieder herauskomme. Ungläubiges Staunen, Kopfschütteln und Gelächter bei den Fahrgästen. Nach circa zehn Minuten fuhr der Zug in die entgegengesetzte Richtung. Es wurde angesagt, dass man jetzt den Weg gefunden habe und darum bitte, die Verzögerung zu entschuldigen.
Magnus Thurn, Hürth
Ein Zug raste ungebremst durch einen kleinen Bahnhof zwischen Bremen und Bremerhaven. Die Wartenden am Bahnsteig beobachteten, wie er in weiter Ferne zum Halten kam. Eine Viertelstunde lang sahen sie nur die Rücklichter. Schließlich setzte sich der Zug wieder in Bewegung und fuhr langsam rückwärts ein. Aus der Tür des hintersten Waggons schaute der Zugbegleiter heraus, er wies den Lokführer an. Er grinste von einem Ohr zum anderen und rief den applaudierenden Leuten zu: »Nicht lachen, nicht lachen! Der ist noch ganz neu!«
Ingo Lübken
Wir saßen im IC auf der Fahrt durchs Münsterland, als der Zug auf freier Strecke stehen blieb. Ich hörte in Gedanken schon die Standardansage, die so etwas mit Verzögerungen im Betriebsablauf begründet. Doch es kam: »Die Weiterfahrt verzögert sich, weil … da sind … es ist eine Schafherde auf den Schienen. Der Bundesgrenzschutz ist informiert.« Alles lachte. Der Zug stand fast eine Stunde lang, und wir lauschten den Kommentaren des Zugchefs, der offensichtlich auch seinen Spaß hatte: »Der Grenzschutz ist da. Ich sehe sie.« – »Sie versuchen, die Schafe einzufangen.« – »Es sind nur noch wenige auf den Schienen.« Schließlich waren alle Tiere in Sicherheit, und auch mein Kollege war nicht allzu schlecht gelaunt, obwohl er seinen Anschlusszug verpasste.
Sigrun Friederike Priemer, Hamburg
Auf einer Zugfahrt im ICE-Sprinter von Berlin nach Stuttgart kam es zu einem ungeplanten Halt in Kassel. Kurz darauf hörten wir die Durchsage: »Der Lokführer wurde ausgetauscht. Da sich der zugestiegene Lokführer im Streckennetz nicht auskennt, muss die Fahrgeschwindigkeit deutlich reduziert werden.« Nach gemächlicher Fahrt und mit einer Stunde Verspätung erreichten wir Frankfurt, und da zeigte sich die Unkenntnis deutlich: Der Fahrer irrte rund eine halbe Stunde durch sämtliche Stadtteile Frankfurts, bis er endlich den Hauptbahnhof gefunden hatte.
Inga Warncke, Hamburg
Nachts auf der Fahrt von Hannover nach München Hauptbahnhof: »Meine Damen und Herren, in Kürze erreichen wir München-Pasing.« Kurz darauf hielt der Zug an. Nach fünf Minuten folgte die Durchsage: »Meine Damen und Herren, wir sind außerplanmäßig zum Stehen gekommen, es geht in wenigen Minuten weiter.« Nach kurzer Zeit: »Meine Damen und Herren, es ist doch schon recht dunkel hier vorne, wir befinden uns in München-Pasing. Ich bitte alle Passagiere, die hier aussteigen möchten, dies nun zu tun.« Kommentar meines Sitznachbarn: »Gut, dass der ICE automatisch hält, wenn die Zugführer hier schon die Bahnhöfe verschlafen.«
Benjamin Winkler, Goslar
In der Regionalbahn von Wuppertal nach Bonn: »Aufgrund einer vollkommen unsinnigen wie auch überflüssigen Zugüberholung werden wir erst in zehn Minuten nach Köln Hauptbahnhof weiterfahren können.«
Arnd Tüffers, Mettmann
Beim Verlassen des Leipziger Hauptbahnhofes fuhr mein ICE in einen Tunnel, wurde langsamer und blieb schließlich mitten in der Röhre stehen. Einige Minuten später lief ein sichtlich verwirrter Zugbegleiter durch die Waggons. Die noch gutgelaunten Fahrgäste störten sich wenig daran. Nach etwa fünf Minuten kam eine Durchsage, bei der der Schaffner sich kaum das Lachen verkneifen konnte: »Meine Damen und Herren, es tut mir sehr leid, aber wir haben uns offensichtlich verfahren. In diesem Tunnel haben wir keinen Strom und können deshalb nicht weiter. Eine Rangierlokomotive ist unterwegs, um uns aus dem Tunnel zu schleppen. Das wird aber mindestens eine halbe Stunde dauern.«
Während die verwirrten Fahrgäste über diese Ansage grübelten, folgte eine zweite: »Da wir keinen Strom haben, müssen wir jetzt leider das Licht ausschalten.« Mit Notbeleuchtung, Kaltgetränken gratis aus dem Bistro und trotz allem guter Laune warteten wir auf die Weiterfahrt, die dann eine Dreiviertelstunde später begann.
Markus Meichau, Erfurt
Durchsage in der Berliner S-Bahn: »Sehr geehrte Fahrgäste, da sich auf unserer Fahrstrecke Kinder befinden und es uns leider gesetzlich verboten ist, diese zu überfahren, bitten wir Sie, die Verzögerung zu entschuldigen.«
Frank Eichholz, Mössingen
Ich war mit einer Regionalbahn von Bonn nach Rheinbach unterwegs, hinter Duisdorf hielt der Zug auf freier Strecke an. Die Durchsage: »Ein Selbstmörder, der auf einer Brücke steht, blockiert uns die Weiterfahrt. Wir bitten um Geduld.« Nach circa zehn Minuten: »Wir können nun weiterfahren, das Pro-blem hat sich erledigt.« Ob der schwarze Humor Absicht war oder nicht, weiß ich nicht – im Abteil rief die Durchsage jedenfalls einige Belustigung hervor.
Michael Tautz, Köln
Die S-Bahn nach Wuppertal hatte bereits in Düsseldorf über 25 Minuten Verspätung. Dann musste die Bahn einige Male warten und wichtigere Züge vorbeilassen, was uns der Lokführer pflichtschuldig mitteilte. Seine Laune war hörbar mies. Kurz vorm Ziel ein erneuter Stopp und die Durchsage: »Also, das glaube ich jetzt nicht! Man hat mir gerade mitgeteilt, dass ich ohne Halt im Wuppertaler Hauptbahnhof bis nach Hagen durchfahren soll. Das mache ich nicht! Ich halte da. Liebe Fahrgäste, der nächste Halt ist Wuppertal Hauptbahnhof!«
Katja Denker, Wuppertal
Ansage in der S-Bahn Stuttgart nach einem außerplanmäßigen Halt in einem Tunnel: »Meine Damen und Herren! Wir fahren die übliche Drei-Minuten-Verspätung ein. Dafür gibt es keine Entschuldigung!«
Otto Mildt, Nordheim
An einem Sonntag im Zug von Hannover nach Frankfurt: »Hier spricht Ihr Lokführer. Ich habe eine Information für den Fahrgast im blauen Hemd, der mir eben in Göttingen so demonstrativ die Uhr gezeigt hat. Erstens habe ich hier vorne ebenfalls funktionierende Zeitmesser, die mir die richtige Zeit anzeigen. Zweitens weiß ich auch, dass wir eine Verspätung haben, und Sie können mir glauben, dass dies nicht mit Absicht geschieht. Zum Abschluss für alle Fahrgäste und besonders für den Herrn im blauen Hemd: Wir werden Kassel-Wilhelmshöhe mit einer Verspätung von nur noch zwei Minuten erreichen.« Das hat für sehr viel Erheiterung gesorgt.
Stephanie Gwiasda, Meppen
Die Fahrt mit dem Nachtzug sollte am Donnerstagmorgen um 0.31 Uhr vom Hamburger Hauptbahnhof losgehen, Ankunft in Köln war um 6.14 Uhr geplant. Von dort aus wollte ich weiter nach Trier zu meiner Freundin. Der Zug kam schon mit über eineinhalb Stunden Verspätung in Hamburg an: Ein todessehnsüchtiger Mensch befand sich auf dem Bahnhofsdach, das gerade wegen Bauarbeiten teilweise mit Planen abgedeckt war – direkt über dem Gleis 14, auf dem mein Zug halten sollte. Der Bahnsteig wurde von der Polizei abgesperrt, die Feuerwehr rückte an. Es wurde sogar ein riesiges weißes Kissen herangekarrt, mit dem der Selbstmörder im Falle eines Sprunges aufgefangen werden sollte.
Schließlich fuhr der Zug gegen 2 Uhr morgens auf Gleis 8 ein, und wir konnten endlich einsteigen. Als ich um 5 Uhr wach wurde, wunderte ich mich beim Blick aus dem Fenster über das Schild »Hannover Hauptbahnhof«. Selbst mit der Verspätung hätten wir eigentlich schon viel weiter südlich sein müssen. Ich berechnete die Zeit, zu der wir ungefähr in Köln ankommen sollten, und schlief wieder ein.
Als ich das nächste Mal die Augen öffnete, wunderte ich mich über die gelben Nummernschilder der Autos. Nächster Halt war: Arnheim, Niederlande. Nanu, seit wann fährt der Zug so einen Umweg? Ich ging also zum Schaffner und fragte ihn, wann wir in Köln ankämen. Er schaute mich ganz verdutzt an und sagte, Köln liege schon zwei Stunden hinter uns. Blankes Entsetzen, hatte ich etwa tatsächlich verpennt? Doch ein zweiter Schaffner klärte auf: Der Zug hätte insgesamt so viel Verspätung gehabt, dass er das Ruhrgebiet und Köln einfach übersprungen habe und bei Hamm nach Amsterdam abgebogen sei. Die nächste Haltestelle sei Utrecht. Dort würde er auch aussteigen, und ich könne mit ihm umsonst im ICE zurück nach Köln fahren. Die Bestätigung über die Verspätung solle ich mir in Köln am Service-Point besorgen.
In Utrecht stieg ich in den ICE nach Köln. Dessen Zugbegleiter versuchte ich zu erklären, warum ich kein Ticket hatte. Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich, er glaubte mir kein Wort. Zum Glück kam dann der Schaffner aus dem Nachtzug und sagte, das ginge schon in Ordnung. Kurz vor Köln hatte dieser ICE einen Schaden und musste in Leverkusen halten. Wir mussten eine Viertelstunde auf den nächsten Zug warten. Gegen 16 Uhr war ich endlich in Köln. Am Service-Point wollte die hübsche Bahnmitarbeiterin nichts von einem außer Kontrolle geratenen Nachtzug wissen, der in die Niederlande ausgebüxt war. Sie glaubte mir die Geschichte nicht und merkte spitzfindig an, dass ich viel zu entspannt wirkte für die Odyssee, die ich hinter mir hätte. Die Wahrheit war: Die Bahn hatte mich schon so weich gekocht, dass ich alles mit stoischem Gleichmut geschehen ließ. Was blieb mir denn übrig? Sie verweigerte mir den Verspätungsstempel. Ich insistierte, dass das doch irgendwo notiert sein müsse, dass der Zug nach Köln nicht in Köln gehalten hatte. Schließlich sagte ihr Kollege, der neben ihr saß: »Guck, da isser doch!« Statt um 10.15 Uhr kam ich irgendwann gegen 20 Uhr in Trier an. Am nächsten Morgen holte ich am Service-Schalter die 22 Euro für die zehnstündige Verspätung ab – ab zwei Stunden kriegt man nämlich die Hälfte des Fahrpreises erstattet.
Stefan Vukusic, Hamburg
Im voll besetzten ICE International von Brüssel nach Köln am Freitagabend: Kurz nach der Weiterfahrt vom Bahnhof Lüttich blieben wir auf freier Strecke stehen. Der Zug hätte sich leider verfahren, sagte der Zugführer durch, eine Weiche sei wohl falsch gestellt worden. In Kürze werde man zurücksetzen, um auf die eigentliche Strecke zurückzukehren. Nach dieser bei den Fahrgästen schon für Erheiterung sorgenden Nachricht fuhr der Zug mit rund vierzig Minuten Verspätung in Aachen ein. Dort versuchten die Bahnangestellten – hörbar bemüht, den richtigen Ton zu treffen – uns zu vermitteln, dass man nun leider aufgrund von Dienstvorschriften auch noch eine halbstündige Pause für das Personal einlegen müsse.
Marian Schreier, Brüssel
Über Ostern im Zug von Frankfurt nach Berlin betrug die aktuelle Verspätung nach zahlreichen Umleitungen wegen Bauarbeiten und ausgefallenen Zügen schon 25 Minuten.
Reisender zum Zugbegleiter: »Wie ist denn das mit der Entschädigung bei Verspätung?«
Zugbegleiter: »Die gibt’s erst ab einer Stunde.«
Reisender nickt.
Zugbegleiter (schaut auf die Uhr): »Aber das schaffen wir heute bestimmt noch.«
Auch der Rest des Abteils freute sich sehr über dieses erklärte »Ziel« des Zugbegleiters.
Claudia Sikorski, Leipzig
»In Kürze erreichen wir München Hauptbahnhof. Der Zug endet hier. Bitte alle Fahrgäste aussteigen. Leider haben wir drei Minuten Verspätung auf Grund des nicht optimalen Einstiegverhaltens der Fahrgäste.«
Svenja Koch, Hildesheim
Auf der Strecke von Köln nach Frankfurt, genau zum Fahrplanwechsel im Herbst: Wie immer am Sonntagabend gegen 21 Uhr war der letzte ICE nach Bonn voll mit Bundeswehrsoldaten, die noch vor dem Zapfenstreich in der Siegburger Kaserne sein mussten. Ich hatte es mir im Bordbistro gemütlich gemacht und unterhielt mich mit der Zugchefin, als wir in Bonn aus dem Fenster sahen und feststellten, dass wir gerade mit circa 180 km/h durch den Bahnhof rauschten. Sofort füllte sich das Bistro mit Soldaten, die sich beschwerten. Hektisch telefonierte die Zugchefin mit dem Lokführer, der dann in einer Durchsage zugab, fälschlicherweise nach dem »alten« Fahrplan zu fahren. Heiterkeit bei vielen Mitreisenden, Frust bei den Soldaten. Der Zug hielt dann außerplanmäßig in Montabaur, von wo die Soldaten mit einer Regionalbahn zurück nach Bonn mussten – sie hatten keine Chance, noch pünktlich in der Kaserne zu sein.
Dafür stieg – obwohl am späten Sonntagabend kein ICE mehr in Montabaur hätte halten sollen – ein älteres Ehepaar samt Koffer auf dem Weg zum Frankfurter Flughafen ein, seelenruhig und als wäre nichts Außergewöhnliches passiert.
David Löhring, Düsseldorf
Die komplette Bahnstrecke zwischen Hamm und Bielefeld war gesperrt, weil ein Lkw auf die Schienen gestürzt war. Mein ICE fuhr daher von Hamm über Münster und dann Richtung Minden zurück auf die normale Trasse – im Bummelzugtempo mitten durch die Felder. Auf die Verspätung schaute schon längst niemand mehr. Irgendwann kam dann die Durchsage: »Meine Damen und Herren, ich würde Ihnen nur zu gern sagen, wo wir gerade sind oder wann wir am Bahnhof Hannover ankommen. Aber um ehrlich zu sein: Wir wissen es selbst nicht. Darum schauen Sie einfach aus dem Fenster und genießen Sie die schöne Landschaft.«
Matthias Hovestadt, Paderborn
In Schwabach fuhr die Regionalbahn auf einem Gleis ohne Bahnsteig ein – genau zwischen zwei Haltegleisen. Dann kam die Durchsage: »Mist, wir sind auf dem falschen Gleis eingefahren. Wir setzen jetzt zurück.« Nach circa zehn Minuten des Zurücksetzens kam dann in bestem Fränkisch: »So, jetzt probier mer’s noch emol.« Dann konnten wir mit rund zwanzig Minuten Verspätung auch endlich umsteigen und weiterfahren.
Martin Karch, Nürnberg
Durchsage eines frustrierten Lokführers in einer Regionalbahn direkt nach der Abfahrt vom Kölner Hauptbahnhof: »Unsere Weiterfahrt wird sich noch etwas verzögern. Der wichtige ICE muss nämlich dringend auf den Abstellbahnhof. Wir haben ja schon Verspätung, ich könnt’ k…« (Hier stellte er das Mikro ab, aber jeder konnte sich das Wort mit »k« denken.) Etwas später, zwischen Brühl und Sechtem: »Na toll, wir müssen jetzt noch etwas langsam fahren, da vor uns noch ein Zug fährt. Vielen Dank an die DB Netz, wir wurden offenbar heute zum unwichtigsten Zug Deutschlands degradiert.« Noch ein wenig später: »Nächster Halt Roisdorf. Ausstieg diesmal in Fahrtrichtung rechts. Das bedeutet wohl, dass wir von noch einem verspäteten ICE überholt werden. Dabei haben wir eh schon Verspätung durch eine ICE-Überholung. Ich bin begeistert – Sie wahrscheinlich auch.« Die Ansagen haben uns auf der stockenden Fahrt zumindest ein bisschen aufgeheitert.
Frank Sagurna
Durchsage im Regionalzug von Köln nach Bonn: »Wir haben jetzt zwei Minuten Verspätung wegen des Blödmanns, der so lange in der Tür gestanden hat. Nicht, dass hinterher wieder die Bahn schuld ist!«
Kai-Uwe Henker, Köln
Am Stuttgarter Bahnhof stieg ich in meinen Zug, der hier eingesetzt wurde und schon bereitstand. Da ich in Mannheim nur wenige Minuten zum Umsteigen hatte, war ich nervös und schaute ständig auf die Uhr. Die Abfahrtszeit verstrich – nichts passierte. Nach weiteren fünf Minuten fuhr der Zug endlich los. Kurz darauf ertönte die Stimme der Schaffnerin, hörbar außer Atem. »Entschuldigen Sie unsere verspätete Abfahrt, aber das Zugbegleitpersonal kam mit der Bahn …« – Gelächter bei einigen Reisenden – »… die verspätet aus Singen kam.«
Johannes Steinebrei, Waldfischbach
Ansage im ICE von Hamburg nach Köln: »Sehr geehrte Reisende! Wir haben eine derzeitige Fahrplan-Situation von 38 Minuten. Gemeinsam mit Ihnen stellen wir uns dieser Herausforderung.«
Anne Hutmacher, Hamburg
Der Halt des Zuges von Frankfurt nach Heidelberg dauerte im Hauptbahnhof Darmstadt länger als gewöhnlich. Die erklärende Durchsage: »Sehr geehrte Reisende, die Weiterfahrt dieser Regionalbahn wird sich noch um wenige Minuten verzögern …« Man konnte im Abteil hören, wie einige Fahrgäste schon Luft holten, um Hasstiraden loszulassen. Dann ging es weiter: »… da unser Lokführer Durchfall hat und sich noch auf der Toilette befindet.« Schallendes Gelächter im Abteil, über die entstandene Verspätung kam kein böses Wort mehr. Vielmehr wurden Freunde angerufen und vom Leid des Lokführers in Kenntnis gesetzt. Lediglich ein Zweifler war zu hören, der sich fragte, wie sich die Verspätung auf den nächsten Stopps wohl noch entwickeln würde.
Jochen Bestgen, Darmstadt
Der ICE von Hamburg nach Dortmund fuhr in Bremen nicht mehr weiter. Dort kam die Ansage: »Die Weiterfahrt verzögert sich um einige Minuten, da der Lokführer fehlt.« Etwa zehn Minuten später sah man einen Mann in Bahnuniform mit Aktentasche und Kaffee im Pappbecher Richtung Lok rennen. Dann die Durchsage mit atemloser Stimme: »Ich bin dann jetzt da, wir fahren weiter. Nächster Halt ist Osnabrück, dort haben Sie keinen Anschluss mehr an folgende Züge …« Danach zählte er hörbar amüsiert mehrere Verbindungen auf, die nicht mehr zu erreichen seien. Außer ihm fand das aber wohl niemand lustig.
Julia Fischer, Hamburg
»Der Zug wird sich wegen des schlechten Betriebszustandes der Wagen um etwa zehn Minuten verspäten.«
Svenja Koch, Hildesheim
Eine Glosse über die Deutsche Bahn kann gelinde gesagt als problematische Textgattung bezeichnet werden, denn vieles ist einfach Realsatire. Und doch! Als Kennerin des absurden Theaters kann ich der Bahn nur sagen: Hut ab! Ich weiß nicht, ob die Geschichte wahr ist, dass einem Bahnkunden gesagt wurde, der ICE 123 sei verspätet, weil Laub auf den Schienen gelegen habe. Ich weiß nicht, ob wahr ist, dass ein Kind von Freunden während einer »Signalstörung« im EC 456 nach Köln entstand. Neulich aber hatte die Bundesbahn Event-Charakter, wie ihn Regisseur Claus Peymann auch nicht besser hätte inszenieren können – großes Theater!
Ich will mit dem ICE von Göttingen nach Freiburg fahren, erfahre aber schon am Bahnhof, dass er wegen einer »Notbremsung« »auf unbestimmte Zeit verspätet« sei. 15 Minuten später trifft er ein. Schon in Frankfurt hat er eine Stunde Verspätung, die Begründung: »Der Zug hat nur noch ein Triebwerk« und »Signalstörung«. In Mannheim ist der Grund der Verspätung »Aufnahme anderer Reisender aus verspätetem ICE«. Dann endlich, etwa 80 Minuten zu spät und kurz vor Freiburg, kommt die Durchsage, dass es einen »Personenschaden« gegeben habe, daher verschiebe sich die Weiterfahrt »auf unbestimmte Zeit«. Ich habe seit Tagen meinen Liebsten nicht mehr gesehen und bin mit ihm in einem romantischen Lokal verabredet. Nun erwäge ich kurz, das Fenster einzuschlagen und zu Fuß nach Freiburg zu laufen, kann aber von verantwortungsbewussten Reisenden davon abgehalten werden. Die Bar wird freigegeben, ich beschließe, mich auf Kosten der Bahn zu betrinken, erfahre aber, dass nur Cola, Wasser und Kaffee frei sind. Da bleibe ich lieber nüchtern.
Der Zug fährt wieder an mit der Durchsage: »Wir halten in Denzlingen, dort wird so bald wie möglich Schienenersatzverkehr eingesetzt.« Zunächst hält der Zug jedoch in Emmendingen. Dem Lokführer scheint das nicht klar zu sein: »Hier ist Denzlingen, bitte alle aussteigen.« Alle steigen aus, bis auf mich, die sowohl Denzlingen als auch Emmendingen kennt und auch auseinanderhalten kann. Dann kommt eine Durchsage im mittlerweile leeren Zug: »Äh, hier ist Emmendingen, bitte alle wieder einsteigen.«
Draußen auf dem schwach beleuchteten Bahnsteig versuchen die wenigen Zugbegleiter, Menschenmassen mit Kind, Kegel, Koffern und Tüten wieder einzufangen und in den Zug zurückzubugsieren. Dabei kriegen sie aber leider nicht mehr alle Türen auf. Kleinere Tumulte und viele engagiert geführte Diskussionen folgen. Ich sitze allein im Abteil und erwäge, mir mit der Nagelfeile einen Fluchtweg durch die Zugwand zu sägen.
Als alle Passagiere wieder drin sind (gefühlte Dauer: eine Stunde), fährt der Zug die paar Meter bis Denzlingen; es kommt die Durchsage: »Äh, das ist jetzt also Denzlingen, bitte alle aussteigen … also die, die nach Freiburg wollen, alle anderen verbleiben bitte im Zug.« Am Bahnsteig steht übermüdet mein leicht konsternierter Liebster, der sich inzwischen entschlossen hat, mich dort abzuholen. Wir gehen händchenhaltend am Denzlinger Bahnschalter vorbei, an dem ein hübsches Plakat hängt: »Auskünfte ohne Fahrkartenkauf: 2 Euro«. Es gibt zu Hause Spiegelei und Tee, und das ist auch irgendwie romantisch.
Susanne Bach, Freiburg