„Was müssen wir richtigstellen … “

„Das da! Steht ja in der Abendausgabe: ‚In der Wohnung des Toten wurde ein Kuvert mit Heroin gefunden.’“

„Heroin? Das war Koks! Dieser Scheiß-Charly! Koks! Hab ich ihm doch extra gesagt am Handy … “

„Du hast dem Schmierfinken … “

„Wisst ihr, wie lästig der sein kann?!“

„Weiß das der Chef, Kuzmany?“

„Nöö. Und er sollte es auch nicht erfahren, bitte, Kollegen!“

„Jedenfalls war das kein Kokain, das war weißer Sand!“

„Ein mieser Typ aber ein guter Fotograf. Oder?“

„Echt. Ist ja fast ein Kunstwerk. Wahnsinn. Lauter Bücher und die nackten Beine einer Leiche. Kann ich bitte mal die Lupe haben?“

„Stehst du auf Leichenbeine, Kuzmany?“

„Da, dieses Buch! Da steht: ‚Martin Klinger: Der Bücherna … ’

Mehr kann man nicht lesen. Das hat wohl er selber geschrieben. Hol ich mir morgen, vielleicht bringt uns das weiter. Feiner weißer Sand? Warum? Woher? Wieso füllt jemand weißen Sand in ein Kuvert und schreibt auf den Umschlag ein K drauf?“

„Tja, Kuzmany, das ist euer Fall. Vielleicht weiß der Oberinspektor schon mehr, undercover und so.“

„Hallo? Ach, du bist es. … Ja, ich musste noch kurz ins Büro … nein, bin ich nicht. Ehrlich … du hast den Wein allein ausgetrunken … fang nicht schon wieder damit an … nein, wie oft soll ich noch. Gut dann komm ich nicht. Ich muss sowieso Schluss machen.“

„Ärger, Frau Kollegin?“

„Geht euch einen Scheißdreck an!“

Herzchen, Herzchen, du erbarmst mir. Hier spricht meine vierte Franse. Deine Kollegen sind alte Rüpel, deine Tussie ist eine Nervensäge. Das K heißt Konstanze. War eine Jugendliebe. Den Sand hat sie mir aus Tunesien mitgebracht. Ach, die Liebe, Liebe, Liebe, Liebe, die macht viel Spaß. War einmal. War einmal schön. Konstanze, weggeflutscht, aus den Augen, in die Sinnkrise. Kein Foto in meinem Resthirn. Sie muss schön gewesen sein. Das K-Kuvert hab ich sogar in Berlin mitgehabt. Sentimental journey. Ach, Herzmany, weinst du wegen mir oder wegen ihr. Ob du mein Buch noch findest? Ist ja alles drunter und drüber, seit mich die Burschen aus dem Trümmerberg gezogen haben. Jetzt willst du auch noch wissen, was die kleine K. in Tunesien gemacht hat, wo sie sich im Moment befindet und ob sie dir weiterhelfen kann in meiner Sache. Keine Ahnung.

Herzmany, ich schreib dir eine Widmung ins Buch. Du musst die Seite bloß in der Heiligen Nacht unters UV-Licht halten. So dreieinhalb Strophen lang. Vielleicht rieselt dir dann mein Name in den Schnee oder ins Dekolleté. Oder knapp daneben. Finster war’s, der Mond schien helle. Ich wäre jetzt gern bei der Sonja, einfach so. Aber da ist kein Anschluss unter dieser Hirnakrobatik. Ist sie mir abhanden gekommen, bin ich ihr abhanden gekommen? Man stirbt nicht, wenn man in den Herzen der Menschen weiterlebt, die man verlässt. Ja, ja. Danke vielmals. Oft gesagt. In welchen Herzen lebe ich weiter? Die Rührseligkeit überrascht mich. Ich hab mich vor jeder Abschiedsrede abgehärtet wie ein Klitschko-Bruder. Hab mir die bevorstehenden Trauerlieder ein Dutzend Mal angehört, bloß um cool zu sein, auf meinem Pultplatz neben dem Blumensarg. Um keine Träne zu verschütten. Ich bin ein harter Knochen. Ein Vollprofi. Und jetzt würde ich am liebsten heulen wegen schmählicher Verachtung, boshafter Verleumdung, herzlosen Vergessens, so milimeterknapp nach meinem Tod. Sonja, hab ich dich geliebt? Wenn nicht, auch gut. Schedskojedno!

Nichts, nichts, nichts.

Unwichtig.

Klebt mir der Daumen am Gaumen?

Die Zunge ist von einem Hecht?

Ich liege jetzt wohl in einem Kühlfach, Schließkiste, wie mein Schüssel damals im Tiefkühler im Hotel. Ist das die Gerichtsmedizin? Belanglos. Alles belanglos. Tausendmal im Fernsehen gesehen. Erst die Mumie, dann der Klinger. Frau Dr. Taschner, das Blind Date hab ich mir irgendwie galanter vorgestellt. Hab ich ein Namensschildchen an meiner großen Zehe? Klinger Martin, 61, berühmter Schriftsteller a. D., Genickbruch?

„Frau Doktor, der Genickbruch ist da!“

„Der muss bis morgen warten. Gute Nacht!“

Gute Nacht, Frau Doktor, gute Nacht! J’attendrai. Ich werde warten bis zur letzten Hundertstelsekunde.

Aha! Atmosphärische Tänzelei! Ohne Anklopfen. Da muss jemand das polizeiliche Siegel aufgebrochen haben. Jetzt wird’s fidel. Dafür kommst du ins Kittchen, Veronika Klinger. Und du auch, Wolf! Der Faden ist nicht durchschnitten. Warum soll ich nicht mehr in euren Gedanken sein, bloß weil ich nicht mehr in euerm Blickfeld bin? Guter Schlusstext. Aber nicht für mich. Mir genügt mein Souflaki-Gedicht, unbekannterweise. Und dann „Heile, heile, Gänsje“ mit Publikumsgesang.

Veronika, Wolfshund, ihr billigen Gauner, Bonney und Clayderman! Du halbseidene Halbschwester, du so genannter Freund! Da sagt diese Assel, sie fährt nach Linz heim, alibimäßig, er tut auch so, als sei sie abgedüst für immer … und in Wirklichkeit knacken sie das Schloss und dringen in eine wildfremde, nämlich meine Heimstatt ein! Ich bin das Fädchen und ihr seht mich nicht. Das ist eine Komödiensituation! Ihr habt natürlich Handschuhe an, Miststücke! Die Kuzmany wird Augen machen, morgen früh, wenn sie mein von mir telepathetisch mit einer Widmung beschnörkseltes Buch „Der Büchernarr“ holen will. Was sucht ihr überhaupt? Meine Sparbücher? Kleiner Scherz. Ich hab von der Hand in den Darm gelebt, zuletzt. Mit gelegentlichen Ausflügen in die fantastische Welt der Frau Annemarie und ihrem Anhängsel, dem Café.

„Vielleicht hat er in den Büchern was versteckt!“

„Glaubst du?“

„Möglich wär’s. Obwohl, eine arme Sau wie er … “

„Vorhänge zu! Ran an die Bücher! Hast du die Taschenlampen mit?“

„Hey, du kennst dich ja gut aus, Veronika!“

„Ich denke nur logisch. Okay. Bücher am Einbanddeckel nehmen und schütteln. Wie einen Staubwedel.“

„Passt, Chefin.“

„Und immer mehrere Bücher gleichzeitig, dann sind wir schneller durch.“

„Und wenn wir was finden, teilen wir.“

„Logisch!“

Da bücken sich die zwei Schreckgestalten im fahlen Funselschein ihrer Latrinen, steigen über meinen Corpus drüber, treten auf meinen Corpus, bloß weil ich nicht mehr leibhaftig da liege, steigen mir in die Eier, die Augen, die Speiseröhre, die Leber und schütteln Bücher aus, als hätten sie 41 Grad im Schatten. Jovanka, geliebte Jovanka, das müsstest du sehen. Es würde dir die Krautrouladen, mazedonisches, bei den Ohren herauspressen. Abschaum, abscheulich, absurd. Schüttelgespenster! Illegal und wie von Sinnen!

„Wenn einer 10.000 im Kuvert in der Wohnung liegen lässt, dann hat er garantiert wesentlich mehr auf dem Sparbuch.“ „Logisch!“

Wir fahren fort in unserer Latenightshow mit dem perfiden Bücherschüttlerballett. Macht mal Pause und lest das Buch, das ihr gerade zufällig in der Hand habt. Vielleicht ist es ja eines von mir. Einfach lesen, bis die Kuzmany kommt. Dann könnt ihr weiterschütteln. Solang ihr schüttelt, kann euch die Kuzmany keine Handschellen umklimpern. Oder hat die Kuzmany, blöd wie sie ist, sentimental wie sie ist, die Handschellen am Bett ihrer Loverin vergessen? Bücher sinnlos aus den Ärmeln schütteln – darauf steht, verdammt noch mal, die Todesstrafe! „Ha! Gewonnen!“

„Was ist, Veronika?“

„Da ist ein Sparbuch rausgefallen.“

Welches Sparbuch? Aus welchem Buch?

„Und wie viel ist drauf?“

35.000 Euro.“

„Wahnsinn! Macht siebzehnfünfhundert für jeden von uns! Darauf gehen wir jetzt einen trinken. Ich hab jede Menge Prosecco in meinem Atelier! 17.500 Euro. Nicht schlecht. Steht sein Name dabei?“

„Kein Name. Anonymes Buch. Bloß ein Losungswort.“

„Und du glaubst, das finden wir raus, Veronika?“

„Wir müssen! Aber zuerst die restlichen Bücher. Wir sind gut in der Zeit.“

„Okay, schütteln wir weiter. Wobei: 35.000 ist ein Wahnsinn. Hätte ich ihm nie zugetraut, dem guten alten Martin Klinger!“

Die Leber ist von einem Hecht und das Sparbuch ist nicht von mir. Nie im Leben. Nicht einmal im Tod. Das war für Tamara gedacht. Hört ihr, das war für Tamara gedacht. Wer ist Tamara? War ein wunderschönes Mädchen. Ein wunderschönes Mädchen, Herrin zugleich. Ja, Freunde, ja, ich liebe diese Hure. Hure? Kenn ich nicht, Natürlich nicht. Wer klickt sich in meinen Funkverkehr ein? Kurios.

„Ein Zettel!“

„Und?“

„Bloß die Rechnung aus der Buchhandlung.“

„Dass die Spurensicherung das Sparbuch nicht gefunden hat, ist schon seltsam. Oder?“

„Ach, das sind faule Säcke, Wolf. Da! Noch ein Zettel! Wie heißt das Buch? ‚Leben über den Tod hinaus’. Was der so zusammengelesen hat, mein verrückter Halbbruder! Das müsste seine Handschrift sein.“

„Und? Was steht auf dem Zettel?“

„Unwichtiges Zeug. Hör zu. ‚Tom Waits zum Beispiel, alles von Tom Waits. The Beasts Of Bourbon – Rest in Peace’. Keine Ahnung. Suchen wir weiter, Wolf!“

Unwichtiges Zeug?! Das ist meine Abschiedsliste! Das sind meine Lieder fürs Begräbnis, falls ihr „Heile, heile, Gänsje“ nicht auftreiben könnt! Bitte, Wolf, sag dem Trampel, dass das die Musiknummern für mein Begräbnis sind. Sie wird ja bald bei der Bestattung aufkreuzen und dann muss sie nur den Zettel ablesen. Schreib, bitte, Wolf, ich flehe dich an, „Heile, heile, Gänsje“ dazu. Mach schnell, bevor ihr verhaftet werdet!

„Ich bring dich morgen zur Bestattung, Veronika.“

„Nicht nötig, das schaff ich allein.“

„Wie du meinst.“

„Die letzten Bücher. Dann vertschüssen wir uns.“

„Hello? Is there somebody?“

„Scheiße! Der Klavierspieler!“

„What the hell are you doing?“

„Hello! I’am the sister of the dead man. And this is his best friend. We are looking for a nice picture. For the funeral ceremony, you know?“

„The door was sealed by police. It’s Hausfriedensbruch!“

Das Wort ist sein Lieblingswort. Typisch Jeremy Arschloch! Fuck you und Hausfriedensbruch. Und jetzt sagt er den beiden Einbrechern, dass er die Polizei anrufen wird. Und sie fallen vor ihm auf die Knie.

„Umgekehrt, Mister. We call the police. Wir sagen: als wir zufällig am Haus meines verstorbenen Bruders vorbeikamen, sahen wir Licht. And then we saw the open door. And a man with a Taschenlampe. Looking for something in Martin Klingers Wohnung.“

„Oh, how silly you are, little asshole!“

„Just a moment, Sir. Look, we have Einweghandschuhe. And plastic things over the shoes. And you? Your fingerprints … the police will find them on the door and on this Taschenlampe. Hepp!“

1 : 0 für dich, Veronika. Während der Wolf herumsteht und die Hosen voll hat. Jeremy, jetzt hast du die schwarze Petersilie. Ach, wie sterbenslangweilig ist diese Comedia. Hinter mir die Sintflut. Im Kittchen gibt’s auch Kaffee und Kipferl. In the kitchen of the Kittchen. Kitsch as Kitsch can. Ist das von mir? Wurscht. Sie handeln einen Deal aus, aber den will ich gar nicht wissen. Jetzt schütteln sie einander die Hände, knipsen die Laternen ab, ziehen den Vorhang wieder auf, wischen mit Schneuztüchern die Fingerprints von Taschenlampe und Türklinke und machen sich wie Ausbrecher aus dem Staub.

That’s it.

Lücken, Langeweile.

Kiste.

Der Küster küsste die Küste. Der Küster hüpfte mit der Küsterin in die Kiste. Dürfen Küster küssen? Pfarrer nicht. Nur heimlich. Das Wort Pfarrer streiche ich jetzt genüsslich küsslich aus meinem Wortfransenschatz. Pfarrer, Pfarre, Pfarr, Pfar, Pfa, Pf, P … weg, pfutschikato.