„Chef, Sie müssen sofort kommen … ich weiß, wie spät es ist, 3 Uhr 24 … ich hab einen Anruf bekommen, anonym … verstellte Stimme und so … dass ich in die Wohnung vom Klinger kommen soll … ja, der Genickbruch … ich hab meine Visitenkarten im Flur aufgelegt, am Abend … falls jemandem was einfällt … nein, keine Ahnung, Mann, Frau, ich weiß es nicht … unser Siegel ist aufgebrochen … es war wer in der Wohnung … okay, bis gleich!“
3 Uhr 24. Ist das spät, früh? Ist das heiß oder kalt? Was haben die Räuber mit dem Mörder gedealt? Dritteln sie jetzt die Spareinlage? Ich hab einmal was gehabt mit einer Kellnerin in Berlin. Wir sind uns so zärtlich begegnet, eines Abends im August. Sie hatte ein Tablett voller Getränke und Nachtmahlzeiten auf ihrem … Schultergürtel? Ich guck in die Luft, sie macht eine nette Tanzfigur um die eigene Achse. Peng. Bumstinazl!
Die Welt geht zu Bruch, mehrmals täglich. Mit Bruchglas müsste man dealen. Wir waten also in einem See aus Bier und watscheln in einem Gatsch aus Klopsen aufeinander zu. Dann küssen wir uns. Es könnte auch sein, dass sie mich geohrfeigt hat. Wieso fällt mir das gerade jetzt ein? In der Kiste. Küsste?
Kussmany? Halt! Erinnerungsblitz! Das Sparbuch. Die Kellnerin, das muss in der Gastwerkstatt Julchen Hoppsassa im Nikolaiviertel gewesen sein … genau, jedenfalls sehr leicht möglich … zuerst die Ohrfeige, dann der Kuss und dann haben wir eine Nacht lang nach dem Losungswort für ein Sparbuch gesucht, das ihr ein verstorbener Lover kurz vor dem Exitus in die Hand gedrückt hat. Ohne das Losungswort zu verraten, der exaltierte Idiot! Sowas macht man doch nicht. Eine ganze Nacht lang haben wir Wörter aufgeschrieben, bloß weil ich gesagt habe, dass ich Schriftsteller bin und mich mit Wörtern auskenne. Aber doch nicht mit Losungswörtern, Dummkopf!
Egal, am nächsten Vormittag, im Bankinstitut, nach dem siebzehnten Versuch, hat der Sparbuchverwalter gemeint: „Leider nein.“ Große Scheiße. Und der namhafte Betrag ist sonst wohin geflossen, wahrscheinlich in den Gully. Nach einer Bockwurst und einem Berliner Kindl haben wir uns getrennt, für immer. Sprich nur ein Wort … Souflaki. Aber das wird es auch nicht gewesen sein. Die verdammten Versuchswörter hab ich noch im gebrochenen Schädel. Carmen, Rio, Ferrari, Schampus, St. Moritz, Netrebko, Cunnilingus, Rolex, Zitronensorbet, Mäuseschwänzchen, Sting, Herzchen, Yacht, Heidi Klum, Ohrläppchen, Toskana, Kaktus. Nix, lauter Nieten.
Herz steht still, der Bart hat aufgehört zu wachsen, der Schwanz ist geschrumpft, keine Spermaspuren. Die Welt verleumdet und schändet mich mit Lügengeschichten. Entgegnungen werden nicht angenommen. Aber das Affenzeug knistert noch die Schaltstrecken entlang. Affenwörter für ein Onenight-Kopfzerbrechen! Carmen, Rio, Ferrari … Ich mach’s wie beim Pfarrer. Von hinten nach vorn. Kaktus, Kaktu, Kakt, Kackt euch ruhig ins Hemd, Herr Wolf, Frau Veronika. Jetzt seid ihr wegen einer Hirnblase und einem anonymen Sparbuch ins Kriminal gerutscht!
Kak, Ka, K.
„So, jetzt holen wir die alle aus dem Schlaf, Kuzmany!“
„Gern, Chef! Wo fangen wir an?“
„Bei der Bibelmilbe nebenan. Hol ihn rüber!“
Und der Herr Inspektor und seine Achselhöhle, die Kuzmany, holten sie alle von der Liegestatt. Den Herrn Kuno, der so tat, als wüsste er von nichts, die Auerbach, die so besoffen war, dass sie von nichts wusste, das schwule Paar, das sich erst auseinander lösen musste, die Dings, den Bums, den Herrn Mörder von oberhalb. Niemand wusste was. Alle taten verwundert. Der Jeremy war’s, der Klavierlehrer! Und der Wolf! Und die Veronika! Aber wer hört auf einen Toten, noch dazu, wo er gar nicht mehr anwesend ist. Alle mussten ihre Pfoten ins Pfotenmemorykissen drücken. Und dann durften sie wieder schlafen gehen. 4 Uhr 25. Good night, oh, good night, entschuldigen Sie bitte die Störung.
„Was haben die gesucht, Kuzmany?“
„Vielleicht ein Buch?“
„Spinnst du?“
„Ich hab noch nicht geschlafen, Chef.“
„Man sieht’s dir an. Geh schlafen! In drei Stunden sehen wir uns im Büro!“
„Alles klar.“
„Hast du die Schwester und diesen Wolf angerufen?“
„Glaubst du, die Putzfrau war’s?“
„Die Putzfrau?“
„Vielleicht hat die noch ein paar Schlapfen vergessen … “
„Bis morgen, Chef.“
„Morgen ist heute.“
„4 Uhr 30. Klar.“
„Der Tangokurs war stinklangweilig. Weißt du, Kuzmany, ich mag den Tango an und für sich. Aber manchmal kann das so stinklangweilig sein.“
„Ich kenne mich da nicht so aus.“
„Du solltest auch irgendwas Sportliches tun, Kuzmany. Hast du schon wieder zugenommen?“
„Ich? Kann schon sein.“
„Ja, kann sein, sollte aber nicht.“
„Ich bin so müde, Chef!“
„Tango macht nur Spaß, wenn eine Live-Kapelle spielt. So aus der Konserve … das ist nichts.“
„Ich leg mich in das Bett vom Klinger, Chef. Vielleicht bricht ja noch wer ein.“
„Gute Idee. Schlaf gut. Übrigens, ich bin der Theo, höchste Zeit, dass du du zu mir sagst. Wie lange bist du schon bei uns, Kuzmany?“
„Acht Monate.“
„Wie heißt du eigentlich mit dem Vornamen?“
„Edith.“
„Kuzmany klingt besser.“
„Und du, Chef?“
„Hermann.“
„Schlaf gut, Chef.“
„Dann bis morgen.“
„Bis heute!“
„Hast du eigentlich auch ein Privatleben, Kuzmany?“
„Schon, Chef, aber das ist meine Sache.“
„Okay. Wenn du Probleme hättest … “
„ … das ist nett von dir, aber ich hab keine Probleme.“
„Ist er gut zu dir?“
„Ist gut zu mir, ja.“
„Lass sie schön grüßen!“
„Wieso … “
„Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch an die Sonnen. Altes Polizeilied. Keine Angst, Kuzmany, von mir erfährt niemand was.“
„Gute Nacht.“
„Soll ich dableiben?“
„Nein, danke, Chef.“
„Okay, bis demnächst.“
Lücken. Lügen.
Was war das: Souflaki?
Haben mich die Alten verwechselt?
Verarscht?
„Sie sind Frau Klinger?“
„Ja, ich bin die Halb … die Schwester.“
„Grüß Gott, Frau Klinger, Gehringer mein Name. Zuallererst: mein aufrichtiges Beileid.“
„Danke. Das tut gut.“
„So ein Abschied von einem lieben Menschen, das ist immer ein ganz besonderer Moment. Und wir von der Städtischen versuchen, diesen Moment so schön und stimmungsvoll wie nur möglich zu gestalten.“
„Ja, ich hab das gehört.“
„Also, Frau Klinger. Dann zunächst zu den profanen Dingen. Ihr Bruder, Martin Klinger, wann ist er geboren?“
„Der Martin … der … ach, ich bin so nervös, so traurig … “
„Das ist klar, Frau Klinger. Andere Frage: Welchen Beruf hatte er inne?“
„Er war, ich glaube, ja, freischaffend unterwegs, so … er hat geschrieben.“
„Also Schriftsteller.“
„Wenn Sie meinen. Ja, ja. Sagen wir: Schriftsteller.“
„Schriftsteller also.“
„Die Dokumente liegen bei der Polizei.“
„Wir lassen uns die Daten von der Polizei faxen.“
„In Ordnung.“
„Welcher Konfession gehörte ihr Bruder an?“
„Naja, gute Frage … hätten Sie ein Glas Wasser für mich?“
„Selbstverständlich. Herr Prohaska, würden Sie bitte … “
„Christlich war er. Ja, doch.“
„Also möchten Sie ein kirchliches Begräbnis?“
„Warum nicht. Das heißt: kein Begräbnis. Mein Bruder wollte anonym bestattet werden.“
„Aha. Auch gut. Also eine Kremation. Und wo wollte er anonym bestattet werden?“
„Hier, das Glas Wasser, bitte.“
„Danke. Auf dem Zentralfriedhof.“
„Sie meinen: Kommunalfriedhof.“
„Klar. In Salzburg halt.“
„Im anonymen Urnenfeld also. Kein Problem. Und die Verabschiedung soll ein Pfarrer besorgen?“
„Doch. Ja, ja, ein Pfarrer.“
„Jetzt muss ich Sie fragen: römisch-katholisch, evangelisch, altkatholisch?“
„Normal katholisch halt.“
„Gut. Und wann soll die Verabschiedung stattfinden?“
„So bald wie möglich. Also, wenn die Leiche nach der Obduktion freigegeben wird.“
„Ich verstehe. Herr Prohaska, rufen Sie bitte in der Gerichtsmedizin an, wann mit der Freigabe der Leiche zu rechnen ist. Und dann fragen Sie die Pfarrer durch, wer in der nächsten Zeit einen Termin frei hätte.“
„Mach ich, sehr gerne.“
„Also, wie gesagt, so schnell wie möglich. Ich lebe in Linz und muss meiner Arbeit nachgehen.“
„Verstehe. Zur Verabschiedung, Frau Klinger. Also ein Priester soll die Zeremonie durchführen. Gibt es jemanden, der über Ihren Bruder ein paar Sätze sprechen will? Ein Freund, ein Kollege, jemand aus der Familie?“
„Nein, das soll der Pfarrer machen, ganz kurz.“
„Welche Musik sollen wir denn einspielen? Meistens wünschen die Angehörigen am Beginn das, Ave Maria‘ und zum Schluss , Time to say goodbye.‘“
„Wäre es auch möglich, ich frage einfach, Live-Musik zu spielen?“
„Selbstverständlich. Live-Musik ist immer gut. Die meisten Menschen denken gar nicht daran. Wir hätten da zum Beispiel eine Bluesharmonika-Spielerin, einen klassischen Organisten und ein Gesangsquartett.“
„Und wenn ich selbst jemanden auftreiben würde?“
„Umso besser. Sie müssen es uns nur rechtzeitig sagen.“
„Mach ich.“
„Möchten Sie in der Zeitung eine Todesanzeige schalten?“
„Eigentlich nicht.“
„Gut. Rosenkranzbeten am Abend vor der Verabschiedung?
„Muss das sein?“
„Es ist nur ein christliches Angebot.“
„Eigentlich nicht.“
„Gut. Haben Sie eine letzte Kleidung für Ihren lieben Herrn Bruder mitgebracht?“
„Wissen Sie, das ist jetzt vielleicht ganz ungewöhnlich … aber der Martin hat mir beim letzten Telefongespräch gesagt, wir haben da zufälligerweise und ganz ohne Grund über das Sterben geredet, er würde am liebsten … also, so wie er stirbt … ist das unzumutbar?“
„Des Menschen Wille ist sein Himmelreich.“
„Das geht also … im Bademantel?“
„Was glauben Sie, Frau Klinger, in welchen Gewändern wir schon Verstorbene in den Sarg gelegt haben. Ich sage nur: Bermuda-Shorts. Lack und Leder. Wir sind ein Dienstleistungsbetrieb. Wir stellen keine Fragen.“
„Danke. Und wegen der Musik melde ich mich noch.“
„Ich halte also fest: Trauerfeier in der Feuerhalle am Kommunalfriedhof, Termin: frühester Zeitpunkt nach Freigabe der Leiche. Kein Rosenkranzbeten, keine Todesanzeige. Die Zeremonie führt ein noch zu bestimmender Pfarrer durch. Keine weiteren Ansprachen. Musik wird von der Familie beigestellt. Beisetzung der Urne zu einem späteren Zeitpunkt im Anonymen Urnenfeld. Richtig?“
„Wunderbar. Könnten wir jetzt die Särge durchschauen und die Sargausstattung? Kommen Sie bitte!“