„Grüß Gott, ich bin der Pater Thomas. Danke, dass Sie gekommen sind, Frau Klinger.“
„Grüß Gott, Herr Pfarrer, ich müsste auch bald wieder … “
„Also, um es kurz zu machen: wir werden eine Verabschiedung nach dem offiziellen Ritus der heiligen katholischen Kirche durchführen. So soll es doch sein, oder?“
„Ja, unbedingt. So hat es sich mein lieber Bruder gewünscht, vielleicht nicht zu lang … “
„Übrigens, mein aufrichtiges Mitgefühl.“
„Danke, Herr Pfarrer.“
„Keine Angst, ich werde mich kurz fassen. Haben Sie Fürbitten vorbereitet?“
„Fürbitten? Nein, sowas wollte mein Bruder nicht. Nur die üblichen Gebete. Oder ein Gebet halt. Also das Vaterunser, aber nicht alle Strophen.“
„Pardon, das Vaterunser hat nur eine Strophe.“
„Ich kenne mich da leider nicht so gut aus.“
„Dann überlassen Sie alles mir. Die üblichen Texte und Gebete, Der Herr ist mein Hirte, Psalm 23, das Apostolische Glaubensbekenntnis, die Lesung zum Tag samt Predigt, kurz, ich weiß, ein bisschen was Persönliches und dann die Aussegnung und ein abschließendes Segenswort.“
„Welche Musik haben Sie gewählt, Frau Klinger?“
„Ja, das ist noch in der Schwebe. Vielleicht spielt jemand live … also am Anfang und am Schluss.“
„Ist gut. Aber bitte dem feierlichen Anlass angemessen. Und jetzt erzählen Sie mir ein bisschen was über ihren lieben Bruder.“
„Naja, also zum Beispiel … “
Weg, weg, weg, weg, weg, weg!!!
Frau Doktor Taschner, Ihr Mitarbeiter, der Arsch Harald, hat mir ein Herz auf die Brust genäht! Oder ist das ein Friedensgruß? Peace? Ich piss dir in den Rinnsal mit den scharfen Messern, herzloses Obduktions-Schneiderlein!
Zurück ins Räuberlager? Ins Bücherzelt? In die Ruine. Komm ich zu spät? Letzte Vorstellung abgesagt? Keine Sau mehr hier? Nach Berlin, wenn man könnte, aber da fährt kein Zug vorbei. Berlin ist außer Reichweite. So ein Schaas. Eine Wohnung kann so öd sein, wenn man tot ist!
Was war mit den Frauen?
Was soll mit den Frauen gewesen sein?
Oder mit den Männern?
Sind das jetzt, lieber Gottstehmirbei, die Fragen für die Aufnahmeprüfung? Dann ist das aber ein schöner Quatsch. Dann hätte ich mir mein Leben ersparen können! Ich hab halt einfach gelebt. Zählt das nichts?
Kein Angst, ich auch. Aber auf einmal ist das vorbei. Was hast du denn so gemacht?
Äh, tja … Tippen. Tippstrill in die Tasten tippen, bis ein Roman daraus geworden ist. Oder ein Wort. Souflaki.
Souflaki?
Ja, frag mich halt was Leichteres! Tippen, ist das ein Wort? Okay, dann nicht. Tippe. Tipp. Tip. Ti. T.
Ich wollte ja nur … also, wegen der Tamara …
„Frau Zanke, ich bin Oberinspektor Bauer. Und das ist meine Assistentin Kuzmany.“
„Ja, guten Tag.“
„Also. Hatte Herr Klinger bei Ihrem Institut Sparbücher, Wertpapiere, Bausparvertrag, oder sonst irgendwas in der Richtung?“
„Nichts von alledem. Das Konto von Herrn Klinger war oft überzogen, aber nie so hoch, dass man etwas unternehmen hätte müssen. Minimale Ausgaben, minimale Einnahmen. Das ist nicht gerade das, was man sich von einem Bankkunden erwartet. Aber es ist immer alles korrekt abgelaufen.“
„Wenn ich ‚10.000 in bar’ sage, Frau Zanke … fällt Ihnen da irgendwas ein?“
„Da fällt mir Vieles ein, Herr Oberinspektor. Aber nicht Herr Klinger, der als Allerletzter. Weder eingezahlt noch abgehoben. Da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.“
„Sparbuch hatte er also keines.“
„Nicht einmal ein anonymes.“
„Sagt Ihnen, Frau Zanke, der Name Tamara etwas?“
„Tamara? Ich kenne ein paar Tamaras, die in unserer Filiale ihr Konto oder Wertanlagen haben. Tamara Achleitner, Tamara Jobst, Tamara Wasner. Warum fragen Sie?“
„Wenn jemand mit einem anonymen Sparbuch zu Ihnen käme und er wüsste das Losungswort nicht – was passiert dann?“
„Nun ja. Wenn wir die Person kennen, dann helfen wir ihr auf die Sprünge. Denken Sie an ein Urlaubsziel, denken Sie an ein Lieblingsgericht, ein Auto, einen Schauspieler, einen volkstümlichen Musikanten … denken Sie an einen lieben Verwandten, an die erste Liebe … das hilft so gut wie immer. Wenn nicht, tja – Pech gehabt.“
„Es ist ja auch nur so eine Idee von der Kuzmany. Wissen Sie, es ist ein Testament aufgetaucht … “
„Ein Testament?“
„Also vom Klinger. Und da vermacht er, ein bisschen schwulstig, und ohne notarielle Beglaubigung, alles einer gewissen Frau Tamara. Soll eine Hure gewesen sein.“
„Huren, pardon, zählen nicht zu unserem Kundenstock. Ich muss schon bitten!“
„Naja, Genaueres wissen wir ja auch nicht. Aber letzte Nacht ist in der von uns amtlich versiegelten Wohnung eingebrochen worden. Und vielleicht hat der, haben die Täter tatsächlich was gefunden. Ein Sparbuch zum Beispiel. Wenn also jemand auftaucht mit einem anonymen Sparbuch … “
„ … verstehe, Herr Oberinspektor, und das Losungswort Tamara anbieten würde … “
„Genau, Frau Zanke, dann halten Sie ihn hin und rufen sofort die Polizei.“
„Spannend irgendwie.“
„Finden Sie?“
„Diese Bank ist dreimal überfallen worden. Zweimal war ich auf Urlaub, einmal schwanger.“
„Na dann. Sie rufen uns an?“
„Unbedingt.“
„Wie gesagt, das ist eine Vermutung. Vielleicht gibt es auch kein Sparbuch.“
„Tatsache ist, dass eingebrochen wurde.“
„Ach, Herr Inspektor, in jeder Wohnung gibt es ein Sparbuch. Oft ist es in einem normalen Buch versteckt.“
„Zum Beispiel, Frau Zanke, zum Beispiel.“
„Also, vielleicht sehen wir uns.“
„Hoffentlich!“
Ist das ein Bankinstitut oder schon die Zeremonienhalle? Die Entschuldungsformalitäten oder die finale Anfeuerung? Am Schluss wird er angefeuert, angefeuert, angefeuert! 600 Grad bis zur Herzschmelze.
Kuzmany, hast du mich in die Bank gelotst? Hast du den Meteoriten gewechselt? Werden hier Wetten angenommen? Ich wette, von mir kriegt ihr keinen Pfifferling mehr. Ihr könnt mich per Lochmaschine entwerten. Einfach am Ohrwaschl oder am Kehlkopf. Wurscht. No Money. Ich bin reich wie eine Wolkenhaube. Ich brauch nichts mehr zu meiner Verwesung. Keine Sparlampe, kein Filterpapier. Ich zersetze mich zum Nulltarif. Aber zuerst muss ich unter die Erde. Und nicht in den Ofen. Herrgottscheißkerl, hilf mir! Die Veronika steuert mich gegen die Uferböschung! Ich will zur Mutter! Ins Muttergrab! Und nicht verbröselt werden wie das Zeug aus der Verlegenheitszigarette. Bitte! Hilfe! Ich brauche dringend Hilfe!
„Wen holt ihr ab?“
„Den Klinger. Klinger Martin.“
„Dritte Lade links, unten.“
„Danke, Frau Doktor.“
Jö, die Bestatterbuben! Ihr schwitzt ja schon wieder? Sind das Tränen. Seid ihr meine Helferlein, um die ich geflennt habe? Kippt mich in die Salzach, seid so gut. Ich scheue das Feuer. Schenkst du mir deinen Prachtanzug? Ich will nicht im Morgenmantel im Abendlicht ankommen. Ich wollte ins Muttergrab, komplett wie ich bin, hübsch gekleidet, mit gescheiteltem Haar, geschneuzt und gekampelt, wie man halt zur Mutter zu Besuch kommt. Mein Gott, Mutter, was gibt’s Neues? Könnt ihr mich nicht heimlich eingraben. Und in den Holzkasten legt ihr hundert Bücher und ein bisschen Grillkohle aus dem Lagerhaus. Das, wenn ihr macht, das wäre ein grandioses Feuerwerk am Schluss. Die Mutter ist längst skelettiert, die ist schon eine Ewigkeit tot. Dann bin ich nach Berlin gegangen, um dort mein Unglück zu versuchen. Tragt ihr mich? Oder gehe ich neben euch her? Ich kann das. Ich bin gut im Gehen.
Ins Café bin ich immer gegangen, egal von wo her. Nie gefahren, immer gegangen. Aus allen Himmelsrichtungen, auf die Frau Annemarie zu, auf den Wolf, den Professore oder still für mich. Auch in Berlin, da erst recht. Immer gegangen, ins Nikolaiviertel, an den Großen See. Mir ist das peinlich, wenn ihr mich da so durch die Gassen tragt. Oder sind wir am Ende gar im Leichenwagen? Hast du auch keinen Führerschein, Fahrer?
Wissen möchte ich, ob sie mir ein Schildchen an meinem Stammtischsessel anschrauben. Zum Beispiel: „Hier saß der schwule Kokser K., der sich für einen Dichter hielt und der seinem Leben während eines abartigen Sexspiels eigenhändig ein Ende bereitete. Wanderer, kommst du an diesem Stuhl vorbei, bedenke … “ Ach, kippt mich von der Brücke. Seid so freundlich. Und dann geht auf ein Bier bei den „Drei Hasen“. Auf meine Rechnung.
Professore, du spielst mir also was auf deinem Sax zum Abschied? Hab ich das richtig verstanden? Ein Pfarrer, eine Verbrennung, keine Rede vom Wolf, husch, pfusch und ab die Post. Aber du spielst mir was vor? Kannst du „Heile, heile?“ Das kann jeder Affe. Jedes Afterkind? Dreimal „Heile, heile Gänsje“. Das letzte Mal nach dem Souflaki-Gedicht. Und in der „Hölle“ beim großen Fressen und Saufen auf Frau Veronika Klingers Kosten spielst du Tom Waits. Alles von Tom Waits. Nur Tom Waits, stundenlang. Tom Waits am Saxophon, bis sich alle an den diversen Türen und Fenstern aufgehängt haben. Dass du an den Professore gedacht hast, Schwester, werde ich dir bis in den Ofen hinein nicht vergessen. Tausendmal lieber als „Time to say goodbye“ aus den Lautsprecherboxen. Tausendmal! Das ist ja direkt ein Himmelsgedanke! Die Leber ist von einem Saxophon und nicht von Herrn A. Bocelli. Das Saxophon, das Saxophon, das regelt den Verkehr? Ist das Saxophon, wenn kein Aas darauf spielt, ein totes Instrument? Oder bloß eine Krempelmaschine, wie das meiste Zeug im Leben? Hast du Töne!!!
Den Anzug, mein Herr! Her damit. Ich schenke dir den Morgenmantel dafür. Den Bestatteranzug! Gib schon her! Wir tauschen die Kleider, jetzt oder nie. Zieh gefälligst die Hosen aus, den Rock, das Gilet, das Hemd, die Krawatte. Die Schuhe kannst du behalten. Nimm meinen Bademantel und geh! Auf ein Bier. Ein Fass Bier. Tu’s! Gnade! Hier winselt ein zerfranster Mensch. Ein Mensch! Kennst du das Wort „Würde“? Lass mich nicht nackt verrecken. Mir friert die Herztätowierung auf meiner Brust ein, als wäre das eine Winternacht. The Saxophon has been drinking … not me … not me … not me … not me … not me …