„Wer hat den Toten gefunden?“

„Bitte ich. Will Putzen, wie immer Freitag.“

„Sie sind die Putzfrau?

Sie ist nicht die Putzfrau, sie ist eine Heilige. Die heilige Jovanka aus Skopje. Sie hat bei mir geputzt, aber in Wirklichkeit hat sie mein Leben gerettet. Und wer bist du? Der Kripobeamte, der jetzt auftauchen muss, der brillante Ermittler? Soko Genickbruch?

„Oberinspektor Bauer. Und das ist meine Kollegin Kuzmany. Haben Sie irgendetwas im Zimmer berührt? Die Leiche, die Bücher? Sonst was?“

„Ich nicht. Jössusmaria. Greif ich nicht Leiche von Herrn Klinger an. Greif ich auch nicht Bücher an, außer Stauben manchmal. Kann ich jetzt gehen? Muss Putzen bei Frau Stadelmaier, die Fenster.“

„Wie sind Sie in die Wohnung gekommen, Frau … “

„Eberherr, Jovanka. Komm ich immer Freitag neun Uhr, immer seit fünf Jahren. Punkt auf die Minute. Außer Karfreitag. Ist heiliger Tag für mich. Da keine Arbeit. Bin ich gläubisch, bissl katholisch, bissl orthodox, macht nix. Immer Freitag Putzen bei Herr Klinger. Nur Urlaub nicht, seine Urlaub, meine Urlaub.“

„Hat er die Türe geöffnet?“

„Hat er nicht Türe geöffnet. Hab mich gewundert. Sonst immer macht er die Tür auf. Grüß Gott, Frau Jovanka, wie geht’s. So ein freundlicher Herr. Heute nix. Ich läute, läute. Nix. Klopfe. Herr Klinger! Ich bin’s, Jovanka!“

„Und?“

„Nix!“

„Haben Sie einen Schlüssel zur Wohnung?“

„Hab ich keinen Schlüssel. Wozu Schlüssel? Ist immer da, wenn ich komme, Herr Klinger. Immer.“

„Wie sind Sie dann in die Wohnung gelangt?“ „Na, war offen. Ich drücke Türgriff, Türe ist offen. War sonst nie offen. Geh ich in Wohnung, Vorzimmer. Herr Klinger!? Ich bin’s, Jovanka! Aber rührt sich nix. Und dann komm ich in Büro. Jössusmaria!“

„Warum war die Türe offen?“

„Weiß nicht.“

„Und der Schlüssel?“

„Steckt innen. Wie jetzt.“

„Er hat einen Bademantel an. Hat er Sie öfters im Bademantel empfangen?“

„Nix! Immer ordentliche Kleider. Bissl so Jeans und Hemd und Pullover mit ohne Ärmel. Ist ja bald gegangen, Herr Klinger. Hat gesagt: Ist Ihr Reich, Frau Jovanka, aufpassen, fallen nix von Leiter!“

„Und wieso trägt er heute einen Bademantel?“

„Fragen mich? Weiß nix.“

Lasst doch die arme Jovanka in Ruhe. Es ist ganz einfach. Ich hab vom Postkasten im Flur die Zeitung geholt. Das mach ich immer im Bademantel. Dann bin ich wieder rauf, rein bei der Tür und dann … wie war das?

„Wissen die Kollegen von der Medizin schon Genaueres?“ „Wir haben ihn bereits leblos vorgefunden. Genickbruch höchstwahrscheinlich, aber das müssen die Experten klären, wir waren nicht auf sowas vorbereitet.“

„Dass ein Mann in der Wohnung am Boden liegt unter Büchern. Und dass wir vorbeischauen sollen. Wir haben versucht ihn zu reanimieren.“

„War schon zu spät. Soll ich ihm die Augen zudrücken, Herr Inspektor?“

„Wie? Ach so. Meinetwegen.“

Nicht schon wieder. Lass die Pfoten von mir, sonst beiß ich dir mit den Augen deine Fingerkuppen ab!

„Darf ich das machen?“

„Sie? Wer sind Sie?“

Oh Gott, noch schlimmer! Untersteh dich, Kuno! Ich hau dir in die Eier, mit dem Knie! Verdammte Bücher auf meinem Knie! Ich spuck dir ins Gesicht! Wasch dir wenigstens die Hände, vorher.

 … in Ewigkeit, Amen.“

Auch schon egal. Und jetzt mach den Abgang. Wir brauchen dich hier nicht. Dich und deine Gebete. Und du, Jovanka, nimm das Geld aus der Lade im Vorzimmer und mach dich aus dem Staub. Bevor es die anderen finden. Die Spurensicherung wird gleich da sein. Und dann schaust du durch die Finger. Also komm, geh!

„Ich jetzt gehen, Herr und Frau Polizist. Bin schon sehr spät. Zieht Himmel zu, und dann ist Essig mit Fensterputzen bei Frau Stadelmaier!

„Einen Augenblick noch, Frau … “

„Jovanka. Eberherr, nix schwerer Name, oder? Kann man sich merken, wann man will.“

„Okay. Hat der Herr Klinger allein gelebt.“

„Ja. Mutterseelenallein. Seit ich hier arbeite, fünf Jahre. Immer allein gelebt.“

„Keine Verwandten? Freundinnen?“

„Ich nie gesehen Verwandte, Freundinnen. Aber ich kenne nur Freitag in Leben von Herr Klinger. Weiß nicht, was Samstag, Sonntag, Montag … “

„Der Herr Klinger hat doch sicher Dokumente, Telefonverzeichnis, Adressenlisten und so.“

„Draußen in Schreibtisch. Kann ich bringen, Momenterl … “ Pass auf, Jovanka! Die Polizistin ist hinter dir. Wenn die das Kuvert sieht. Sie hat das Kuvert gesehen, Scheiße!

„Meldezettel, Chef, 1950 geboren. Also ist er 61. Vor fünf Jahren aus Berlin zugezogen. Beruf: freischaffend … kein Führerschein, kein Trauschein … aber dafür das da!“

„Geld! Aha. Wie viel ist das?“

„Das sind … so ungefähr … warte … 10.000.“

„Wissen Sie was von dem Geld, Frau Jovanka?“

„Was soll ich wissen? Nix weiß ich. Weiß nur, wo Dokumente sind. Vor fünf Wochen alle Ladel geputzt. Muss sein manchmal. Herr Klinger ist gewesen dabei. Sonst ich mach keine fremde Ladel auf. Bin nicht neugierig auf so was. Kann man sich hundertprozentig verlassen auf mich. Hat Herr Klinger gewusst. Frau Jovanka, Sie sind ehrliches Haut, hat er gesagt. Immer so nett, Herr Klinger.“

„Vor fünf Wochen war noch kein Geld-Kuvert im Ladel?“

„Nix, weiß nicht. Hab kein Kuvert gesehen. Und jetzt geh ich. Sonst reißt mir Frau Stadelmaier Kopf ab.“

„Wie lange putzen Sie bei Frau Stadelmaier?“ „No, wann nicht regnet, drei Stunden für Fenster. Wann regnet, zwei Stunden für Schnellschnell. Fängt grad zu regnen an, schau aus Fenster! Na bitte.“

„Also gut, dann kommen Sie in zwei Stunden wieder.“

„Muss das sein?“

„Das muss sein!“

„Zweieinhalb Stunden, Herr Inspektor. Viertelstunde hin zu Stadelmaier, mit Bus. Dann Putzen. Dann Viertelstunde zurück mit Bus. Wenn Bus nicht Verspätung hat.“

„Kommen Sie so schnell wie möglich.“

„Ist Herr Klinger … ist er dann noch in Wohnung?“ „Wahrscheinlich nicht mehr.“

„Tschüss, Herr Klinger, seligerweise. Dankeschön für alles.“

Tschüss, Jovanka! Seit wann sagst du tschüss? Seit du für die Lehmann putzt? Ein gutes, altes, herzzerreißendes mazedonisches „tschüss“ zum Abschied. Aus deinem Mund klingt das fast wie eine Liebeserklärung. Wenn du nicht schon so alt wärst, Jovanka! Und ich so tot!