Kapitel 26
Ich stand vor der Pension, nachdem Faith nach drinnen verschwunden war. Wie angewurzelt blieb ich auf der Stelle stehen, versuchte zu begreifen, was sie mir gerade erzählt hatte. Noch ein Auto war in der Partynacht aufgetaucht – und Sadie war darin gewesen.
Sadie war vor einem Jahr genau hier
gewesen, war auf dem Parkplatz der Pension aus einem Auto gestiegen, den Pfad bis zur Party gegangen. Ich sah zu den Bäumen, den Weg hinunter, stellte mir ihren Geist vor.
Ich fuhr zurück zum Sea Rose, wollte allein sein, nachdenken. Alles, was ich über diese Nacht geglaubt hatte, war falsch. Konnte alles, was ich über Sadie dachte, auch falsch sein?
Über die Jahre hatten sich unsere Leben so miteinander verwoben, manches war nicht mehr zu unterscheiden. Die Einzelheiten verwischten und überlappten sich. Mein Zuhause war ihr Zuhause, Schlüssel an den Anhängern der jeweils anderen, ihr Daumen auf mein Telefon gedrückt, die gleiche Tätowierung – oder war es ein Brandzeichen?
Und doch, wie hatte ich verpassen können, dass sie da
gewesen war? Sie war auf der Party angekommen. Aber irgendwie war sie wieder auf den Klippen hinter ihrem Haus gelandet und schließlich am Breaker Beach angespült worden. Wie
?
Ich fuhr aus dem Ort hinaus, schlängelte mich durch Nebenstraßen, um den Verkehr zu vermeiden, bevor ich Richtung Küste und Sea Rose zurückfuhr. Die ganze Zeit ließ ich die Ereignisse jener Nacht in meinem Kopf Revue passieren. Was ich der Polizei erzählt – und was ich ihr nicht erzählt hatte.
Faith, die draußen auf Parker losgegangen war, ein Fenster zerbrochen hatte. Connor, der danach im Schatten mit Faith gestritten hatte, während Luce mich holte. Die Schlafzimmertür war abgeschlossen gewesen. Ich wollte im Bad nach Tape suchen, um das Fenster zu sichern, aber jemand anderes war darin gewesen. Ich hatte mit der Hand gegen die Tür geschlagen, aber niemand hatte reagiert.
War Sadie in dem Zimmer gewesen, während ich an die Tür gehämmert hatte? Ich hatte ihr Handy in dem Haus gefunden – in genau dem Zimmer. Vielleicht hatte es niemand dorthin gebracht. Vielleicht war es Sadie selbst gewesen, die es da verloren hatte. Dorthin gelegt hatte. Es versteckt hatte.
Aber das ergab keinen Sinn. Niemand hatte sie auf der Party gesehen, jedenfalls behaupteten das alle. Jemand musste sie doch bemerkt haben? Greg Randolph mit Sicherheit. Und wir hätten sie auch gesehen, wenn sie über die hintere Terrasse verschwunden wäre, um zum Pensionsparkplatz zu gelangen.
Aber. Das Licht war ausgegangen, die Unruhe auf der Terrasse. Ellie Arnold, die in den Pool fiel – oder geschubst wurde. Sie bestand darauf, dass man sie geschubst hatte. Behauptete das hartnäckig, war wütend, dass wir ihr nicht glaubten.
Alle waren wir da hinters Haus gegangen. Waren vom Chaos, vom Geschrei angelockt worden wie Motten von einer Flamme.
War Sadie vorn hinausgeschlichen, während wir abgelenkt waren?
Ich versuchte, es vor mir zu sehen. Jemand, der sie aus dem Haus kriegen musste. Verzweifelt nach der besten Möglichkeit
suchte. Die Hintertür, nicht länger eine Option. Das Auto an der Pension, zu weit weg. Was würde derjenige tun? Eine gesichtslose Person, die die Badezimmerschränke durchsuchte, die Kommodenschubladen – nach irgendetwas. In ihre Tasche guckte, dort den Autoschlüssel sah. Der mir gehörte.
Am nächsten Tag hatte ich Reifenspuren entdeckt, als Faiths Vater mich abgesetzt hatte – weil mein Auto zugeparkt war.
Ich holte tief Luft. Sie war da gewesen. Was, wenn sie in genau diesem Auto war?
Auf der Straße zurück nach Littleport fuhr ich abrupt rechts ran, starrte den Beifahrersitz an. Suchte nach Zeichen der Verletzung. Ich strich mit der Hand über das beigefarbene Polster – alt und abgenutzt. Riss die Handbremse hoch und schaute unter den Sitz. Da war nur Dreck, Sand, Müll – ein Jahr Erinnerungen.
Doch dann fiel mir der nächste Morgen ein, als ich zum Auto zurückgegangen war. Wie ich auf dem Sitz gesessen und er sich irgendwie fremd angefühlt hatte. Damals dachte ich, es war meine ganze Welt, meine Sichtweise, die zu dem Zeitpunkt durch den Verlust Sadies aus den Fugen geraten war. Aber jetzt …
In meinem Kopf drehte sich alles, und ich stellte den Motor aus. Ich ging hinten um den Wagen herum und steckte mit zitternden Händen den Schlüssel in das Kofferraumschloss. Ein schwaches Licht ging flackernd an, ich spähte in den leeren Raum.
Er roch schwach nach Benzin und Meer.
Ich strich mit den Fingern über die dunkle Verkleidung. Sie war leicht matt geworden, mit Faserstückchen übersät. Sie löste sich von den Kanten, pellte an den Ecken ab, durch Zeit und Abnutzung.
Ich holte tief Luft, um mich zu beruhigen. Vielleicht war das alles nur meine Fantasie, die drei Schritte zu weit ging – vorwärts und zurück
.
Mit der Taschenlampe meines Handys leuchtete ich in die hinteren Ecken des Kofferraums – aber er war vollkommen leer. Weiter vorn, rechts, war ein dunkler Fleck. Nur eine leichte Veränderung der Farbe – ich fuhr darüber, konnte aber nicht herausfinden, was es war. Wodka, Bier – die halb vollen Flaschen könnten übergeschwappt sein in der Partynacht. Oder eine Einkaufstüte könnte ein Leck gehabt haben in den folgenden Monaten. Das Auto war alt. Es konnte alles sein.
Ich legte das Handy hin, um genauer zu gucken, und das Licht schien nach oben, beleuchtete eine Kerbe an der Unterseite des Metalldachs. Auf der gegenüberliegenden Seite, links. Ich duckte mich hinein, strich über die Stelle. Eine Beule, ein paar Kratzer. Noch eine Beule daneben. Mein Knöchel passte in die Kerbe. Ich fuhr über die kühle Unterseite des Kofferraums. Ein Netz von Kratzern am Saum.
Es konnte alles sein. Es konnte nichts sein. Vor meinem inneren Auge sah ich, wie nah der Tod in seinen verschiedenen Spielarten sein konnte. Ich glättete das sich ablösende Futter in der einen Ecke, und da glänzte ein Stück Metall im Strahl der Taschenlampe auf. Ich streckte mich näher heran, kroch halb in den Kofferraum, um es aufzuheben.
Es war ein kleines Stück Metall. Wahrscheinlich von einer Tasche abgefallen. Golden und gedreht, und …
Ich ließ es fallen. Schreckte zurück. Schaute noch einmal.
Ihre goldenen Schuhe, die in der Kiste mit dem Beweismaterial gewesen waren – an einem hatte ein Stück von der Schnalle gefehlt. Ich dachte, weil sie schon so abgetragen waren, die Löcher der Riemen ausgeleiert, die Nähte sichtbar, die Sohlen abgewetzt. Aber das fehlende Stück der Schnalle – hier
war es, im Kofferraum meines Autos.
Ich schaute mir die Beulen und Kratzer noch einmal an.
Als hätte sie mit den Schuhen gegen das Dach des Kofferraums getreten. Immer wieder
.
O Gott, o Gott, o Gott. Ich ließ das Handy fallen, stützte mich mit den Händen auf die Stoßstange, um mich zu beruhigen.
Sadie war in diesem Kofferraum gewesen. Sadie war hier gewesen und hatte um ihr Leben gekämpft.
Ich glitt zu Boden. Das kalte Pflaster unter meinen Knien, meine Hände um die Stoßstange geklammert, die Übelkeit stieg mir in den Hals. Das einzige Licht auf der dunklen Straße kam aus dem Kofferraum, ein kränkliches Gelb, und ich konnte nicht richtig atmen. Sadie. Sadie war da gewesen. Nur wenige Meter von mir entfernt auf der Party. Und sie war hier
gewesen. In meinem Auto, in der Hoffnung, dass ich sie fand. Dass ich sie rettete.
Die Kratzer im Kofferraum – sie wollte leben. In all den Jahren, in denen sie mit dem Tod geflirtet hatte, darüber gescherzt hatte –, sie hatte dagegen gekämpft. Alles gegeben, was sie hatte. Sadie, von der ich einmal geglaubt hatte, sie könnte alles überstehen.
Ich konnte nicht atmen. Rang keuchend nach Luft.
Die Scheinwerfer eines anderen Autos leuchteten auf, und ich zog mich an der Stoßstange hoch, sammelte mich. Der Wagen kam hinter mir zum Stehen, die Tür ging auf, der Motor lief aber weiter, die Scheinwerfer erhellten die leere Straße.
»Alles in Ordnung bei Ihnen?« Eine Männerstimme.
Ich drehte mich um, musste aber eine Hand vor das blendende Licht halten, meine Augen standen voll Wasser, ich sah Sadie vor mir. Sadie, die lebte und dann tot war. Irgendwo zwischen hier und dort.
Ich blinzelte, um das Bild vor mir klar zu sehen, und die Tränen rollten.
»Na, na.« Der Schatten vor den Scheinwerfern wurde größer. Breite Schultern, die Hände ausgestreckt. Vor mir stand Detective Ben Collins. Er legte mir eine Hand auf den
Ellbogen, die andere auf meine Schulter und führte mich vom Auto weg zum Kantstein.
Der Kofferraum klaffte vor mir auf, und mein Magen rumorte wieder, ich musste meinen Kopf auf die Arme legen, die ich auf den Knien gefaltet hatte. Er hockte sich hin, sodass er mich ansehen konnte, und ich schüttelte den Kopf, versuchte mich zu konzentrieren.
»Haben Sie getrunken?«, fragte er sanft. Nah genug, dass ich die Minze in seinem Atem riechen konnte.
»Was? Nein, nein.« Ich holte tief Luft, hob langsam den Kopf.
Er sah wieder zum Auto, dann zu mir. Ich hatte endlich verstanden, wie Sadie in der Nacht von der Party zu den Klippen gelangt war. Was für ein Horror.
Endlich hatte ich einen Beweis für das, was ich immer gewusst hatte, einen Beweis, den jeder ernst nehmen würde – hier würde man mit der Untersuchung anfangen können. Mein Auto, mit dem offenen Kofferraum, in dem Sadie gelegen hatte – es fiel nur alles auf mich zurück.
Ich konnte nichts sagen, ohne mich selbst zu belasten.
Er würde das Auto nicht ohne Grund durchsuchen dürfen – außer er dachte, ich wäre betrunken oder high. Ich musste mich zusammenreißen.
»Mir war schlecht vom Autofahren«, sagte ich, eine Hand auf dem Bauch. »Und …« Ich wedelte nutzlos mit der anderen herum …
»Ich weiß, ich weiß«, sagte er und tätschelte mein Knie. »Die Gedenkfeier morgen. Alles kommt wieder hoch. Ich weiß, Sie standen sich nahe.« Er ließ mich still dort sitzen, blickte über seine Schulter. »Brauchten Sie etwas aus dem Kofferraum?« Er zeigte zum Wagen, das kränklich schwache Licht lockte.
»Nein. Ich dachte, ich hätte Wasser darin, irgendetwas zu trinken. Hab ich aber nicht.« Ich wollte nicht, dass er nachsah.
Wollte nicht, dass er sah, was ich gesehen hatte, entdeckte, was ich gerade entdeckt hatte. Ich atmete ein, und es klang wie ein Schluchzen.
»Bleiben Sie ruhig sitzen«, sagte er, und ich hatte keine Chance ihn aufzuhalten. Keine Chance, ihn davon abzuhalten nachzusehen, wenn er das wollte. Das Metallstück lag immer noch da – wie offensichtlich wäre es?
Aber er ging zu seinem eigenen Auto, das hinter meinem stand. Es war nicht der Streifenwagen, bemerkte ich nun, sondern ein Sedan, blau oder grau, im Dunkeln schwer zu sagen. Er stellte den Motor ab, so blieben nur noch ich und er und die Grillen und die Nacht.
Dann kam er mit einer Wasserflasche zurück, halb leer. »Tut mir leid, das ist alles, was ich habe, aber …« Er goss das restliche Wasser auf ein Handtuch, legte es mir dann auf die Stirn. Die Kühle half, meinen Magen zu beruhigen, meine Gedanken zu klären. Danach legte er es in meinen Nacken, und als ich die Augen öffnete, war er so nah. »Besser?«, fragte er, die Linien in seinem Gesicht hatten sich sorgenvoll vertieft.
Ich nickte. »Ja. Danke. Besser.«
Ich stieß mich ab, um aufzustehen, und er reichte mir eine Hand, um mir zu helfen. »Alles klar, ich hab Sie.« Mitgefühl, wenn auch von ihm, in diesem Moment. »Hören Sie, ich hab nach Ihnen gesucht. Hatte gehofft, mit Ihnen sprechen zu können. Kann ich Ihnen hinterherfahren? Oder später vorbeikommen? Es gibt noch ein paar Dinge zu klären vor Sadies Gedenkfeier morgen.«
»Geht es …«, fing ich an. Räusperte mich, versuchte mich aufgeräumt anzuhören, kontrolliert. »Hat es mit dem Fall zu tun, haben Sie ihn wieder aufgerollt?«
Er runzelte die Stirn, aber sein Gesicht war in der Dunkelheit nicht deutlich zu erkennen. »Nein, es geht um etwas, was wir auf ihrem Telefon gefunden haben. Wir haben uns nur
gefragt, wer einige der Fotos gemacht hat. Sie oder Sadie.« Er lächelte verkniffen. »Nichts Wichtiges, aber es wäre gut zu wissen.«
Schwer zu sagen, ob das eine Falle war. Ob er mich hineinlockte unter falschen Voraussetzungen, bereit zuzuschlagen. Aber ich musste ihn mir vom Leib halten. »Heute Abend kann ich nicht«, sagte ich. Noch nicht. Nicht gerade jetzt, mit dem Auto. Nicht, bis ich nicht eine Richtung wusste, in die ich ihn lenken konnte. Sein Gesicht verhärtete sich, und ich sagte: »Morgen früh?«
Er nickte zögernd. »Na gut. Wo wohnen Sie?« Und da wusste ich, dass er gehört hatte, was mit den Lomans passiert war. Dass ich nicht mehr da wohnte. Dass ich rausgeschmissen und verlassen worden war. Alles, was gerade geschah, sagte ihm, dass er mich im Auge behalten sollte.
»Bei einer Freundin«, sagte ich.
Er zog sich leicht zurück, als geriete etwas zwischen uns. »Hat diese Freundin eine Adresse?«
»Können wir uns morgen früh zum Kaffee treffen? In der Hafenbohne?«
Sein Mund war eine gerade Linie, sein Gesichtsausdruck im Dunkeln nicht zu lesen. »Ich hatte auf ein wenig mehr Privatsphäre gehofft. Sie können auf der Wache vorbeikommen, wenn Ihnen das lieber ist … oder ich kann Sie abholen, wir können auf dem Weg zur Gedenkfeier reden.«
Ich nickte. »Ich schicke Ihnen die Adresse heute Abend, wenn ich zurück bin.«
»Großartig«, sagte er. »Sind Sie sicher, dass Sie fahren können?«
»Ja«, sagte ich und schloss den Kofferraum, schluckte trockene Luft.
Seine Scheinwerfer folgten mir den ganzen Weg in den Ort, bis ich einmal um den Block fuhr und er weiter geradeaus, zur
Wache. Ich parkte ein Stück entfernt vom Sea Rose und ging dann zurück. Ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass nichts hier sicher war. Weder Sadie noch ich. Jemand sah aus der Dunkelheit zu. Etwas erwartete mich.
Etwas war hier im Kern vergiftet – eine dunkle Kehrseite, die sich in der Lücke zwischen uns allen offenbarte, wo sonst niemand guckte.
Zurück im Sea Rose nahm ich mir die Liste mit den Ankunftszeiten noch einmal vor. Fügte einen letzten Namen hinzu: Sadie.
Hatte ich mit Luce und Parker gesprochen, als sie sich hereingeschlichen hatte? War sie durch den Vordereingang gekommen, direkt den Flur entlang ins Schlafzimmer gegangen?
Ich versuchte, sie da zu fühlen, sie in meinen Gedanken zu orten. Den Moment zu finden, wo ich mich umdrehen und sie sehen könnte, ihren Namen rufen und eingreifen. Den Lauf von allem, was folgte, ändern.
Jemand hatte sie dahin gebracht. Jeder hätte ihr etwas tun können, aber irgendjemand wusste, dass sie dagewesen war, und hatte nichts gesagt. Ein Haus voller Gesichter, sowohl fremd als auch vertraut. Luce hatte es auf den Punkt gebracht, als sie dort oben aus dem Raum gestolpert war: Ich hab noch nie so viele Lügner auf einem Haufen gesehen.
Anderthalb Jahre, nachdem meine Großmutter gestorben war, hatte Grant Loman ihr Haus gekauft, mir mit meinen Finanzen geholfen. Er hatte die Kontrolle übernommen, als ich mich kaum noch über Wasser halten konnte, und dafür gesorgt,
dass ich auf den Beinen blieb. Aber irgendwann war ich wieder dazu übergegangen, meine Kontoauszüge zu lesen und die Eingänge zu überprüfen.
Und so wusste ich, dass zu der Zeit, als meine Großmutter starb, keine größere regelmäßige Zahlung, die sie möglicherweise irgendwann einmal erhalten hatte, existierte. Nach ihrem Tod hatte ich die kleine Summe, die noch auf ihrem Konto war, auf mein eigenes überwiesen. Das alte Konto existierte nicht mehr. Es gab also keine einfache Möglichkeit, die Einzahlung zu finden, die Sadie entdeckt hatte.
Alles, was ich noch von meiner Großmutter besaß, war in dem einen Karton, den ich mit ins Gästehaus der Lomans genommen hatte – ein geschwungenes B
für Behalten
stand darauf, das Sadie vor Jahren selbst daraufgeschrieben hatte. Nun stellte ich den Karton auf den Küchentresen und leerte den Inhalt aus: die Fotoalben, das Kochbuch, die gebündelten Briefe, die zusammengehefteten Artikel über den Unfall meiner Eltern, die persönliche Mappe mit den Unterlagen zur Vermögensüberschreibung.
Ich konnte keine Quittungen finden, nichts Ungewöhnliches.
Das einzige große Vermögen in ihrem Besitz war ihr Haus.
Nachdem ich das Haus verkauft hatte, behielt ich alle Details zum Grundbesitz, ordnete alles – eine Spur aus Papieren, wie Grant es mir beigebracht hatte.
Es war die erste Akte, die ich angelegt hatte, Daten, die ich mir nie genau angesehen hatte, denn warum hätte ich es tun sollen? Aber ich hatte sie noch, unsere Zahlungschronik, gespeichert in meinem Computer.
Nun scrollte ich mit neuen Augen durch die Chronik der Hypothekenzahlungen auf meinem Laptop. Es schien, als hätte meine Großmutter in den Jahren vor ihrem Tod eine niedrige monatliche Summe automatisch einziehen lassen. Aber früher
hatte sie mehr bezahlt. Es gab eine Grenze im Zeitablauf, ein Davor und Danach, als die Hypothekenzahlung deutlich gesunken ist.
Nachdem sie nämlich eine große Sondertilgung getätigt hatte.
Da
. Da war es. Ein Geldausgang. Ein Beweis, der tatsächlich zurückgelassen worden war.
Ich verfolgte das Datum nach, mit dem Finger auf dem Bildschirm.
Es war der Monat, nachdem meine Eltern gestorben waren.
Ich lehnte mich im Stuhl zurück, das Zimmer wurde kalt und hohl. Ich hatte geglaubt, dass wir eine Zahlung von einer Lebensversicherung erhalten hatten – das war es, was Grant erwähnt hatte, als er mir half, die Dokumente zu ordnen. Ich stand deshalb gut da.
Aber ich schaute noch einmal hin. Glatte hunderttausend Dollar. Die gleiche Summe, die Sadie entdeckt hatte, von den Lomans an meine Großmutter überwiesen. Ganz und gar keine Lebensversicherung. Auch kein Erbe. Geld, ganz plötzlich, wo vorher keins war.
Mein Magen drehte sich mir um, Puzzleteile setzten sich in meinem Kopf zusammen.
Ich öffnete die Fotos von Sadies Telefon – die Fotos, die sie gemacht hatte. Das Bild der sich windenden von Bäumen gesäumten Bergstraße. Und schließlich verstand ich, was Sadie aufgedeckt hatte. Was mich an die Lomans band. Was für Zahlungen sie gefunden hatte.
Es war Schmiergeld für den Tod meiner Eltern.