Kapitel 30
In der Ferne läutete eine Glockenboje. Darüber kreiste ein Falke und schrie. Das Wasser brandete donnernd gegen die Felsen. Die Zeit lief weiter.
»Es war ein Unfall«, sagte Parker und glitt zu Boden, als die Menschen herbeirannten.
Schon wieder ein Unfall.
Der erste Beamte kam auf den Klippen an, rannte von der Straße hinauf, wies seine Kollegen an zurückzukommen.
Von unten ertönten Schreie, Leute wateten vom Strand ins Wasser. Aber es war zu spät, und wir alle wussten das.
»Niemand rührt sich«, sagte der Polizist, als er die Szene betrachtete. Da erkannte ich ihn – Officer Paul Chambers, der andere Mann, der uns letztes Jahr verhört hatte.
Officer Chambers sah zum Haus in der Ferne, zum aufsteigenden Rauch. Dann zu Parker, der auf dem Boden hockte und seinen Arm hielt.
»Er hat Sadie getötet«, sagte Parker. »Er wollte Avery etwas antun.« Er sah mich an, bettelnd. Ein Handel, sogar da noch. »Er hatte eine Waffe. Ich musste es tun. Ich musste ihn stoppen.«
Noch nie hatte ich so eine Macht gespürt wie in diesem Moment, als er die Luft anhielt und alle zusahen. Ich bestätigte nicht, ich widersprach nicht.
Ich spürte Parkers Blick auf mir. Hörte sein verzweifeltes Flüstern. Bitte .
»Kein Wort mehr, Parker.« Das war Grant, seine Stimme schnitt warnend durch die Zuschauer.
In der Menge waren bekannte Gesichter. Die Sylvas, die Harlows, die Lomans – Grant telefonierte, während Parker dasaß und seinen Arm hielt. Connor schob sich durch die Menschen nach vorn, aber noch ein Beamter war gekommen und hielt alle zurück. Man hörte Sirenen. Weitere Rufe von unten. Eine Anweisung, die Autos wegzufahren, die Leute fernzuhalten – die Rettungswagen kamen nicht durch. Hinter uns hatte der Rauch die offenen Balkontüren im zweiten Stock erreicht und strömte hinaus.
Das Haus der Lomans brannte, jemand war tot, und wir standen immer noch an der Kante.
»Du hast meine Eltern getötet«, sagte ich. Laut genug, dass alle es hören konnten. Nicht nur Officer Chambers, sondern die Leute, die sich versammelt hatten und zusahen. Connor, Faith, Grant und Bianca.
Parker zuckte zusammen, schüttelte den Kopf, auch wenn wir beide die Wahrheit kannten.
»Ich weiß, dass du es getan hast. Und Sadie ist tot, weil sie es herausgefunden hat.« Alle Menschen, die ich verloren hatte, konnten zu ihm zurückverfolgt werden, und ich wollte, dass er bezahlte.
Parker schüttelte weiter den Kopf. Er blieb still, wie sein Vater es ihm befohlen hatte. Auch als er aufstehen musste. Auch als man ihm hinter dem Rücken Handschellen anlegte. Parkers Blick schoss von einer Seite zur anderen, als er durch die Menge geführt wurde, als wäre er verzweifelt auf der Suche nach jemandem, der das in Ordnung brachte.
Er ging still, den Kopf gesenkt. Ein Mann wie jeder andere .
Auf der Wache gab ich ihnen alles, was ich noch besaß. Doch ich hatte so viel verloren, sowohl ans Feuer als auch ans Meer.
Die Beweise waren verbrannt. Mein Telefon. Der USB-Stick. Alles weg. Aber ich hatte die Datei vom USB-Stick auf meinen Laptop kopiert. Und ich hatte Sadies Fotos auch von ihrem Handy heruntergeladen. Officer Chambers guckte verwundert bei der Erwähnung von Sadies Handy – anscheinend hatte Ben Collins diese Information für sich behalten und die Entdeckung des Telefons nie irgendjemandem gegenüber erwähnt.
Ich wusste nicht, ob das reichte – die Dinge, die noch übrig waren.
Danach stand ich mit nichts in der Lobby der Wache. Mein Auto und mein Laptop mussten als Beweise dortbleiben. Ich fragte den Pförtner, ob ich das Telefon benutzen konnte, doch ich kannte keine einzige Nummer auswendig.
»Avery.« Ich drehte mich um, als ich Connors Stimme hörte. Durchs Fenster sah ich seinen Jeep hinter ihm stehen, wahllos geparkt, als hätte er gewartet.
Ich fragte nicht, wohin wir fuhren, als ich mich anschnallte – hatte keine Ahnung, wohin ich gehen könnte. Aber als Connor zur Aussichtsfläche hochfuhr, wusste ich es.
Er parkte auf dem Schotterparkplatz vor der Pension, stellte den Motor ab. Ein Karton mit meinen Sachen stand bereits auf der Veranda. Connor öffnete seine Tür, hielt aber inne, bevor er ausstieg.
»Saisonende, da ist immer Platz.«