Einige Tage später klopfte es an der Tür. Eine elegante Frau um die vierzig stand vor mir auf der Veranda. Sie trug ein cremefarbenes Kostüm, mit dem sie mich ein wenig an meine Lektorin erinnerte, die sich gern so kleidet, als wäre sie zum Mittagessen mit Jackie O. verabredet. Sie reichte mir die Hand und stellte sich als Anne-Marie Riccard von Sotheby’s vor, die die zum Verkauf stehenden Antiquitäten begutachten sollte.

Sie entschuldigte sich dafür, ohne Voranmeldung vorbeigekommen zu sein, aber ich hätte sie eh nicht weggeschickt. Ich war noch keine Woche in dem Haus, und schon machte mir die Einsamkeit zu schaffen. Ich brühte in der Küche einen Kaffee auf und brachte Anne-Marie eine Tasse. Sie trank ihn, während sie im Esszimmer umherging und Auroras Schätze mit einem scharfen, kenntnisreichen Blick taxierte. »Jameson Sedge bat mich, eine Bestandsaufnahme zu machen«, sagte sie mit einem kurzen Blick in eine Glasvitrine, die mit Objekten gefüllt war – Ammoniten, eine Cloisonné-Schatulle, eine Ormolu-Uhr. »Ich fürchte, das wird ein größeres Projekt, als er vermutet.«

Anne-Marie hatte einen Akzent, und als ich sie fragte, woher sie ursprünglich käme, antwortete sie, sie sei in Montreal geboren, hätte aber zwanzig Jahre in New York gelebt. »Ich bin nach New York gekommen, um Keramik am Cooper Hewitt zu studieren, und wurde direkt nach dem Examen von Sotheby’s angeheuert. Porzellan ist mein Spezialgebiet, und hier vor allem europäische Stücke. Es hat so einen Spaß gemacht, damals in den Neunzigern. Ich konnte für ein

Anne-Marie hob eine große Porzellankanne, blau wie die Schale von Rotkehlcheneiern, von der Mitte des Tisches, betrachtete sie mit prüfendem Blick und stellte sie zurück. »Neunzehntes Jahrhundert, Wedgwood. Eine Kostbarkeit.«

»Sie finden das alles nicht ein wenig … übermäßig?«

»Diese Sammlung hier?«, sagte Anne-Marie und bekam große Augen. »Mon dieu, das ist noch gar nichts! Ich habe schon Häuser gesehen mit Tausenden Spieluhren, Keller voller Comics vom Boden bis zur Decke, Garagen zum Bersten voll mit alten Schreibmaschinen. Sammler treiben es oft auf die Spitze.«

Ohne groß nachzudenken, stellte ich die Frage, die ich seit meiner Ankunft hier im Hinterkopf hatte. »Aber warum?«

»Sammeln bedeutet, die Welt nach der eigenen Vorstellung zu gestalten, und Aurora Sedge hatte eindeutig ein ausgeprägtes Gespür dafür, wer sie war. Man kann viel über einen Menschen sagen, wenn man weiß, was er sammelt. Ich hätte sie gemocht, das sehe ich schon nach einem flüchtigen Blick in die Runde. Sie war sehr wählerisch bei den Stücken, die sie kaufte. Sie hat mit diesen Objekten eine außergewöhnliche Welt erschaffen.« Anne-Marie nahm einen letzten Schluck Kaffee und stellte ihre Tasse ab. »Ich glaube, ich sollte mich jetzt an die Arbeit machen«, sagte sie. »Bill meinte, es gäbe vor allem einen Raum, den ich mir ansehen sollte.«

Ich ging in die Küche, um den Schlüssel für den Salon zu holen, und nahm an, dass ich sie dann sich selbst überlassen würde. Als ich jedoch die Salontüren öffnete und sie hineinführte, reagierte sie zutiefst schockiert.

»Was um alles in der Welt …«, sagte sie und warf einen Blick auf die Puppen. »Warum hat mir niemand gesagt, dass die hier sind?«

»Ich glaub’s einfach nicht«, sagte sie. Sie drehte sich mit großen Augen zu mir um. »Ist Ihnen bewusst, was das hier ist?« Sie wartete nicht auf meine Antwort. »Das sind die Schöpfungen des legendären französischen Puppenmachers Gaston LaMoriette.« Sie nahm eine kleine Kamera aus ihrer Handtasche. »Zu seinen Lebzeiten war er bekannt als der Schöpfer der Les Bébés de Paris, einer Puppenkollektion, die vom ausgehenden neunzehnten Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg in europäischen Kaufhäusern wie dem Harrods und La Samaritaine verkauft wurden. Die Puppen in diesem Raum sind ausnahmslos Puppen von LaMoriette. Sie waren ungemein gefragt, recht teuer und wurden praktisch umgehend zu Sammlerstücken. Hier, ich möchte Ihnen etwas zeigen …«

Sie nahm eine der Puppen von der Samtcouch, schob ihr dichtes blondes Haar beiseite und strich mit der Fingerspitze über die Initialen: GLM. »Gaston LaMoriette. Echter geht’s nicht.«

Sie setzte die Puppe zurück, richtete sie im Licht aus und machte ein Foto.

»Ich habe mal für eine Puppensammlerin gearbeitet, die von diesen Puppen besessen war, und ich meine besessen«, sagte sie. »Sie hat mich durch die Welt reisen und alle aufkaufen lassen. Sie besaß so etwa zweihundert Stück am Ende meiner Beschäftigung bei ihr. Als sie starb, haben ihre Kinder natürlich alle verkauft. So kommen wertvolle Dinge wieder in Umlauf. Aber zu ihren Lebzeiten, als sie noch aktiv sammelte, war das, was sie wirklich besitzen wollte und wofür sie ein Vermögen gezahlt hätte, eine ganz besondere Puppe, ein Meisterwerk, das LaMoriette in den neunziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts schuf. Es war eine einzigartige Puppe, in Konstruktion und Materialien etwas ganz Besonderes, vollständig von

Sie ging zu dem Kindertisch und schoss eine ganze Reihe Fotos von der Teegesellschaft.

»Es war natürlich vergebliche Liebesmüh: LaMoriettes Meisterwerk war legendär, und wenn es Teil einer Privatsammlung gewesen wäre oder jemals zum Verkauf gestanden hätte, dann wäre das allgemein bekannt gewesen. Aber Sie wissen, wie Sammler sind – sie glauben, mit Geld ist alles möglich. Und auch wenn das häufig der Fall ist, habe ich ihr von Anfang an gesagt, dass sie enttäuscht werden würde. Zum letzten Mal hat jemand diese Puppe vor LaMoriettes Tod im Jahr 1909 gesehen. Nun, wie dem auch sei, meine Kundin war absolut unerschütterlich, und ich wollte diesen Auftrag, und so bin ich das Wagnis eingegangen.«

Sie fotografierte das Baby mit dem klemmenden Augenlid, dann das ganze Ensemble mit untergehakten Armen.

»Es gab eine kleine Privatauktion, veranstaltet von Dina Viernys Nachlassverwaltung in Chartres.« Sie hielt kurz inne und fixierte mich. »Sie besaß eine der unglaublichsten Puppensammlungen der Welt. Zudem war Vierny die Muse für ein Dutzend französische Maler – sie stand Modell unter anderem für Maillol und Matisse – und galt als glühende Schutzherrin der Künste. Ich dachte, vielleicht, nur vielleicht könnte Dina Vierny das Meisterwerk von LaMoriette ja unbemerkt erworben haben. Wenn jemandem so etwas gelingen würde, dann ihr. Sie war ein Wunder – lebte während des Krieges in Paris, engagierte sich in der Résistance, wurde von den Nazis verfolgt. Jedenfalls schickte mich meine Klientin mit einem Flugticket erster Klasse und einer großzügigen Aufwandsentschädigung los. Ich besuchte die Privatversteigerung in der Galerie de Chartres und begutachtete jedes einzelne Stück. Natürlich war LaMoriettes Meisterwerk nicht dabei. Am Ende verbrachte ich ein wunderbares Wochenende in Chartres, aber eben ohne Puppe.«

»Natürlich habe ich nur Fotos gesehen, noch dazu Schwarz-Weiß-Aufnahmen, aber ich kann sagen, dass es einen großen Unterschied in der Konstruktion des Meisterstücks und seiner eher einfach hergestellten Puppen gibt. Die handgefertigte Puppe war deutlich größer als diese hier und besaß auserlesene Details. So hatte sie zum Beispiel einen handgenähten Rumpf aus Ziegenleder, und die Porzellanteile – der Kopf, die Arme und Beine – waren aus einer besonderen Kaolinmischung geformt worden, was der Puppe einen unverwechselbaren Glanzton verlieh, den die industriell hergestellten Puppen nicht haben. Sie besaß Arme und Beine mit Gelenken, ein sehr ungewöhnliches Merkmal für Porzellanpuppen dieser Zeit, denn so waren sonst eher Holzpuppen oder Marionetten gearbeitet.«

Ich dachte an Violaine – die funkelnden Glasaugen, das glänzende Haar, der Koffer mit den Initialen GLM – und spürte, wie sich mein Puls beschleunigte. »Würden Sie denn erkennen, dass sie etwas Besonderes ist, wenn Sie sie vor sich hätten?«

»Oh, man würde den Unterschied sofort erkennen«, sagte sie. »Die handgefertigte Puppe ist sehr ungewöhnlich, besonders die aus Bleikristall gefertigten Augen. LaMoriette verwendete alte Verfahren der Glasbläserkunst, sehr ähnlich wie bei der Herstellung von Muranoglas. Als ich für meine Klientin recherchierte, erfuhr ich, dass er diese Technik in Prag entwickelt hatte, obwohl der Name seines Lehrers verloren gegangen ist. Vielleicht kein Zufall. Er verriet seine Geheimnisse nie. In meinem Beruf lernt man sehr schnell, dass die Provenienz eines Kunstwerks alles ist. Sammler wollen eine gute Geschichte, und die von LaMoriettes Puppe ist wirklich unschlagbar. LaMoriette war wie besessen von seiner Schöpfung. Die Puppe wich nie von seiner Seite. Er soll sie angeblich überallhin mitgenommen haben.«

»Weil LaMoriette die Puppe seiner geliebten Tochter Violaine nachempfunden hat. Das Mädchen kam im Alter von fünfzehn Jahren auf tragische Weise ums Leben, und LaMoriette erholte sich nicht mehr von diesem Verlust. Nachdem er viele Jahre unter Depressionen gelitten hatte, beging er 1909 Selbstmord. Sein Sohn erbte die Werkstatt und verkaufte alles, einschließlich dieser Puppe. Seitdem ist LaMoriettes Meisterstück verschwunden. Es ist durchaus möglich, dass Violaine nie gefunden wird.«