Er hatte gerade seinen Wagen aufgeschlossen, als er einen Benachrichtigungston von seinem Handy hörte. Sein ehemaliger Professor, Dr. Vivek Gupta, versuchte, ihn über eine verschlüsselte Video-App zu erreichen. Dr. Gupta rief ihn nur ein- oder zweimal im Jahr an, daher nahm Mike den Anruf sofort an. Mit dem Telefon in der Hand öffnete er seinen Wagen, ließ Connie hineinspringen, stieg dann in die Fahrerkabine, befestigte sein Telefon auf dem Armaturenbrett und stellte eine Verbindung her.
»Mein Junge«, sagte Dr. Gupta. »Bin ich froh, Sie erwischt zu haben, bevor Sie in noch größere Schwierigkeiten schlittern.«
Vivek Gupta war ein Mann der Renaissance im wahrsten Sinne des Wortes. Neben seiner Arbeit auf den Gebieten der Kryptographie und Mathematik war er ein bildender Künstler, der die Techniken der niederländischen Meister studierte und nachahmte. Die »unglaubliche Leuchtkraft« Vermeers hatte ihn zum Studium der Malerei inspiriert, und während der Covid-Pandemie hatte er Boston verlassen und sich nach Cape Cod zurückgezogen, wo er eine alte Fischerhütte in ein Malatelier verwandelt hatte. Mike hatte ihn erst im Jahr zuvor für ein langes Wochenende besucht, sie hatten Hummer gegessen und über alle möglichen Themen gesprochen, von Topologie bis Albrecht Dürer. Er hatte im Atelier geschlafen, umgeben von Stillleben mit Weinflaschen, toten Vögeln und Granatäpfeln, Gemälde, die ihn mit ihrer Farbigkeit faszinierten und – wie alles, was mit seinem Mentor zu tun hatte – mit einem Gefühl der Demut erfüllten.
Dr. Gupta hatte den jungen Mike im Herbst seines ersten Semesters am MIT unter seine Fittiche genommen. Mike war zu dem Zeitpunkt noch damit beschäftigt, mit dem Umzug klarzukommen, sich an seine Kurse zu gewöhnen und einen Weg zu finden, seine astronomische Miete zu bezahlen. Er sah Dr. Gupta zum ersten Mal in seinem Seminar »Muster, Rätsel, Gleichungen«, wo er ihm von der letzten Reihe aus lauschte. Dr. Gupta war ein großer, eleganter Mann, dessen Englisch mit britischem Akzent einen deutlichen Hindi-Tonfall besaß. Er galt allgemein als Exzentriker. Zu seinen zahlreichen extravaganten Eigenheiten gehörte eine Rube-Goldberg-Maschine aus den sechziger Jahren, die auf einem Tisch in seinem Unterrichtsraum stand, ein glänzendes Gewirr an Windungen und Schleifen, das die Studenten faszinierte.
In der zweiten Vorlesung des Semesters sprach Dr. Gupta ihn an. »Entschuldigen Sie, Mr …?« Von seinem Podium aus zeigte er auf Mike.
»Brink«, sagte Mike und wäre am liebsten im Boden versunken.
»Ja, schön, Mr Brink. Mir ist schon klar, dass Sie zum ersten Mal ein Seminar bei mir belegt haben, aber wenn Sie so freundlich wären, sich mal umzusehen, dann würde Ihnen auffallen, dass Ihre Kommilitonen sich Notizen machen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, es ihnen gleichzutun?«
Mike erlebte so etwas nicht zum ersten Mal – ein Professor interpretierte die Abwesenheit von Papier und Stift bei ihm als Desinteresse oder sogar Arroganz. Genau aus diesem Grund setzte er sich immer in jedem Raum ganz nach hinten. »Ich mache mir Notizen«, sagte er. »Nur nicht auf Papier.«
»Ach ja?«, sagte Professor Gupta und lehnte sich mit einem amüsierten Lächeln an das Podium. »Ist das so?«
»So ist es, ja«, erwiderte Mike und spürte, wie seine Wangen heiß wurden. Es war ein kleines Seminar mit lediglich fünfzehn Studenten, aber jeder Einzelne von denen hatte sich nun umgedreht und starrte ihn an. »Ich kann’s Ihnen zeigen, wenn Sie mögen.«
»Bitte, nur zu«, sagte er. »Letzte Woche haben wir über den Großen Fermatschen Satz gesprochen. Bitte skizzieren Sie auf dem Whiteboard in groben Zügen Andrew Wiles’ Beweis des Satzes.«
»Den kompletten Beweis?«, fragte Mike, ein wenig überrascht darüber, einen solchen komplexen und umfangreichen Beweis wiedergeben zu sollen. Dies würde selbst für ihn eine echte Herausforderung darstellen.
Professor Gupta hielt einen Stift hoch und forderte Mike mit einer Handbewegung auf, an die Tafel zu treten. »Der komplette Beweis, wenn ich bitten darf.«
In der Woche zuvor hatte Professor Gupta im Seminar über die Herausforderungen und das den Großen Fermatschen Satz umgebende Geheimnis gesprochen. Pierre de Fermat, ein französischer Jurist und Mathematiker aus dem siebzehnten Jahrhundert, hatte bei der Lektüre der Arithmetica des Diophantos von Alexandria ein Theorem auf dem Rand des Werkes formuliert und die berühmte wie quälend-verlockende Bemerkung hinzugefügt, der Buchrand sei zu schmal für dessen Beweis. Jahrhundertelang hatten sich Mathematiker mit dem allgemeinen Beweis von Fermats Vermutung abgemüht. Schließlich fand der britische Mathematiker Andrew Wiles 1994 einen Beweis, mehr als dreihundert Jahre, nachdem Fermat den Satz formuliert hatte. Gupta hatte den Beweis von Wiles an die Tafel projiziert und die Studenten gebeten, die wesentlichen Punkte aufzuschreiben. Mike hatte alles fasziniert aufgenommen. Er interessierte sich nicht so sehr für die Mathematik, die im Großen Fermatschen Satz steckte, sondern vielmehr für die immensen Anstrengungen, die zur Lösung geführt hatten, für die Schmerzen, die Wiles hatte ertragen müssen, seine Hartnäckigkeit, die unerbittliche Suche nach der Lösung. Für Mike war das Bestreben, ein Rätsel zu lösen, immer interessanter als die Antwort.
Als er zur Tafel ging, bezweifelte er, dass irgendwer, nicht einmal der gewissenhafteste Mitschreiber, das ganze Ding notiert hatte. Mike erinnerte sich nicht mehr in allen Einzelheiten an die Gleichung, doch als er den Stift hob, sah er sie genauso, wie Gupta sie projiziert hatte. Sie erschien in seinem Kopf in Form von farbigen Kacheln, leuchtenden Schattierungen, die ihn durch die Gleichung führten, als würde er Tonleitern auf einer Klaviatur spielen. Als er fertig war, war das Whiteboard mit Zahlen bedeckt, und seine Kommilitonen starrten ihn verdutzt an.
»Bravo, Mr Brink«, sagte Professor Gupta, ohne sein Erstaunen verbergen zu können. »Bravo. Sie sind ab sofort von der Notwendigkeit befreit, mit Stift und Papier zum Seminar erscheinen zu müssen.«
Von diesem Moment an hatte Professor Gupta Mike adoptiert. Er war sein loyalster Unterstützer am MIT, ein Mentor und Freund, der ihm sowohl in intellektuellen wie praktischen Fragen beratend zur Seite stand. Er beschleunigte Mikes Weg zum Abschluss des Studiums, schlug ihn für zahlreiche Auszeichnungen und Anerkennungen vor, beriet ihn bei beruflichen Entscheidungen, meldete ihn für verschiedene Konferenzen an und hielt ihm stets den Rücken frei, wann immer etwas Unerwartetes mit dem Lehrpersonal und Verwaltungsangestellten geschah.
Mit der Zeit erkannte Mike, wie wertvoll Vivek Gupta als Freund sein konnte. Während Mikes Wissen über Rätsel und Muster, Chiffren und Kryptogramme intuitiv war, verfügte Gupta über ein Erfahrungswissen, das aus drei Jahrzehnten in den Schützengräben stammte. Vivek Gupta war fast fünfzig Jahre alt, als Mike ihn kennenlernte, eine Legende auf seinem Fachgebiet und auch darüber hinaus. Als »Veteran der Cypherpunk-Ära«, wie Gupta sich selbst zu nennen pflegte, misstraute er allen Regierungen und den mit ihnen verbündeten Unternehmen und glaubte, dass man sich in der modernen Welt allein mit hieb- und stichfesten digitalen Codes schützen konnte. Er und seine Mitstreiter hatten ihre Talente in die Erschaffung von Freiräumen, digitalen Landschaften ohne Grenzen, digitalen Währungen und privaten Netzwerken gesteckt, die es ihnen ermöglichen sollten, sich jeder Überwachung zu entziehen. Er war ein früher Befürworter von Kryptowährungen gewesen und hatte ein Blockchain-Netzwerk mitentwickelt, bevor er sein Vermögen in eine milliardenschwere gemeinnützige Stiftung einbrachte, die kleine Unternehmen in Indien förderte. Er war überzeugt, dass der Kapitalismus und der freie Kapitalfluss über Grenzen hinweg die Welt aus der Armut holen könnte, sowohl der physischen als auch der geistigen.
Eines Tages gab Dr. Gupta Mike nach dem Seminar einen Zettel, auf dem Folgendes stand:
»Menschen haben seit Jahrhunderten ihre Privatsphäre durch Flüstern, Dunkelheit, Umschläge, geschlossene Türen, geheime Handzeichen und Kuriere geschützt. Die Technologien der Vergangenheit erlaubten keinen starken Schutz der Privatsphäre, die elektronischen Technologien allerdings schon. Wir, die Cypherpunks, haben uns dem Aufbau anonymer Systeme verschrieben. Wir verteidigen unsere Privatsphäre mit Hilfe von Verschlüsselung, mit Systemen zur anonymen Mail-Weiterleitung, mit digitalen Signaturen und mit elektronischem Geld.«
Mike recherchierte kurz im Internet und fand heraus, dass diese Worte Teil des 1993 von Eric Hughes verfassten Textes »A Cypherpunk’s Manifesto« waren. Er las, dass die Bewegung oft als Vorläufer der technologischen Revolution angesehen wurde: Internet, digitale Kommunikation, Kryptowährungen und dezentrale Systeme auf der Blockchain. Die Cypherpunks wollten Identität und Privatsphäre schützen, und zu ihren Mitgliedern gehörten einige der mächtigsten Techunternehmer der Welt.
Mike verstand die Notwendigkeit von Privatsphäre, aber er gehörte einer anderen Generation an. Er sah keinen Nachteil darin, sichtbar zu sein. Er hatte nichts zu verbergen, warum sollte er also besorgt sein? Was er nicht verstanden hatte, so lehrte ihn Dr. Gupta, war, dass es bei dem Thema Privatsphäre um mehr ging als nur darum, »nichts zu verbergen zu haben«. Es ging vielmehr darum, was die Machtinhaber in Zukunft mit den Informationen anfangen könnten. Es ging darum, wie sie sein Leben beschränken und kontrollieren könnten. Genau deswegen hatten Professor Gupta und die frühen Pioniere des Cyberspace ihre Arbeit begonnen: Es ging um die Freiheit.
»Alles, was Sie sagen, kann und wird gegen Sie verwendet werden«, hatte er eines Abends in einem Pub in Cambridge zu einer kleinen Gruppe seiner Studenten gesagt. »Anonymität ist Macht. Das Bitcoin-White-Paper – das Gründungsdokument des Bitcoin-Zahlungssystems, der wohl revolutionärsten Erfindung der Finanzwirtschaft seit der Einführung des Papiergeldes – wurde von jemandem unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto in einer Mailingliste über Kryptographie veröffentlicht. Manche glauben, der Name stehe für eine Gruppe zusammenarbeitender Menschen und nicht für eine Einzelperson. Wer immer Satoshi Nakamoto tatsächlich ist, man hat sich aus einem bestimmten Grund entschieden, im Verborgenen zu bleiben. Genau hier und jetzt findet ein Krieg statt, dessen Ausgang die Zukunft verändern wird.«
In Mikes zweitem Studienjahr reagierte Dr. Gupta wütend, als er erfuhr, dass Mike seinen persönlichen »kryptographischen Schlüssel« online in seinem Zahlenrätsel veröffentlicht hatte. Egal, dass Mike jung und dumm war, egal, dass nur zwei Personen das Rätsel heruntergeladen hatten, die Enthüllung, dass Mike solch persönliche Informationen online veröffentlicht hatte, verärgerte Professor Gupta zutiefst. »Sie können natürlich versuchen, es zu verbergen«, hatte er gesagt. »Und Sie können alle Verbindungen zu Gary Sand und den anderen abbrechen. Sie haben Ihre Talente allein für ihre eigenen Zwecke benutzt, wie Ihnen jetzt sicher ebenfalls klar ist. Sie waren ein Opfer. Dafür kann man Sie nicht verantwortlich machen. Aber so etwas kann einen für immer verfolgen.«
Und so war es. Diese eine Dummheit, dieser eine Onlineausrutscher, dieses kurzzeitige mangelnde Urteilsvermögen hatten ihn verfolgt.
Mike betrachtete jetzt den Bildschirm seines Handys. Dr. Gupta stand in seinem Maleratelier, trug einen mit Farben bedeckten Kittel. Sein ehemaliger Professor hatte seit seinem Weggang vom MIT erheblich an Gewicht zugelegt, und das stand ihm gut. Er hatte graue Schläfen, einen grauen Ziegenbart und tiefe Lachfalten um Augen und Mund, die physischen Beweise für seine gute Laune. »Mr Brink, mein lieber Freund, was zum Teufel reitet Sie, über ein unverschlüsseltes öffentliches WLAN nach Jameson Sedge zu suchen?«
Mike erläuterte die Situation – das Rätsel, das Thessaly ihm gezeigt hatte, die Begegnung mit Jess im Gefängnis und alles, was daraus gefolgt war –, nahm dann die Zeichnung des kreisförmigen Puzzles heraus und zeigte sie Gupta. Er erwartete, dass sein Mentor einen kurzen Blick darauf werfen und eine ebenso elegante wie offensichtliche Erklärung liefern würde, etwas, das Mike selbst sofort hätte erkennen müssen. Aber das tat er nicht. Er starrte einen Moment zu lange auf den Kreis, eine tiefe Falte tauchte zwischen seinen Augenbrauen auf. Er schien besorgt zu sein. Schließlich sagte er: »Ich habe schon geahnt, dass Sie tief in irgendeinem Schlamassel stecken, als ich auf gewisse Recherchen aufmerksam gemacht wurde, die Sie im Internet durchführten.«
»Sie wurden auf meine Recherchen aufmerksam gemacht?«, fragte Mike. Er wusste, dass Gupta die Fähigkeit besaß, online alles zu sehen, was er wollte, und er hätte sich denken können, dass er ihn beobachtete. »Sie haben mir nachspioniert?«
»Und da bin ich nicht der Einzige«, erwiderte der Professor. »Die einzige Möglichkeit auszuschließen, dass Sie beobachtet werden, wäre, dass Sie Ihre elektronischen Geräte zerstören, aber selbst das ist noch kein ausreichender Schutz. Und jetzt erzählen Sie mir: Wie sind Sie darauf gekommen, Jameson Sedge mit den Ereignissen, die Sie beschrieben haben, in Verbindung zu bringen? Im Netz gab es ganz sicher nichts, was Sie dazu veranlasst haben könnte.«
»Es war nicht leicht. Es gab nur ein einziges Bild von Sedge – ein Foto, aufgenommen bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung.«
»Ich bin überrascht, dass es dieses eine Bild gab«, erwiderte Gupta. »Sedge ist einer der alten Schule, genau wie ich. Es gibt keine Onlineprofile von ihm, er veröffentlicht keinerlei persönliche Informationen und erlaubt nicht, dass sein Bild in Umlauf ist. Er lässt Fotos von sich entfernen, sobald sie auftauchen, und alles, was man über ihn liest – auf Wikipedia oder in Forbes oder der New York Times –, ist sorgfältig kuratiert. Ich weiß das, weil ich mit demselben Mann zusammenarbeite, um meinen Onlinefußabdruck beseitigen zu lassen.«
»Das Foto, das ich gefunden habe, zeigt Sedge mit einer Frau namens Anne-Marie Riccard. Sie hatte Kontakt mit Jess Price im Sedge House, das damals – wie sich herausgestellt hat – Jameson Sedge gehörte. Anne-Marie Riccard war einige Tage vor Noah Cookes Tod in dem Haus. Ich möchte wissen, ob sie mir helfen kann zu verstehen, was dort passiert ist.«
Zwischen ihnen entstand ein für Gupta untypisches Schweigen. Schließlich sagte er: »Halten Sie das wirklich für eine gute Idee, mein Freund?«
»Ich sehe keine andere Möglichkeit«, erwiderte Mike. »Jedenfalls war sie mit einem Treffen einverstanden. Ich werde sie in ein paar Stunden sehen. Denken Sie wirklich, dass Sedge etwas zu verbergen hat?«
»Ich kenne den Mann inzwischen seit fast drei Jahrzehnten, und ich kann Ihnen sagen, dass er mit Sicherheit etwas zu verbergen hat. Ich hatte den Kerl anfangs durchaus gern. Wir mochten beide William Gibson und Philip K. Dick. Wir waren beide sehr an den praktischen Elementen der Kryptographie interessiert und daran, wie sie die Anonymität schützen könnte, insbesondere, wie sie in den Arbeiten von David Chaum formuliert wurde. Wir waren frühe Mitglieder der Cypherpunk-Subkultur und gehörten zu der ursprünglichen Gruppe, die sich in San Francisco traf, um Manifeste zu schreiben und zu veröffentlichen. Und wir waren ebenfalls frühe Befürworter der Blockchain-Technologie und entwickelten Unternehmen, die sich damit beschäftigten. Aber im Laufe der Jahre trennten sich unsere Wege. Ich weiß nicht, womit er sich heute beschäftigt, und das ist durchaus beabsichtigt. Er ist, um ehrlich zu sein, nicht mein Fall. Der Mann ist rücksichtslos, wenn es um seine Privatsphäre geht. Wenn Sie ihn irgendwie bedroht haben, dann sind Sie in etwas sehr viel Tieferes, viel Dunkleres hineingeraten, als Sie es sich vorstellen können.«
»Aber ich habe mit nichts gedroht«, sagte Mike. »Ich bin in diese Sache hineingezogen worden. Das Rätsel ist zu mir gekommen.«
»Sie helfen Jess Price«, sagte Gupta. »Korrekt?«
»So könnte man sagen, ja«, erwiderte Mike und erkannte, dass dies tatsächlich der Fall war. Was als einmaliger Besuch begonnen hatte, war zu etwas Umfassenderem geworden.
»Für Sedge ist ein Freund seines Feindes auch sein persönlicher Feind. Nach allem, was Sie mir gesagt haben, gehört Jess Price nicht gerade zu Sedges Freunden.«
»Da haben Sie wohl recht«, sagte Mike und erinnerte sich an Jess’ chiffrierte Nachricht, an ihre panische Angst davor, beobachtet zu werden.
»Dann würde ich vorschlagen, Sie treffen sich nicht mit dieser Riccard. Lassen Sie die Finger von allem. Vernichten Sie das Rätsel und fahren Sie zurück nach Manhattan.«
»Das kann ich nicht«, sagte Mike und wusste, dass es stimmte. Selbst wenn er ging, selbst wenn er das Rätsel vergessen könnte, würde Jess ihm keine Ruhe lassen.
Gupta seufzte. »Dann beschwichtigen Sie ihn, so gut Sie eben können. Finden Sie eine Möglichkeit, mit ihm zu reden. Versichern Sie ihm, dass Sie sich nicht in seine Angelegenheiten einmischen werden.«
»Aber ich weiß doch nicht mal, was das für Angelegenheiten sind«, sagte Mike.
»Genau weiß das niemand«, sagte Gupta. »Aber das Verbrechen, das sich in seinem Elternhaus zugetragen hat, war das erste Narrativ, das er nicht vollständig kontrollieren konnte. Auch wenn Sie im Netz nichts darüber finden werden, sein Name und die Art seines Unternehmens wurden scharf unter die Lupe genommen. Dass Anne-Marie Riccard bereit ist, mit Ihnen zu sprechen, überrascht mich. Sehr sogar.«
Mike drückte seine Stirn gegen das Lenkrad; der Kunststoff war glühend heiß. Plötzlich verspürte er das drängende Bedürfnis, Guptas Rat anzunehmen und nach Hause in sein Loft zurückzukehren, in die behagliche Welt seiner Rätsel, seiner Laufrunden am Nachmittag, seiner ruhigen Fernsehabende mit Connie. »Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht sollte ich es einfach auf sich beruhen lassen.«
»Ja, natürlich sollten Sie das«, sagte Vivek Gupta. »Aber ich kenne Sie besser. Außerdem, wenn Sedge Sie ins Auge gefasst hat, dann hat das einen gottverdammt guten Grund. Treffen Sie sich wie geplant mit seiner Freundin, aber seien Sie vorsichtig. Einstweilen haben Sie ja meine App für verschlüsselte Nachrichten. Scannen Sie das Rätsel und schicken Sie es mir. Ich werde sehen, was ich darüber in Erfahrung bringen kann.«