Cam Putney begann als einer von zehn Sicherheitsmitarbeitern im Büro von Jameson Sedge in Midtown. Er war einundzwanzig Jahre alt, lebte in einer Bruchbude in Queens und hatte zwei Jobs, um den Unterhalt für seine Kinder zahlen zu können. Er besaß nichts. Kein Auto. Keine Ersparnisse. Er hatte ein großes Drogenproblem – Haschisch und Steroide und gelegentlich eine Nase Koks –, das das wenige, was von seinem Gehalt übrig blieb, auffraß. Nach einer Schlägerei in einem Club an der Steinway Street war er wegen Ruhestörung verhaftet worden, und als er positiv auf Oxycontin getestet wurde, erhielt er eine Geldstrafe, musste eine Entziehungskur absolvieren und schlitterte nur knapp am Gefängnis vorbei. Nichts gab ihm Halt außer seiner Tochter Jasmine, einer wunderschönen Zweijährigen, die er jedes zweite Wochenende sah.

Doch Mr Sedge musste etwas in ihm gesehen haben, einen Funken seiner wahren Natur – seine Fähigkeit zu Loyalität und Gehorsam, seine Sehnsucht nach einer höheren Berufung –, denn eines Nachmittags rief er Cam in sein Büro und fragte ihn, ob er an einer Beförderung interessiert sei. »Ich möchte, dass Sie Teil meines persönlichen Security-Teams werden«, sagte er. »Es ist eine Stelle, die nicht oft angeboten wird.«

»Sie meinen als Bodyguard?«

Sedge lächelte. »Security ist mehr als nur die Gewährleistung physischer Sicherheit, obwohl das natürlich Teil des Jobs ist. Security ist lebenswichtig. Sie umfasst alle Elemente des menschlichen Seins: physisch, intellektuell, spirituell, finanziell. Virtuell. Vielleicht

Cam nickte, ohne genau zu wissen, was der Job beinhaltete, brannte aber darauf, mehr zu erfahren. »Ja, Sir.«

»Dieser Job ist anders als jeder andere, den Sie je hatten. Er erfordert ein hohes Maß an Engagement. Die Arbeitszeiten sind, sagen wir mal, ausgedehnt. Weit mehr als bei einem Vollzeitjob. Es ist eher so etwas wie eine Berufung, die bestimmte Verhaltensweisen erfordert: wöchentliche Drogentests, lange Arbeitszeiten, geistige und körperliche Umschulung, Auslandsreisen. Sie werden außerdem eine Ausbildung in alternativen Sicherheitstechniken benötigen. Sind Sie mit diesen Bedingungen einverstanden, Mr Putney?«

Cam starrte Sedge an, sah seinen ruhigen Blick, seine manikürten Fingernägel, das Selbstvertrauen, das ihm Geld und Macht verliehen hatten. Obwohl er keine Ahnung hatte, was Sedge vorhatte, wusste er, dass er mehr vom Leben wollte als das, was er besaß. »Ja, Sir.«

»Der Job wird Sie an Ihre Grenzen bringen«, fuhr Sedge fort. »Meine Ideen und mein Geschäft sind unorthodox, und die Mitarbeit in meinem Team wird Sie herausfordern. Ich sehe mein Sicherheitsteam als eine Gruppe moderner Samurai – körperlich gerüstet, aber auch intellektuell und geistig in Topform. Sie werden die Klinge sein, die zwischen mir und«, er gestikulierte aus dem Fenster auf die Welt hinaus, »denen steht.«

Cam sah aus dem Fenster auf Manhattan. Die hatten noch nie etwas für ihn getan. »Ich bin interessiert«, sagte er. »Sir.«

»Sehr gut. Ich habe Sie in den letzten Monaten beobachtet. Sie

»Vielen Dank, Sir«, sagte Cam mit bewegter Stimme. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte jemand gesagt, dass er etwas wert war.

»Ich wage zu behaupten, dass es sich für Sie lohnen wird. Zum einen ist das Gehalt großzügig bemessen. Aber es gibt noch weitere maßgeschneiderte Vorteile. Einer davon ist ein Fonds für die Ausbildung Ihrer Tochter Jasmine Lee Putney, der die Kosten für Schul- und Studiengebühren an einer Einrichtung Ihrer Wahl übernimmt.«

Cam hatte auf der Arbeit noch nie irgendwem gegenüber seine Tochter erwähnt, und es überraschte ihn, jetzt ihren Namen zu hören. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass Jameson Sedge durch ihn hindurchsehen konnte, durch die Tätowierungen und Muskeln, durch sein gefärbtes blondes Haar und seine Arbeitsuniform bis direkt in seine Seele. »Das ist sehr großzügig, Sir.«

»Ich brauche Sie zwar an den Wochenenden, aber ich kann dafür sorgen, dass Ihre zweiwöchentliche Sorgerechtsregelung zumindest vorläufig beibehalten wird. Ich kann dies jedoch nicht für die Zukunft garantieren. Es wird Zeiten geben, in denen Sie irgendeine andere Regelung finden müssen. Ich gehe davon aus, dass Sie diese Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen?«

Cam starrte ihn entgeistert an. Sedge kannte nicht nur den Namen seiner Tochter, sondern auch die Details seiner Sorgerechtsvereinbarung. »Das kriege ich geregelt«, sagte er.

»Dann sind wir uns einig, denke ich.« Sedges Worte waren sowohl Handschlag als auch Entlassung. Er schaute zur Tür, und Cam ging wie betäubt.

Innerhalb einer Woche unterzeichnete Cam eine Reihe digitaler Vereinbarungen – »Ricardian-Verträge«, nannte Mr Sedge sie –, die rechtlich garantierten, was er moralisch bereits zugesichert hatte: Loyalität und Schweigen. In der folgenden Woche begann seine Ausbildung, die ihn in den nächsten achtzehn Monaten völlig

In dieser Zeit sah er seine Tochter regelmäßig, jedes zweite Wochenende war sie bei ihm zu Hause. Er nahm keine Drogen mehr, hörte auf zu trinken und wurde ein besserer Vater. Sein Gehalt und der Ausbildungsfonds verschafften Jasmine eine Art von Stabilität, die Cam nie gehabt hatte. So konnte sein Kind gedeihen.

Das war vor mehr als zehn Jahren. Seitdem hatte Cam das Wesen von Jameson Sedges Macht verstanden. Sie war zwar auch, aber nicht nur finanzieller Natur. Das Netzwerk der Freunde dieses Mannes war stärker als Geld. Sedge bekam, was er wollte und wann er es wollte. Während seiner Zeit im Gefängnis, wo alle Ressourcen auf Jess Price konzentriert waren, erlebte Cam das aus nächster Nähe mit.

Als Mr Sedge Cam mitteilte, dass er nach Ray Brook umziehen würde, hatte er sich dagegen gewehrt, die Stadt zu verlassen. Nicht nur, weil er dann mehr als fünf Stunden von Jasmine entfernt wäre, sondern weil er niemandem zutraute, sich so um Mr Sedge zu kümmern, wie er es tat. Die anderen Personenschützer waren nicht so sehr mit Herzblut dabei wie Cam. Mr Sedge zu beschützen war nicht sein Job. Es war seine Berufung.