Carlo Rovelli ist theoretischer Physiker und zählt zu den Begründern der Theorie der Schleifenquantengravitation, ein mathematisch ausgesprochen schwieriges Thema. Dennoch – als ich ihn bei einer interdisziplinären Zusammenkunft traf und ihm zuhörte, erzählte er so verständlich von seiner Arbeit, dass ihm ein Fünfzehnjähriger Schritt für Schritt hätte folgen können. Und er sprach mit so viel Begeisterung, dass der junge Zuhörer sicherlich hätte wissen wollen, wie er selbst Physiker werden könnte.
Carlo Rovelli arbeitet wissenschaftlich an vorderster Front, doch seine Forschung ist für ihn kein Selbstzweck. Die Probleme, die er lösen möchte, verliert er nicht aus dem Auge. Das macht ihn zu einem Sachbuchautor von geradezu magischer Qualität. Methodisch und klar gibt er einen knappen Überblick über die Grundlagenphysik, um ihre Lücken deutlich zu machen – die offenen Fragen, die die heutigen Physiker faszinieren.
Über die Physik hinaus sind es die Naturwissenschaften in ihrer Gesamtheit, ihre Verbindungen mit anderen Wissensgebieten und ihre Rolle in der Gesellschaft, über die er sich Gedanken macht. Physiker sind keine Techniker ohne Verbindung zur Realität – und sie können es auch nicht sein. Immerhin behaupten sie, über diese Realität zu sprechen. Die Welt, die sie mit Hilfe von Teilchenbeschleunigern erforschen, und die Welt, in der sie jeden Morgen aufwachen, sind schließlich dieselbe. Besser als alle anderen Wissenschaftler lässt uns Carlo Rovelli diese enge Verbindung zwischen forscherischer Tätigkeit und unserem quirligen Alltag spüren.
Der italienische Herausgeber Sante Di Renzo hatte die Weitsicht, Carlo Rovelli um einen Text für neugierige junge Leser zu bitten, die sich für eine wissenschaftliche Laufbahn interessieren. Aus mehreren Gesprächen über Physikvorlesungen des Physikers entstand schließlich der Text Che cos’è il tempo? Che cos’è lo spazio?
Da ich, nachdem ich Carlo Rovelli auf der Konferenz gehört hatte, selbst die Idee hatte, ihn zu publizieren, schlug er mir vor, diese Arbeit aufzugreifen und im Hinblick auf ihren wissenschaftlichen Inhalt wie auch auf ihre Gedanken über die Naturwissenschaften weiterzuentwickeln. Daraus ist nun ein pointierterer und umfangreicherer Text geworden, ein veritables «Gedankengebäude», das nun hier vorliegt. Man erfährt, in welche Richtung die Physik von morgen strebt und warum sie wieder auf Aristoteles trifft, woran ein «Körnchen» Raumzeit erinnert und welche wichtige Rolle derartige Fragen für die Entwicklung der Zivilisation spielen können.
Mehr noch als ein naturwissenschaftliches Werk ist dieses Buch eine Demonstration naturwissenschaftlichen Denkens, das für Kinder so natürlich ist, aber so schwer zu bewahren.
Élisa Brune
Wissenschaftsjournalistin