Der Erste, den ich aufsuchte, war Chris Isham, Autor des Artikels, der meine Begeisterung für dieses Thema geweckt hatte. Ich verbrachte zwei Monate mit ihm am Imperial College in London, wo ich zum ersten Mal mit der bunten und internationalen Welt der theoretischen Physik in Berührung kam: Junge Menschen in Anzug und Krawatte mischten sich ganz selbstverständlich unter Wissenschaftler, die barfuß gingen und deren lange Haare bunte Bänder zierten; man stieß auf alle nur denkbaren Sprachen und Physiognomien – es war ein Ort, an dem man Unterschiede schätzte, aber denselben Respekt vor dem Intellekt teilte. Hier fand ich viel von dem freien und unbeschwerten Geist der Hippiekommunen wieder, den ich auf meinen früheren Reisen so geschätzt hatte.
Chris Isham war der Guru der Quantengravitation. Er wusste alles, was man über dieses Thema wissen konnte, aber auch über die Jung’sche Psychoanalyse, über Theologie und eine Fülle weiterer Themen, die in Gesprächen mit ihm immer wieder auftauchten. Er hatte ein sanftes und freundliches Wesen, zur einen Hälfte ein großer Weiser, der jedem einen guten Rat geben konnte, zur anderen Hälfte ein ewig junger Mann, der nicht aufhörte, über die Rätsel der Welt zu staunen. Ich erklärte ihm meine ersten, noch sehr unklaren Ideen, und ich hörte ihm viel zu. Er machte mich freundlich auf Denkfehler und die Ungenauigkeit meiner Überlegungen aufmerksam. Ich fotokopierte am College alles, was es zu dem Thema gab, und las sehr viel. Auf langen Spaziergängen in der Nähe des Imperial College, in den Gärten von Kensington, dachte ich über all den neuen Stoff nach. Diese Gärten sind einfach wunderbar, dort herrscht der Geist von Peter Pan, dem Jungen, der nicht erwachsen werden wollte …
Eines Tages erzählte mir Chris, in den Vereinigten Staaten sei es einem jungen indischen Forscher namens Abhay Ashtekar gelungen, Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie so umzuformulieren, dass es das Problem vereinfachen könnte. Chris glaubte, es wäre wahrscheinlich leichter, sich der Quantengravitation über die neue Formulierung von Ashtekar zu nähern.
Daraufhin machte ich mich – noch immer mit meinem eigenen Geld – in die Vereinigten Staaten auf, um diesen Forscher zu treffen, der an der Universität von Syracuse arbeitete. Es handelte sich um die Stadt Syracuse in den USA, nicht um Syrakus in Italien, doch in eine Stadt zu reisen, die denselben Namen trug wie diejenige, in der einer der größten Wissenschaftler aller Zeiten, Archimedes, gelebt hatte, erschien mir dennoch als gutes Omen.
Ich verbrachte zwei Monate in Syracuse und machte mich mit dieser neuen Formulierung vertraut, die noch nicht publiziert war. Abhay strotzte vor Energie. Er hatte bereits eine kleine Gruppe um sich versammelt, die er mit dem Charme seiner gewissenhaften und hartnäckigen Persönlichkeit leitete. Regelmäßig versammelte er seine Mitarbeiter in einem Hörsaal und bedeckte die Tafel mit seiner feinen und präzisen Schrift, um die Lage «auf den Punkt zu bringen», die offenen Fragen aufzuzählen und darüber zu diskutieren. Er dachte analytisch: Immer wieder kam er auf die bereits gemachten Überlegungen zurück, korrigierte und überprüfte sie, bis eine Schwachstelle auftauchte – oder sich ein anderer möglicher, bisher unsichtbarer Weg auftat. Er akzeptierte keine Fehler oder Unschärfen in seinen Gedanken. Abhay repräsentierte eine Art magisches Gleichgewicht zwischen Orient und Okzident, eine dieser Formen neuartiger Intelligenz, die entsteht, wenn unterschiedliche Zivilisationen den Mut haben, sich zu mischen. Ich nahm an diesen Treffen teil, begierig, etwas zu lernen.
Parallel dazu redigierte ich meine ersten physikalischen Fachartikel, und ich setzte mich ohne Einladung oder finanzielle Unterstützung in die Kolloquien, in denen das Thema diskutiert wurde. In einem dieser Kolloquien in Santa Barbara in Kalifornien erfuhr ich von der Existenz eines jungen amerikanischen Wissenschaftlers namens Lee Smolin, der die neue, von Ashtekar entwickelte Formulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie benutzte. Mit seinem Freund Ted Jacobson war es ihm gelungen, seltsame Lösungen der Wheeler-DeWitt-Gleichung zu finden. Also entschloss ich mich, Lee Smolin an der University of Yale aufzusuchen, um zu erfahren, wie diese Gleichungen aussahen. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.