Ich habe einen großen Teil meines Lebens der naturwissenschaftlichen Forschung gewidmet, doch war die Naturwissenschaft eine späte Leidenschaft für mich. In meiner Jugend interessierte ich mich weniger für die Wissenschaft als für die ganze Welt.
Ich bin in Verona aufgewachsen, in einer unauffälligen Familie. Mein Vater, ein Mann von seltener Intelligenz, unaufdringlich und reserviert, war Ingenieur und führte sein eigenes Unternehmen. Er hat mir das Vergnügen vermittelt, die Welt mit Neugier zu betrachten. Meine Mutter, eine wahre Italienerin, überschüttete ihren einzigen Sohn mit Liebe, half mir bei den «Forschungen», die ich in der Grundschule durchführte, und förderte meinen Wissensdurst.
Ich besuchte das klassische Gymnasium in Verona, wo mehr Wert auf Griechisch und Geschichte als auf Mathematik gelegt wurde. Diese Schule bot einerseits viele kulturelle Anregungen, war andererseits aber auch anmaßend und provinziell, hatte sie sich doch auf die Fahnen geschrieben, Privilegien und Identität der heimischen Bourgeoisie zu schützen. Mehrere Lehrer waren vor dem Krieg Faschisten gewesen, und sie waren es im Herzen geblieben. Man schrieb die 1960er und 1970er Jahre, und zwischen den Generationen tobte ein heftiger Konflikt. Die Welt veränderte sich rasch. Den meisten Erwachsenen in meiner Umgebung fiel es schwer, diese Entwicklung zu akzeptieren; sie verharrten in Abwehr und unproduktiven Haltungen. Ich hatte kein Vertrauen zu ihnen, und noch weniger vertraute ich meinen Lehrern. Ich lag in ständigem Streit mit ihnen und mit sämtlichen Autoritätspersonen.
Meine Jugendjahre waren von Aufbegehren geprägt. Ich konnte mich mit den Werten, die um mich herum vertreten wurden, nicht identifizieren und empfand ein Gefühl völliger Verwirrung, denn nichts erschien mir sicher. Nur eins war klar: Die Welt um mich herum unterschied sich deutlich von jener, die mir gerecht und schön erschien. Ich träumte davon, auszusteigen und dieser Wirklichkeit, die mich abstieß, zu entfliehen. Ich las Bücher, in denen von anderen Lebensweisen und neuen Ideen die Rede war. Und ich dachte, in jedem Buch, das ich noch nicht gelesen hatte, könnten wunderbare Schätze verborgen sein.
Während meines Studiums in Bologna ergriff der Konflikt mit der Welt der Erwachsenen einen Großteil meiner Generation. Wir wollten die Welt verändern, sie besser machen, weniger ungerecht, neue Wege finden, zu leben und zu lieben, mit neuen Lebensentwürfen experimentieren, alles ausprobieren. Wir verliebten uns fortwährend neu und diskutierten ohne Ende. Wir wollten lernen, die Dinge ohne Vorurteile zu sehen. Es gab Momente der Verzweiflung und andere, in denen wir glaubten, die Morgendämmerung einer neuen Welt heraufziehen zu sehen.
Es war eine Zeit, in der man seine Träume auslebte. Wir reisten viel: im Kopf und auf der Straße, immer auf der Suche nach neuen Freunden und Ideen. Mit zwanzig brach ich allein zu einer langen Reise um die Welt auf. Ich war auf der Suche nach Abenteuern und wollte «die Wahrheit finden». Heute, Anfang sechzig, muss ich über meine damalige Naivität lächeln, aber ich denke noch immer, dass ich die richtige Wahl traf, und in gewisser Weise erlebe ich heute noch das Abenteuer, das damals begann. Der Weg war nicht immer leicht, doch die verrückten Hoffnungen und die grenzenlosen Träume von damals erfüllen mich noch immer; man muss nur den Mut haben, ihnen zu folgen.
Mit einer Gruppe von Freunden rief ich in Bologna einen der ersten freien Radiosender jener Zeit ins Leben, Radio Alice. Das Mikrophon stand jedem zur Verfügung, der sich per Ätherwellen ausdrücken wollte. Bei Radio Alice trafen sich Experimente und Utopien. Mit zwei Freunden aus diesem Kreis verfasste ich ein Buch über die italienische Studentenrebellion Ende der 1960er Jahre. Doch rasch wurden die Hoffnungen unserer Revolution erstickt, und die Ordnung gewann wieder die Oberhand. So leicht lässt sich die Welt nicht verändern.
Auf halbem Weg meines Studiums fühlte ich mich verlorener als je zuvor; ich hatte das bittere Gefühl, dass die Träume, die von so vielen geteilt wurden, im Begriff waren, sich schon wieder zu verflüchtigen. Ich hatte keinen Schimmer, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Den Weg des sozialen Aufstiegs einzuschlagen, Karriere zu machen, Geld zu verdienen und einen Zipfel der Macht zu ergreifen, erschien mir allzu öde. Das war nicht mein Ding. Aber es gab die ganze Welt zu erforschen, und jenseits der Wolken stellte ich mir stets einen grenzenlosen Horizont vor.
Die wissenschaftliche Forschung war damals meine Rettung – hier fand ich einen unbegrenzten Freiraum, ein Abenteuer, ebenso außergewöhnlich wie uralt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich studiert, um meine Prüfungen zu bestehen, und vor allem, um den obligatorischen Militärdienst hinauszuzögern; doch nun interessierten mich meine Fächer wirklich und begeisterten mich schließlich sogar.
Im dritten Studienjahr Physik stand die «neue» Physik auf dem Lehrplan, die Physik des 20. Jahrhunderts: Quantenmechanik und Einsteins Relativitätstheorie. Dahinter stehen faszinierende Ideen, außergewöhnliche konzeptuelle Revolutionen, die unsere Sicht der Welt verändern und alte Ideen auf den Kopf stellen, darunter auch solche, die als gut gesichert galten. Im Zuge dieser neuen Erkenntnisse ist deutlich geworden, dass die Welt nicht so ist, wie sie scheint. Man lernt, die Dinge mit anderen Augen zu betrachten. Das ist eine bemerkenswerte Gedankenreise. So bin ich aus einer missglückten Kulturrevolution in eine gerade stattfindende Revolution des Denkens hineingeschlittert.
Mit den Naturwissenschaften entdeckte ich eine Art des Denkens, die mit dem Festlegen von Regeln beginnt, um die Welt zu verstehen, und anschließend in der Lage ist, diese Regeln zu modifizieren. Diese Freiheit auf der Suche nach Erkenntnis faszinierte mich. Angespornt von meiner Neugier und vielleicht auch von dem, was Federico Cesi, Freund Galileis und Visionär der modernen Naturwissenschaften, «den natürlichen Wunsch zu wissen» nannte, fand ich mich plötzlich, fast ohne mir dessen bewusst zu werden, mitten in den Problemen der theoretischen Physik wieder.
Mein Interesse für diese Disziplin erwuchs daher eher aus Zufall und Neugier denn aus einer bewussten Entscheidung. Im Gymnasium war ich gut in Mathematik, aber ich fühlte mich stets stärker zur Philosophie hingezogen. Wenn ich als Studienfach Physik statt Philosophie gewählt hatte, dann nur deshalb, weil ich in meiner Verachtung für die etablierten Institutionen philosophische Probleme für zu wichtig hielt, um sie allein an der Hochschule zu diskutieren …
In dem Moment, als mein Traum, eine neue Welt zu schaffen, an der Realität scheiterte, verliebte ich mich daher in die Wissenschaft, die die Entdeckung einer unendlichen Zahl neuer Welten bereithält und mir die Möglichkeit bot, als Forschender frei und ungehindert meinem Weg zu folgen. Die Naturwissenschaft war für mich ein Kompromiss: Sie erlaubte mir, auf meinen Wunsch nach Veränderung und Abenteuer nicht zu verzichten, meine Gedankenfreiheit zu bewahren und der zu sein, der ich bin; zugleich mied sie alle Konflikte, die aufgrund dieser Haltung mit der Umwelt auftreten können. Besser noch, ich leistete einen Beitrag zu einem Unterfangen, das die Gesellschaft schätzte.
Meines Erachtens erwächst ein großer Teil intellektueller oder künstlerischer Arbeit aus einem derartigen Manöver. Sie bietet eine Art Refugium für potenzielle Abweichler. Gleichzeitig braucht die Gesellschaft solche Menschen, denn sie lebt in einem dynamischen Gleichgewicht: Auf der einen Seite garantieren Beharrungskräfte ihre Stabilität und Fortdauer und verhindern Unordnung, die das Geschaffene zerstören würde. Auf der anderen Seite sorgt der Wunsch nach Wandel und Gerechtigkeit dafür, dass die gesellschaftlichen Zustände sich verändern und weiterentwickeln. Ohne diesen Wunsch nach Wandel hätte die Zivilisation niemals den Punkt erreicht, an dem sie sich heute befindet; wir würden noch immer die Pharaonen verehren.
Ich denke, die Neugier und das Streben nach Veränderungen, die es in jeder Generation gibt, sind die Hauptquelle für gesellschaftlichen Fortschritt. Neben den Hütern der Ordnung, die die Stabilität erhalten, die geschichtliche Entwicklung aber bremsen, muss es Menschen geben, die ihre Träume leben und sich trauen, neue Wege zu gehen, verblüffende Ideen zu entwickeln, die Realität auf bisher ungeahnte Weise zu betrachten und zu verstehen. Die heutige Welt ist von denjenigen erdacht und erbaut worden, die in der Vergangenheit fähig waren zu träumen. Nur neue Träume können unserer Zukunft Leben verleihen.
Dieses Buch beschreibt einige Etappen des Weges, den ich in meiner Neugier eingeschlagen habe, und die Träume, die ich auf diesem Weg geträumt habe. Es erzählt von meiner Begeisterung für die Ideen und von den Freunden, die mir unterwegs begegnet sind.