Es ist wohlbekannt, dass Finanzierungsprogramme für Naturwissenschaften heute mehr und mehr an Projekte vergeben werden, die der industriellen Entwicklung dienen und technologische Anwendung finden können. Die Unterstützung für die reine Forschung befindet sich im freien Fall. Das ist offenkundig eine sehr kurzsichtige Politik. Wenn sich die politisch Verantwortlichen in Alexandria oder die Medici in Florenz auf die angewandte Forschung konzentriert hätten, hätten sie Euklids und Galileis Arbeiten als unnütz abgetan, und wir wären heute eine ignorante und arme Gesellschaft.
Auf alle Fortschritte beim grundlegenden Verständnis der Welt folgten wichtige technologische Entwicklungen. Die Beispiele sind Legion: Die Basis der modernen Ingenieurswissenschaften findet sich in Newtons Berechnungen der Mondumlaufbahn, die große Revolution in der Landwirtschaft ist im Wesentlichen die Folge einer wertfreien Neugier, wie sich Eigenschaften vererben, das Radio und das Fernsehen sind auf unerwartete Weise aus den Arbeiten Maxwells über die Natur des Lichts entstanden; die Computertechnologie gäbe es nicht ohne die Erforschung eines wirtschaftlich uninteressanten Objekts im 20. Jahrhundert, des Atoms; das satellitengesteuerte Navigationssystem (GPS) würde nicht funktionieren, wenn sich Einstein nicht Gedanken über das Wesen der Zeit gemacht hätte. Jeder technologische Sektor unserer modernen Gesellschaft ist das Ergebnis von Grundlagenforschung, angetrieben durch Neugier. Und Grundlagenforschung kann sich nur entwickeln, wenn weitsichtige Verantwortliche in der Gesellschaft ihre Bedeutung verstehen.
Auch ohne auf den langfristigen Nutzen zu verweisen, muss Europa die Grundlagenforschung unterstützen, wenn es wieder zu einem der intellektuellen Zentren der Welt werden will. Es hat aus der arabischen Zivilisation die Idee der Universität übernommen und sie in großartiger Weise zu Orten weiterentwickelt, an denen Forschungsfreiheit herrscht und das erworbene Wissen von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die europäischen Universitäten von heute sind ein schwacher Abglanz ihrer Vergangenheit, und sie werden bald eine blasse Kopie der besten amerikanischen Universitäten sein. Viele akademische Systeme in Europa belohnen eher Karrieristen, die die Regeln beherrschen, als kreative und originelle junge Forscher, die sich wenig um solche Regeln scheren. Im sogenannten materialistischen Amerika genießen intellektuelle Brillanz und von Neugier getriebener Forschergeist hohe Wertschätzung. Immer mehr Nobelpreise gehen an amerikanische Forscher, und der kulturelle Einfluss der Vereinigten Staaten wächst ständig, was langfristig bedeutende politische Konsequenzen haben wird.
Meiner Meinung nach ist die stärkste menschliche Kraft – die Kraft, die die Zivilisation geformt, uns aus den Höhlen gelockt und uns von der Vergötterung von Pharaonen befreit hat – die Neugier. Wenn Europa seine lebenswichtige Neugier erhalten und schützen will, muss es in seine Universitäten als seine Kulturzentren investieren.
Um zu den Strings und den Schleifen zurückzukehren: Die Grundlagenforschung befindet sich zurzeit im Zustand eines unübersichtlichen Entstehungsprozesses. Wir haben wunderbare Ideen und weit entwickelte Theorien, aber wir wissen nicht, ob sie auch stimmen.
Vielleicht ist die Lösung großer offener Probleme, wie die Zusammenführung der Allgemeinen Relativitätstheorie mit der Quantenmechanik, bereits in unseren Theorien versteckt und muss nur noch herausgearbeitet und experimentell bestätigt werden. Vielleicht ist es aber auch so, dass wir nichts Brauchbares gefunden haben und ein junger, bisher noch unbekannter – weiblicher oder männlicher – Einstein, der nur schwer eine Forschungsstelle findet, die Lösung in den nächsten zehn Jahren entdeckt. Oder vielleicht ist es sogar Ihr Part, liebe Leserin/lieber Leser dieses Buches, die fehlende Idee zu finden?