5
Shawn
Es war der zweite Tag von drei, der über mein Leben und das Schicksal von Mia entscheiden sollte. Ich hatte keine Angst vor dem Tod, aber davor, zu scheitern. Wenn ich heute Nacht sterben und Mia Sergejew zugelost werden würde, dann wäre dies ihr Untergang. Vielleicht würde sie die Nacht überleben, aber nur als gebrochene Frau, die jeglichen Lebenswillen verloren hätte. Ich musste gewinnen und ich würde es auch.
Ich stand wie schon das letzte Mal vor der geschlossenen Tür, die in die Kampfhalle führte. Sie wurde von den beiden Security-Männern bewacht, die mich von meinem Quartier hergebracht hatten. Dieses Mal war es anders. Während sich in der ersten Runde das Publikum fast vollkommen ruhig verhalten hatte, feuerte die Menge die Kämpfer nun lautstark an. Zwischendurch hörte man Frauen aufschreien. Ich wusste, was das zu bedeuten hatte. Es wurde brutal und blutig. Vielleicht brachen auch ein paar Knochen.
In meinen Muskeln tobte dieses Vibrieren und Kribbeln, das mich rastlos machte und mein Aggressionspotential deutlich hatte anwachsen lassen. Zu Letzterem trug auch dieses leise Summen in meinen Ohren bei, das jenem ähnelte, welches von einem Bienenstock ausging. Zwei Tage hatte ich überlegt, ob ich eine oder zwei Tabletten einnehmen sollte. Die Möglichkeit, dass Mia mir wieder zugelost werden würde, bestand durchaus. Es gab Momente, da hoffte ich es, nur damit sie nicht diesem gruseligen, unberechenbaren Chinesen in die Hände fiel. Dann hatte ich wieder Phasen, da betete ich, dass sie nicht zu mir käme. Die Vorstellung, ihr nach allem, was ich ihr angetan hatte, wieder in die Augen sehen zu müssen, machte mir mehr Angst, als der bevorstehende Kampf gegen Sergejew.
Und dann war da auch noch die Furcht, dass ich mit den Drogen in meinem Blutkreislauf erneut meine Beherrschung verlieren würde, ganz zu schweigen davon, dass ich in diesem Zustand nicht in der Lage war, weder in einer normalen Lautstärke zu sprechen, noch sie zu berühren, ohne grob zu sein. Schließlich entschied ich mich für zwei Tabletten. Ich konnte nicht das Risiko eingehen, Sergejew einen Vorteil zu verschaffen. Der Sieg über Sergejew hatte Vorrang vor allem anderen.
Für den Fall, dass das zweite Szenario eintreten würde, hatte ich mir einen Plan zurechtgelegt, schon wieder. Ich und meine Pläne!
Aber dieses Mal würde mich nicht etwas Unvorhergesehenes aus der Bahn werfen. Ich würde auf gar keinen Fall einen Rückzieher machen. Der Schlussstrich unter unserer Beziehung war gezogen. Ich konnte nicht zulassen, dass sie und die Kinder noch einmal Opfer meiner Vergangenheit würden. Wir konnten von Glück reden, dass es Benny getroffen hatte, der noch zu klein war, um ein Trauma von der Entführung davonzutragen. Hätte es einen der Zwillinge getroffen, dann hätte sich ein derartiger Gewaltakt verheerend auf die Psyche des Kindes ausgewirkt. Und was Mia anging, so wollte ich gar nicht darüber nachdenken, was diese ganzen Erlebnisse und Eindrücke auf dem Schiff mit ihr anstellten.
Herrgott!
Manchmal dachte ich, ich handelte falsch. Aber auch wenn zwischen uns alles stimmen würde, hegte ich große Zweifel, dass wir eine gemeinsame Zukunft hätten. Ich war der Grund für ihr ganzes Leid. Tagtäglich würden die schrecklichen Bilder vor ihrem inneren Auge auftauchen, wenn sie mir in die Augen sehen und meinen gezeichneten Körper betrachten oder berühren würde. Das Geschehene und das, was noch kommen würde, würde sich auf immer und ewig in ihre Netzhaut und in ihr Gedächtnis brennen.
Diesen neuen Plan, der nicht von dem ersten abweichen würde, würde ich durchziehen, ganz gleich, was er mit meinem Herzen und ihrem Herzen anstellen würde. Schlimmer konnte es ohnehin nicht mehr werden. Unsere Herzen bluteten, weil ich sie mehrfach gebrochen hatte. Ich würde kein Wort mit ihr wechseln und mich auf kein Gespräch mit ihr einlassen. Ich hatte bereits alles vorbereitet. Die Bandage war wieder am Lattenrost befestigt. Eine Bandage lag bereit. Die letzten drei Schlaftabletten hatte ich in einem Glas Wasser aufgelöst. Ihr dieses Gemisch einzuverleiben würde am schwierigsten werden. Aber irgendwie würde ich es schaffen. Bis sie eingeschlafen wäre, würde ich ihr wieder die Socke in den Mund stopfen. Ich würde es ihr jedoch bequemer machen, sobald sie in tiefen Schlaf gesunken wäre. Knebel und Handfessel würde ich wieder entfernen. Und dann würde ich mich ein allerletztes Mal an ihren süßen, kleinen Körper schmiegen, ihn in meinen Armen halten und ihren unverkennbaren Duft inhalieren, bis die Sonne aufging.
Das war mein Plan, den ich jedoch nur ausführen müsste, wenn ich aus dem Kampf gegen Sergejew krankenhausreif geschlagen als Sieger hervorgehen würde. Dieser Ausgang wäre optimal, da ich dann aus Sicht der Zuschauer nicht in der Lage wäre, zu vögeln und ich dann auf der Krankenstation landen würde. Meine Rechnung würde jedoch nur aufgehen, wenn der Veranstalter sie mir nicht einen oder zwei Tage später, nachdem ich mich halbwegs von den Verletzungen erholt hätte, zu mir schicken würde, um das Versäumnis vor den Passagieren nachzuholen.
Plötzlich erstarb das Geschrei des Publikums. Es vergingen ein paar Augenblicke der absoluten und im wahrsten Sinne des Wortes tödlichen Stille, bis mit einem Mal die Mundharmonikaklänge des Liedes vom Tod zu hören waren. Das erste Halbfinale war zu Ende. In dieser Runde wurde bis zum Tod eines Kämpfers gekämpft. Eine Interaktion des Publikums war nicht mehr vorgesehen. In der Vorrunde hätten sie sich diese perverse Spielerei sparen können, da Sergejew und ich uns über die Einbeziehung der Zuschauer hinweggesetzt hatten. Wie es bei den ersten beiden Kämpfen abgelaufen war, wusste ich nicht, da ich mir die Kämpfe bisher noch nicht angeschaut hatte.
Ich war mir sicher, dass der Chinese gewonnen hatte. Meine innere Unruhe wurde immer unerträglicher und mein Bedürfnis, mich mit Sergejew zu schlagen, immer größer. Ich schaffte es nicht mehr, ruhig zu stehen. Also tänzelte ich vor und zurück oder von rechts nach links. Die Tür sprang plötzlich auf und vier Security-Männer erschienen mit einer Bahre, auf der ein Kämpfer lag. An den grünen, mit Blut befleckten Shorts konnte ich erkennen, dass es der Koreaner war. Sein Gesicht war völlig entstellt. Es war nicht einmal mehr zu erkennen, dass es sich um einen Asiaten handelte. Die Nase war vollkommen zertrümmert und nicht mehr als solche zu erkennen. An der Stelle, wo sich der Mund befand, war nur blutendes Fleisch zu sehen. Sein rechter Unterschenkel stand in einem unnatürlichen Winkel nach außen. Unmengen von Blut bedeckten seine Brust, was bedeutete, dass er es lange auf den Beinen ausgehalten hatte, bevor er geschlagen auf den Boden stürzte.
Die Tür wurde wieder geschlossen. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis man mich hineinließe. Wie ein wütendes Raubtier begann ich, gegen die Tür zu schlagen. Das Blut des Koreaners hatte in mir Blutdurst geweckt. Ich musste meine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht eigenmächtig die Tür aufzureißen, um den verfickten Zuschauern zu zeigen, was sie sehen wollten. Ich konnte es kaum erwarten, Sergejew zu zerfetzen. Meine Gedanken an Mia verschwammen immer mehr, was auch gut so war. Meine Skrupel, mich vor ihr in einen brutalen, kaltblütigen Killer zu verwandeln, existierten nicht mehr. In der Vorrunde hatten mich die Gefühle zu ihr noch etwas gehemmt. Aber nun, da ich die Verbindung zu ihr unmissverständlich gekappt hatte, konnte ich das sein, was ich fast zehn Jahre in der Gefangenschaft Kurosakis gewesen war. Und der Drogencocktail, der in mir brodelte und meinen Körper zum Glühen brachte, unterstützte mich dabei.
Die Stimme des Moderators ertönte und kündigte den Drachen an. Frenetischer Applaus und heroische Musik drangen an meine Ohren und übertönten das Summen in ihnen.
Endlich! The Show can begin!
Einer der Security-Männer öffnete die breite Tür und ich stürzte trabend in den kurzen, dunklen Gang. Der Käfig lag im Scheinwerferlicht, das von der Decke auf ihn hinab leuchtete. Es dauerte nicht lange, da tauchte ich in den Lichtkegel ein. Für einen Moment blieb ich in dem grellen Licht stehen und genoss den neu aufbrandenden Applaus. Mein Blick war stur geradeaus auf den Käfig gerichtet. Ich sah weder nach links auf die Zelle des Chinesen, wo ich aus dem Augenwinkel Bewegungen wahrnahm, noch ließ ich meinen Blick rechts neben das Oktagon schweifen, wo die Frauen saßen. Ich hegte nicht den geringsten Zweifel, dass Mia unter ihnen war.
Jeden einzelnen im Publikum würde ich gleich schocken, mit Ausnahme von einer Person: Kurosaki. Er wusste, was in mir steckte, was seit Monaten in mir verborgen ruhte und was ich sein konnte, wenn ich es zuließ. Meine Selbstbeherrschung lief auf Hochtouren. Ich setzte alles daran, keine Emotionen zu zeigen und einen gleichgültigen, gelassenen Eindruck zu vermitteln. In mir kochte jedoch lavagleich meine Aggressivität, die nur darauf wartete, sich explosionsartig über Sergejew zu ergießen.
Ich nahm meinen Weg wieder auf und betrat den Käfig erneut als Erster. Genau wie letztes Mal nahm ich Stellung gegenüber der Tür ein. Der tosende Applaus ebbte ab und die Musik verstummte. Der Moderator erhob erneut seine Stimme und kündigte das Russenarschloch an. Da mein Blick auf die Tür gerichtet war, sah ich zwangsläufig auf die Zelle des Chinesen, die sich direkt dahinter befand. Er saß auf seinem Stuhl und wurde von zwei medizinischen Kräften umsorgt. Ganz ohne Blutverlust war es auch bei ihm mich verlaufen. Einer der beiden Männer war mit der Versorgung seiner Verletzungen in seinem Gesicht beschäftigt, der andere mit seinen Extremitäten. Immerhin konnte er aufrecht sitzen. Er hatte den Kampf offenbar ohne ernsthafte Verletzungen überstanden, was für das Finale in vier Tagen von Vorteil war. Ich speicherte in meinem von Kampfeslust umnebelten Gehirn ab, dass ich es möglichst schnell zu Ende bringen musste, um schwächende Beeinträchtigungen möglichst gering zu halten. Ob Sergejew dieselbe Strategie verfolgte? Oder zog er einen langen Kampf vor, um seine Wut und seinen Hass richtig auskosten zu können?
Der Arzt oder wer auch immer die Cuts klammerte, trat etwas zur Seite, sodass unsere Blicke aufeinanderprallten. Die ernste Miene der Schlange verzog sich jäh zu einem überheblichen Grinsen, zu dem sie auch allen Grund hatte. Sie hatte es ins Finale geschafft, während ich mir den Einzug erst noch erkämpfen musste.
Der Moderator beendete sein verficktes Gerede, mit dem er das Publikum heiß machte. Der laute Applaus setzte gleichzeitig mit den ersten gänsehauterregenden Tönen bedrohlich klingender Musik ein, die mit Sicherheit schon heroische Schlachten in Kampfszenen untermalt hatte. Nicht mal drei Atemzüge später wurde Sergejew sichtbar. Er marschierte im Schritttempo ein und hatte ebenso wie ich seinen Blick starr geradeaus auf den Käfig gerichtet, vielmehr auf mich. Seine Miene war alles andere als ungerührt. Ihm sah man die durch die Droge entfesselte Bestie an, während meine sich unter der Maske der Gleichgültigkeit versteckte.
Gut so!
In mir brodelte zwar ebenso wie in ihm Wut und Hass. Im Gegensatz zu ihm war ich jedoch noch in der Lage, beides in Schach zu halten. Was dies anging, so war er das krasse Gegenteil von seinem Bruder. Er schritt ungebremst auf den Käfig zu, blieb dann aber abrupt vor den beiden Stufen stehen und starrte zu den Frauen hinüber. Jeder einzelne meiner Muskeln spannte sich aufs Äußerste an. Wie eine Raubkatze machte ich mich zum Sprung bereit. Er würde doch wohl nicht die Kontrolle verlieren und sich auf Mia stürzen? Wenn er den Weg zu ihr einschlagen würde, dann würde mich keine Waffe aufhalten können, ihn außerhalb des Oktagons zur Strecke zu bringen. Ich machte drei vorsichtige Schritte weg vom Maschendraht in die Mitte des Käfigs, als er plötzlich die beiden Stufen erklomm und durch die enge Tür trat. Mir nur einen flüchtigen und grimmigen Blick zuwerfend, ging er weiter zu der den Frauen zugewandten Seite. Ich verfolgte ihn mit meinen Augen, aber nicht ohne zu registrieren, dass ein Kerl von außen die Tür schloss. Eine einzige Regel gab es. Der Kampf durfte erst beginnen, wenn die Tür verschlossen war.
Der Russe näherte sich dem Maschendraht, bis sein Oberkörper ihn berührte. Mit seinen bandagierten Händen griff er in die Löcher und sagte so laut, dass ich seine Worte trotz des Mundschutzes verstehen konnte: „Wer hätte das gedacht, Mia
, dass du und der Drache euch kennt und sogar ein Paar seid oder es zumindest wart. So ziemlich alle Geheimnisse um dich sind nun gelüftet. Ich kenne deinen Namen und ich weiß, dass nicht der Drache meinen Bruder getötet hat, sondern du, Schlampe. Darüber bin ich nicht gerade erfreut, wie du dir denken kannst. Aber meine schlechte Laune wird sich schnell ändern, wenn ich dich in meinen Händen habe. Mal sehen, wie lange deine Fotze durchhält, wenn ich sie die ganze Nacht mit meinem Schwanz durchpflüge.“
Seine hässlichen Worte ließen den Druck in mir noch mehr ansteigen. Dadurch, dass ich meine Position geändert hatte, stand ich außerhalb seines Blickfeldes, fast genau hinter ihm. War er tatsächlich so dumm, mir den Rücken zuzudrehen? Vielleicht legte er es aber darauf an und rechnete mit einem Angriff. Oder aber sein Rachedurst und seine Geilheit, angefacht durch die Droge, waren so groß, dass sein Verstand nicht richtig arbeitete.
Ich konnte mich kaum zurückhalten, loszupreschen und ihn wie eine riesige Schmeißfliege an dem Maschendraht zu zerdrücken, bis seiner Körpersäfte aus ihm herausspritzten. Obwohl mein Blick auf seinen Rücken wie festgenagelt war, erregte eine Bewegung hinter ihm meine Aufmerksamkeit. Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Mia hatte sich erhoben und ging langsam die Barriere entlang. Offenbar wollte sie zu diesem Russenarschloch gehen, um ihm genauso die Stirn zu bieten, wie sie es mit seinem Bruder getan hatte. Diese Erkenntnis entzündete in meinem Gehirn ein Feuerwerk meiner Synapsen. Sergejew musste genauso überrascht über Mias Reaktion sein wie ich. Wahrscheinlich hatte er gedacht, dass sie vor Angst auf ihrem Stuhl zitterte, doch da kannte er Mia schlecht. Im Grunde war meine Aktion genauso leichtsinnig und unüberlegt wie sein Verhalten. Doch auch in mir wütete die Droge und erschwerte rationales Handeln, erst recht, wenn Hass und Wut über den Überlebenswillen hinaus Triebfedern waren. Genau hier scheiterte ich aus Kurosakis Sicht. Ich schaffte es nicht, diese beiden Emotionen zu unterdrücken. In dem Moment, wo dieser Idiot seinen Kopf etwas nach rechts drehte, um Mia mit den Augen zu verfolgen, stürzte ich los. Die Erschütterung des Bodens unter meinen Schritten warnte ihn natürlich. Aber ich war schnell und der Abstand zu ihm war nicht allzu groß, da ich mich aus Angst um Mia kurz zuvor von der Käfigwand gelöst hatte. Er verlor kostbare Zeit, da er erst den Maschendraht, in den er sich gekrallt hatte, loslassen musste, um sich umzudrehen und mir auszuweichen. Trotz der Droge funktionierten meine Instinkte. Ich kalkulierte sein Ausweichen mit ein. Ich musste mich nur für die richtige Seite entscheiden. Und das Glück war zur Abwechslung mal auf meiner Seite. Er wich nach links aus, weil er mich aus der Drehung heraus mit einem Schlag seiner Linken treffen wollte. Ich hatte richtig vermutet. Er wollte nicht nur einfach ausweichen, sondern gleich zu einem Gegenschlag ansetzen, und zwar mit seinem starken Arm. Er war Linkshänder. Wie ein Rammbock krachte ich, auf seinen Schlag vorbereitet, in seine rechte Seite. Aber diesen nahm ich in Kauf. Alles, was ich wollte, war ihn zu schwächen. Der Maschendraht gab zwar nach, aber mein Aufprall genügte, um seine rechte Schulter einer ungeheuren Krafteinwirkung auszusetzen. Seine Faust streifte mein Gesicht. Mit dem Kontakt seines Körpers wurde in mir der Killermodus aktiviert. Ich trat über die Schwelle in meine Welt hinein, die nur mir vorbehalten war und in der meine fünf Sinne nur auf ein Ziel ausgerichtet waren. Weder hörte noch sah ich etwas von dem, was sich außerhalb des Oktagons ereignete. Nichts oder niemand würde mich jetzt noch davon abhalten können, Sergejew dem Erdboden gleich zu machen. Es sei denn, es wäre die Stimme einer bestimmten Frau, die mich darum bitten würde, es nicht zu tun. Aber dieser Fall würde mit Sicherheit nicht eintreten.
Wir kämpften einen guten Kampf, bei dem die Zuschauer auf ihre Kosten kamen, nicht nur kämpferisch, sondern auch was das Blutvergießen anbelangte. Wir bluteten beide. Zu den Blutflecken und -spritzern auf dem Boden der vergangenen Kämpfe mischte sich auch noch unseres. Der Schweiß lief uns in Unmengen aus den Poren. Ich war froh, dass ich vor dem Kampf noch eine Flasche Wasser getrunken hatte. Wir teilten beide aus und steckten beide auch ein. Aber dank der Droge waren die Schläge und Tritte nur halb so stark zu spüren. Das Vibrieren in meinen Muskeln hielt an. Ich vermutete, dass es der Grund für die Schmerzunempfindlichkeit war. Sobald die Wirkung nachlassen würde, würde ich mich fühlen, als wäre ein Caterpillar über mich drüber gerattert. Ernstere Verletzungen würden auch dann erst zu Tage treten.
Der Kampf dauerte noch nicht so lange wie jener gegen Sergejews Bruder. Ich fühlte mich noch gut, sowohl körperlich als auch konditionell. Trotzdem hatte ich keine Lust, noch weitere Schläge oder Tritte einzustecken. Ich musste weiter denken, an den nächsten Kampf, an meinen nächsten Gegner, der sich über eine wachsende Zahl von Verletzungen meines Körpers freuen würde. Sergejew war besser im Grappling auf dem Boden, ich dafür im Striking auf den Beinen. Die Entscheidung würde auf dem Boden fallen. So lief es meistens. Um ihn auf dem Boden zu bezwingen, musste ich ihn zuvor jedoch deutlich schwächen.
Mein primitiver Angriff zu Beginn hatte Früchte getragen. Die Schläge seiner Linken wurden immer schwächer und die Deckung auf dieser Seite war leichter zu durchbrechen. Gerade attackierten wir uns wieder gegenseitig mit den Fäusten. Er versuchte immer wieder, mich mit Tritten gegen die Knie oder mit Beinhaken zu Fall zu bringen, aber es gelang ihm nicht. Dann traf er mich mit seiner Linken voll gegen meinen Mund, sodass ich noch mehr Blut schmeckte. Der Zahn-Mundschutz fing die Wucht auf und die Droge den Schmerz. Unbeeindruckt konterte ich mit meinen Fäusten, bis ich ihn mit der Rechten an der Schläfe traf. Der Schlag brachte ihn aus dem Konzept. Er trat ein paar Schritte zurück und kämpfte offensichtlich gegen Schwindel an. Darauf hatte ich gewartet. Ich reagierte blitzschnell und führte einen Tobi Yoko Geri aus. Aus einem Sprung in der Luft heraus traf ich ihn erneut am Kopf. Durch die Wucht meines Tritts fiel er um und landete auf dem Boden. Ich war sofort auf ihm und ließ ein Hagel Fäuste auf ihn niedersausen. Er wehrte sich mit den Knien und versuchte, mich mit Schlägen in meine Brust und in meinen Bauch loszuwerden. Meine Zähne bohrten sich so sehr in den Mundschutz, dass es knirschte. Die Wirkung der Droge war wirklich enorm. Dass er immer noch kräftige Hiebe austeilen konnte, obwohl ich ihn so oft im Gesicht getroffen hatte, war vollkommen wider der Natur. Er bekam einen meiner Arme zu greifen und verdrehte ihn so, dass ich mich von ihm lösen musste, um ein Auskugeln zu verhindern. Doch ich gab nicht auf. Ich holte mit dem Ellbogen des anderen Arms aus und versenkte ihn in seiner lädierten linken Schulter, deren Arm meinen festhielt. Die Reaktion kam prompt. Sein fester Griff ließ nach und ich war frei. Ich änderte blitzschnell meine Position und schlang meine Beine um seinen Hals. Dann drückte ich mit aller Kraft zu. Er grub seine Finger in meine Schenkel, um sich zu befreien. Aber ich ließ nicht locker. Mit seinen Beinen stieß er sich vom Boden ab, um uns in eine für ihn günstigere Position zu bringen. Und tatsächlich schaffte er es auch. Er hatte immer noch unglaubliche Kraft, aber die hatte ich auch. Für ihn völlig unerwartet, ließ ich seinen Hals frei, bekam seinen linken Arm zu greifen und trat mit voller Wucht gegen den Unterarm, sodass er brach. Die Zuschauer schrien auf, wegen des Geräusches brechender Knochen. Es war wie beim Koreaner ein offener Bruch. Diesen Schmerz konnte auch die Droge nicht mehr dämpfen. Sein Schreien hallte durch die Arena. Doch ich ließ mich davon weder beeindrucken, noch löste es in mir Mitleid oder Gnade aus. Ich setzte meine Vernichtung unbeirrt fort.
Heute war mal wieder eine Premiere in meinem beschissenen Leben. Ich würde zum ersten Mal den Zuschauern das bieten, wofür sie hier waren. Ich tat es aus vielerlei Gründen. Ganz oben stand der Chinese. Ich wollte ihm zeigen, dass das Finale für ihn kein Spaziergang werden würde wie seine Kämpfe gegen die anderen Gegner.
Danach folgte Kurosaki. Ihn wollte ich mit einem Verhalten überraschen, das er nicht von mir gewohnt war. Er sollte sehen, dass ich mich verändert hatte und dass ich nicht mehr derselbe Mann war, den er kannte. Er sollte kapieren, dass ich durchaus nicht die gefühlskalte Maschine war, die er glaubte, nach seinen Vorstellungen erzogen und trainiert zu haben.
Und der letzte Grund, warum ich nun auch noch den rechten Arm des Russen nahm, ihn streckte und dagegen trat, dass auch er brach, war, Mia. Ich wollte ihr zeigen, dass sie Monate lang ein Monster geliebt hatte, das ihre Liebe nicht verdient hatte. Ich wollte sie schockieren, auch auf die Gefahr hin, dass sie durch diesen Anblick von grauenvollen Albträumen verfolgt werden würde.
Als zum zweiten Mal das Geräusch knackender Knochen zu hören war, schrien erneut Frauen auf. Sergejew hatte jegliche Gegenwehr aufgegeben. Er schrie wieder laut auf, woraufhin ich ihn mit zwei Schlägen ins Gesicht zum Schweigen brachte. Seine Nase brach und aus seinem Mund sprudelte Blut, das er mit einem Mal zusammen mit seinem Mundschutz mir entgegen spuckte. Seine Fäuste konnte er nicht mehr benutzen. Also spuckte ich meinen Mundschutz ebenfalls aus dem Mund. Ich fixierte ihn mit einem Knie auf seiner Brust. Mit den Händen drückte ich seine Schultern auf den Boden. Ich hatte noch ein paar Worte an ihn zu richten, bevor ich fortfuhr. Ich wollte sichergehen, dass er sie auch hörte.
„Und? Was sagst du nun, Russe?“, begann ich. „Du hättest nicht deinen Schwanz die Herrschaft über deinen Verstand übernehmen lassen dürfen. Kaum zu glauben, aber wahr! Diese kleine, schwache Frau“, ich zeigte blind in die Richtung der Frauen“, hat es tatsächlich geschafft, zwei widerlichen, grausamen und sadistischen Brüdern das Handwerk zu legen, oder sie war zumindest maßgeblich daran beteiligt. Deinem Bruder hat sie eigenhändig das Licht ausgepustet. Und dich, Wichser, hat sie einen Moment abgelenkt, der nicht der günstigste für dich war. Diese kleine Unachtsamkeit wird dir buchstäblich das Genick brechen, wofür ich gleich sorgen werde.“
„Du verficktes Arschloch! Wenn ich es nicht geschafft habe, dich und deine Nutte fertigzumachen, dann schafft es eben der Chinese.“
Für das Wort Nutte
schlug ich ihm mit beiden Händen auf seine gebrochenen Arme, aus denen Knochenteile mit blutendem Gewebe ragten. Sein Schreien echote laut und gespenstisch in der Halle, da die Zuschauer in der Zwischenzeit verstummt waren. Ein Zeichen dafür, dass es Leute waren, für die Todeskämpfe nichts Alltägliches waren. An den Orten, wo ich früher gekämpft hatte, da wurde der Sieger noch mit Zurufen angefeuert, den Verlierer möglichst qualvoll sterben zu lassen.
„Los, bring es schon zu Ende!“, stöhnte er.
„Das hättest du wohl gerne, was? Weißt du, was mir gerade einfällt. Dein Bruder wurde doch „Knochenbrecher“ genannt. Er ist immer besonders grausam gewesen und hat seinen Opfern Arme und Beine gebrochen, bevor er sie mit einem Genickbruch von ihren Schmerzen befreit hat. Und dann hatte er noch die andere kranke Veranlagung, von der du sicherlich auch weißt. Er hat gerne junge Frauen zu Tode gequält. Mia wäre ihm zum Opfer gefallen, hätte sie ihm nicht die Kugel in den Kopf gejagt. Er war nur ein paar Schläge und einen Genickbruch davon entfernt, dann hätte er sie in seine Gewalt bekommen. Und wäre Mia nicht gewesen, dann würde ich jetzt nicht hier stehen, und dich Wichser unschädlich machen.“
Ich machte eine Pause, in der nur das angestrengte Atmen Sergejews zu hören war. Meinen Blick über das Publikum schweifen lassend, rief ich: „Was meint ihr? Soll ich ihn für die Grausamkeit seines Bruders büßen lassen und ihm auch noch die Beine brechen? Das wollt ihr doch sehen, oder etwa nicht?“
Aus einer Ecke von weiter oben schrie ein Gruppe Männer: „Ja! Brich sie ihm! Er hat es verdient, genauso wie sein Bruder es verdient hätte.“
Kaum waren die Zurufe verklungen, forderten mich ein paar Männer aus einer anderen Ecke auf, dieselbe Grausamkeit walten zu lassen wie Sergejew eins. Immer mehr mutige Stimmen erhoben sich und wollten sehen, wie ich ihm die Beine brach. Ich sah in Sergejews Augen. Nackte Panik sprach aus ihnen. Nicht die geringste Spur von Überheblichkeit und Selbstbewusstsein war mehr in ihnen zu finden. Wie ein ängstliches Kind sah er mich an. Ich erhob mich und näherte mich seinen Beinen. Da er seine Arme nicht mehr nutzen konnte, stieß er sich mit den Füßen auf dem Rücken liegend vom Boden ab, um mir zu entkommen, was natürlich ein lächerlicher und zum Scheitern verurteilter Versuch war. Ich packte einen seiner Füße. Wie ein Fisch fing er an zu zappeln, um sich aus meinem Griff zu winden. Ich ließ es los, näherte mich ihm mit zwei großen Schritten und versenkte noch zweimal meine Faust in seinem Gesicht, damit er stillhielt. Der aufflammende Schmerz gleich in seinem Bein, würde ihn seiner kurzfristigen Benommenheit wieder entziehen. Unter seinen Armen hatte sich jeweils ein großer Blutfleck gebildet. Die Zurufe des verfickten Publikums waren inzwischen zu einem lauten Chorgesang angeschwollen, in dem sie immer wieder „Brechen! Brechen! Brechen!“ schrien.
Wieder an seinen Füßen angelangt, bückte ich mich und ergriff von neuem einen, als ich plötzlich hinter mir etwas durch die Anfeuerungsrufe hindurch scheppern hörte. Ich drehte mich herum und sah Mia, wie sie wie eine Irre an dem Maschendraht rüttelte. Tränenüberströmt schüttelte sie den Kopf. Auf einmal verstummten die Zuschauer. Und dann vernahm ich sie, die Stimme, die, wenn ich es zuließ, so viel Macht über mich hatte.
„Tu es nicht, Shawn! Bitte! Lass dich nicht auf Sergejews Niveau herabsinken. Du bist nicht wie er.“
In der plötzlich eingetretenen Grabesstille konnte ich ihre Worte laut und deutlich verstehen. Ihre Stimme klang brüchig und gepresst, als ob es ihr schwerfiele zu sprechen. Obwohl an ihrem elfenhaften Körper wieder der schwarze Spitzenfetzen wie eine zweite Haut klebte, sah sie wie mein Schneewittchen aus. Sie trug das Haar offen, und ihr Gesicht war vollkommen ungeschminkt. Zwei Tränenbäche liefen ihre Wangen hinunter. Ich schluckte gegen einen immer größer werdenden Kloß im Hals an, ohne meinen Blick von ihr zu wenden. Da ich nicht reagierte, begann sie erneut, vehement den Kopf zu schütteln. Mein Blut, vermischt mit der Droge und dem Überfluss an Adrenalin, rauschte in hohem Tempo durch meinen vibrierenden Körper. Ich hörte mich selbst atmen, da ich durch den Mund die Luft einsog und ausstieß. Wie ferngesteuert, ließ ich das Bein fallen, wandte mich von ihr ab, ging zu Sergejews Kopf, klemmte ihn mir in den Arm und zischte ihm über sein Gesicht: „Du wirst nie herausfinden, wie sich ihre Lippen auf deinem Schwanz anfühlen.“
Ich wartete zwei Atemzüge und überdrehte dann seine Halswirbelsäule, sodass sie brach. Ohne dass ich Mia weiter Beachtung schenkte, donnerte ich auf die Tür zu und schlug ungeduldig dagegen. Das Lied vom Tod
wurde eingespielt. Ein Security-Mann eilte herbei, schob den Riegel beiseite und trat rasch zur Seite. Offenbar war ich bereits bekannt für mein Temperament. Ich schlug die Tür wieder mit Schwung auf und verließ den Käfig. Vor meiner Zelle, die direkt neben der der Schlange war, erwarteten mich schon die medizinischen Kräfte mit ihren Utensilien. Die Schlange würdigte ich keines Blickes, als ich in die Zelle trat und mich auf den Stuhl setzte. Meine Augen suchten Mia. Sie saß wieder in der Reihe bei den drei anderen Frauen. Ich nahm einen tiefen Atemzug, schloss die Lider und begann von zweihundert an rückwärts zu zählen, um mich auf die verfickte Frauenlotterie vorzubereiten. Währenddessen fühlte ich, wie routinierte Hände meine Wunden versorgten.
„Verspüren sie irgendwo einen intensiven Schmerz?“, fragte mich einer der beiden Kerle in Englisch mit starkem Akzent, den ich nicht zuordnen konnte. Ich öffnete die Augen und sah in ein paar rabenschwarze Augen. Die Haut des Mannes war auch nicht mehr weit davon entfernt tiefschwarz zu sein. Er hatte glattes, kurz geschnittenes Haar. Ich tippte auf einen Inder oder Tamilen. Daher auch der merkwürdige Akzent.
„Mister, ich bin Dr. Kumari, der Leiter der medizinischen Abteilung des Schiffes. Haben Sie meine Frage verstanden?“
„Ja“, antwortete ich, während er mir an der Augenbraue herumfummelte. Ein paar Cuts hatte ich mit Sicherheit einstecken müssen. Allerdings spürte ich sie nicht. Der Assistent des Arztes kümmerte sich um meine Hände. Er entfernte die Bandagen, wischte anschließend mit einem nassen Schwamm, den er aus einem kleinen Eimer holte, der mit Jod versetztem Wasser gefüllt war, das Blut ab und untersuchte sie nach Brüchen.
„Dann antworten Sie bitte auf meine Frage!“
„Ich spüre nur ein dumpfes Pochen am Oberkörper, vorne wie hinten.“
„Das sind starke Prellungen, unter Umständen sind Rippen gebrochen. Das Pochen geht mit Nachlassen der Wirkung des schmerzabtötenden Mittels in Schmerzen über. Falls die Schmerzen unerträglich stark werden, melden Sie sich über das Bord-Telefon. Wählen Sie die Eins! Dann sind Sie direkt mit mir verbunden.“
Ich nickte und starrte zu den Frauen. Mia starrte zu mir zurück. Wie ein Häuflein Elend saß sie zwischen den anderen Frauen. Neben der Russin sah sie aus wie ein Kind. An meinem Herzen zerrte es. Ein Schmerz, der das Vibrieren und Pochen in meinem Körper übertraf.
Die Security-Leute trugen Sergejew aus dem Käfig. Die letzten Töne von Das Lied vom Tod
verklangen und wurden von wesentlich leiserer epischer Musik ersetzt. Zum Weiterzählen kam ich nicht, da der Chinese neben mir meinte, mit mir ins Gespräch kommen zu müssen.
„Du hast es wirklich spannend gemacht. Im ersten Moment, als du wie ein Stier auf ihn losgedonnert bist, dachte ich, dass du es verkacken wirst. Aber du hast doch noch die Kurve gekriegt und einen wirklich guten Kampf gezeigt.“
„Danke für die Blumen! Aber du kannst sie dir sonst wo hinstecken“, knurrte ich, ohne ihm ins Gesicht zu sehen.
„Ich glaube, du wirst die erste Herausforderung in meinem Leben als Kämpfer sein.“ Ja, genau! Was für ein Leben führte der Kerl eigentlich? Welche Motive trieben ihn dazu, Todeskämpfe zu bestreiten? Ich wusste rein gar nichts über ihn, während er über mich relativ gut im Bilde war. „Du hast dem Publikum keine schlechte Show abgeliefert. Aber wenn wir in vier Tagen im Käfig stehen, dann werden sie einen Kampf sehen, der ihnen ewig in Erinnerung bleiben wird.“
Ich schwieg und sah dabei zu, wie der Moderator mit seiner Assistentin in Abendrobe vor uns Stellung bezogen. Die Urne und die vier verschieden farbigen Kugeln hatten sie natürlich auch dabei. Die Frage, die ich mir seit dem gemeinsamen Training mit dem Chinesen unablässig gestellt und auf die ich keine Antwort gefunden hatte, quälte mich von neuem.
Was wäre für mich das kleinere Übel? Wenn Mia mir oder wenn sie ihm zugelost werden würde? Meine Meinung hierzu änderte sich stündlich. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und warf einen Blick auf den Chinesen, der zu den Frauen hinüberschaute. Seine Knie wippten die ganze Zeit auf und ab. Entweder war er nervös oder das Zucken rührte von der Droge her. Auch wenn er sich eben wieder von seiner kumpelhaften Seite gezeigt hatte, machte er auf mich einen angespannten Eindruck. Aber das wunderte mich nicht. Er war scharf auf Mia und wollte sie diese Nacht haben. Dies hatte er mir unmissverständlich zu verstehen gegeben. Sein Kiefer arbeitete und seine Brust hob und senkte sich deutlich. In seiner Nierengegend entdeckte ich rot-violette Flecken. Er hätte also genauso wie ich mit den Schmerzen von Prellungen zu kämpfen, sobald unser Stoffwechsel die Wirkung der Droge aufgehoben hatte.
Fuck!
Nun, in diesem Moment, ließ sich die Frage leicht beantworten. Ich wollte Mia. Und wenn ich sie bekäme, dann würde ich meinen neu gefassten Plan durchziehen. Ich würde die Nacht mit ihr wieder räumlich getrennt verbringen. Ich würde kein Wort mit ihr wechseln und es nicht zu Berührungen zwischen uns kommen lassen, außer jenen, die sich aufgrund meiner Vorkehrungen nicht vermeiden ließen.
Der Moderator drehte sich zu uns herum und fragte, wie viel Zeit meine Verarztung noch in Anspruch nehmen würde. Dr. Kumari zeigte ihm drei Finger, also drei Minuten, woraufhin der in Smoking gekleidete Moderator sein Mikrofon zückte. Die Musik verstummte und der Moderator begann, den nächsten Programmpunkt anzukündigen.
„Ladys und Gentleman, das Halbfinale ist vorbei. Die Finalisten stehen fest. Die Schlange und der Drache werden in vier Tagen das Finale austragen. Die beiden Kämpfe heute waren schon spektakulär und ... nun ja aufwühlend. Sie haben uns einen Vorgeschmack davon gegeben, was uns mit den beiden ebenbürtigen Kämpfern erwartet.“
Er machte eine Pause und genoss den tosenden Beifall, das ihm für sein Resümee des heutigen Kampfspektakels gespendet wurde. Ich spannte abrupt meine Muskeln an, was den beiden Medizinern nicht verborgen blieb. Unsicher sahen sie mich an und tauschten einen verstohlenen Blick aus.
„Doch bevor es soweit ist, dürfen wir wieder Zeuge sein, wie sich die beiden herausragenden Kämpfer nach ihrer Leistung entspannen. Für einen der beiden wird es die letzte Nacht sein, die er mit einer Frau verbringen wird und in der er zum letzten Mal Sex haben kann. Meine Herren, versetzen Sie sich mal in ihre Lage! Was würden Sie tun?“
„Ich würde die Frau und mich um den Verstand vögeln“, schrie irgendein Arschloch, womit er eine Reihe von zustimmenden Zurufen, Gelächter und Applaus erntete.
Wie gerne hätte ich mit all diesen Arschlöchern dasselbe gemacht wie mit Sergejew! Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Chinese sich mir zuwandte. Ich drehte mich zu ihm um. Seine Miene spiegelte denselben Gedanken wider.
„Ja, das würde wohl jeder in dieser Situation tun“, erwiderte er lachend. „Nach der ersten Runde wurde uns ja ein abwechslungsreiches Programm geboten. Von Vergewaltigung über harten Sex bis hin zu normalem Sex war alles vertreten. Wir durften sogar Zeuge einer kleinen Familientragödie sein.“
Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Ich konnte mich kaum zurückhalten, aufzustehen, den Arzt und seinen Assistenten aus dem Weg zu fegen, um dem Moderator das Maul zu stopfen. Der Arzt bemerkte meinen inneren Kampf und gab dem anderen Kerl ein Zeichen, woraufhin sie ihren Krempel packten und sich aus meiner Zelle zurückzogen. Hinter ihnen schlug sofort die Tür zu und wurde verschlossen.
„Darf ich nun die Frauen in Schwarz und Rot bitten, zu uns nach vorne zu kommen.“
Ich starrte auf den kleinen Tisch, vielmehr auf die schwarze Kugel, die sich zusammen mit den drei anderen Farben der Kämpfer des heutigen Abends in einer Glasschale befanden. Die Assistentin nahm die schwarze Kugel und warf sie in die Urne, anschließend die rote. Eine Bewegung ließ mich aufblicken, geradewegs in zwei verweinte, honigbraune Augen, in denen grenzenlose Liebe und Verzweiflung brannten. Ich konnte ihrem herzerweichenden Blick nicht lange standhalten und sah wieder mit emotionsloser Miene auf die Urne.
„Würden Sie eine Kugel ziehen, Mia?“
Dieses Arschloch sprach sie tatsächlich mit ihrem Namen an. Er hatte also auch das Video gesehen, wie höchstwahrscheinlich sämtliche Passagiere inklusive Crew. Alle hatten sie leiden sehen. Alle hatten gesehen, wie ich sie gedemütigt und von mir gestoßen hatte, während sie nicht aufgegeben hatte und immer wieder sagte, dass sie mich liebte.
Ich konnte ihr nicht ins Gesicht sehen. Also fixierte ich wieder die Urne. Mit jeder Faser meines Daseins fühlte ich ihre Angst und Verzweiflung. Langsam hob sie ihren Arm und steckte die Hand in die Öffnung. Sie zitterte wieder. Unwillkürlich hielt ich den Atem an. Ihr Arm verschwand fast bis zum Ellbogen im Gefäß, aber nicht lange. Dieses Mal zog sie die zermürbende Folter kurz und schmerzlos durch. Ihr Unterarm tauchte sofort wieder auf, und in der Hand hielt sie die verfickte, rote Kugel. In dem Moment, als ich sie sah, jubelte das Publikum, das die Ziehung auf den großen Bildschirmen mitverfolgen konnte. Gleichzeitig zerbrach etwas in mir. Eine Übelkeit erfasste mich von einem Augenblick zum nächsten. Aber ich setzte alles daran, mir nichts anmerken zu lassen. Ich hielt so gut es ging meine ungerührte Miene aufrecht und blickte auf meine Hände.
„Mia hat Rot gezogen“, schrie der Moderator triumphierend in sein Mikrofon. „Das bedeutet, dass der Drache nicht mit seiner ehemaligen Verlobten und Mutter seiner Kinder seine vielleicht letzte Nacht verbringen wird, sondern mit der Chinesin. Und Mia stellt die vielleicht letzte Gelegenheit für unseren chinesischen Champion dar, mit der er seine sexuellen Bedürfnisse stillen kann.“
Aus Mias Hand fiel plötzlich die Kugel. Kurz darauf krallten sich ihre Hände in die Gittertür. All dies beobachtete ich aus den Augenwinkeln, da ich immer noch auf meine Hände starrte, die ich angestrengt locker gefaltet im Schoß hielt. Sie trug keine Schuhe. Sie hatte die Arena tatsächlich barfuß betreten.
„Shawn, ich liebe dich“, ihre verzweifelte Stimme hallte laut durch die Arena, weil der Moderator das Mikrofon in ihre Richtung hielt. „Es hat sich nichts geändert. Ich werde nicht aufhören, dich zu lieben. Hast du gehört? Sieh mich verdammt nochmal an! Ich wollte das nicht. Ich tat es nur, um dir zu zeigen, wie ernst es mir ist und was ich bereit bin, zu riskieren, nur um bei dir sein zu können. Bitte! Sieh mich an!“
Ich sah tatsächlich jemanden an, aber nicht sie. Ich drehte mich zu dem Chinesen um, der zufrieden lächelte und mit den Achseln zuckte, als würde er die verfluchte Scheiße, die gerade ablief, bedauern.
„Viel Spaß! Aber wie gesagt, sei vorsichtig, dass du dein Herz nicht an sie verlierst.“
Diese Worte hervorzupressen grenzte an einen Gewaltakt, den ich gegen mich selbst richtete. Mehr konnte ich nicht über meine Lippen zwingen, obwohl ich ihm am liebsten noch nahegelegt hätte, dass er die Finger von ihr lassen sollte, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, einen qualvollen Tod zu sterben. Aber dies wäre zum einen lächerlich gewesen, da man als Todeskämpfer in einem Finale keinen einfachen Tod sterben würde. Zum anderen durfte ich Mia keine Hoffnung machen, indem ich zeigte, dass mir noch etwas an ihr lag.
Ich stand abrupt auf, weil ich schnellstmöglich in meiner Kabine verschwinden wollte. Ungeduldig rüttelte ich an der Tür und richtete meinen Blick auf die chinesische Frau, die mich mit einem routinierten, vielversprechenden Nutten-Lächeln bedachte. Ich konnte nicht sagen, ob es dieselbe Frau wie beim letzten Mal war oder ob sie ausgetauscht worden war. Sie interessierte mich nicht, auch wenn mein harter Schwanz gegen den Tiefschutz drückte. Der Security-Mann schob Mia beiseite und öffnete mir die Tür. Kaum hatte ich die Zelle verlassen, hörte ich ihre Stimme hinter mir.
„Shawn, ich flehe dich an! Gib uns nicht auf! Denk an meine Worte! Egal was passiert, ich werde das Schiff nicht ohne dich verlassen. Ich werde uns und unsere Liebe nicht aufgeben.“
Jeder einzelne Schritt war eine Qual. Grund dafür waren aber nicht die Prellungen. Hatte ich mich eben im Käfig noch geschmeidig und flink dem Kampf hingegeben, so bewegte ich mich jetzt wie ein Roboter, der Rost angesetzt hatte. Bei der Chinesin angekommen, schlang ich meinen Arm um ihre Taille, riss sie an mich und presste meinen Mund auf ihre rotgeschminkten Lippen. Und was machte die Nutte? Sie öffnete sie und berührte mich mit ihrer Zunge. Obwohl sich in mir jede einzelne Zelle dagegen sträubte, ging ich darauf ein und stieß meine Zunge in sie. Das Publikum feuerte uns an, pfiff und applaudierte. Fünf Sekunden lang zeigte ich mich ausgehungert und geil. Ich wusste es deshalb so genau, weil ich diese widerliche Aktion nur durchziehen konnte, indem ich mich mit Zählen ablenkte. Kaum hatte ich den Kuss beendet, stürzte ich mit ihr Richtung Ausgang.
„Glaubst du tatsächlich, dass ich dir das abkaufe?“, rief sie mir mit erstickter Stimme hinterher. „Oh nein! So dumm bin ich nicht. Ich weiß, dass du das alles nur spielst, weil du mich dazu bringen willst, dich zu hassen. Aber das wirst du nicht schaffen. Nicht in diesem und nicht in einem anderen Leben, wenn wir oder unsere Seelen sich wiederbegegnen. Alles was du damit erreichst, ist, dass du es für dich selbst noch viel schlimmer machst.“
Ich hatte es geschafft, sie zum x-ten Male zum Weinen zu bringen, seit unsere Hölle mit Bens Entführung begonnen hatte. Eigentlich dachte ich, dass ich die schlimmste Nacht meines Lebens hinter mir hatte. Aber da hatte ich mich getäuscht. Sie hatte vollkommen recht. Die schlimmste stand mir noch bevor. Ich würde jede einzelne Minute nur daran denken, was der Chinese mit ihr anstellen würde, was sie wegen mir ertragen müsste, über das hinaus, was ich ihr selbst – körperlich und seelisch - angetan hatte.