A ls Maria am nächsten Morgen unten ankam, blickte Beth mit einem so düsteren Gesichtsausdruck vom Empfangstresen auf, als wäre das Licht des Tages bereits erloschen. »Er ist nicht hier.«
Da Maria genau wusste, wer er war, atmete sie langsam aus. »Wo ist er?«
»Er ist auf die Keys gefahren, ich glaube, um diesen Landentwickler zu treffen. Dieser Villareal-Typ ist irgendwie unheimlich, oder?«
»Ja. Ich würde ihn lieber nicht zum Feind haben wollen, das steht fest. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass er in Garrett einen ebenbürtigen Gegner gefunden hat.«
Beth nickte zustimmend mit dem Kopf. »Ich soll dir von Herrn Rule ausrichten, dass er ein paar Tage weg sein wird.«
Maria lächelte die andere Frau an. »Na ja, gut für uns, oder?«
Beth schenkte ihr ein verwundertes Lächeln, zuckte aber mit den Schultern. »Wenn du das sagst.«
* * *
Spät am nächsten Abend stemmte sich Maria erschöpft aus dem Swimmingpool. Ihre Arme und Beine zitterten von den zwei zusätzlichen Runden, die sie zu ihrer Routine hinzugefügt hatte. Als sie sich umdrehte, um ihr Handtuch vom Tisch zu holen, sog sie, bei dem Anblick, der sich ihr bot, erschrocken den Atem ein.
Garrett lehnte an demselben Stuhl, an dem er auch gelehnt hatte, als sie ihn das erste Mal sah … und er tat jetzt das Gleiche wie damals, er starrte sie unverhohlen an. Er war vollständig bekleidet, schien also nicht die Absicht zu haben, das Schwimmbad benutzen zu wollen, und sie wusste genau, dass er speziell nach ihr gesucht hatte. Ihr ganzes Wesen wurde von etwas durchflutet, was sie gar nicht erst analysieren wollte, und sie ignorierte das Flattern in ihrem Bauch. »Hey«, stieß sie lässig hervor, während sie das Handtuch um ihren Oberkörper wickelte und sich nicht um ihre Haare kümmerte.
»Hey«, knurrte er zurück.
Während sie mit ihren feuchten Handflächen über die Seiten des Handtuchs strich, sprach sie das Offensichtliche aus, um die drohende Stille zu brechen: »Du bist zurück.«
»Das bin ich wohl.« Seine Worte waren kurz und bündig und gaben ihr keinen Hinweis auf seine Gemütslage, und gleichzeitig wirbelten sie die Schmetterlinge so sehr auf, dass es nun unmöglich war, das Beben in ihrem Bauch zu ignorieren.
Die Tatsache, dass es in ihrem Bauch bebte – das allein brachte sie dazu, von ihm wegkommen zu wollen, von was auch immer es war, was sie so fühlen ließ. Sie stand ganz still und wollte zur Tür, war aber nicht bereit, so dicht an ihm vorbeizugehen, um sie zu erreichen. »Also … wie war deine Reise?«
»Sie war scheiße.«
Sie warf wieder einen Blick zur Tür, um ihre mögliche Flucht zu planen. »Das tut mir leid«, murmelte sie verwirrt vor sich hin.
»Wirklich?«
Da sie nicht wusste, wie sie darauf reagieren sollte, zuckte sie mit den Schultern – nur einmal.
Seine Augen verengten sich, als würde er endlich verstehen, dass sie an einem anderen Ort sein wollte als dort, wo sie gerade war. »Willst du nicht wissen, warum sie so scheiße war?«, fragte er ungeduldig.
Maria hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte, glaubte jedoch nicht, dass es sie kümmern würde, also schüttelte sie den Kopf.
Ihre verneinende Antwort hielt ihn allerdings nicht davon ab, ihr die Antwort trotzdem zu geben. »Sie war scheiße, weil sich herausstellte, dass Villareal ein Player ist. Offensichtlich dachte er, wenn er mir einen Fick verschafft, würde ich mich zu seinen Bedingungen breitschlagen lassen.«
Die unverblümte Ausdrucksweise jagte ihr aus mehreren Gründen einen provokativen Schauer über den Rücken. Erstens: Sie wollte nicht darüber nachdenken, dass Garrett Sex gehabt haben könnte. Zweitens: Sie wollte sich den Grund nicht eingestehen, warum sie nicht darüber nachdenken wollte, dass er Sex gehabt haben könnte. Und drittens: Die Frage, warum er ihr das alles erzählte, bereitete ihr Kopfzerbrechen und ließ die Schmetterlinge noch wilder flattern. Und das alles zur selben Zeit.
Als sie nicht darauf reagierte und schwieg, stieß er sich vom Stuhl ab und ging einige Schritte auf sie zu, als würde er sich an eine Beute heranpirschen. »Willst du den Grund wissen, warum ich den Gedanken, von irgendeiner beliebigen Tussi auf den Keys flachgelegt zu werden, scheiße finde, Maria?«
Schnell schüttelte sie den Kopf. Nein, sie glaubte nicht, dass sie das wissen wollte. Nicht, wenn sie verhindern wollte, dass gleich ein Haufen verworrener Mist explodierte.
Er ging zwei weitere Schritte vorwärts, blieb stehen und warf ihr einen wütenden, anklagenden Blick zu. »Ich schaffe es nicht, auch nur daran zu denken, jemand anderen zu ficken, als dich.« Er musterte sie von Kopf bis Fuß. Seine Worte brachten ihre Balance gewaltig ins Wanken, sodass sie eine Hand nach dem Tisch ausstrecken musste, um sich zu fangen und nicht umzukippen.
Als er weiter auf sie zuging, wich Maria so weit nach hinten, bis sie mit dem Rücken an der gefliesten Wand stand. Innerhalb von Sekunden war er direkt vor ihr und hob ihr Kinn mit einem Finger an. Seine Stimme war tief und knurrend, als er sprach: »Ich weiß, wir sind wieder an dem Punkt, an dem du anfängst von Verklagen und Belästigung zu reden.« Er starrte ihr in die Augen. Sie musste gegen das beinahe überwältigende Bedürfnis ankämpfen, sich an ihn zu lehnen. Als er fortfuhr, wurden seine Worte schärfer: »Ich will diesen Scheiß jetzt aber nicht hören. Tu mir den Gefallen und heb es dir für später auf.«
Sie war immer noch unfähig, ihre Stimmbänder zum Funktionieren zu bringen. Alles, was sie tun konnte, war, zu versuchen, auf ihren eigenen zwei Füßen stehen zu bleiben, und das Handtuch um ihre Mitte zu halten, während er sie mit durchdringenden Augen studierte. Grob, fast gewaltsam, packte er das Handtuch mit seiner Hand und riss es ihr mit einer aggressiven und dennoch geschmeidigen Bewegung aus der Hand und warf es zur Seite.
Erschreckt durch seine plötzliche Aktion, versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien, sich loszureißen und wegzugehen. Doch er schlang seine Fäuste um ihre Handgelenke, hielt ihre Arme an den Seiten fest und musterte sie eindringlich. Sein Blick klebte an ihren Brüsten. Mit einem Hitzeschub wurde ihr klar, dass er auf den mittlerweile verblassten Bluterguss auf ihrer Brust schaute, für den er verantwortlich war. »Hat das wehgetan?«, fragte er mit leiser, hitziger Stimme.
Sie schluckte fest, während ihr Herz in ihrer Brust zu hämmern begann. Sie presste eine ehrliche Antwort hervor. »Nein, aber du hattest nicht das Recht, das zu tun.«
Sein Blick verließ ihre Brust und landete auf ihren Augen. »Glaubst du nicht?«
»Nein«, keuchte sie und versuchte, sich wieder von ihm loszureißen.
Seine Hände klammerten sich fester, hielten sie an ihrem Platz und seine Antwort kam abrupt. »Was glaubst du, wie schnell ich mir das Recht nehmen würde, wenn ich es mir nur vornähme?«
Bei seinen Worten wurde sie ganz still, atmete tief durch und erkannte, dass sie ihre eigenwillige Anziehung zu ihm kaum mehr kontrollieren konnte. Wenn er, wie er angedeutet hatte, seine Entschlossenheit zeigen würde, wäre sie zweifelsohne dem Untergang geweiht, bevor der Kampf überhaupt begonnen hatte.
Ihre Handgelenke waren immer noch in seinen Fäusten gefangen, und sie spürte, wie seine Daumen langsam ihre Haut streichelten. »Komm schon, Baby. Wir wissen beide, wo das letztlich hinführt.«
Maria spürte, wie ihre Augenlider schwer wurden und ihre Beine zu zittern begannen. Ihr Körper mochte eine gewisse Schwäche aufweisen, die Kontrolle über ihre Stimme gab sie jedoch nicht ab, und sie versuchte mit aller Mühe, sie jetzt stark klingen zu lassen. »Ich werde es dir nicht noch einmal sagen. Lass mich in Ruhe, Garrett.«
Eine dunkle Maske legte sich auf sein Gesicht. »Das kannst du verflucht nochmal vergessen . Das wird nicht passieren. Niemals .«
Ihr Verstand zersprang in tausend Teile, und sie hatte das Gefühl, jegliche Kontrolle zu verlieren, doch sie versuchte standhaft zu bleiben. »Ich werde dich …«
»Ja, ich weiß«, unterbrach er und machte einen rauen Atemzug. »Du willst mich verklagen, ich hab’s verstanden. Ich könnte dir auch eine berechtigte Anschuldigung gegen mich geben.« Sein Blick glitt schnell an ihrem Badeanzug hinunter zu ihren Beinen, und seine Muskeln schienen sich anzuspannen. Er hielt ihre Hände gefangen, stieß ein gequältes Stöhnen aus und drückte seinen Oberkörper gegen ihren. Seine Erektion war hart und drückte gegen seine Hose, presste sich in ihren Bauch.
Maria spürte ein berauschendes Verlangen bei dem Zusammenstoß, doch bevor sie noch mehr vernehmen konnte, hob er ihr Gesicht an, und bedeckte ihre Lippen mit seinen. Sein Kuss hatte nichts Sanftes an sich. Er war nicht grob oder brutal, aber er enthielt keine Sanftheit. Er beschlagnahmte ihren Mund, als ob er jedes Recht dazu hätte, als gehörte sie ihm und ihm allein, als hätte er seit Jahren nichts anderes getan.
Mit seinen Lippen, die ihre fast erdrückten, umhüllte er sie mit seiner selbstbewussten Aura, und sie erkannte mit einem Mal, dass es das war, was sie am meisten an ihm anzog. Er betrat einen Raum, und er besaß ihn. Er sagte etwas – und besaß die Aufmerksamkeit aller um ihn herum. Seine Lippen fielen auf ihre, und er besaß sie. Sein Körper berührte ihren, und er besaß sie noch mehr.
Gott sei Dank war das etwas, was nur sie wusste. Er würde es nie erfahren, er durfte es nie erfahren , nicht in einer Million Jahren.
Er ließ ihre Handgelenke los und umfasste mit seinen Händen ihr Gesicht. Er kippte ihr Kinn, um sich besseren Zugang zu verschaffen, und den Kuss zu vertiefen. Das Beben in ihrem Magen verwandelte sich in eine kompromisslose sexuelle Erregung, und in den Tiefen ihres Verstandes bildete sich der Gedanke, dass, wenn sich sein Selbstbewusstsein nicht in solch einer ausgewachsenen Arroganz manifestieren würde, er vielleicht, nur vielleicht, der perfekte Liebhaber sein würde. Sexy. Dominant. Besitzergreifend.
Während er sie gegen die Wand drückte und sie weiter küsste, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass sie in seinem Bett landen würde, machte ihr ihre Libido unmissverständlich klar, dass er der perfekte Mann für sie war. Seine Zunge streichelte ihre, erforschte jeden Zentimeter ihres Mundes mit einer Hingabe und Geschicklichkeit, die ihr den Sauerstoff in der Lunge stocken ließ. Seine Zähne knabberten an ihrer Unterlippe, seine Hand fuhr zu ihrem Kinn und hielt sie fest, während er sie verschlang. Feuerwerksraketen explodierten in ihrem Kopf. Sie erkannte vage, dass sie sich mit ihm in Gefahr begab, zu ertrinken, in Gefahr, ihre Unabhängigkeit zu verlieren, weil er der Typ Mann war, der mehr als eine gegenseitig befriedigende, sexuelle Beziehung erwarten würde. Er würde erwarten, dass sie zu seinem Eigentum werden würde, dass er die volle Kontrolle über sie haben würde … um sie zu dominieren.
Wegen seines Angriffs funktionierte ihr Gehirn nur noch halb, als sie diesen Gedanken wieder einmal hatte. So war sie nicht sonderlich geschockt darüber, dass sie sich plötzlich an die geflieste Wand gelehnt vorfand, ohne dass er sich gegen sie presste. Er hatte sie losgelassen, war zurückgetreten und stand nun ein paar Meter von ihr entfernt. Der Ausdruck auf seinem Gesicht schien Aufregung oder Verwirrung zu enthalten, als hätte sie ihn auf irgendeine Weise durcheinandergebracht. Als er sich mit der Hand durch die Haare fuhr, strafften sich seine Gesichtszüge und wurden zu der gleichen Maske, die sein Gesicht normalerweise bedeckte.
Bei dem plötzlichen Mangel an Emotionen in seinen Augen, setzte ihr Herz einen Schlag aus. Alles, wozu sie imstande war, war, sich gegen die Wand zu lehnen und darauf zu warten, dass er den nächsten Schritt machte.
Sie brauchte nicht lange zu warten. Mit einem intensiven und zögernden Blick drehte er sich um und verließ das Hallenbad, die Tür hallte mit lautem Echo hinter ihm.
* * *
Den gesamten nächsten Tag schlich Maria auf Zehenspitzen um Garrett herum. Er machte sie nervös, und zwar so sehr, dass sie sich nicht mehr zu hundert Prozent auf ihre Arbeit konzentrieren konnte, was ihr große Sorgen bereitete. Entschlossen, ihn aus ihrem Kopf zu verdrängen und mit dem Vorsatz, sich ihrem Job nun wieder fokussierter zu widmen, entschied sie, ihn von nun an zu ignorieren.
An diesem Abend fand die Feier der Calderons statt. Die Familie und ihre Freunde waren für die Hochzeit eines ihrer Enkel in der Stadt, und Maria war entschlossen, ihren Aufenthalt perfekt und unvergesslich werden zu lassen.
Die Calderons waren eine liebenswerte Familie. Sie hatten früher in Miami gelebt und hatten immer noch Familie und Freunde hier. Das ältere Ehepaar kam schon seit Jahren zu ihnen ins Hotel, machte hier meistens Urlaub und brachte irgendwann auch ihre beiden Enkel mit. Da sie die beiden jungen Männer im Laufe der Jahre immer wieder getroffen hatte, kannte Maria sie in der Zwischenzeit ziemlich gut.
Es war Freitagabend, und sie hatten den Ballsaal für ein Probeessen im Hotel reserviert, bevor am nächsten Tag die kleine kirchliche Zeremonie stattfand. Offensichtlich wollten sie niemandem auf den Schlips treten und hatten deshalb nicht nur die gesamte Hochzeitsgesellschaft zum Essen eingeladen, sondern auch alle auswärtigen Gäste. Die Party war ein Riesenevent mit ungefähr hundertfünfzig Gästen.
Bevor die Familie an diesem Nachmittag im Hotel ankam, hatte Maria ihren Zimmerblock ein letztes Mal inspiziert. Zu ihrem Ärger entdeckte sie einen kleinen Fleck in einem der Zimmer und rief sofort den Zimmerdienst an. Da sich jedoch einer der Angestellten für diesen Tag Urlaub genommen hatte, und der andere gerade mit einem Problem an der Schwimmbadpumpe beschäftigt war, das definitiv wichtiger war als dieser Fleck, zögerte sie nicht, sich selbst um den Fleck zu kümmern. Diese Räume mussten perfekt sein. Also ging sie auf ihre Hände und Knie und schrubbte den Fleck aus dem Teppich. Es machte ihr nichts aus, zu helfen oder die harte Arbeit zu verrichten, aber das Outfit, das sie anhatte, war nun zerknittert und roch nach Putzmittel.
Mit einem Blick auf die Uhr eilte sie in ihr Zimmer, um sich umzuziehen, da sie an diesem Abend unter den Partygästen sein würde. Sie atmete tief durch und wusste, dass es dumm von ihr gewesen war, zu glauben, die Reinigung des Teppichs in ihrem besten Outfit durchführen zu können und unbeschadet davonzukommen. Sie wollte an diesem Abend eigentlich genau dieses Kleid tragen. Es wäre perfekt gewesen für diese Feier, und weil die Anzahl ihrer Kleider sehr begrenzt war, war es so ziemlich die einzige Option, die für diesen Anlass angemessen war.
Sie kannte ihre kleine Garderobe bereits auswendig und wusste, dass es dort nur noch ein Kleid gab, das für diesen Abend in Frage kam. Also stärkte sie ihr Rückgrat und nahm das Kleid heraus. Es war das eine Kleid, das es irgendwie schaffte, sie in eine total hinreißende Frau zu verwandeln, obwohl sie es in Wirklichkeit eindeutig nicht war. Es war dieses einzigartige Kleid, das gut aufbewahrt und nur zu besonderen Anlässen getragen werden sollte. Ein Kleid, das zeitlos war, das sie für immer besitzen konnte, wenn sie es nur schonend behandelte und selten trug. Als sie es jetzt sah, quer über ihr Bett drapiert, ärgerte sie sich über sich selbst, weil sie keine Zeit gefunden hatte, neue Kleider zu kaufen. Es war ja nicht so, als hätte Garrett ihr nicht genug Gehalt gegeben. Erst recht nicht nach dieser saftigen Gehaltserhöhung, die ihr Garrett kürzlich zugesprochen hatte. Plötzlich hatte sie es sich problemlos leisten können, einkaufen zu gehen, wenn sie es wollte. Wenn sie die Zeit dazu hätte.
Sie wollte sich von so einer Kleinigkeit, das Kleid tragen zu müssen, nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen, zog sich aus und ging unter die Dusche.
* * *
Garrett kehrte mitten in der Nacht ins Hotel zurück. Er war fast den ganzen Tag unterwegs gewesen, weil er das Bedürfnis hatte, der unerbittlichen Anziehungskraft von Maria zu entkommen. Während seiner Abwesenheit hatte er einige unnötige Bankgeschäfte erledigt und mehrere Grundstücke in der Gegend besichtigt. Sein Tagesausflug hatte nicht viel geholfen. Er war nicht in der Lage gewesen, sie länger als zehn Minuten am Stück komplett aus seinem Kopf zu verbannen.
Und das machte ihn nur noch wütender. Ein nagendes Gefühl bildete sich in seiner Magengrube. Ein Gefühl, das ihm sagte, dass ihn ein Fick mit Maria nicht ausreichend befriedigen würde. Er weigerte sich, das zu glauben, oder den Gedanken überhaupt zuzulassen, und ging mit entschlossenen Schritten in die Lobby. Nur noch eine verdammte Kostprobe … das sollte genug sein, um ihn für den Tag ruhigzustellen.
Mitten in der Lobby stand ein großer vergoldeter Rahmen auf einer Staffelei, in dem eine verschnörkelte Schrift das Probedinner der Calderons verkündete. Dieser Name traf ihn wie ein Schlag – die Erinnerung an Maria, die an dem Abend, an dem er sie kennengelernt hatte, mit dem Mann am Telefon gelacht hatte, traf ihn mit der vollen Wucht der Eifersucht. Eine Eifersucht, die ihn hätte zerstören können, hätte er es zugelassen.
Unangekündigt und uneingeladen betrat er, ohne sich auch nur darum zu scheren, den Ballsaal. Es war spät. Das Dinner war bereits vorbei, und nun standen die Leute im ganzen Raum verstreut, unterhielten sich in kleinen Gruppen. Einige von ihnen wiegten sich zu der sanften Musik, die im Hintergrund spielte. Die offene Bar in der Ecke war immer noch von einem der Barkeeper aus dem Hotel besetzt, aber die Atmosphäre im Raum verriet ihm, dass die Party bald zu Ende sein würde, da die Gäste genug Schlaf brauchten, damit sie für die morgige Hochzeit ausgeruht und fit waren.
Als er sich im Raum umschaute, dauerte es keine fünf Sekunden, bis Garrett sie sah.
Und als er sie sah, stieg seine Wut wieder in ihm auf und verschlang ihn diesmal fast vollständig.
Sie hielt ein Glas Champagner in einer Hand, und ein männlicher Arm war über ihre Schultern gelegt. Ein Mann schaute lächelnd auf sie herab und lachte über etwas, was sie sagte. Dann griff er mit seiner anderen Hand nach oben und berührte ihre Wange. Er berührte ihre verdammte Wange . Durch diese Bewegung befand sie sich nun im Kreis der Arme des unbekannten Mannes, und Garrett spürte, wie eine Welle der Wut in ihm aufstieg und ihn durchflutete.
Als er kurz vor der Flügeltür zum Ballsaal stehen blieb und sie beobachtete, kostete es ihm alle Mühe, nicht hinüberzustürmen und den Kerl gewaltsam von ihr wegzureißen. Er atmete tief durch. Selbst aus dieser Entfernung konnte er die Röte in ihren Wangen sehen, als sie den Kopf schüttelte und ihre Augen sich mit einem neckischen Lachen füllten.
Garrett nahm das Erröten ihrer Wangen wahr, bevor er das Kleid bemerkte, das sie trug. Sein Herzschlag drohte sich zu überschlagen, während sein Schwanz sich verhärtete und seine Hose eng werden ließ. Die Wut und Eifersucht, die durch seine Adern rasten, machten seine Erektion nur noch härter. Es gab an dem Kleid per se nichts auszusetzen. An einer Schaufensterpuppe wäre es schon beeindruckend gewesen. Aber an Maria hatte das Kleid ein Eigenleben entwickelt. Der sexuelle Reiz, den sie in den letzten Tagen Stück für Stück aufgebaut hatte, war nichts im Vergleich zu der Art, wie das Kleid ihre Figur betonte. Das Kleid war schwarz, ging ihr ein paar Zentimeter über ihre Knie, aber es schmiegte sich mit einer Zuverlässigkeit an ihren Körper, die jedes ihrer weiblichen Attribute perfekt zur Geltung brachte.
Und weibliche Attribute hatte sie in Hülle und Fülle.
In diesem Moment kam ein Kellner mit einem Tablett mit Champagner an ihnen vorbei. Der Mann, mit dem Maria zusammen war, streckte die Hand aus und griff nach einem Glas. Marias Glas war noch voll. Als der Wichser dabei eine Hand von ihr abließ, war Garrett etwas besänftigt, als er sah, wie sie die Gelegenheit nutzte, um anmutig aus der Reichweite des Mannes zu tanzen. Während ihrer Bewegung ließ sie ihren Blick durch den Raum gleiten, und betrachtete alles mit ihrem präzisen Blick für Details, wodurch Garrett erkannte, dass sie immer noch bei der Arbeit war. Ihr Blick wanderte durch den Raum und bereitete sich auf den Moment vor, in dem ihre Augen auf die seinen treffen würden.
In Erwartung des Zusammenstoßes spannte er sich an und spürte, wie sich seine Lippen zu einer Linie verzogen. Als ihr Blick den seinen traf, war es wie ein Stromschlag, der ihn beinahe umstieß. Die Stärke ihrer Anziehungskraft irritierte ihn an diesem Abend noch mehr als sonst. Mit einem scharfen Kippen seines Kopfes gab er ihr das Zeichen, sich zu ihm zu gesellen, wohl wissend, dass es nicht gut enden würde, würde sie sich weigern. Für sie beide. Er war nicht in der Verfassung, an diesem Abend irgendwelche Spielchen zu tolerieren.
Es war sofort klar, dass sie ihm nicht gehorchen würde. Er kämpfte sowohl mit seiner Wut als auch mit seiner Erregung, als er sich umdrehte und den Ballsaal verließ. Bevor er verschwand, drehte er sich noch einmal um und blickte zu ihr. Er war bestens auf den Moment vorbereitet, in dem sie in den Aufzug steigen würde, um in ihr Zimmer zu gelangen.
Und so lehnte er sich, mit Blick auf die Flügeltüren des Ballsaals gerichtet, mit dem Rücken gegen die Wand und wartete.
* * *
Maria geriet in stille Panik. Sie hatte Garrett schon einmal wütend gesehen und gehört, und aus welchem Grund auch immer, war sie heute Abend nicht bereit, sich seiner Wut zu stellen. Seiner Wut … und seiner Erregung. Der Ausdruck auf seinem Gesicht vorhin ließ keine Zweifel offen, dass der Mann stinksauer war. Und ein erregter und verärgerter Garrett Rule war niemand, dem sie heute Abend begegnen wollte.
Sie hatte keine Angst vor seiner Wut, nicht wirklich, und sie hatte keine Angst vor seiner Erregung, zumindest nicht im Moment. Sie holte tief Luft und gestand sich ein, wovor sie Angst hatte: Sie hatte Angst, wie sie auf ihn reagieren würde, und vor dem, was sie womöglich nicht verhindern konnte, wenn sie heute Abend mit ihm allein war. Das Feuer, das von ihm ausging, machte ihr unmissverständlich klar, was er wollte. Seine Absichten lagen darin, sie für sich allein zu haben. Sie musste sich von ihm fernhalten, besonders heute Abend. Es war nicht so, als wäre sie beschwipst. Sie hatte den ganzen Abend nur an einem einzigen Champagnerglas genippt, das auch jetzt noch halb voll war. Trunkenheit war also nicht das Problem.
Ihre Nerven lagen einfach blank. Denn wenn es um Garrett ging, schien sie keine Kontrolle über ihre schwankenden Gefühle zu haben. Das hatte sie erkannt, als sie keinerlei Reaktion auf Luis Calderon zeigte. Der jüngere Enkel der Calderons. Der Enkel, der noch Single war und noch dazu lächerlich gut aussah. Sie war im Laufe der Jahre immer wieder in ihn verknallt gewesen. In der Vergangenheit hatte sie seine flirtende Schlagfertigkeit genossen … war sogar versucht gewesen, etwas mit ihm anzufangen. Auch er hatte des Öfteren angedeutet, dass sie es tun sollten. Doch sie hatte es nie getan, hauptsächlich weil er Gast des Hotels war und ihre Professionalität ausschloss, dass etwas zwischen ihnen passieren durfte. Heute Abend hatte sie jedoch nicht einen Hauch von Versuchung gespürt. In ihrem Kopf schwirrte das Bild eines anderen Mannes.
Das Bild und die Erinnerung an den Geschmack eines anderen Mannes. An seine Berührung. An seine Macht, die er über sie hatte.
Und dann stand er da plötzlich und starrte sie aus der Ferne an, als würde sie ihn betrügen, als hätte sie etwas Unmoralisches oder Unethisches getan, etwas, wofür sie schwer bestraft werden würde, sobald er sie nur in die Finger bekam.
Und dann rief er sie zu sich, mit diesem verdammt arroganten Kippen seines Kopfes, das sie so verabscheute. Auf keinen Fall . Nicht heute. Aus irgendeinem Grund, einem Grund, der stärker war als je zuvor, seit Garrett in Miami angekommen war, fühlte sie sich nicht bereit für eine Auseinandersetzung mit ihm, weder auf sexuelle noch auf irgendeine andere Art.
Sie verließ Luis’ Seite, als einer seiner Cousins kam und sich zu ihm gesellte. Sie wünschte den beiden eine gute Nacht und sagte Luis, dass sie ihn später sehen würde. Sie ging ein paar Schritte nach vorne, sodass sie einen Blick auf Garrett werfen konnte, der im Vorraum des Ballsaals an der Wand lehnte, wobei seine Absicht, ihr beim Verlassen des Raumes aufzulauern, mehr als offensichtlich war.
Da sie ihm aus dem Weg gehen wollte, beschloss sie, die Treppe zu nehmen, die sie ohnehin dem Aufzug vorzog. Was ihr jedoch entging, war, dass Garrett den Kopf drehte und sah, wie sie sich auf die obskure Tür zubewegte, hinter der sich das Treppenhaus befand.
* * *
Maria kam gerade auf der vierten Etage des Treppenhauses an, als sie hörte, wie sich die Tür über ihr öffnete, und sich dann mit dem lauten, hallenden Knall von Stahl auf Stahl wieder schloss.
Sie blieb abrupt stehen und lauschte. Sie war sich sicher, dass sich jemand im Treppenhaus auf der Etage über ihr befand, nur eben außerhalb ihrer Sichtweite.
Stille.
Das einzige Geräusch, das sie hörte, war ihr Herzschlag, der laut in ihren Ohren pochte. Doch sie wusste, dass sie nicht allein war.
Würde sie zwei Schritte nach vorne machen, könnte sie nach oben schauen und sehen, wer dort war. Zwei Schritte zurück könnten ihr Zeit verschaffen, um zu entkommen. Ihr Puls raste unaufhörlich, und sie war nicht in der Lage, ihn zu beruhigen. Garrett hatte sie gefunden. Sie machte zwei Schritte nach hinten in Richtung Wand, und bereitete sich darauf vor, die nächsten Etagen hinunterzurennen und in Kauf zu nehmen, dass er ihre klackernden Stilettoabsätze laut auf dem nackten Betonboden hören würde.
Sie hatte keine Chance.
Er sprintete die Treppe hinunter, bevor sie überhaupt nach dem Geländer greifen konnte, welches sie auf dem Weg nach unten ausbalancieren würde.
Verdammte Stilettos . Verdammt sei ihre Eitelkeit, sie tragen zu wollen.
Seine Hände griffen nach ihr und hielten sie fest. Er zog sie nach hinten, und wieder einmal stand sie mit ihrer Wirbelsäule in der Ecke gegen die Wand gedrückt, bevor sie auch nur blinzeln konnte.
Mit unbeständigem Atem blickte sie in die Augen eines Verrückten, während sie um Sauerstoff rang.
»Was zum Teufel glaubst du, was du da tust?«, fragte er wütend mit unbezähmbaren Zorn in jeder Faser seines Körpers.
Atmen, Maria . Einfach ein- und wieder ausatmen. Aus irgendeinem Grund, sie hatte keine Ahnung warum, kam es ihr nie in den Sinn, ihn anzulügen. »Dir aus dem Weg gehen.«
Der Ausdruck auf seinem Gesicht schien zu sagen, dass er nichts mehr wollte, als sie durchzuschütteln, doch er tat es nicht. Seine Finger bissen sich in das Fleisch ihrer Oberarme, und seine Brauen senkten sich in einem donnernden Wutausbruch, der ihr keine Angst machte. Zur Hölle nein, der Kerl machte ihr keine Angst. Wenn sie nur daran denken würde, zu atmen, dann würde sie es vielleicht schaffen, sich selbst von dieser Wahrheit zu überzeugen.
Er schaute auf sie herab. Seine Größe und Breite waren so dominant. Ein kleines Summen in ihrem Hinterkopf sagte ihr, dass es wahrscheinlich nicht klug war, sich mit einem Kerl anzulegen, der mindestens dreißig Zentimeter größer war und sie wahrscheinlich um fünfzig Kilo reine Muskelmasse überbot. Und das, ohne den wütenden Testosteronstrom zu berücksichtigen, der zudem im Moment durch seinen Blutkreislauf zu fließen schien.
Ihre Augen klebten an seinen, und als er ein paar Zentimeter näher kam, hob sich ihr Kinn, und ihr Hals wölbte sich in einem unbequemen Winkel, damit sie ihn auch aus dieser Nähe im Blick behalten konnte. Die ganze Zeit über schlug ihr Herz so schnell, dass sich ihr Kopf zu drehen begann, und sie saugte so schnell Sauerstoff ein, dass sie beinahe hyperventilierte.
»Das beschissene Treppenhaus, Maria?«, fragte er schreiend und biss die Worte heraus.
»Was … was?«, fragte sie völlig verwirrt.
Linien eiskalter Wut umrahmten seinen Mund. »Hast du echt keine Ahnung? Hast du nicht eine einzige funktionierende Gehirnzelle in deinem Kopf?«
Sie riss den Kopf zurück, weil sie seine missbilligende Frage kein bisschen interessierte. Sie spürte, wie ihr Blutdruck stieg, während sich ihre Augen verengten und eine wiederkehrende Wut ihren Kreislauf füllte. Scheiß auf ihn. Scheiß auf seine Arroganz. »Vorsicht, Herr Rule. Sie fangen an, mich tierisch wütend zu machen.«
Er lehnte sich einen weiteren einschüchternden Zentimeter an sie heran. »Dich . Wütend. Zu. Machen?«
»Ich verspreche dir, du willst mich nicht wütend machen«, forderte sie ihn heraus und ignorierte sämtliche Alarmglocken in ihrem Kopf.
Eine gelbe Hitzespirale begann sich mit dem Braun seiner Iris zu vermischen und umgab den wachsenden schwarzen Kreis seiner Pupillen, der von seiner Wut kündete. »Ach nein? Auf diese Scheiße kommen wir gleich zurück«, erklärte er, als wäre ihre Warnung nicht irritierender als eine herumschwirrende Fliege. »Warum zum Teufel hast du die Treppe genommen?«
»Warum … warum zum Teufel nicht?«
Er rollte mit den Augen gen Himmel und sah dann wieder nach unten. »Ist dir deine eigene Sicherheit denn völlig egal?«
»Glaubst du, ich könnte stolpern und hinfallen?«, fragte sie sarkastisch und begann zu ahnen, worauf er wirklich hinauswollte.
»Klugscheißerin«, zischte er durch zusammengebissene Zähne. »Dich könnte jemand angreifen, das denke ich.«
»Glaubst du, es ist gefährlich hier?«, schnauzte sie, da sie keine Bedrohung sah, außer der, die vor ihr stand.
Eine kräftige Hand ließ ihren Arm los und bewegte sich zielsicher und gewaltsam zum Saum ihres Kleides. »Ich weiß nicht, was denkst du denn ?«