„Der Erlöser der Toten. Ich hatte dich mir größer vorgestellt.“
„Tut mir leid, enttäuschen zu müssen“, sage ich und neige meinen Kopf leicht zu Seite, während ich nervös in Rührt-Euch-Stellung stehe. Ich bin nervös, weil dieses Treffen mit der verdammten Vertreterin der Herzogin Kangana nicht gerade etwas ist, auf das ich mich freue. Vor allem, da ich nicht Priya treffe, sondern aus irgendeinem Grund Hondo den Waffenmeister, der sich noch hier befindet. Hier, wo er mich mit kaum verhüllter Wut anstarrt.
„Es ist nicht deine Schuld. Ich bin nur überrascht, dass eine so ... kleine Person ... den berühmten Meister der Klingen und Gewehre weggeschleudert hat.“ Die Botschafterin der Truinnar verzieht dabei keine Miene. Die dunkle Haut, die spitzen Ohren und das blassweiße Haar verleihen der Frau eine imposante Eleganz. Ihre Kleidung bietet einen gewissen Kontrast – ein Ballkleid, das mit seinen Rüschen, dem Reifrock und dem Korsett eher in einen Film über den amerikanischen Bürgerkrieg passen würde.
Ich kneife die Augen zusammen und blicke Hondo an. Aber der Waffenmeister ist zu professionell, um sich etwas anmerken zu lassen. Andererseits erkenne ich mit meinem Netz der Gesellschaft seinen aufwallenden Zorn und die wachsende Verbitterung. Ein Großteil der Wut ist auf mich gerichtet, die Botschafterin und viele andere Fäden. Das ist etwas demütigend. Ich sehe mich oft als einen Ozean der Wut, aber im Vergleich zu ihm bin ich nur ein Binnenmeer.
„Wenn du da bist, um den Waffenmeister zu ärgern, bin ich hier überflüssig. Wenn du mich ärgern willst, will ich nicht hier sein. Also sage, was du vorhast, oder ich gehe.“
„Jonathan!“, sagt Katherine empört.
Ich zucke mit den Achseln, da ich keinen Kompromiss eingehen will.
„So ungehobelt wie dein Ruf“, meint die Gesandte.
Ich seufze und sehe mir ihren Status an, während sie weiterhin herablassend zu mir spricht.
Vicomtesse Oria Weekamu, Vertreterin der Herzogin Kangana, Gesandte der Herzogin Kangana, Schöne von L’mu, Dreimal gewählte Tänzerin der Blätter, … (Level 38 ???)
HP: ??/??
MP: ??/??
Zustand: ???
Wie typisch. Ich frage mich, ob das ein Skill ist, oder auf einen verzauberten Gegenstand zurückzuführen ist.
„Ich spreche mit euch beiden, weil ich herausfinden wollte, warum mein Cousin so viel von unserem Einfluss und seiner persönlichen Aufmerksamkeit auf einen derart mickrigen Planeten gerichtet hat. Auch wenn es sich um eine Dungeonwelt handelt, scheint unsere Rendite für den investierten Einfluss einfach nicht zu passen. Trotzdem.“
„Trotzdem?“, sagt Katherine leise.
„Trotzdem werde ich euch voll nutzen.“ Oria lehnt sich vor und blickt uns in die Augen. „Eure Dienste werden benötigt. Wenn ihr die Aufgabe annehmt, werdet ihr entsprechend entlohnt. Und selbstverständlich werden eure Leute Zugang zu den Orten erhalten, an denen sie Interesse gezeigt haben.“
Katherine lächelt, weil sie das offensichtlich etwas ermutigt. Ich bin immer noch etwas skeptisch, da die Frau so lange braucht, um zur Sache zu kommen.
„Wir wollen mit der Bevölkerung der äußeren Ringe von Irvina sprechen. Wir werden derartige Gruppenversammlungen arrangieren. Ihr werdet die Entwicklung eurer Welt anbieten, die Möglichkeiten, die sich dort allen eröffnen, die sich bemühen“, sagt Oria.
„Wie bitte?“, sage ich und mir steht der Mund offen. Als sie von einer Aufgabe sprach, dachte ich an Quests zum Töten von Monstern, vielleicht eine Sammelquest oder sogar einen Arenakampf. Reden zu halten ist das Letzte, was ich tun will.
Oria schnieft und bewegt eine behandschuhte Hand, so dass ein Benachrichtigungsbildschirm vor mir erscheint.
Quest angeboten: Anzahl der Immigranten aus Irvina steigern
Besuche die Bezirke von Irvina ab dem fünften Ring. Sprich mit den Bürgern in diesen Gebieten. Präsentiere ihnen die Vorteile einer Auswanderung in die neu eröffnete Dungeonwelt Erde.
Ziel: 50.000 neue Immigranten über der allgemeinen Trendlinie.
„Das ist eine interessante Quest“, sagt Katherine, während sie sich die Informationen ansieht. „Aber ich verstehe nicht, warum du sie uns anbietest.“
„Politik.“
Wir starren Oria an, die uns einen gelangweilten Blick zuwirft. Katherine lächelt etwas und nippt lässig und geduldig an ihrem Tee. Ich bin von Natur aus weniger geduldig, habe aber gelernt, diesen Aspekt meines Charakters zu kontrollieren. Zudem bietet mein neuer Skill jede Menge interessanter Verbindungen, die ich beobachten kann. Auch wenn ich inzwischen mit einem Blick auf ein Individuum all diese Fäden wahrnehmen und einen generellen Eindruck erhalten kann, dauert es eine Weile, die Details zu sehen. Und in den Details findet man die Feinheiten.
Die offensichtlich wichtige Verbindung verläuft zwischen Oria und der Herzogin. Dort bemerke ich fast fanatische Loyalität, Liebe und Vertrauen. Auch etwas Neid, aber dieser wird vom tiefen, langfristigen Vertrag und den gegenseitigen Verpflichtungen der beiden überschattet. Verpflichtungen. Ich runzle die Stirn und starre den Faden an, um ihn weiter zu analysieren. Zu meiner Überraschung scheinen die Verpflichtungen und der Vertrag auf beiden Seiten verankert zu sein, was bei vielen Arbeitgeber-Arbeitnehmerbeziehungen sonst nicht der Fall ist.
So interessant diese Verbindung auch ist, gibt es noch andere, die ich mir ansehen will. Die zwischen ihr und dem Waffenmeister ist voller komplexer Emotionen. Verpflichtungen und Bindungen, Verachtung und Neid. Es ist sehr vielschichtig, aber auch offensichtlich, dass Hondo in dieser Beziehung der Diener ist. Ohne seine Selbstkontrolle würde er ihr wahrscheinlich an die Gurgel springen.
Aber das sind nicht die einzigen Antworten, die ich finde. Die einzigen Hinweise. Ich sehe Linien der Verpflichtung, die zu Individuen, Gruppen und Organisationen führen, von denen ich noch nie gehört habe. Und zu vielen, die ich kenne. Ich beurteile, wie sie an Oria ziehen und welche Verpflichtungen sie fesseln.
„Es ist unhöflich, die Geheimnisse anderer so anzusehen, Erlöser“, sagt Oria.
„Wenn du nicht redest, muss ich meine eigenen Antworten finden.“
„Antworten.“ Orias Stimme klingt emotionslos, aber Hondo reagiert und starrt mich direkt an. „Und was für Antworten hast du gefunden?“
„Na ja–“
„Es soll die Probleme beheben, die wir mit der Faust haben, nicht wahr?“, sagt Katherine nun leise. „Ihr wollt gleichzeitig die Position des Galaktischen Rands stärken. Ihr wollt den Eindruck erwecken, dass Dungeonwelten gut sind, und dass die Ziele der Faust nützlich sind. Das sind Positionen, die sowohl vom Galaktischen Rand als auch von der Faust vertreten werden.“
„Du bist ja ein echter Schlauberger“, sagt Oria. „Aber eine so vereinfachte Analyse wird dir in der Arena, in der du dich befindest, nur wenig nutzen.“
Katherine neigt den Kopf und lächelt höflich. „Selbstverständlich. Ich muss mich noch mit den Details der politischen Lage vertraut machen. Aber wenn ich das richtig verstehe, schuldet ihr auch dem Stadtrat Uss einen Gefallen, dessen Hauptrivale für die kommende Stadtratswahl von den Unzufriedenen in den niedrigeren Ringen unterstützt wird. Allerdings wären 50.000 wohl nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“
Oria lächelt Katherine an und bietet ihr nicht den geringsten Hinweis. Aber da ich Namen und Details habe, ergibt es etwas mehr Sinn. Ich benötige viel mehr Kontext, aber ich habe das Gefühl, dass Oria ein doppeltes Spiel spielt, oder vielleicht ein sechsfaches. Sie erfüllt hier eine kleine Verpflichtung, erhält dort einen kleinen Gefallen von uns, macht den Gegner von uns weniger glaubwürdig, und so weiter.
„ Hast du was zu sagen? “
„ Nicht direkt. Die galaktische Politik geht mir auf die Nerven. Das letzte Mal, als ich ein Begleiter eines Wesens in der Politik war, ist über vierhundert Jahre her. Und als es starb, war es nicht mehr relevant. War schon achtzig Jahre lange nicht mehr so gewesen. Allianzen und Freundschaften ändern sich jede verdammte Woche. Aber ich würde sagen, dass Katherine hier nur an der Oberfläche kratzt. “
„Hört sich wie ein Angebot an, das wir akzeptieren können“, sage ich und bestätige die Quest telepathisch. Zur Hölle, wenn ich niemanden töten muss, ist das sicher machbar. Das wird sogar eine ganz nette Abwechslung.
„Gut. Ihr werdet die Details erhalten“, sagt Oria zum Abschluss, nachdem Katherine die Quest ebenfalls bestätigt hat.
Kurz darauf gehen wir, wobei ich mich noch nicht einmal hingesetzt habe. Selbst ein Sekundenbruchteil hätte meinen Tod bedeuten können, falls der mich wütend anstarrende Hondo angegriffen hätte.
Draußen, in unserem transparenten Fahrzeug, stelle ich Katherine Fragen.
„Ich weiß nicht, John“, sagt Katherine verärgert. „Ich bin erst eine Woche hier. Es ist unmöglich, die Feinheiten der Allianzen und der Politik in dieser Stadt so schnell herauszufinden. Eigentlich sind wir schon froh, wenn wir im kommenden Jahr nicht zu sehr übers Ohr gehauen werden.“
„Ein Jahr?“
„Ja, ein Jahr“, sagt Katherine eisig. „Was? Glaubst du, es hat so viel bedeutet, eine Stimme im Rat zu erhalten? Natürlich kontrollieren wir jetzt die Erde und können dort Gesetze verabschieden, aber die Politik ist komplex. Es gibt Tausende Sitze im Galaktischen Rat, und jeden Monat Hunderte von Abstimmungen. Die Erde hat sich dabei bisher stets enthalten, aber selbst die Texte zu lesen stellt für meine Leute eine große Belastung dar. Und die Allianzen und Abmachungen zwischen ihnen?“ Katherine deutet auf die enorme Wolkenkratzerstadt mit ihren unzähligen Türmen, schwebenden Plätzen und Flugschiffen. „Wir müssen das irgendwie schaffen.“
„Entschuldige.“ Ich lehne meinen Kopf zurück. Schließlich wusste ich bereits, wie schwierig es werden würde. Aber Theorie und Praxis sind zwei unterschiedliche Dinge. „Ich hasse es einfach, im Dunkeln zu tappen.“
„Na ja, meistens dürfte es ohne Gewalt ablaufen“, meint Katherine.
Ich pruste laut, da meine zynische Seite das bezweifelt. Aber wirklich, ich muss ja nur einige Reden halten. Wie schwer kann das schon sein?
***
„Nein. Kommt nicht in Frage“, betont Mikito.
„Komm schon, wenigstens für einige der ersten Treffen?“ Ich versuche, es nicht wie ein Betteln klingen zu lassen, auch wenn es das ist. Ein bisschen.
„Erwartest du, dass ein Kampf ausbricht?“
„Ich erwarte immer, dass ein Kampf ausbricht.“
„Erstens stimmt das nicht. Zweitens ist das ein erbärmlicher Versuch einer Lüge. Drittens, würdest du mit diesen Leuten nicht fertig?“
Ich huste und sehe etwas verlegen aus. Na schön. Ich werde mit einigen Mitgliedern der Basisklassen reden. Selbst falls sie sich alle auf mich stürzen, würde ich das wahrscheinlich überleben. „Komm schon. Sie wollen, dass ich über die Erde spreche. In der Öffentlichkeit.“
„Und wieso ist das mein Problem?“, fragt Mikito.
„Weil du meine Freundin bist?“
„Nein“, sagt Mikito. „Wenn das alles ist, dann muss ich die Gilde erreichen, bevor alle offenen Gruppen gefüllt sind. Ihr braucht mich hier nicht. Und ich will nicht hier sein.“
„Ich brauche dich wirklich!“, protestiere ich. „Zur ... moralischen Unterstützung.“
Mikito würdigt das keiner Antwort und verlässt unsere Wohnung. Ich stöhne und lehne mich im Sessel zurück, bevor ich realisiere, dass ich ja nicht allein bin.
„Wie lange bist du schon hier?“, sage ich stirnrunzelnd. Ich versuche immer noch herauszufinden, wie Harry es geschafft hat, sich ein Zimmer in der Wohnung zu schnappen, auch wenn ich ihn nicht direkt frage. Ich lasse mir nur den Gedanken durch den Kopf gehen. Der Reporter ist wie ein Befall von Fußpilz. Immer wenn man denkt, man ist ihn los, kommt er zurück.
„Seit Beginn der Unterhaltung“, sagt Harry. „Warum willst du Mikito dabeihaben?“
„Warum nicht?“ Ich sehe mir die Liste der Vortragsorte an, die dieses Gespräch ausgelöst hat. Oria hat schnell gehandelt und uns diese Liste einen Tag nach unserem ersten Treffen gesendet. Die erste meiner geplanten Reden soll etwas später am heutigen Tag stattfinden. „Wenn ich schon leiden muss, wäre es nett, den Schmerz zu verteilen.“
Nachdem ich das sage, folgt ein langes Schweigen, bevor Harry lächelt. „Du musst mich nicht überzeugen. Ich will den sechsten Ring sowieso sehen.“
„Okay.“
„Und was soll dieser frostige Empfang?“, sagt Harry und verschränkt die Arme.
„Äh, du zeichnest alles auf, stimmt‘s? Der Junge hier mag so etwas nicht“, wirft Ali ein und streckt sich. „Außerdem bist du nicht sein Typ.“
„Ich muss zugeben, ich bin nicht so muskulös oder attraktiv wie Lord Roxley, aber … Moment mal. Warum diskutiere ich überhaupt darüber? Ich stehe doch gar nicht auf Männer?“, raunzt Harry.
„Nicht einmal ein bisschen?“, sagt Ali spöttisch.
„Nicht einmal ein bisschen. Journalistische Integrität ermöglicht es mir, geistige und auf Charisma basierende Einflüsse zu ignorieren. Ich habe das mit Ruhiger Geist kombiniert“, sagt Harry. „Aber rein aus Neugier, was ist denn Johns Typ?“
„Ich bin hier, weißt du?“ Ich starre beide an. Meine Kommentare werden sie wohl nicht zum Schweigen bringen, aber man kann ja hoffen.
„Größer. Außerdem muss man ihm einen Adrenalinschub versetzen, weißt du? John ist ein Adrenalinjunkie. Er steht auf die bösen Buben–“
„Mir reicht‘s“, fauche ich und verlasse den Raum.
Ja, ich könnte Ali wegschicken. Aber so wie ich den gemeinen Geist kenne, würde er etwas noch Vertraulicheres enthüllen, wenn ich ihn schließlich zurückhole. Und ich vertraue Harry auch, dass er seine Artikel auf die relevanten Teile beschränkt. Der Mann ist berühmt für seine Berichte über wirkliche Kriege und Kämpfe, echten Enthüllungsjournalismus. Kein Klatsch und Tratsch.
***
Die beiden Idioten erwischen mich, als ich das private Kugelfahrzeug verlasse, das mich in die Außenbezirke gebracht hat. Zum Glück passt das System gut zu den technischen Fortschritten in Irvina, so dass ich die Adresse leicht über das System an das Fahrzeug senden kann. Danach verläuft die Fahrt ohne Zwischenfälle.
Sobald ich aussteige und von der Haltestelle für dieses spezielle Hochhaus weggehe, ändert sich die Umgebung im Vergleich zum zweiten und dritten Ring deutlich. Zunächst fallen mir die Levels auf. In einer anderen Welt und einer anderen Zeit hätte ich im heruntergekommenen Teil der Stadt zuerst den Müll, das allgegenwärtige Graffiti und den Gestank nach Urin, Scheiße, verfaultem Essen und ungewaschenen Körpern bemerkt. Hier haben alle bis auf die total Deprimierten Zugriff auf den Reinigungszauber. Das System reinigt jedes Gebäude, das bereit ist, einen kleinen Teil seiner regelmäßigen Mana-Instandhaltung dafür zu zahlen. Da die meisten Gebäude wenig mit diesem Mana anfangen können, bedeutet das, dass alle Gebäude sauber und ordentlich sind. Selbst weggeworfener Müll wird ins System absorbiert.
In diesem System liegt der Unterschied bei den Leuten. Levels sind der erste Hinweis – alle, die ich sehe, gehören zu einer Basisklasse. Viele von ihnen sind keine Kämpfer. Und da der Kampf, bei dem man in Dungeons und der Wildnis sein Leben riskiert, der schnellste und einfachste Weg zum Levelaufstieg darstellt, wird eine Gesellschaft mit vielen Nichtkämpfern immer niedrigstufig sein. Davon abgesehen benötigt man einen guten Anteil von Kämpfern in jeder Gesellschaft, da sie in einer Systemwelt die primären Erzeuger von Ressourcen sind.
Wird Nahrung benötigt? Dann schickt man einfach einen Kämpfer, der ein Monster tötet. Monsterfleisch ist sowohl schmackhafter wie auch nahrhafter als das Fleisch von Nutztieren. Braucht man Materialien für das Handwerk? Dann schickt man einfach einen Kämpfer, der ein Monster tötet. Man könnte auch mit Metall arbeiten, aber das würde sich bald nicht mehr lohnen. Braucht man Geld? Dann schickt man einfach einen Kämpfer, der ein Monster tötet.
Levels und Klassen geben einen guten Hinweis auf den Zustand einer Gruppe, aber es gibt auch andere Anzeichen. Im dritten Ring trägt jeder verdammte Abenteurer hochwertige Kampfausrüstung. Mit den richtigen Skills könnte man ihre jeweiligen Ausrüstungswerte aufrufen und sehen, dass jedes Teil im System registriert ist. Meine Güte, viele der erfolgreicheren Abenteurer laufen sogar mit handgefertigter und voll verzauberter Ausrüstung herum. Ihre Kleidung und ihre Ausrüstung repräsentieren ihren Erfolg, genau wie ihre Werkzeuge.
Aber hier draußen sind die meisten Kleidungsstücke massengefertigt und meistens überhaupt nicht im System registriert. Keine Ausrüstung bietet Werte oder mehr als ein Feigenblatt zum Schutz. Und wenn man bedenkt, wie sich manche Feigenbäume entwickelt haben, verfügt die Ausrüstung hier in manchen Fällen über eine geringere Schutzwirkung. Nein, die Leute im siebten Ring haben weder die Zeit noch den Wunsch „gute“ Ausrüstung zu kaufen.
„Was für ein Drecksloch“, sagt Ali, als er zu mir schwebt. Seine laute und unhöfliche Erklärung führt zu einigen bösen Blicken, aber niemand legt sich mit dem schwebenden Geist an.
Ein sehr aufgeregter Gnom – winzig und echt niedlich – hüpft sogar auf und ab und deutet auf den fliegenden Geist. „Mama. Mama. Schau mal! Ein Geist. Wie auf den Bildschirmen!“
„Ach du grüne Neune. Zeige nicht auf Leute. Er ist wahrscheinlich ein Kopfgeldjäger. Wir wollen nicht, dass sie uns verfolgen.“
Ich verziehe das Gesicht, als ich diese Worte höre, ignoriere sie dann aber. Ich kann lediglich weitergehen und die arme Familie sich selbst überlassen.
Während ich weitergehe, rennt Harry zu mir und murmelt: „Sie haben Angst vor dir.“
„Vor uns“, sage ich und neige den Kopf.
Wie erwartet stehen einige Schlägertypen in der Nähe und beobachten uns genau. Sie stellen sich uns nicht in den Weg – vermutlich weil der hochstufigste von ihnen nur in den hohen 30ern ist.
„Verdammt, warum sind ihre Levels so niedrig?“, sage ich leise zu Ali und Harry. Mein Gott! Ich kenne Faulenzer auf der Erde, die ähnliche Levels haben! Und wir sind erst seit fünf Jahren im System.
„Mangel an Motivation und Gelegenheit“, meint Ali. „Der erste Faktor ist offensichtlich. Der zweite ist einer der Gründe dafür, weshalb wir hier sind. Wie du ja weißt, kann man als Mitglied einer Kampfklasse nicht in Dungeons gehen, ohne einer Gilde anzugehören, und die meisten Gilden haben mehr Bewerber der Basisklassen, als sie brauchen. Wenn man also weder eine gute Klasse noch hervorragende Attribute hat, muss man Ungeziefer jagen.“
„Ungeziefer?“, fragt Harry.
„Mutierte Kakerlaken, Ratten und solche Sachen – natürlich die außerirdischen Versionen“, erklärt Ali. „Damit die Stadt weiter expandiert und der von der Stadtkugel kontrollierte Bereich stabilisiert wird, hat Irvina die Mindestschwelle für Manafluktuationen erhöht. Das ermöglicht es der Stadt, die Grenzen schneller zu erweitern, aber das bedeutet auch, dass niedrigstufige Wesen immer noch in öffentlichen Bereichen spawnen. Etwa alle hundert Jahre beschließt die Stadt, Roboter zu konstruieren, um das Problem zu beheben, aber diese Roboter werden schwer beschädigt.“
„Von den Einwohnern, oder?“ Harry nickt, als ob das für ihn ganz logisch wäre.
„Also kämpft jeder um das Recht, in die Gilden zu kommen. Und was dann? Kauft die Mittelschicht ihren Kindern bessere Skills?“, sage ich und versuche, all das zu verstehen.
„Auf jeden Fall. Du hast das etwa bei den Hakarta und den Yerrick gesehen. Allerdings sind sie mehr auf die Gemeinschaft ausgerichtet“, sagt Ali. „Es gibt auch Ausnahmen für die Dungeonregeln, so dass die niedrigeren Schichten Zugang erhalten. Einige der niedrigsten Dungeons haben Schultage und Dungeonereignisse für Kinder, damit diese im Level aufsteigen können. Dann gibt es private Dungeonläufer. Ihr Angebot ist nicht so umfangreich oder gut, aber ...“
„Aber sie sind verfügbar und bieten Leuten Kampferfahrung“, sage ich und erkenne, was für einen Unterschied einige Credits bieten können. „Wie sehen diese privaten Dungeons aus?“
„Kommt darauf an. Es gibt alles Mögliche, von einer einzelnen Gummizelle mit einem Monster, das man für eine Gebühr bekämpfen und töten kann, bis zu etwas wie den Trainingsräumen der Gilde, in denen man Szenarien durchspielt. Man erhält keine Erfahrung, aber Tipps von Trainern und Lehrern. Die größten sind mehrstöckige Bauwerke, die eine Reihe gefangener Monster enthalten. Es gibt sogar Monsterzüchter, die für sie arbeiten“, sagt Ali.
„Seltsam. Und dann? Können die Leute nicht die Monster töten und mehr Erfahrung erhalten? Wäre das nicht eine Methode, sich Levels zu kaufen?“, sagt Harry.
Ich habe ein Déjà-vu-Gefühl und frage mich, ob ich dieses Gespräch schon einmal erlebt habe, bevor Ali antwortet: „So ungefähr. Echte Monster sammeln mehr ungefiltertes Mana, was einem mehr Erfahrung bietet, wenn man sie tötet. Und denke daran, dass das System sicheren Kämpfen einen Malus verleiht. Private Dungeons sind das Maximum der Sicherheit, was Dungeons betrifft. Es gibt einen Punkt, an dem die Erfahrungsabzüge und die Erfahrungsanforderungen ein Wachstum praktisch unmöglich machen.
„Und wie der Junge dir sagen wird, kann man seine Skills nur dadurch wirklich optimieren, dass man tatsächlich sein Leben riskiert. Das Kämpfen und Leveln in einer netten, sicheren Umgebung wird deine Skills nicht besonders ansteigen lassen. Es fehlt einem ein gewisser Vorteil, der auf den höchsten Levels wichtig wird.“
Harry nickt und murmelt vor sich hin, während er sich Notizen macht.
Dann gehen wir nach links und folgen den langen Korridoren hinab, die durch das Gebäude führen. An beiden Seiten eines Korridors befinden sich Geschäfte, deren Schaufenster Kunden anlocken wollen. Das erinnert mich an einen Spaziergang durch ein sehr großes Einkaufszentrum auf der Erde. Die Läden sind abwechslungsreich und vertraut – Kleidung, Waffen, Spielzeug, mehr Kleidung, ein Schmied, ein Trankhersteller, ein Massagesalon, Gefechtsjacken und ein Kampfsportzentrum. Natürlich gibt es auch exotischere Geschäfte – Friseure für volles Körperhaar, mit preisgekrönter Schuppenpolitur, ein Tierladen mit exotischen Haustieren, wie Schleime, gezüchtete Mini-Mantikoren und kleinen zweischwänzigen Katzenmonstern. So viele Läden, die die Leute betreten und aus denen sie kommen, während sie ihrem Alltag nachgehen.
„Wo sind die Mitglieder der Kampfklassen?“, sagt Harry und schaut sich die Umgebung an.
„Draußen. Meistens beim Grinding. Oder beim Training“, sagt Ali leise. „Selbst wenn die Konkurrenz intensiv ist, muss man dort draußen sein, um etwas zu finden.“
„Und wenn man es nicht schafft?“, sage ich und neige den Kopf zur Seite. Auf der Erde dauert es dank unserer verstärkten Konstitution eine Weile, bis man verhungert. Ich nehme an, dass es hier ähnlich ist. Die Welt dreht sich um Credits, und wenn man zu einer Kampfklasse gehört, verdient man sich durch das Töten sein Geld. Wenn man nicht jagt, hat man nichts zu essen. Und wenn man die hohen Mieten bedenkt, frage ich mich, wie sie über die Runden kommen.
„Der Rat hat keinen Platz für nutzlose Leute. Wer nicht für sich selbst zahlen kann, wird zum Leibeigenen gemacht, und Zaubereide sorgen dafür, dass sie nicht Selbstmord begehen. Dann werden sie umerzogen, damit sie produktive Diener werden“, sagt Ali, dessen Stimme nun viel zu ernst klingt.
„Das ist ein verrücktes System“, sagt Harry.
„Oh? Wäre es besser, wenn sie sich allein auf der Straße durchschlagen müssten? Wenigstens eliminieren wir erst ihre Statuskrankheiten und stellen ihr geistiges oder hormonelles Gleichgewicht wieder her, damit sie stabiler werden“, sagt Ali. „Das ist nicht permanent, aber solange es regelmäßig wiederholt wird, können diese Leute produktiv sein.“
„Du verwendest dieses Wort immer wieder“, sagt Harry. „Es ist nicht richtig, Leute einer Gehirnwäsche zu unterziehen.“
„Vielleicht nicht, aber der Junge hier kann dir erklären, dass das letztlich die beste Option darstellt“, meint Ali.
„Was? Lass mich da lieber raus“, sage ich und höre mit meinem Schaufensterbummel auf. Ich brauche wirklich kein Hoverboard. Egal wie cool es aussieht. Oder Schwebestiefel. Na ja, vielleicht wären diese Schwebe-Luftgleitstiefel ganz nützlich. Eine Gefahr des Versetzungsschritts in die Luft ist, dass man seine Richtung nicht ändern kann. Ich habe meinen Zauber Fliegen, aber der braucht leider Mana und muss kanalisiert werden. Es ist schwer, den mitten im Gefecht einzusetzen.
„John!“
„Ich möchte gern wissen, was an der Zwangssklaverei so gut sein soll“, sagt Harry und tappt mit dem Fuß, während ich weiter die Stiefel anstarre.
„Was? Oh, das hängt mit dem System zusammen. Je mehr Leute es gibt, umso mehr Mana wird durch die Umgebung verarbeitet. Je besser die Verarbeitung, umso weniger wird das Ökosystem und das System selbst belastet. Intelligente Wesen dienen als Filter, Manaspeicher und Motoren. Das Mana wird von uns aufgenommen, verarbeitet und ständig wieder ins System gefiltert. Deshalb hat man eine passive Regeneration, weil alles, das überläuft, direkt ins System fließt.“
Harry steht mit offenem Mund da.
„Was?“, frage ich.
„Woher weißt du das? Und weshalb erhalte ich so viele Erfahrungspunkte?“
„Systemquest“, sagen Ali und ich gleichzeitig, und dann muss ich über Harrys Gesichtsausdruck lachen. „Und weil ich lese. Und zwar sehr viel. Es ist außerdem nicht so schwer, das zu erkennen, wenn man die Dinge verfolgt. Atmosphärisches Mana muss verarbeitet werden. Intelligente Wesen tun das deutlicherweise am besten. Je mehr intelligente Wesen, desto besser die Verarbeitung. Weniger atmosphärisches Mana, weniger zufällige Mutationen und seltsame Zeit- und Dimensionsverzerrungen.“
„Zeit- und Dimensionsverzerrungen?“
„Zufällige Teleportation von Monstern, das Spawnen und Erzeugung von Schlupfwinkeln“, antwortet Ali für mich.
Ich treffe eine Entscheidung, sehe mir die Uhr auf meinem Statusmonitor an, um sicherzustellen, dass ich genug Zeit habe, und gehe in den Laden.
Harry folgt mir eilig, während er weiterhin mit Ali spricht. „Warum hört sich das wie eine Dungeonwelt an?“
„Was glaubst du denn, was Dungeonwelten sind? Der Rat wählt einen Planeten und überflutet ihn mit Mana, das eigentlich an andere Stellen fließen sollte. Das erzwingt solche Änderungen. Es stabilisiert den Manastrom an anderen Orten und erzeugt ein Druckventil, wenn der Manastrom zunimmt. Aber leider werden alle Welten zu Dungeonwelten, falls der Galaktische Rat die Grenzen oder die Bevölkerung nicht schnell genug expandiert“, sagt Ali. „Das sind dann letztlich die Verbotenen Zonen. Welten, auf denen das Mananiveau der Umgebung einen Punkt erreicht, bei dem sie im Grunde als Dungeonwelt betrachtet werden. Nur schlimmer.“
„Schlimmer?“ sagt Harry und runzelt die Stirn. „Und warum erweitern sie dann nicht einfach die Grenzen des Systems?“
„Weil wir den Manastrom nicht unbedingt kontrollieren können. Wir kontrollieren die Systemgrenzen, aber nicht die Managrenzen. Es muss eine ausreichende Manadichte vorliegen, bevor wir dort das System erweitern können. Manchmal gibt es nicht genug Welten. Darüber hinaus sind zwar intelligente Wesen besser, aber eine Dungeonwelt stellt technisch gesehen die beste Option dar. Aber wenn man eine Dungeonwelt nicht unter Kontrolle hat, wird sie zu einem Riss im System. Daher sind sowohl intelligente Wesen als auch eine Dungeonwelt nötig. Na ja, nicht nötig, aber empfehlenswert.“
Harry nickt und blickt Ali konzentriert an – inzwischen weiß ich, dass er eine Aufnahme macht.
Ich ignoriere die Unterhaltung und spreche stattdessen mit dem Besitzer des Ladens. Bald darauf teste ich eine Reihe von Schwebestiefeln in Bezug auf Stil und Passform. Schließlich kaufe ich etwas, das schwarz und langweilig ist und wie die Mischung aus den Lederstiefeln eines Motorrad-Rennfahrers und Cowboystiefeln aussieht. Andererseits sind sie schlank, können die Farbe auf Befehl ändern und sind vor allem die besten Stiefel, die der Laden hat.
Simalax-Schwebestiefel (Stufe II)
Mit ihrer Kombination aus handgefertigtem Material und massengefertigten Komponenten, stellen die Simalax-Schwebestiefel das Gesellenstück des Magie-Technikers Lok von Irvina dar. In den Simalax-Schwebestiefeln vereinen sich Verzauberungen und Technologie, so dass ihr Träger kurz auf der Luft gehen und somit gegen die Schwerkraft und den gesunden Menschenverstand verstoßen kann.
Wirkung: Benutzer reduziert Schwerkrafteffekte um 0,218 SIG. Nach der Aktivierung können Anwender während normaler und leicht turbulenter atmosphärischer Bedingungen schweben und gleiten. Benutzer können mit den Simalax-Schwebestiefeln auch einen Dreifachsprung in die Luft durchführen, indem sie den Antigrav- und Schwebeaspekt gleichzeitig nutzen.
Dauer: 1,98 SI-Stunden.
„Danke“, sagte ich, ziehe die Stiefel an und stecke meine alten ins Inventar. Ich winke ab, als mir der Verkäufer dankt und zeige mein Missfallen erst nach dem Verlassen des Ladens. „Ali, warum hat er mir so überschwänglich gedankt? So schlecht scheint es dem Geschäft doch nicht zu gehen.“
„Weil du seine beste Arbeit gekauft hast“, sagt Ali. Als Harry und ich Ali verständnislos anstarren, seufzt der Geist dramatisch. „Er ist ein Handwerker im siebten Ring. Du hast seine beste Arbeit gekauft. Er hatte das wahrscheinlich seit Monaten im Laden und musste sich vorher damit abmühen, das Geld für die Werkstoffe zusammenzukratzen. Nachdem er jetzt die Stiefel verkauft hat, kann er Material für ein weiteres Paar kaufen, oder für ein neues Projekt und durch die Herstellung an Erfahrung gewinnen. Außerdem hast du es gekauft, ohne zu feilschen.“
„Ich hätte feilschen sollen?“, frage ich stirnrunzelnd und drehe mich um. „Aber die waren so billig.“
„Nein. Du hat etwa zwölf Prozent zu viel bezahlt“, sagt Ali. „Wir sind im siebten Ring, nicht auf der Erde. Es gibt keine Kosten für den Langstreckentransport, keine Teleportergebühren. Keine zusätzliche Risikoversicherung. Alles ist hier billiger.“
„Was?“, sage ich und zucke dann mit den Schultern. Über zehntausend Credits ist teuer, aber das entspricht dem, was ich für Quests erhalte, die ich im Dungeon mit Mikito abschließe. Und das enthält nicht die Tausenden von Credits, die ich für diverse Beutestücke und Leichen erhalte. Deshalb ist es kein großer Verlust, wenn man mich übers Ohr gehauen hat. Und wenn es das Leben dieser Leute besser macht, na schön. „Komm schon. Wir werden uns verspäten.“
„Ja, wer ist daran schuld?“, fragt Ali.
Ich ignoriere den grummelnden Geist und laufe schneller. Es ist besser, pünktlich zu sein. Oder gar zu früh.
***
Die erste Überraschung besteht darin, dass der Ort in einem kleinen Korridor ist, der von der Hauptstraße abzweigt. Zweitens ist es ein Konferenzraum, den jemand in einem Coworking-Zentrum gemietet hat. Es amüsiert mich, dass dieser Coworking-Raum meist auf Handwerker ausgelegt ist, mit verschiedenen Tischen und Arbeitsbereichen, die durch Verzauberungen voneinander getrennt sind, statt aus einer Gruppe willkürlich verteilter Computer zu bestehen. Trotzdem ...
„Erlöser der Toten, John Lee? Ja. Konferenzraum Drei. Erste Abzweigung rechts, zweite Tür auf der linken Seite“, sagt die schwebende Fischkreatur, die den Tisch bemannt (oder eher befischt?) durch das elektronische Übersetzermodul.
Ich bin etwas überrascht, folge aber den Anweisungen. Ali kichert, während Harry sich im Raum umblickt und seine Neugier mit der Entscheidung kämpft, meine Geschichte zu verfolgen. Oder die Geschichte der Erde. Ich weiß nicht einmal, woran er jetzt arbeitet.
Als ich die Tür zum Konferenzraum öffne, bin ich etwas irritiert, wie klein dieser ist. Kaum größer als ein Klassenzimmer, vielleicht sechs auf viereinhalb Meter. Zahlreiche Stühle stehen herum, und ein einfaches Podium wurde für meine Rede aufgestellt. Aber vor allem fehlt hier das Wichtigste.
„Wo sind alle?“, sage ich und sehe auf die Uhr. Wir haben noch etwa fünf Minuten, bis mein Vortrag beginnen soll. aber sieben Personen stellen keine besonders beeindruckende Zahl dar. „Verspäten sich Galaktiker oft?“
Ich weiß noch, dass ich in Whitehorse immer fünfzehn zusätzliche Minuten einberechnen musste. Auch wenn man Witze über die Yukon-Zeit macht, schaffte ich es nie, auch nur ein Treffen rechtzeitig zu beginnen.
„Nicht direkt. Vielleicht um fünf Minuten? Galaktiker sind eigentlich sehr pünktlich. Schließlich haben sie eine HUD-Uhr“, sagt Ali.
Ich seufze und lasse mich auf den Stuhl fallen, während ich meine Augen nach unten senke. Na schön. Ich kann warten. Fünf Minuten sind nicht so lang, vor allem, da die galaktischen 5 Minuten etwas kürzer als unsere sind – genauer gesagt 3,8 Sekunden. Meistens macht das keinen echten Unterschied, da Ali hilfreich ist und alles für mich übersetzt und aufrundet. Schließlich bin ich kein Ingenieur oder so etwas.
Ich habe vielleicht die Augen halb geschlossen, aber in Wirklichkeit sehe ich mir die wenigen Anwesenden genauer an. Ich erkenne schnell, dass es drei Gruppen gibt. Diejenigen, die offensichtlich zum Spaß und wegen des Essens hier sind. Anfangs gab es nur eine derartige Person, aber bald kamen einige andere, die nun bei den kostenlosen Snacks an der Seite herumstehen. Die Mitglieder der zweiten Gruppe wirken unsicher, und diese Individuen haben einige starke Fäden, die von ihnen weg führen. Familie, Freunde, Verpflichtungen, Verträge. Ich nehme an, dass sie sich umsehen und mehr erfahren wollen – aber sie zögern, weil ihre Leben mit denen anderer verflochten sind.
Im Gegensatz zur dritten Gruppe. Sie beobachten Harry und mich unverblümt und sehen sich unsere Statuswerte an. Diese Gruppe ist die größte und umfasst etwa zwei Drittel der Anwesenden. Als dann alle anderen hereinkommen – die meisten pünktlich, oder nahe daran – haben wir insgesamt 15 Zuhörer.
„Na ja. Das sind wohl alle“, sage ich und lehne mich zurück.
Ich stehe auf und gehe zum Podium. Statt mich dahinter zu stellen, lehne ich mich mit dem Ellbogen an die Seite und blicke das Publikum an. Ein zusammengewürfelter Haufen – männlich und weiblich und Dinge dazwischen, oder seltsam genug, dass ich es nicht einmal erraten will. Meistens gehören sie nicht zu den Kampfklassen, obwohl eine Vierergruppe in einer Ecke Kämpfer darstellt. Starke Verbindungen zueinander, aber sonst nicht sehr viel. Ich sehe keine Hakarta oder Yerrick hier, nur einige Gnome, Truinnar, Movana, Eidechsenwesen, ein Dullahan und einige noch seltsamere Gattungen. Die einzige Person, die nicht hierher zu passen scheint, ist der Kobold in einem Zweiteiler, der bei der Tür steht. Dennoch spüre ich keine Feindseligkeit.
„Ihr seid alle hier, weil ihr etwas über die Erde erfahren wollt, die neueste Dungeonwelt. Ich heiße John Lee. Ich bin ein Mensch, ein Einheimischer dieser Dungeonwelt. Außerdem bin ich ein Erethra-Paladin. Falls jemand das nicht weiß, es ist eine Meisterklasse. Ich habe sie durch fünf Jahre des Kämpfens auf der Erde erreicht.“ Letztere Aussage ist nicht ganz richtig, obwohl der Großteil meiner Erfahrung auf der Erde gewonnen wurde. Und in der Verbotenen Zone stieg ich nicht um einen einzigen Level auf.
„Wenn ihr etwas anderes sucht, eine Chance, im Level aufzusteigen, bietet die Erde zahlreiche Möglichkeiten. Selbst für jene, die nicht einer Kampfklasse angehören.“ Ich lasse meinen Blick über die Gruppe schweifen und bemerke, dass einige interessiert wirken. Ich entspanne meine Kontrolle über meine Aura, so dass sie aktiviert wird, und lächle alle an. Danach ärgere ich mich, als ich sehe, wie einer der Galaktiker vor meiner nackten Aggression zurückschreckt. Verdammt. „Gehen wir jetzt mal ins Detail ...“
Ich rede über die Veränderungen auf der Erde, die zahlreichen Monster und Dungeons und die weiten offenen Gebiete. Ich erwähne Sprachen und Kulturen, Nahrung und die verschiedenen Gruppen in der Welt. Ich versuche, den letzten Teil etwas allgemeiner zu behandeln, da es so viele Variationen gibt, doch der Vortrag dauert länger als ich erwartet habe. Danach kommen die Fragen, von denen viele Themen betreffen, die ich vergessen habe. Größtenteils fallen mir die Antworten ziemlich leicht. Dann gibt es andere Fragen, die zunächst einfach erscheinen, aber kompliziert werden.
„Welche Stadt sollten wir deiner Meinung nach als unseren Stützpunkt wählen?“ Diese Frage kommt von zwei Nicht-Kämpfern, einem Alchemisten und einem Abfallentsorger.
„Wo soll man landen?“ Ich runzle die Stirn und trommle mit meinen Fingern auf den Beinen herum. „Das hängt davon ab–“
„Eigentlich, Erlöser, sollte ich diese Frage wohl beantworten. Wiza von der Einwanderungsorganisation Third Pors. Wir haben diesen Raum gebucht“, sagt Wiza der Kobold und grinst alle breit an. „Wenn ihr einen Vertrag mit Third Pors abschließt, werden wir den gesamten Transport, den Kauf der Sprache und der kulturellen Informationen übernehmen, die für eine sichere und letztlich fruchtbare Einwanderung erforderlich sind. Selbstverständlich werden wir auch dabei helfen, euch den passenden Orten auf der Erde zuzuweisen. Wir haben sogar Abmachungen mit zahlreichen örtlichen Behörden ...“
„ Ich dachte, dass Oria den Raum gebucht hätte. Und was meint er mit Verträgen?“, frage ich Ali telepathisch, während ich Wizas Vortrag halb zuhöre.
„ Normale Einwanderungsregeln für alle, die es sich sonst nicht leisten könnten. Sie richten ein Programm der Leibeigenschaft ein, kümmern sich um den Kauf von Arbeits- und anderen Skills. Die meisten Leute, mit denen du sprechen wirst, können sich die Reise zur Erde nicht leisten“, sagt Ali.
„ Keine Kredite? “
„ Für die Reise zu einer Dungeonwelt? Haha! Kein respektables Kreditinstitut wird jemandem Geld leihen, der eine Stunde nach der Landung tot sein könnte. Die wenigen Banken, die das tun, verlangen einen sehr hohen Zinssatz “, sagt Ali. „Mit einem Vertrag über die Leibeigenschaft können sie wenigstens bestimmen, wo und wie ihre Leibeigenen leben. Um das Risiko zu reduzieren .“
Ich verziehe das Gesicht, unterbreche Wiza aber nicht. Das gefällt mir ganz und gar nicht, aber schließlich zwingt er niemanden, etwas zu unterschreiben. Doch, wenn man ein elendes Leben führt, mit wenig Hoffnung auf Verbesserung, stellt dann die einzige angebotene Option überhaupt eine Wahl dar?
„Wie viele Credits kann eine Gruppe von Leuten auf Level 10 pro Woche verdienen? Ohne, dass es zu gefährlich wird?“, fragt der Anführer der Kämpfer. Einen Moment kommt es mir seltsam vor, dass er das nicht in gebrochenem Englisch sagt – schließlich hat er große, lange Ohren, ist knapp einen Meter groß und grün.
„Äh ...“, sage ich und überlege, wie ich das beantworten kann. Da ich schon ewig und drei Tage nicht mehr auf diesem Level war, ist es mir unklar.
„Das hängt davon ab. Wie sehr werdet ihr euch anstrengen? In welcher Stadt seid ihr? Du weißt schon, das Übliche“, unterbricht mich Harry. „Aber mit einer gut trainierten Fünfergruppe könntet ihr 200 bis 300 Credits pro Person verdienen.“ Angesichts der geringen Summe ist ein Gemurmel zu hören, aber Harry redet unverzagt weiter. „Aber ihr dürft nicht vergessen, dass auf der Erde eure Nahrungskosten praktisch null sind. Was die Miete betrifft, kostet ein freistehendes Einfamilienhaus in der Vorstadt vielleicht je 100 Credits.“
Das führt natürlich zu einer langen Diskussion darüber was ein freistehendes Einfamilienhaus ist. Wir lassen sogar Ali Bilder von der Erde zeigen. Ich könnte schwören, dass zwei Drittel der Anwesenden vor allem an den Bildern der großen Grundstücke und freistehenden Häuser interessiert sind. Und das andere Drittel verliert beinahe das Interesse.
Die Gespräche gehen immer weiter, und am Ende bemerke ich, wie Wiza seine Kontaktinformationen austeilt. Aus reiner Neugier bleibe ich im Raum, bis er fertig ist, und ich beantworte noch einige an mich gerichtete Fragen. In einigen Fällen muss ich zugeben, dass ich keine Ahnung habe. Woher soll ich denn wissen, ob es auf der Erde schon Unterschuppenreiniger gibt??
Als Wiza endlich mit seinen Unterhaltungen fertig ist, beende ich meine Gespräche, indem ich einfach Harry und Ali ins Rampenlicht schiebe.
„Erlöser, du wolltest mit mir sprechen?“, sagte Wiza respektvoll und neigt seinen hundeartigen Kopf zur Seite.
„Ein bisschen. Ich möchte gern den Leibeigenen-Vertrag sehen, den du herumreichst.“
„Tut mir leid, aber das verstößt gegen die Firmenrichtlinien. Aufgrund der Unterschiede bei Klassen, Levels und Skills werden Verträge an den jeweiligen Vertragspartner angepasst“, sagt Wiza mit einem breiten Lächeln. „Selbst wenn wir das dürften, gibt es keinen Standardvertrag, den wir zeigen könnten.“
„Ja, den Spruch habe ich schon gehört.“ Bei den Göttern, Arbeitgeber im ganzen Universum behaupten, dass es keinen Standardvertrag gibt und dass jeder Bewerber anders ist. Und wenn man dann Druck macht, sieht man, dass es natürlich einen Standardtext gibt, den jeder unterschreibt – mit kleinen Zugeständnissen und einem geringen Verhandlungsspielraum für das Gehalt. „Versuchen wir das noch einmal.“
„Das geht nicht, Erlöser“, sagt Wiza, richtet sich auf und blickt mir direkt in die Augen.
„Okay.“ Wiza entspannt sich etwas, daher lasse ich meine nächste Frage los. „Kannst du auf diesem Terminkalender die Vorträge markieren, die du gesponsert hast?“
„Ich habe nichts direkt gesponsert, Erlöser. Third Pors ist der Sponsor, aber ich kann unser Sponsoring markieren“, sagt Wiza. Er bewegt seine Finger und die Informationen werden hervorgehoben.
„Danke.“ Während der Kalender noch geteilt ist, send ich einen telepathischen Befehl, der alle meine Vorträge löscht.
„Erlöser? Was?“
„Ich arbeite nicht mit Leuten zusammen, die mir nicht vertrauen“, sage ich ausdruckslos, drehe mich um und gehe weg.
„Erlöser! Bitte. Moment. Ich muss mit meinem Vorgesetzten reden ...“
„Schicke mir den Vertrag. Dann reden wir“, sage ich über meine Schulter und schlendere davon.
Ja, es ist nicht nett, einen Angestellten so zu behandeln. Aber sie machen Leute zu Leibeigenen. Selbst wenn das hier so üblich ist, kann ich die ganze Sache mit der freiwilligen Sklaverei einfach nicht akzeptieren.