Kapitel 10

Bald schon finde ich mich in einem Leben wieder, das nur noch nach Terminplan läuft. Auf meine Reden vor wenigen potenziellen Rekruten folgen Trainings in der Gilde und Zeit in der Bibliothek der Questoren und in Dungeons. Ich beginne, meine Freunde zu ignorieren und verbringe die Fahrtzeit damit, zu lesen und meinem echten Ziel zu folgen. Zum Glück findet Harry es langweilig, mir zu den Vorträgen zu folgen und er verschwindet, um seinen eigenen Interessen zu folgen. Was Mikito betrifft, waren wir beide nie besonders redselig, und daher werden unsere Interaktionen von einem angenehmen Schweigen geprägt.

Die Tage werden zu Wochen, während wir uns abmühen. Sparring. Dungeon. Reden. Lesen. Immer und immer wieder. Es ist eine seltsam friedliche Existenz, eine Pause in einem sonst so hektischen Leben, bei dem ich manchmal kaum glaube, dass es mein Leben ist. Gelegentlich komme ich um eine Ecke und beschwöre ein Schwert, weil ich einen besonders monströsen Fußgänger sehe – oder ich rolle mich ab und wirke reflexartig einen Seelenschild auf mich, wenn jemand zu laut kreischt. Der Frieden, den alle zu erwarten scheinen, geht mir manchmal auf die Nerven. Es zwingt mich jedes Mal, bei meinen Büchern und in der Gewalt des Dungeons Zuflucht zu suchen.

Als ich eines schönen Abends auf dem Rückweg vom Dungeon in die Passage vor mir blicke, muss ich die Stirn runzeln. Es geht um eine laufende Diskussion über Skills, die ich im Rahmen meiner Forschung verfolge.

 

Skill-Evolutionen sind weiterhin ein komplexes Forschungsthema. Zahlreiche Versuche wurden durchgeführt, aber bisher war noch keiner davon statistisch überzeugend und vollständig. Während Grunter & Ross (Dokument 1.82.5719.11) den Standard bei derartigen Versuchen darstellen, ist ihr Datensatz viel zu unausgewogen. Darüber hinaus sind diese Daten, wie viele wissen, nur für Basisklassen zutreffend. Bisher wurde noch keine Untersuchung für fortgeschrittene oder höhere Klassen abgeschlossen. Forscher haben auf die Schwierigkeiten verwiesen, die Zustimmung der Teilnehmer für die Verwendung ihrer Klassen-Fertigkeitspunkte auf eine Weise zu erhalten, die als unseriös betrachtet werden könnte.

Nur durch Institutionen wie die erethranische Armee und andere haben wir Forscher einen relativ konsistenten und statistisch relevanten Datensatz erhalten können. Allerdings gibt es offensichtliche Bedenken, aus derart spezifischen Datensätzen Folgerungen zu ziehen, darunter unausgewogene Daten sowie kulturelle und institutionelle Einflüsse auf das System.

Dennoch kann man annehmen, dass Skill-Evolutionen sich ereignen, wenn eine beträchtliche Anzahl durch den Level gelieferter Skillpunkte für eine einzige Klassen-Fertigkeit ausgegeben wird. Die Anzahl der erforderlichen Skillpunkte scheint sich zwischen acht und zehn Punkten zu befinden, je nach Rate und Investition derartiger Punkte.

Dieser Forscher ist der Ansicht, dass die Anzahl der Punkte und die Anforderung, vom Level geliefert zu werden, kein Artefakt des Systems darstellt, sondern eine Anforderung des Individuums. Man geht davon aus, dass die Hingabe des Individuums zur Fertigkeit, deren Entwicklung und die Akzeptanz der Fertigkeit als Teil der Identität die Skill-Evolution auslösen. Daher lösen Skill-Einkäufe im Shop nicht die gleiche Evolution aus – da diese Einkäufe durch ihre Herkunft einen externen Bonus darstellen.

Inzwischen ist klar geworden, dass bestimmte Klassen, wie der Shopper und das Gierschwein, diese persönlichen Voraussetzungen ignorieren können, da die Grundlage dieser Klassen im Erwerb von Skills und Gruppen liegt. Nach Ansichten dieses Forschers bestätigen diese Klassen zudem seine Hypothesen.

Die Untersuchungen widersprechen der vorherrschenden Meinung, dass die jetzige Blockade der Skill-Evolution darauf zurückzuführen ist, dass ein System-Edikt Chancengleichheit herstellen will. Dieser Forscher ist überzeugt, ein derartiges Edikt des Systems könnte je nach Fall für interessierte und mächtige Parteien aufgehoben werden. Die Tatsache, dass wir keine derartigen Edikte sehen, ist kein Beweis, dass unsere Ratsmitglieder über solche miesen Tricks erhaben sind, sondern dass es keine derartigen Edikte gibt.

Was die durch eine Skill-Evolution erzeugte Machtsteigerung betrifft, ist weitere Forschungsarbeit nötig. Aber die verfügbaren Datensätze machen klar, dass eine Zunahme des Skills um mindestens das Zweifache und höchstens das Zehnfache beobachtet werden kann. Die Zahl und Vielfalt dieser Skill-Evolutionen kann als ...“

 

Ich brumme und lasse das Buch verschwinden. Manchmal nervt mich der Schreibstil dieser Wissenschaftler, aber derartige Informationen sind wichtig. Und wenn ich meinen Erfahrungszuwachs ansehe, wird klar, dass dieser Forscher in mancher Hinsicht recht hat. Natürlich ist meine Erfahrung auch das letzte Mal angestiegen, als ich ein Dokument gelesen habe, welches das Gegenteil behauptet hatte. Also weiß ich nicht, ob der Artikel im Ganzen wahr ist.

Aber ich unterdrücke den Gedanken und sehe mir die Nachricht an, die gerade erschienen ist. Toll. Noch ein neuer Eintrag in der Liste von Einwanderern. Ich mache mir Sorgen, weil meine Questzahlen so langsam ansteigen. Obwohl Oria Katherine Zugang zu den Gebäuden gewährt hat – damit sie Räume mieten, aber nicht kaufen kann – befürchte ich immer noch, dass sie diese Einladung aufheben wird, wenn wir nicht mehr Einwanderer finden. Unser Problem liegt nicht darin, die Leute zu überzeugen, die erscheinen, sondern mehr Leute anzulocken. Ganz gleich, wie viele Vorträge ich halte, scheint es keinen Unterschied zu machen. Es gibt einfach nicht genug Leute, die zu diesen Vorträgen erschienen.

Andererseits komme ich nicht darum herum, Dracos Quest zu bewundern. Das Training mit den beiden Abenteurer-Teams hat sich als extrem nützlich erwiesen. Obwohl ich das zweite Team bei unserem ersten Kampf zu Brei geschlagen habe, hat es sich meinen Taktiken schnell angepasst.

Die Unsterblichen Joes sind ein reines Fernkämpfer-Team, dessen Mitglieder alle Gewehre, Bögen oder Magie einsetzen. Gemeinsam haben sie so viel Feuerkraft, dass sie die meisten Bedrohungen eliminieren können, bevor sie sich annähern können. Natürlich hilft die Reihe von Skills, die sie erworben haben, wie Dimensionssperre, Klebriger Boden, Senkung der Oberflächenspannung und Netz. In unserem ersten Gefecht war ihre Taktik total einfach. Sie haben versucht, mich fernzuhalten, während sie hinter improvisierten Feldstellungen in Deckung gegangen sind. Aber sie hatten es wohl nicht von mir erwartet, sauer zu werden, als ich zum zweiten Mal auf dem Arsch landete und deshalb immer wieder Leuchtfeuer der Engel einsetzte, bis alle ihre Abwehrmaßnahmen versagten. Seither haben wir die Dinge etwas geändert und auch Terrain einbezogen. Danach wurde es deutlich schwieriger, an die Joes heranzukommen.

Beide Teams haben ihre Fähigkeiten bei der Dimensionssperre so verbessert, dass ich deutlich mehr Mana und Gesundheit ausgeben muss, um sie per Versetzungsschritt oder Portal zu erreichen. Bestenfalls kann ich einen dieser Bewegungszauber vielleicht zweimal einsetzen, bevor alles vorbei ist. Sie reagieren jetzt auch auf meine Granaten und aktivieren gezielte Kraftfelder oder setzen tragbare Schleimfresser ein, um meine Spielsachen zu entfernen.

Insgesamt gehen unsere Kämpfe hin und her. Wir finden neue Methoden, um mit dem Gegner fertig zu werden, setzen diese ein und sind im Vorteil, bis die andere Seite eine Abwehrmethode findet oder eine neue Strategie entwickelt. Natürlich können sich solche Änderungen mehrmals in einem Gefecht ereignen, so dass es für mich bald problematisch wird, auf der Siegerstraße zu bleiben.

Der Gedanke beunruhigt mich, auch wenn der Nutzen all des Trainings in meinen Dungeons deutlich wird. Da ich gelernt habe, meine Taktik zu wechseln und Zauber wie Fliegen oder meine neuen Schwebestiefel einzusetzen, habe ich ein anderes Gefühl für das Terrain und das dreidimensionale Kämpfen. Während meiner letzten Dungeonmission hatte ich mir vorgenommen, in der Luft zu bleiben und berührte daher die Erde kaum. Mikito wiederum feuerte mit einem Gewehr auf ihre Angreifer. Insgesamt war das eine amüsante Nutzung unserer Zeit im Dungeon, auch wenn es länger als normal dauerte, unsere Quests abzuschließen.

Statt das heute zu erledigen, beschließe ich, morgen bei der Gilde vorbeizuschauen. Und mich auch um mein momentanes Problem mit den Abenteurer-Teams zu kümmern.

 

***

 

„Der Vize-Gildenmeister wird Sie jetzt empfangen“, sagt die Sekretärin und schickt mich hinein.

Die Dame mit großer Oberweite ist auf menschliche Weise überraschend attraktiv. Wenn man das zusätzliche Paar Arme ignoriert, ist sie sogar hinreißend. Selbst angesichts des weiteren Armpaars – und des etwas längeren Oberkörpers als bei Menschen – muss ich ihr einfach ein einladendes Lächeln zuwerfen. Allerdings bemerkt sie das nicht. Ich muss zugeben, ich beherrsche das Flirten wirklich nicht.

„Draco“, begrüße ich ihn. „Danke, dass du dir Zeit für mich genommen hast.“

„Aber gerne, Erlöser. Du und der Speer, ihr habt euer Wort gehalten. Deine neuesten Kill-Zahlen sind gerade angekommen, und wir haben in der Stadt eine neue Manaschwelle erreicht. Um was geht es in diesem Treffen?“

„Training. Genauer gesagt, mein Training mit den Teams.“ Ich streiche mir mit der Hand durch mein Haar, bevor ich sie fallen lasse und meine plötzliche Nervosität unterdrücke. „Ich versuche, ihre Taktik zu neutralisieren, aber es fällt mir schwer.“

„Was hast du versucht?“, sagt Draco.

„Also ... ihre Sicht behindert, sie mit Schlamm- und Metallwällen aufzuspalten versucht, mit Chaosgranaten oder Zauberstürmen Verwirrung gestiftet, umfangreiche Flächenangriffe auf sie gewirkt, den Heiler eliminiert, plötzliche Angriffe, ihr Mana heruntergebracht, Wegwerfgeräte genutzt, um Angriffe zu unterdrücken, Direktangriffe ...“

„Und sie haben Methoden gegen all diese Taktiken entwickelt?“

Ich nicke. „Jawohl. Beim letzten Match gegen die Joes griff ich die ganze Gruppe an und schleuderte möglichst schnell eine Menge Feuerbälle. Das bot mir die Gelegenheit, mehrere Minen zu werfen. Nach der Flucht der Joes zog ich mich über die Minen zurück, so dass sie sich mit dem Schaden und den Netzen herumschlagen mussten, aber das hielt nicht lange an. Selbst als ich in Deckung ging und sie mit Klingenhieben und meinen Messern angriff, hat das nicht sehr gut geklappt. Diesmal habe ich nur mit Mühe gewonnen – vor allem, weil sie vergessen haben, dass ich fliegen kann.“

„Wenn du so weit gekommen bist, hast du vermutlich deine Grenzen erreicht“, sagt Draco. „Ich werde heute Abend bei einigen deiner Kämpfe zusehen, aber ich habe keine großen Hoffnungen auf signifikante Verbesserungen.“

„Was? Komm schon. Ich bin in der Meisterklasse, und diese Typen sind ... was? Level 40 bestenfalls“, sage ich und verschränke die Arme. „Ich sollte in der Lage sein, meistens zu gewinnen.“

„Es stimmt, dass man gegen die meisten Mitglieder der Meisterklasse zwei oder drei Teams der fortgeschrittenen Klasse benötigt“, sagt Draco. „Aber du bist kein normales Mitglied der Meisterklasse, oder?“

„Genau!“ Als Dracos Augen meinen empörten Blick mit geschlitzten Pupillen ruhig erwidern, zügle ich meinen Stolz und überlege, was er gesagt hat. „Na schön. Mir fehlt eine ganze Basisklasse.“

„Genau“, meint Draco. „Abgesehen vom beträchtlichen Verlust an Skills, die sich meistens auf die Verbesserung der grundlegenden Kampffähigkeit eines Individuums konzentrieren, fehlen dir die Attribute.“

„Aber ich besitze eine Prestigeklasse.“

„Und die hat dir die Vorteile geliefert, die du zum Sieg gegen die Gruppen benötigst. Aber sie lernen jetzt deine Tricks und identifizieren deine Fähigkeiten, um Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Eine derart konzentrierte Bemühung wird einer Meisterklasse immer Probleme bereiten. Dir fehlt die Vielseitigkeit eines Beschwörers oder Technomanten der Meisterklasse, die dir erlauben würde, deine Drohnen oder Beschwörungen an ihre Taktiken anzupassen. Darüber hinaus hast du zwei weitere Nachteile“, sagt Draco.

„Ach ja?“

„Statistik. Ihr zwei kämpft gegen fünf oder sechs. Auch wenn jeder einzelne Gegner dir nicht ebenbürtig ist, ist die Fähigkeit, deine Angriffe selektiv abzuwehren sehr wichtig“, sagt Draco. „Einige der von dir erwähnten Methoden sollen die Optionen deiner Feinde reduzieren oder eliminieren, aber sie reichen nicht aus.“

Ich muss zustimmend nicken. Es stimmt, dass es schwierig ist, mit der Überzahl fertig zu werden. Auch wenn einer meiner Angriffe stärker ist, auch wenn sie zwei Personen benötigen, um meine Angriffe zu neutralisieren, stehe ich dem Rest des Teams immer noch unbewaffnet gegenüber. Es gibt Methoden, um das zu umgehen, aber die Teams erkennen inzwischen den Vorteil der Überzahl und gehen zur Raumdeckung über. Das ist ein Teil des Grunds dafür, dass die Gefechte immer schwieriger werden.

„Zweitens, und noch wichtiger, ist deine Klasse nicht für solche Kämpfe ausgerüstet“, erklärt Draco.

„Wie bitte?“

„Die Klasse der Ehrengarde sollte nie ohne Unterstützung eingesetzt werden. Sieh dir die Erethraner an. Sie arbeiten in Teams zusammen, und oft werden Individuen spezifische Rollen zugewiesen. Schaden wirken. Unterstützung und Logistik. Leibwachen und Abwehr. Das ist einer der Gründe dafür, weshalb man sie so fürchtet. Eine spezialisierte Logistiktruppe mit fortgeschrittenen Portal-Skills kann eine Kampfgruppe an einem beliebigen Ort in der Galaxis absetzen. Ein Leibwächter der Portal-Spezialisten kann den auf sie gerichteten Schaden absorbieren und im Notfall ein unzerstörbares Sanktum erstellen. Eine mobile Artillerie mit dem Skill Einzelkämpfer-Armee. Und das allein in einer Fünfergruppe. Stattdessen verzettelst du dich mit deinen Klassen-Fertigkeiten.“ Als ich protestieren will, schnaubt Draco, und mein neuer Skill informiert mich darüber, dass seine Körpersprache ausdrückt, was ein Mensch sagen will, wenn er eine Hand hebt. „Ich weiß, du hast Credits ausgegeben, um es abzumildern, aber deine Gegner tun das auch. Die Spezialisierung funktioniert, weil Credits nur begrenzt wirksam sind. Selbst deine Paladinklasse ist nicht konzentriert genug. Du hast Punkte für alles Mögliche investiert und bist ein Generalist, statt dich auf einen bestimmten Aspekt zu konzentrieren. Das bietet dir eine Flexibilität, die du gut eingesetzt hast, aber dadurch bist du auch speziellen Killertrupps gegenüber verwundbar.“

Ich presse die Lippen zusammen, kann ihm aber nicht widersprechen. Selbst ich weiß, dass man sich als Gamer nicht allzu sehr verzetteln sollte. Das Min-Maxing kann deutliche Vorteile bringen. Darunter Skill-Upgrades und Skill-Evolution. Daher würde ein verbesserter Portal-Skill mich über die ganze Galaxis transportieren, während mein eigener mich bestenfalls auf die andere Seite des Planeten bringt.

„Das stimmt. Aber ...“ Ich überlege, wie ich meine Ansichten darlegen soll.

„Du reagierst auf deine Situation. Und es ist nicht so schlecht, ein Generalist zu sein. Es ist wichtig, in vielen Situationen flexibel zu reagieren, vor allem auf Dungeonwelten oder in Verbotenen Zonen. Die Garde ist gefährlich, weil ihre Mitglieder sich gegenseitig unterstützen. Aber du solltest deine Skills und deine Klassen verstehen – sie sind nicht für den isolierten Einsatz gedacht“, sagt Draco und deutet auf mich. „Bis du das akzeptierst und mit diesen Beschränkungen umgehst, befindest du dich immer im Nachteil. Geh jetzt. Ich habe noch mehr Arbeit. Später sende ich dir ein paar Vorschläge für dein Training.“

Ich atme tief ein, um meinen Ärger zu unterdrücken, stehe auf und verbeuge mich kurz vor ihm. „Danke. Für alles.“

Draco spricht erst wieder, als ich fast die Tür erreicht habe. „Wir haben alle Freunde verloren. An die Zeit und die Klinge. Aber wenn du dich weigerst, weitere Mitglieder in deine Gruppe aufzunehmen, gefährdest du die anderen.“

Ich stehe dort, mit einer Hand zur Tür hin ausgestreckt und bleibe einen Moment dort, bis ich nicke, ohne mich umzudrehen. Die Tür öffnet sich mit einem Zischen und ich gehe hinaus, während mir die Diskussion noch durch den Kopf geht.

 

***

 

Der gelbe Shop sieht wie immer aus. Foxy, mein persönlicher Verkäufer scheint froh darüber, mich zu sehen und dankbar, dass ich mir die Zeit genommen habe, zu seinem interdimensionalen Standort zu springen, statt den physischen Shop in Irvina zu benutzen. Es gibt einige Gründe dafür, aber einer davon ist der großgewachsene Kerl, der im Wartezimmer auf einem Stuhl sitzt.

„John“, sagt Roxley und steht auf. Sein langes Haar ist jetzt lila, mit hellblauen Strähnchen. Das passt wunderbar zu seiner mahagonibraunen Haut.

Ich blicke die kräftige, athletische Gestalt des Truinnar an und lecke mir unwillkürlich die Lippen. Ein Kopfschütteln unterdrückt weitere Gedanken. Das ist nicht der richtige Moment. Oder Ort.

„Roxley“, sage ich vorwärtslaufend. Der verdammte, schamlose Adonis umarmt mich und gibt mir einen Kuss, den ich genieße, bevor ich ihn wegschiebe. „Hey! Hör auf, mich zu begrapschen. Wir machen das nicht mehr. Weißt du noch?“

„In der Truinnar-Kultur ist es Tradition, einen ehemaligen Liebhaber so zu begrüßen.“

Ich kneife die Augen zusammen, während Roxley mich ausdrucklos anblickt. Ich pruste, weil ich das absolut nicht glaube. Wenn ich keine Hintergrundinformationen über Oria bräuchte, hätte ich ihn nicht hierher gerufen. Es war besser, unsere Beziehung einfach abzubrechen da ... na ja, wir nun Galaxien voneinander entfernt leben.

„Also. Ich brauche einige Informationen. Was den Hintergrund von Oria betrifft“, sage ich.

„Die Gesandte in Irvina. Ich habe gehört, dass sie mit dir gesprochen hat“, sagt Roxley und lehnt sich vorwärts. „Du weißt aber, dass du mich in eine sehr knifflige Lage bringst? Ich könnte in Schwierigkeiten geraten, weil ich mit dir geredet habe.“

„Ich würde dich doch niemals in zu große Schwierigkeiten bringen wollen“, sage ich mit zuckersüßer Stimme.

Roxley rollt mit den Augen, aber ich weiß, dass er weiß, dass ich es ernst meine. Und ich darauf vertraue, dass er darauf achtet, wie viel er mir erzählt.

„In Ordnung. Erstes solltest du wissen, dass die Gesandte die Herzogin vertritt. Sie nimmt eine beispiellose Vertrauensposition innerhalb der Organisation ein.“

„Warum?“

Roxley überlegt sich offensichtlich, was er nun sagen soll. „Es gibt mehrere Gründe dafür. Aber der berühmteste geht daraus hervor, was Herzogin Kangana für Lady Oria getan hat. Es war vor etwa achtzig Jahren, bald nachdem Lady Oria auf Irvina in den Dienst getreten war. Ihr Mann und ihre Erstgeborene waren von einer Expedition in eine Verbotene Zone nicht zurückgekehrt. Die Lady besuchte die Herzogin und flehte um Hilfe. Die Herzogin wiederum startete eine umfangreiche Expedition, die ihre eigene Leibgarde einschloss und rettete ihren Mann und ihre Tochter.“

„Ah. Das ist ... ziemlich cool“, sage ich.

„Viele bezeichneten es als töricht.“ Roxleys Lippen verziehen sich zu einem angespannten Lächeln. „Die Verluste der Rettungsmission waren deutlich höher als die Zahl der Geretteten.“

„Ah ...“, sage ich und zucke zusammen. Ich verstehe, warum Roxley diese Geschichte erwähnt hat. Dadurch erscheint die ferne Herrscherin, die uns erst schikanierte und dann der Erde half, in einem viel besseren Licht. Ich bin mir immer noch nicht sicher, was ich von der Herzogin halten soll. Aber das ist nicht so wichtig. Es ist unwahrscheinlich, ihr je zu begegnen. So mächtig sie auch ist, ist sie doch nur eine der vielen mächtigen Gestalten in der Galaxis.

„Daraufhin schwor Lady Oria der Herzogin ewige Treue, und sie ist daher die dienstälteste Vertreterin der Herzogin auf Irvina“, sagt Roxley. Ich bemerke ein Zögern, so schnell und unauffällig, dass ich es übersehen hätte, wenn ich nicht auf so intime Weise mit ihm vertraut wäre.

„Was?“

„Nichts Relevantes.“

„Lass mich das entscheiden.“

„Lady Orias Mann war wütend, hatte sie andere geschickt, um ihn zu retten. Er war so erbost, dass er sich von ihr trennte, sich zwei Liebhaber nahm und schließlich jeden Kontakt mit ihr abbrach“, sagt Roxley. „Er starb zwei Jahrzehnte später auf einer anderen Expedition.“

„Oh.“ Ich werfe Roxley ein zögerndes Lächeln zu. „Tut mir leid. Du hast recht. Nicht wirklich relevant. Sie ist also die Stimme der Herzogin. Was will Oria von uns?“

Roxley prustet und schüttelte den Kopf. „Von der Erde? Das solltest du doch wissen. Mehr Kontrolle, besseren Zugang. Credits und Trainingsgelände. Die Ressourcen und Gebiete, die man braucht, um überlastete Bevölkerungen umzusiedeln. Alles, was die Herzogin wünscht.“

„Und von mir?“

„Eine Schnur an dich binden“, sagt Roxley und deutet auf meinen Brustkorb, „Dich und ähnliche Leute, die besonderen Typen, die das System brechen. Ihr bietet viel Potenzial.“

Ich knurre nur. Im Laufe der Zeit habe ich bemerkt, dass ich nicht so besonders bin, wie ich gedacht hatte. Oh, ich bin ein Schummler – aber unter der Bevölkerung der Galaxis bin ich nicht der einzige. Auf der Erde gibt es zwei weitere, die die Säuberung überlebt haben, soweit ich weiß. Sie sind beide Champions der Erde. Es gibt vermutlich weitere Individuen, die ihre Stärke verborgen haben oder einfach nicht sehr auffällig sind. Dabei muss ich an einen gewissen Meister aus Hongkong denken.

Auch anderswo in der Galaxis gibt es Individuen, die versucht haben, das System zu betrügen. Sie werden in hochstufigen Zonen geboren und verbringen ihre ganze Kindheit dort. Damit wird sichergestellt, dass sie normalerweise unerreichbare Boni erhalten, sobald sie auf ihre Bildschirme zugreifen können. Alle von ihnen gehen Risiken ein und erreichen gefährliche Positionen, die Reichtum und Boni bringen, wie ich sie erhalten habe. Oder, in einigen Fällen, indem sie einfach den Rat bestechen. Allerdings ist Letzteres wohl eher ein Gerücht als eine Tatsache. Manche Antworten sind zu teuer, als dass man sie kaufen könnte.

Und die in dieser Hinsicht „speziellen“ Individuen werden sowohl gelobt als auch gefürchtet. Kleinere Boni sind etwas, das die meisten Reichen erwerben können. Selbst einige ärmere Individuen erreichten das durch Glück oder Zufall, Schicksal oder Planung. Aber, wie auf der Erde, ist der Erfolg keine reine Glückssache. Zu viele begabte Athleten haben sich verletzt, zu wenig Disziplin gezeigt oder einfach keinen Ehrgeiz gehabt, Profis zu werden. In einer Welt, in der der schnellste Weg zur Macht über den Kampf führt, sind die Verluste enorm.

„Hah. Ist das alles?“, sage ich.

„Vorerst“, sagt Roxley und öffnet die Hand. „Nicht jeder ist nützlich. Nicht jeder kann manipuliert werden. Nicht jeder ist vertrauenswürdig. Eine einfache Aufgabe, wie die dir übergebene, hilft dabei, einen Präzedenzfall zu schaffen.“

Ich knurre nur und verschränke die Arme. Klar. Wie wenn man einem Programmierer zunächst einen kleinen Auftrag gibt und dann den Code oder das Endergebnis überprüft. Wenn er zu lange braucht, unsauber programmiert oder keine Kommentare einfügt, weiß man das anschließend. Und es kostet wenig. Es ist egal, wie talentiert Programmierer sind – wenn sie den Code nicht kommentieren, will man sie lieber nicht anheuern. Vor allem nicht für große, komplexe Projekte.

„Danke. Also. Wie geht es den anderen?“

„Ziemlich gut. Constable Amelia will, dass ich die berittene Polizei auf eurer Welt reformiere. Sie ist sehr an Lanas Greif interessiert. Wir bewerten die Idee und haben ein Testprogramm gestartet“, sagt Roxley. „Aiden hat in Kamloops eine Magierakademie aufgebaut. Die Zahl der Schüler ist so stark angestiegen, dass sie weitere Lehrer anstellen müssen. Die Akademie zahlt für sich selbst über Dungeonmissionen und magische Experimente an Monstern.

„Deine Freunde Rachel und Jason? Sie erwarten einen vierten Abkömmling“, sagt Roxley und verzieht das Gesicht,

Ich muss lachen, als ich mich erinnere, wie er bei einem überraschenden Besuch in Carcross ihr erstes Baby halten musste. Was für ein Anblick.

Ich lehne mich vor und stelle Fragen. Manchmal über Leute, die ich kenne, wie Colonel Weir und die Champions. Aber auch über die Politik auf der Erde. Und eine Weile lang vergesse ich den Druck meiner Quest und genieße nur die Gesellschaft des Truinnar.

Aber allzu bald müssen wir unser Gespräch beenden. Der Shop ist nicht für lange Treffen gedacht, und je länger wir bleiben, desto teurer wird es. Aber als ich mich wieder nach Irvina teleportiere, erscheint ein Lächeln auf meinem Gesicht. Trotz allem findet das Leben seinen Weg und geht einfach weiter.

 

***

 

Draco schickt mir, wie versprochen, ein Dokument mit einer Liste meiner Schwächen und eine Analyse der Gefechtsvideos. Auch wenn er die Fortschritte herunterspielt, die ich machen konnte, listet er eine beträchtliche Anzahl von Fehlern auf. Manche sind so gering, dass ich nicht sicher bin, wie ich sie je beheben soll – hier bewege ich mich etwas zu früh, dort weiche ich aus, wenn ich mich abrollen sollte – während andere hilfreicher und weniger präzis sind.

In den nächsten Tagen verfalle ich in eine bekannte Routine, aber das Problem der mangelnden Zahl von Einwanderern macht mir immer noch Sorgen. Schließlich treffe ich Katherine in ihren neuen Büroräumen.

Die neuen diplomatischen Büros befinden sich im zweiten Ring und sind Teile eines Gebäudekomplexes, der eine seltene Oase von Grünpflanzen umgibt. Na ja, zumindest Vegetation. Die Büros für die Erde nehmen einen Teil eines Hochhauses ein, in dessen obersten Stockwerken sich Wohnungen befinden. Sie sind teuer, elegant, und – meiner Ansicht nach – nicht besser als die einfachen Gildenquartiere, in denen wir uns befinden. Nach einem gewissen Punkt werden die Unterschiede beim Komfort zu gering, als dass sie wirklich zählen würden.

„Katherine.“ Ich sehe mir die zierliche Dame hinter dem großen Eichenschreibtisch an. Ich bin etwas amüsiert, will sie den Stil der Erde nachahmen, aber der Schreibtisch scheint Teil eines Versuchs zu sein, dem ganzen Bereich eine menschliche Atmosphäre zu verleihen Aber ... Der Schrei ? Ich mache eine Kopfbewegung zu dem berühmten Gemälde hin.

„Mein Lieblingsgemälde“, sagt Katherine mit einem traurigen Grinsen. „Der Shop hat sich mitten im Museum in Oslo gebildet und ließ die Kunstwerke intakt. Es hat einige Verhandlungen erfordert, aber wir haben es schließlich von den Movana erhalten.“

„Ach sooo“, antworte ich, da ich nicht weiß, was ich eigentlich sagen sollte. Unsere Verluste an Kulturgütern, an Menschen, schmerzen immer noch.

Ich muss zugeben, ich bin im Vergleich zu Katherine ein Kulturbanause. Meine bevorzugten Kulturgüter wurden größtenteils vom System bewahrt. Filme, Animes, Texte von Romanen. Aber ich verstehe, wie schmerzlich der Verlust kostbarer Gemälde, Statuen und sogar Gebäude ist. Es ist nett, haben es wenigstens einige Objekte überlebt. Und vielleicht werden wir später weitere zurückbekommen. Oder neue Kunstformen erschaffen.

„Aber du bist sicher nicht hierhergekommen, um über Kunst zu sprechen“, meint Katherine.

Ich lächle sie dankbar an und sie bringt unser Treffen auf sein eigentliches Thema zurück. „Ja“ Ich setze mich ohne Aufforderung hin. „Hast du unsere Zahlen verfolgt?“

„Bezüglich der Quest? Ja. Enttäuschend.“

„Ich tue, was ich kann“, sage ich mürrisch.

„Selbstverständlich. Das sollte keine Beleidigung sein. Aber selbst die Erde will jetzt mehr Abenteurer. Vor allem, wenn wir sie in die richtigen Städte bringen können.“

Ich schniefe etwas. Wie sich die Lage doch geändert hat. Wir haben darum gekämpft, sie fernzuhalten, und jetzt suchen wir verzweifelt nach mehr, um mit den Dungeons fertig zu werden, der Bevölkerung wieder etwas Normalität zu bieten, und weil mehr Galaktiker mehr Geld einbringen.

„Ich nehme an, du hast Ideen?“, sage ich.

„Die habe ich. Ich muss unser Budget und einige andere Dinge bestätigen, aber ich schlage Folgendes vor ...“, sagt Katherine und lehnt sich vorwärts.

Stunden später ist unser Gespräch beendet. Meistens hatte Katherine das Wort, aber ich habe auch versucht, Feedback bezüglich der Planung zu geben. Im Laufe der Zeit präzisierten wir unsere anfänglichen Idee, deren Implementierung und schließlich unsere Reaktion auf das, was wahrscheinlich danach passieren wird.

Am Ende stehe ich auf und reiche Katherine die Hand. „Du weißt aber, dass das die Leute total sauer machen wird, oder?“

Katherine starrt meine ausgestreckte Hand an und hebt eine elegante Augenbraue, bis ich verlegen den Arm senke. „Selbstverständlich. Aber deshalb hast du dich ja so bemüht, uns einen Ratssitz zu verschaffen, nicht wahr? Und um auf unserem eigenen Planeten etwas bewirken zu können.“

„Ja ...“ ich spüre, wie Emotionen in mir aufwallen. Dankbarkeit, Glück und etwas Angst. Denn das, das wir jetzt tun wollen ...

„Das ist unsere Wahl, John.“

„Ich weiß.“ Ich bestätige ihre Worte mit einem Nicken. „Wie lange?“

„Gib mir einen Tag.“

„Ausgezeichnet.“

Ich winke Katherine zum Abschied zu, als ich den Raum verlasse, wobei ich meine Bedenken unterdrücke. Wie Draco erwähnt hat, kann ich nicht alles allein tun. Und Leute abzuschrecken, die sich mir anschließen wollen ... na ja, das ist wenig sinnvoll. Also werde ich Hilfe annehmen und den Mund halten, da wir ja alle Erwachsene sind.

 

***

 

Einen Tag später stehe ich vor einer plötzlich größeren Menge. Es ist kein enormer Unterschied, aber es sind fast vierzig Leute im Raum – so viele, dass uns die Stühle ausgegangen sind und einige Leute hinten stehen müssen. Auch die Mischung der Außerirdischen ist anders, und es gibt mehr niedrigstufige Mitglieder der Kampfklassen. Wiza, der meine wichtigste Kontaktperson darstellt, sieht begeistert aus, obwohl er Harry einen skeptischen Blick zuwirft, der zum ersten Mal seit langer Zeit wieder aufgetaucht ist. Aber der Kobold verzieht seine Lippen zu einem breiten Grinsen. Er ist zufrieden. Zumindest vorläufig.

Zuerst läuft alles glatt – die gut eingeübte Rede und das Vorzeigen klappen wie immer. Ich höre Lachen und Schreckensrufe, als ich einige der vorhandenen Monster zeige, ein verächtliches Schnauben und Momente der Überraschung, als wir die Städte aus der Luft präsentieren. Meine Rede konzentriert sich auf die am häufigsten gestellten Fragen, was unseren Vortrag effektiver macht. Aber nach dem Standardvertrag heizt sich die Atmosphäre auf.

„Ich habe eine Systemwerbung erhalten, die besagt, dass wir vor dem Abflug in Irvina unterstützte Dungeonmissionen durchführen, falls wir uns beim Rat der Erde anmelden. Stimmt das?“ Die Frage stellt ein Mitglied der Kampfklassen, ein Insektenwesen, das in einer unwillkürlichen Geste der Nervosität und Hoffnung zwei seiner vier Arme aneinander reibt.

„Ja. Ich bin bereits Mitglied von Tigs Gilde, daher werden wir meine Zeiten für die Dungeonmissionen verwenden. Im schlimmsten Fall zahlen wir für die Dungeonnutzung, falls das nicht klappen sollte. Und sobald ihr auf die Erde kommt, werdet ihr Teil einer unserer regelmäßigen Stadtpatrouillen, wenn ihr das wollt. Das erlaubt es euch, gleichzeitig Erfahrung und Credits zu erhalten“, sage ich.

„Was?“, sagt Wiza, dessen Mund offensteht, so dass die Zunge heraushängt. „Was für ein Rat der Erde? Was für eine Werbung?“

Wizas Worte rufen einige mitleidige und verächtliche Blicke hervor. Ich bedauere den Kobold etwas, da es nicht seine Schuld ist, dass er von uns nichts erfahren hat.

„Und keine Leibeigenenverträge?“, fragt ein anderer.

„Nein, keine. Ali?“

Einen Moment später erhalten alle im Raum neue Benachrichtigungen, die sie sich ansehen können. Sie listen die Details des Vertrags auf, den Katherine mühsam ausgearbeitet hat, wobei sie die Sprache und die notwendigen Schutzmaßnahmen optimiert hat. Da der Text relativ kurz ist, kann unser Publikum ihn schnell lesen.

„Ihr werdet uns Unterkunft, Essen, ein Taschengeld sowie Material für unsere Produktion bieten?“ Das stammt von einem Lederbearbeiter, dessen spitze Finger es anscheinend erleichtern, Löcher in Leder zu stanzen, damit man die Teile vernähen kann. Ich frage mich, ob er mehrere Fingerhüte trägt, wenn er sorgfältig arbeiten muss.

„Ja. Aber erst nach eurer Ankunft auf der Erde. Und wir werden euch daran hindern, an Dungeonmissionen teilzunehmen, zumindest bis ihr das Ticket für das Flugzeug abbezahlt habt. Für die Raumfähre. Das Raumschiff“, korrigiere ich mich schnell. „Offensichtlich ist das bei Mitgliedern der Kampfklassen etwas anders. Aber nachdem ihr die ursprünglichen Kosten abbezahlt habt, könnt ihr gerne bei unterstützten Missionen oder Patrouillen mitmachen.“

„Was macht ihr da?“, faucht Wiza, stellt sich vor mir hin und fletscht die Zähne. Er bäumt sich auf und versucht, mich einzuschüchtern.

Aber dann aktiviere ich meine Aura und blicke ihm in die Augen, bis er nachgibt.

Er schrumpft etwas und wimmert unwillkürlich. „Warum macht ihr das?“

„Weil wir Menschen sind. Und eine Dungeonwelt“, sage ich. „Also. Nächste Frage?“

„Ich bin ein Technomant, der sich auf Schwerkraftfelder konzentriert. Werdet ihr mir die Technologie geben, die ich benötige?“

„Äh ... Ali?“ Ich sehe den Geist verzweifelt an.

Ali prustet vor Lachen und erscheint vor allen, was einige Überraschungsrufe erzeugt, bevor er dann die Fragen beantwortet. Wiza, der nun ignoriert wird, blickt zwischen uns hin und her, bis er sich davonschleicht, um es seinen Vorgesetzten zu melden.

Ja. Der Shitstorm ist unterwegs.

Du siehst zufrieden aus “, sagt Harry über den Gruppenchat.

Da kann ich nur mit den Schultern zucken. Aber das? Das fühlt sich richtig an.

 

***

 

„Guten Abend, VG“, sage ich und nicke Draco zu. Ich bin ein bisschen überrascht, ihn hier unten am Eingang zu unseren Wohnungen zu sehen, aber nur ein bisschen.

„Wir müssen uns unterhalten, Erlöser“, sagt Draco.

„Meine Wohnung?“

„Nein. Ich habe einen Konferenzraum besorgt.“

Draco führt mich zu einem Teil des Gildengebäudes, den ich schon besucht habe – eine Art kompaktes Geschäftszentrum. Im Raum aktiviert Draco eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, um die Kommunikation mit der Außenweilt und die Sicht in den Raum abzuschneiden, bevor er ein kleines Gerät herauszieht und damit herumwedelt. Ich höre mehrmals ein Knistern und Zischen – sogar einmal bei mir – bis die Überwachungswanzen in unserer Umgebung eliminiert sind.

„Igitt. Bei mir?“, fauche ich.

Mein Skills und das Brumwell Halsband der Schattenabsicht erschweren es zwar, meine Aktionen zu verfolgen, aber wenn ich verwanzt war ... ich seufze und nehme mir vor, ein Spielzeug wie Dracos zu kaufen. Es bringt nichts, sich vor Skills zu verbergen, wenn alles einfach auf eine ganz andere Weise aufgezeichnet wird. Zum Glück muss nichts, was ich getan habe, als streng geheim betrachtet werden. Aber dennoch nervt es.

„Du hast noch viel zu lernen.“ Draco lehnt sich vor und blickt mich aus den geschlitzten Pupillen an, in denen der Zorn flackert. „Außerdem solltest du zuerst um Erlaubnis bitten.“

„Erlaubnis?“

„Ich habe zahlreiche Beschwerden erhalten, dass du es Individuen aus dem siebten Ring angeboten hast, sie in den Dungeon zu bringen. Im Namen der Gilde“, sagt Draco.

„Ich sagte, falls ich deine Genehmigung erhalte“, protestiere ich leise. Natürlich verstehe ich, dass Gerüchte und die selektive Wahrnehmung von Individuen meine Nachricht verzerren könnten. Und ich muss zugeben, wir hatten das in Betracht gezogen.

„Und hättest du es nicht für weise gehalten, mit mir darüber zu sprechen, bevor du es dem ganzen Planeten verkündet hast?“, knurrt Draco.

„Ich habe darüber nachgedacht. Aber sobald wir uns entschieden haben, lief alles so schnell. Und wir waren uns nicht sicher, wie attraktiv das ganze Angebot wäre.“

„Dafür sollte ich dich aus der Gilde werfen“, sagt Draco. „Wieso glaubst du denn, kannst du so etwas tun?“

„Gildenregel, ähhh ...“

„137. Im Abschnitt Abenteurergruppen und Gäste. Teil 4“, schlägt Ali hilfreich vor.

„Richtig. Ich kann mich nach eigenem Ermessen mit Gruppen aus angeschlossenen Gilden zusammentun, solange ich bereit bin, volle Verantwortung für eine Gruppenbildung außerhalb der Gilde zu übernehmen. Das umfasst auch das Betreten von Dungeons. Die einzige Ausnahme betrifft nicht registrierte Individuen“, sage ich. „Und da wir sie alle dazu bringen werden, sich vorläufig bei NAGA zu registrieren, mit mir als Sponsor, dürfte das kein Problem darstellen.“

Natürlich ist das nur ein Provisorium. Die Einwanderer werden als die niedrigstufigsten Abenteurer markiert, die es gibt – G – und selbst das nur zeitweilig. Ich bin verpflichtet, für sie ein beträchtliches Pfand zu hinterlegen, aber solange ich ihre Levels und Kampffähigkeit auf F bringe, erhalte ich die Credits zurück. In vielen Fällen würde ein einziger Dungeon genügen, um zu beweisen, dass sie eine Fähigkeit der Stufe F besitzen.

Die Mitglieder der Kampfklassen aus dem siebten Ring haben das noch nie in großer Zahl erreicht, was eher an den Kosten der Mitgliedschaft bei NAGA – oder den Einschränkungen anderer Gilden – liegt, als an ihrer mangelnden Vorstellungskraft. Es hilft auch nicht, dass NAGA keine offenen Termine für die Dungeons hat, so dass NAGA-Mitglieder entweder selbst einen Termin finden oder sich einer anderen Gilde anschließen müssten. Das ist für mich, ein Mitglied der Meisterklasse mit Freunden, kein großes Problem, aber für einen Außenseiter aus dem sechsten oder siebten Ring schon.

„Oh. Natürlich“, sagt Draco. „Ich wusste nicht, dass du so ein Paragraphenreiter bist. Du weißt aber, dass die Gilde sich nicht in die Streitigkeiten zwischen Gruppen einmischt, oder? Oder große Teile unseres potenziellen Kundenstamms verärgert?“

„So schlimm ist das auch nicht“, sage ich und verziehe das Gesicht.

Neben mir prustet Ali, während er im Kreis herumwirbelt. Auf meiner Minikarte sehe ich, wie Harry im Korridor hin und her läuft. Offenbar ärgert es ihn, dass er aus dieser Unterhaltung ausgeschlossen wurde. Aber das ist eine Angelegenheit der Gilde, und er ist kein Mitglied.

„Ich bezweifle, dass mehr als hundert Leute dieses Angebot annehmen werden“, sage ich.

„Du bezweifelst das“, meint Draco sarkastisch. „Bist du total naiv? Du forderst die etablierten Vorgehensweisen direkt heraus. Du bietest nicht nur den niedrigsten Levels ein Training an, sondern du hast Leuten auf Level 15 und höher Flüge zur Erde angeboten, ohne viel von ihnen zu verlangen.

„Das stimmt nicht. Wir lassen sie ein Jahr lang für unsere Stadtpatrouillen arbeiten, oder bis sie ihre Reise plus entsprechende Zinsen abbezahlt haben“, sage ich.

„Genau!“, faucht Draco. „Dein Angebot ist nicht nur fair, es ist überaus großzügig. Es erlaubt keine Fehler. Euer Vertrag hat keine Versicherung, die einspringen würde, wenn sie sterben! Ihr habt nicht einmal einen Bürgenden, und damit ist all euer Geld verloren, wenn diese Leute sterben.“

„Das wäre unwahrscheinlich. Wir wissen inzwischen, wie wir unsere Leute von wirklich gefährlichen Sachen fernhalten. Es ist nicht mehr wie in den ersten Jahren. Jetzt haben wir schnelle Eingreifgruppen und erfahrene Anführer in unseren Städten. Meine Güte, einige der Teams haben sogar Portalspezialisten wie mich.“

„Dennoch gibt es Todesfälle.“

„Dann würde ich sagen, haben sie schon genug gezahlt, oder?“, sage ich und lehne mich vorwärts. „Wenn sie sterben, während sie unsere Städte beschützen, können wir wenigstens einen kleinen Schuldenerlass durchführen. Und warum ist dir das wichtig?“

„Das ist es nicht. Aber alle beschweren sich bei mir darüber. Was du tust, stört jede kleine bis mittelgroße Gilde oder Leibeigenenfirma, die diese höherstufigen Kämpfer gebrauchen kann“, sagt Draco. „Unserer Gilde ist das eher egal. Schließlich suchen wir Eliten, und wir bieten Dienste und Vorteile, um sie anzuziehen. Aber die kleinen und mittelgroßen Gilden? Sie leben von diesen niedrigstufigen Leuten. So verdienen sie Geld und gewinnen Mitglieder. Und jetzt bietest du an, all diese Leute zur Erde zu bringen.“

„Überhaupt nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir maximal zehn Prozent von denen bekommen.“ Ich muss lächeln und breite die Hände aus. „Aber ja, darum geht es letztlich.“

„Ich wiederhole. Warum sollte ich dich nicht rauswerfen und mir monströse Kopfschmerzen ersparen?“, sagt Draco.

Seltsam. Ich starre Draco an, wie er dasitzt, das Vibrieren der Fäden, und ich erkenne, dass das keine Standardfrage ist. Er fragt, weil er von mir eine gute Ausrede geliefert haben will. Weil ... „Dir gefällt das, was ich tue.“

„Das ist egal. Wichtig ist nur deine Auswirkung auf die Gilde“, sagt Draco. „Wenn wir nicht aktiv werden, verlieren wir mindestens einen Fünftel unserer aktiven Verträge auf Irvina.“

„Einen Fünftel?“ Ich runzle die Stirn und überlege, wieviel die wohl wert sind. Einen Moment später gebe ich es auf. Es ist einfach irrelevant. „Das stimmt. Aber willst du sie wirklich wissen lassen, dass die Gilde beim kleinsten Druck nachgibt?“

„Und das wegen jemandem, mit dem wir nur eine oberflächliche Beziehung haben?“ Draco zuckt mit den Schultern. „Ich würde sagen, es würde uns noch mehr schaden, dich zu behalten.“

„Na gut“, sage ich. „ Hast du eine Idee?

Rein oder raus. Heiß oder kalt ...

Du bringst deine Metaphern durcheinander. “ Ich blicke Draco entschlossen an und finde meine Antwort. „Du hast recht. Es wäre eine schlechte Entscheidung, mich in der Gilde zu behalten. “ Ich sehe, wie Draco sich etwas ausrichtet und ernst wirkt, aber ich rede weiter. „Aber das trifft nur zu, wenn ihr uns nicht unterstützt.“

„Euch unterstützt?“ Draco schnaubt zischend.

„Ja. Momentan seid ihr ein Kollateralschaden. Ihr müsst also entweder ganz aus der Schusslinie, indem ihr mich gehen lasst – oder mit uns in den Bunker kommen“, sage ich.

„In den Bunker?“

„Sorry. Ein Ort, wo–“

„Ich weiß, was ein Bunker ist. Ich will eine Erklärung, worum es bei diesem Bunker geht.“

„Es ist ein metaphorischer Bunker ...“ Draco zischt mich an, und ich höre auf, den Vize-Gildenmeister zu ärgern. „Ganz einfach. Ihr helft uns. Die Erde wird Quests erstellen. Ihr helft, die Rekruten an den Terminen, die die Gilde bereits hat, durch die Dungeons zu bringen. Ihr habt die zusätzlichen Termine, seit wir die Manaschwelle überschritten haben.“ Ich wedle mit den Händen herum und werde immer aufgeregter. „Das kompensiert euch nicht nur für den Verlust an Quests, sondern bietet euch auch Informationen aus erster Hand über potenzielle Rekruten.

„Darüber hinaus wird Katherine sicher bereit sein, weitere Rabatte für die Gilde auf der Erde auszuhandeln. Ich wette, wir könnten euch einige neue Gildengebäude verschaffen. Tolle Rekruten finden, vielleicht sogar einige Quests, um die neuen Rekruten zu den richtigen Städten zu eskortieren. Ihr könnt eure neuen Rekruten direkt auf der Erde integrieren und dadurch langfristig mehr Geld verdienen und euren Ruf hier auf Irvina verbessern. Ihr könnt dank der tollen Publicity auch unter unseren Einwanderern und den Menschen rekrutieren. „Glaub mir, die Menschen unterstützen Außenseiter gerne.“

„Und du glaubst, das würde ausreichen, um den Ärger zu kompensieren, den wir dadurch verursachen?“, sagt Draco.

„Vielleicht nicht den von den Konzernen. Aber wie viele Abenteurer sind aus Bereichen jenseits des fünften Kreises gekommen? Wie viele von ihnen würden euch zustimmen?“

Draco verschränkt die Arme und lehnt sich zurück. „Man sollte meinen, wir könnten uns auch einige höherstufige Abenteurer schnappen.“

„Vielleicht. Im schlimmsten Fall müssten einige der anderen Gilden erklären, warum sie das nicht auch anbieten.“

„Vorausgesetzt, das alles klappt.“

„Stimmt.“

Draco schweigt. Nach einer Weile steht der Eidechsenmensch auf und geht zur Tür. Er verlässt mich mit einem etwas ominösen Satz. „Ich lasse dich wissen, wofür wir uns entscheiden.“

Was meinst du, Ali?

Ich glaube, wir sollten herausfinden, wie man eine Gilde gründet.

Ist das nicht teuer? Und sind Dungeontermine nicht schwer zu kriegen?

Doch .“

Scheiße. Ich hole mir einen Schokoriegel heraus, wickle die zarte Leckerei heraus und werfe sie in meinen Mund. Dabei starre ich den Ausgang an und gehe meine Optionen durch. Am Ende pruste ich leise, als Harry den Kopf hereinsteckte und auf meinem Gesicht nach einer Antwort sucht. Eine, die ich ihm nicht geben kann.