Mit dem Kohlestift in der Hand saß Arianna auf ihrem Hocker und blickte über den Sandstrand zum Meer.
Sie genoss die wunderschöne Aussicht für einen Augenblick und wandte sich dann wieder ihrer Leinwand auf der Staffelei zu. Sie hatte bereits den Umriss der Düne gezeichnet. Arianna lächelte in sich hinein und fügte weitere Details hinzu – die Schaumkronen auf den Wellen, die Bewegung des heranrollenden Wassers, ein paar Wölkchen, die am Himmel tanzten.
„Ich liebe nichts so sehr, wie hier am Strand zu sitzen und zu malen“, seufzte sie.
Obwohl auf dem Ozean nichts zu sehen war, dachte Arianna sich ein Schiff aus und zeichnete es auf die Leinwand. Es hatte hohe Masten und die Segel blähten sich im Wind.
Auf den Bug schrieb sie einen Namen: Der reisende Drache.
„So, jetzt bist du echt – wenigstens für mich“, murmelte sie.
Ihr ganzes Leben schon hatte Arianna Geschichten über das geheimnisvolle Schiff mit diesem Namen gehört. Sie liebte die alten Legenden, nach denen das Schiff vor hundert Jahren in der Nähe des Strands gekentert war. Niemand wusste, woher es gekommen war oder wo es hinwollte. In den Geschichten wurde von einem wertvollen Schatz erzählt, der noch immer zwischen den verrottenden Planken des Schiffs verborgen lag.
Arianna bemerkte aus dem Augenwinkel etwas im Wasser und hob den Blick von ihrer Staffelei. Da glitzerte etwas im hellen Sonnenlicht. Sie stand auf und schirmte ihre Augen mit der Hand ab.
Überrascht hielt sie den Atem an. Dieses Etwas war ein Helm aus Metall – er erhob sich direkt aus den Wellen. Wasser floss aus den Augenlöchern, als die Gestalt noch weiter aus dem Meer auftauchte.
Es war ein Mann – ein riesiger Ritter in einer glänzend blauen Rüstung.
Mit pochendem Herzen setzte Arianna sich wieder hin. „Das ist unmöglich“, wisperte sie. „Er muss tief aus dem Ozean kommen.“ Mit zitternden Händen befestigte sie ein neues Pergament auf ihrer Staffelei und zeichnete den Ritter mit schnellen Strichen. „Jetzt kann ich meinen Freunden etwas wirklich Außergewöhnliches zeigen!“
Der Ritter stapfte aus der Brandung den Strand hinauf. Salzwasser tropfte aus den Gelenken der Rüstung.
Arianna zeichnete zügiger, sie wollte ihn unbedingt auf dem Pergament festhalten, bevor er sie entdeckte. Aber der Mann lief schneller, als sie erwartet hatte. Plötzlich fiel sein dunkler Schatten über sie. Vor Angst wie versteinert ließ Arianna den Kohlestift fallen und starrte die schreckliche Erscheinung an.
„Wer bist du?“, fragte Arianna. Aus Furcht konnte sie ihre Zunge kaum bewegen. „Woher kommst du?“
Der Ritter streckte eine Hand aus und warf die Staffelei zu Boden. Arianna schluckte ängstlich. „Ich hätte weglaufen sollen“, dachte sie. „Ich bin so eine Närrin!“
Der Ritter beugte sich zu ihr vor. Sie konnte die bläulichen, unmenschlichen Augen hinter dem Visier erkennen. Dann packte er Arianna um die Hüfte und hob sie hoch. Arianna schrie und wehrte sich, als er sie unter seinen Arm klemmte.
Der Blaue Ritter drehte sich um und ging schweigend zurück zum Meer.
Arianna konnte kaum atmen, während er sie den Strand hinuntertrug. Sie hustete und strampelte hilflos in seinem eisernen Griff.
„Hilfe! Zu Hilfe!“, keuchte sie. Niemand war in der Nähe. Niemand konnte sie hören …