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Von schnell kann jedoch keine Rede sein. Kaum steht Lisa aufrecht, kommt es ihr vor, als schwankten die Wände um sie herum. Ihre Hand sucht Anouks Schulter, und das Kind sieht sie besorgt an.
»Es geht schon. Komm, schnell zum Auto!«
Auf Zehenspitzen gehen sie durch die Küche und hören, wie der Mann die Toilettenspülung zieht.
Lisa nimmt ihre Tochter fest an die Hand und zieht sie durch die Waschküche.
In der Garage ist es dunkel, aber Lisa wagt es nicht, Licht zu machen. Mit einer knappen Geste fordert sie Anouk auf, sich hinten ins Auto zu setzen. Sie selbst tastet nach dem Griff des Garagentors. Quietschend und knarrend setzt es sich in Bewegung und gleitet nach einem kräftigen Schubs ganz auf, jedoch alles andere als leise. Sonnenlicht und frische Luft fluten in die Garage. Lisa dreht sich um, sieht ein Paar Stiefel und als sie den Blick hebt, eine zerschlissene Jeans und eine Hand mit einem großen Messer.
Bis zum Auto sind es nur wenige Schritte.
Lisa rennt darauf zu, reißt die Tür auf, lässt sich auf den Fahrersitz fallen – und sieht sofort, dass der Zündschlüssel nicht mehr steckt. Fluchend steigt sie wieder aus. Die Gegenwart des Mannes nimmt ihr die Luft zum Atmen.
»Mama!«
»Raus! Steig aus!«, schreit Lisa und rennt zur Werkbank am hinteren Ende der Garage. Sie rechnet jeden Moment damit, dass der Mann sie packt, hört aber nur, wie sich das Garagentor knarrend schließt, und wieder ist es finster. In blinder Hast suchen ihre Hände das Holzregal ab. Sie findet den Werkzeugkasten, kramt darin und bekommt einen schweren Hammer zu fassen. Die ideale Waffe! Schnell dreht sie sich um, aber in der Dunkelheit sieht sie weder den Mann noch ihre Tochter.
»Anouk!«
Im gleichen Moment gehen die Neonröhren an. Erst flackern sie, dann leuchten sie die Garage gnadenlos aus. Der Mann steht links neben ihrem Auto, in dem Anouk rasch auf die andere Seite rutscht und hektisch an der Kindersicherung herumfummelt.
Jetzt kommt es auf jede Sekunde an. Reflexartig reißt Lisa die Autotür auf, in der anderen Hand hält sie den Hammer und hebt ihn drohend.
»Wenn du uns zu nah kommst, schlag ich dich tot, ich schwör’s bei Gott!«, ruft sie mit sich überschlagender Stimme.
Der Mann geht um die Motorhaube herum und drängt Lisa und Anouk, die inzwischen ausgestiegen ist, nach hinten, in den dunkleren Bereich der Garage, wo es keinerlei Fluchtmöglichkeit gibt.
Lisa schiebt ihre Tochter hinter sich und holt mit dem Hammer aus, als ihr Widersacher näher kommt.
»Lass das Ding fallen, elendes Miststück!« Mit gezücktem Messer kommt er auf sie zu.
Der Hammer saust nach unten. Ein wütender Aufschrei verrät, dass Lisa getroffen hat, doch als sie erneut zum Angriff übergeht, spürt sie einen stechenden Schmerz in der Hand. Der Blusenärmel fühlt sich warm und feucht an – mit Entsetzen wird ihr klar, dass es Blut ist. Im nächsten Moment packt eine große Hand ihren Arm und dreht ihn auf den Rücken, sodass sie den Hammer fallen lassen muss.
Bevor Lisa sich versieht, liegt sie auf dem kalten Betonboden, und der Mann drückt ihr das Messer an die Kehle. Hinter sich hört sie Anouk rufen und bleibt dennoch merkwürdig ruhig. Sie begreift, dass sie diesem Gegner nicht gewachsen ist. Mit einem kranken Kind und einer verletzten Hand ist sie doppelt gehandicapt, und wenn sie sich weiterhin zur Wehr setzt, riskiert sie nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihres Kindes.
Sie zwingt sich, dem Mann ins Gesicht zu sehen.
»Bitte nicht«, sagt sie gepresst. »Ich mache alles, was du willst, aber bring uns nicht um.«
Er ist direkt über ihr, keucht vor Anstrengung und starrt sie zornig an. Die Messerklinge drückt sich schmerzhaft in ihre Haut.
»Bitte nicht«, flüstert Lisa. »Es tut mir leid.«
»Klappe! Steh auf!« Er zieht sie hoch und zerrt sie aus der Garage. Anouk stolpert hinterher wie ein ängstliches Rehkitz, das in der Nähe seiner Mutter bleiben will.
Stöhnend vor Schmerzen, lässt Lisa sich ins Wohnzimmer schleifen, wo der Mann sie aufs Sofa stößt.
Blut tropft auf den Parkettboden.
Anouk schmiegt sich an ihre Muter, und Lisa legt den Arm um das Kind. Wie auf Verabredung halten sie beide den Blick gesenkt, starren auf das Blut am Boden. Der Mann baut sich vor ihnen auf, die Hände in die Hüften gestemmt. So bleibt er eine Weile stehen und sieht sie an, bis Anouk leise zu weinen beginnt. Er setzt sich auf die Tischkante, das blutige Messer noch in der Hand.
»So«, sagt er gelassen. »Wir sollten dringend ein paar Dinge klären.«
Im gleichen Moment wird im Fernsehen eine Fahndungsmeldung durchgegeben.