Skye
Mein Dad sagt immer, ich wäre schon besorgt auf die Welt gekommen.
Meine Mom sagt kein Wort mehr zu mir.
Irgendwann habe ich diesen Typen kennengelernt, der mir beinahe den Glauben geschenkt hätte, die Liebe wäre das Risiko wert. Beinahe.
Ich habe nur eine einzige Freundin und zugelassen, dass sie mich genauso gut kennt wie ich sie. Irgendwann habe ich sie zurückgelassen, um allein nach Abenteuern zu suchen.
Ich habe mehrere neue Freunde gefunden, ohne es wirklich zu versuchen. Ein Riesenzufall, schätze ich.
Dann habe ich ein Mädchen kennengelernt, und sie hat mir den Glauben geschenkt, die Liebe wäre das Risiko wert.
Ich habe diesen Fehler sofort bereut.
Also, meine Maya, was bedeutet das jetzt für uns?
Sie steht auf und dreht sich zu mir um, sobald ich das Set betrete. Es gibt nur uns beide und wir schauen einander in die Augen, wie versteinert.
Die Zuschauer wissen nicht, was sie von uns halten sollen. Sie jubeln, sie buhen, sie murmeln leise. Es schwelt eine Menge Hass in diesem Publikum, und allein das ist Ehrfurcht einflößend, weil Maya es hätte verhindern können. Die aus dem Kontext gerissenen Einspieler, die Jordy gerade präsentiert hat, lassen sie schrecklich aussehen – das perfekte Biest.
All das, was sie nicht ist.
Sie könnte es stoppen. Aber sie tut es nicht.
Auch Grayson und Jordy schauen mich jetzt an. Sie warten darauf, dass ich etwas sage, aber ich habe nichts vorbereitet. Ich wurde von Isaac mehr oder weniger auf die Bühne geschubst und habe es nur geschehen lassen, weil dieser Moment sich irgendwie bedeutend anfühlt. Aber jetzt, wo ich hier bin, auf dem Höhepunkt dieses Moments, spüre ich nur noch Angst.
Maya macht zögernd einen Schritt auf mich zu, ein ebenso zögerndes Lächeln auf dem Gesicht. »Hi.«
Ich will darauf vertrauen, dass sie mir nicht wehtut, wenn ich ihr noch mal die Gelegenheit dazu gebe. Ich will es. Aber wie kann ich das?
Abgesehen davon, dass sie der Welt von uns beiden erzählt hat, nicht von ihr und Jordy.
Abgesehen davon, dass sie aussieht, als wären ihr die Verurteilung und Ablehnung, die ihr nun aus dem Publikum entgegenschlagen, beinahe egal.
Abgesehen davon, dass sie an Jordy vorbei und direkt mich ansieht, so als würde nichts anderes existieren.
Ich schätze, so ist das nun mal bei »hohes Risiko, hoher Gewinn«.
Man verliebt sich in jemanden. Hals über Kopf. Inklusive Vertrauensvorschuss.
Meiner ist ein Lächeln.
Maya sieht es und versteht sofort. Sie streckt eine Hand aus, ich mache einen Schritt, um sie zu ergreifen, und das Publikum beginnt zu kreischen.
Grayson wirft dem wie vom Donner gerührten Jordy schulterzuckend einen Blick zu und kommt zu uns. »Skye, willkommen zurück, willkommen zurück«, brüllt er, bis sich das Publikum beruhigt hat. »Also, wie es aussieht, scheinen Mayas Gefühle nicht unerwidert zu sein? Das ist … nun, ich will ehrlich sein, Ladys, das ist nicht die Liebesgeschichte, die wir heute Abend alle zu hören erwartet haben.«
Das Publikum brummt vor Lachen.
»Aber wie dem auch sei«, fährt Grayson fort und bittet mit einer Geste um Ruhe, »da ich immer noch der Moderator dieser Sendung bin, muss ich euch doch höflich bitten, die Form zu wahren. Wir folgen bei Second Chance Romance einem wohldurchdachten Ablauf, und ich erwarte, dass du dich daran hältst, Maya.«
Da soll noch mal einer sagen, Grayson wäre nicht in der Lage, auf unerwartete Wendungen zu reagieren.
Maya wirkt verwirrt, doch dann scheint es klick zu machen, denn sie nimmt auch meine andere Hand, und wir wenden uns einander zu.
»Skye«, sagt sie, und ich gebe einen Laut von mir, der halb Stöhnen, halb Kichern ist, als mir bewusst wird, was hier gerade passiert. »Lange bevor wir uns kennengelernt haben, hatte ich bereits beschlossen, dich nicht ausstehen zu können. Leider musste ich nach unserer ersten Begegnung jedoch ziemlich schnell erkennen, wie schwer es ist, dich zu hassen. Oder besser gesagt: wie unmöglich es ist, dich zu hassen. Du gehörst wahrscheinlich zu den besten Menschen, denen ich je in meinem Leben begegnet bin.«
Ich glaube, mein Gesicht hat im Moment ungefähr die Farbe einer Aubergine, aber ich halte mein Kinn oben, während Maya weiterspricht.
»Ich … ich habe seitdem einige Fehler gemacht. Ich habe länger gebraucht, als ich hätte brauchen sollen, um zu begreifen, was du gemeint hast mit … diesen Fehlern. Aber ich will eins vollkommen klarstellen: Du bist es. Für mich. Wir haben beide mit ein paar Dingen zu kämpfen – ich hab jedenfalls definitiv eine Menge Probleme und diese Probleme … kamen mir immer so riesig vor. Sie waren das Zentrum meines Universums. Aber das, was ich für dich fühle, ist größer als diese Probleme. Es überdeckt sie völlig. Weil ich dich liebe.«
Mir klappt die Kinnlade runter. Maya spricht weiter.
»Und meine Liebe für dich ist größer als Hass oder Verbitterung oder irgendeins dieser anderen Dinge, die mich viel, viel zu lange so runtergezogen haben. Ich verlange nicht von dir, es auch zu sagen. Aber ich möchte dich fragen, ob du meine Zukunft sein willst.«
Sie sieht mich an, genau wie Grayson und Jordy und das Publikum und die Kameras – die, wie ich vermute, mein verdutztes Gesicht an Zuschauer auf allen Kontinenten senden.
Will ich Mayas Zukunft sein?
Will ich, dass sie meine ist?
Es ist gar keine Frage. Oder, falls doch, dann habe ich sie schon vor langer Zeit beantwortet. Ich war nur nicht bereit, es mir selbst einzugestehen.
Ich mache einen Schritt auf sie zu, um sie zu umarmen, und der Zuschauerlärm schwillt noch weiter an. Ich habe das Gefühl vermisst, sie bei mir zu spüren. Ihren Geruch. Wie mein Kopf perfekt unter ihr Kinn passt.
»Es tut mir leid«, flüstert sie und ihr Atem kitzelt auf meinem Hals.
»Nein, mir tut es leid. Ich hab überdramatisiert, und ich hätte dich nicht dazu zwingen sollen, das hier zu tun.«
»Du hast mich nicht gezwungen. Es war meine Entscheidung.«
Wir lösen uns voneinander und mir stockt für einen Moment der Atem. »Ich liebe dich auch, übrigens.«
»Ich dachte, du glaubst nicht an Liebe.«
»Es gibt eine Menge Dinge, von denen ich dachte, ich würde nicht daran glauben.«
Grayson hat wenig Erfolg mit seinen Versuchen, das Publikum zur Ruhe zu bringen. Jordy wiederum sitzt auf der Couch und funkelt uns finsterer als finster an.
Ich bin mir ganz sicher, er plant bereits, wie er uns umbringen kann, wenn wir erst wieder Backstage sind.
Von mir aus kann er es gerne versuchen. Wir sind zu sechst und er ist allein.