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Skye

Sie lassen mich eine gefühlte Ewigkeit in meinem Hotelzimmer allein, in ein glitzerndes, figurbetontes schwarzes Kleid gehüllt, bevor sie mich endlich abholen und mich auf eine sonnengeflutete Wiese bringen, wo ich auf Jordy warten darf. Während ich warte, denke ich an Maya.

Ich habe die ganze Zeit geglaubt, wenn ich mich auf das rein Biologische konzentriere, würde es weniger bedeuten. So als könnte ich mich mit Maya allein auf das Körperliche beschränken, weil es letzten Endes schließlich reine Chemie ist und ich meine Gefühle deshalb einfach raushalten kann. Aber was auch immer mich mit ihr verbindet – chemische Reaktionen oder Hormone oder Pheromone –, die Sache ist: Die Pheromone haben sie trotzdem ausgesucht. Mein Körper hat sie als mein Zuhause auserwählt. Er hat erkannt, dass sie zu mir gehört.

Und was die Gefühle angeht? Meine völlig unabhängigen Ich-brauche-niemanden-Gefühle? Ich glaube, sie sind mit diesen chemischen Prozessen verbunden. Untrennbar. Maya fühlt sich an wie meine sichere Zuflucht. Sie fühlt sich an, als hätte ich einen fehlenden Teil meiner Seele gefunden, der durchs All gedriftet ist, bis er endlich in meinen Orbit rauschte und ich mich daran festhalten konnte. Bis ich mich an ihr festhalten konnte.

Und das macht mir Angst. Es macht mir eine solche Scheißangst, dass meine Fingerspitzen brennen und mir der Nacken kribbelt und ich am liebsten wegrennen würde, aber ich weiß nicht, wohin, weil ich nicht weiß, wovor. Das, was mir Angst macht, wohnt in meinem Inneren.

Ich habe Angst, weil ich glaube, dass ich Maya reingelassen habe, obwohl ich es nie wollte. Aber jetzt ist sie hier. Und sie kann mir von innen auf eine Weise wehtun, gegen die auch die härteste Schale nichts ausrichten kann.

Und am meisten Angst macht mir, dass ich es vielleicht gar nicht verhindern will. Vielleicht will ich sie ja hier drin haben. Denn wenn sie diesen Platz in meinem Herzen einnimmt, spüre ich mehr Hoffnung, als ich seit sehr, sehr langer Zeit empfunden habe, dass es die wahre Liebe doch geben könnte.

Schließlich fährt Jordys Wagen vor und er steigt aus, in einen graublauen Anzug gekleidet. Er bringt eine nervtötend lange Zeit damit zu, sich in der Nähe des Wagens vor der Kamera mit Grayson zu unterhalten, bevor er endlich, endlich zu mir rüberkommt. Dank der Kulisse und weil es immer noch wunderbar warm ist, könnte das hier ein sehr romantischer, idyllischer Moment sein. Wenn die Kameras nicht wären und die Boom-Mikrofone und die Zuschauer, meine ich.

Und der ach so begehrte Junggeselle.

Jordy schaut mir in die Augen, völlig entspannt und mit diesem vertrauten, intimen Lächeln, und für einen Moment glaube ich, ich hätte gewonnen. Ich erwidere sein Lächeln, während der Wind mein Haar erfasst und ich im Kopf die vernichtende Rede übe, die Maya und ich diese Woche bei Rosé und Pepsi vorbereitet haben, um Jordy abzuweisen.

»Skye«, sagt er. »Von dem Tag an, an dem wir uns kennengelernt haben, wusste ich, du bist das Mädchen, das mein Leben verändern würde. Du hast mir gezeigt, wie die Liebe sein kann – und dich verlassen zu müssen, als wir nach England gezogen sind, war einer der schlimmsten Tage meines Lebens.«

Dann verändert sich etwas in seiner Haltung, und als ich begreife, was es bedeutet, schwappt eine unerwartete Woge der Erleichterung durch meinen Körper. Einerseits, weil ich vor der Kamera jetzt nicht voll auf Konfrontationskurs gehen muss, aber auch, weil es bedeuten könnte, dass Maya den Moment bekommen wird, von dem sie geträumt hat.

Doch dann trifft mich die Nervosität, das Nachbeben der Erleichterung, mit voller Wucht, denn wenn ich es nicht bin, stehen die Chancen fifty-fifty.

Ich will, dass Maya gewinnt. Sie will es so, so sehr.

Jordy nimmt meine Hände, und für einen Moment fühlt es sich an, als stünden wir vor dem Traualtar. Eine Vorstellung, bei der mein Herz noch vor zwei Jahren vielleicht ein kleines bisschen geflattert hätte. Jetzt löst sie nur noch einen Würgereflex aus.

»Und auch wenn dies die reine Wahrheit war, als ich siebzehn war … sind wir beide nicht mehr dieselben wie damals. Du hast dich zu einer ganz besonderen, wunderschönen, intelligenten Frau entwickelt. Einer Frau, bei der sich jeder Mann – oder jeder Mensch – glücklich schätzen könnte, sie an seiner Seite zu wissen. Aber ich bin nicht dieser Mensch.«

Das ist der Moment, in dem ich am Boden zerstört wirken sollte. Ich bringe ein doppeltes Blinzeln zustande und bin mir sicher, es tut dem dramatischen Zweck Genüge.

Jordy schweigt, und mir wird einen Herzschlag zu spät bewusst, dass ich etwas sagen sollte. Ich zucke mit den Schultern. »Oh, diese Dinge … passieren eben«, fällt mir immerhin ein.

»Es war wirklich eine so wunderbare Erfahrung, zu erforschen, wie es mit dir hätte sein können.«

Erneutes Schweigen. Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich darauf erwidern soll, deshalb blicke ich, in leichter Panik, in den Himmel empor und blinzle noch ein paarmal, damit es aussieht, als würde ich versuchen, meine Gefühle im Zaum zu halten, die zu überwältigend sind, um dabei den Hals gerade zu halten.

»Uns bleibt für immer Kanada«, säuselt er, und mich beschleicht das bestimmte Gefühl, dieser Satz stand in seinem Drehbuch.

»Uns bleibt für immer … Chalonne«, versuche ich es.

Jordy lacht. »Ja. Ja, das auch. Aber ich hoffe, wir bleiben diesmal in Kontakt. Ich freue mich schon darauf, dir dabei zuzusehen, wie du Dinge erreichst, die du in deinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten hättest.«

»Ich bin mir sicher, ich werde dich wiedersehen.« Ich lächle süß. »Du bist schließlich ziemlich schwer zu übersehen.«

»Schnitt«, ruft Gwendolyn und geht zu Isaac und Grayson, um etwas mit ihnen zu besprechen.

»Es tut mir wirklich leid, Skye«, entschuldigt sich Jordy.

Ich winke ab. »Ehrlich, es ist völlig in Ordnung. Aber verrätst du mir bitte, für wen du dich entscheidest?«

»Das wirst du schon bald herausfinden«, antwortet er. Ich bin enttäuscht, aber nicht überrascht. »So oder so: Wir sehen uns nächste Woche.«

»Okay. Ich wünsch dir viel Spaß.«

»Weißt du, was? Ich glaube, den werde ich haben.«

Ich lasse mir seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen und versuche, einen Hinweis darin zu finden, während er sich in Begleitung einer Kamera von mir entfernt. Nur Sekunden später werde ich aus meinen Gedanken gerissen, als Grayson sich mir mit einer Kamerafrau nähert.

»Wir filmen deine Reaktion, Skye«, ruft Gwendolyn mir zu und eilt ihm hinterer. »Schau trauriger aus.«

Ich entspreche ihrem Wunsch, so gut ich kann. Gwendolyn wirkt skeptisch, aber ehrlich gesagt habe ich keine Energie mehr für diesen Mist. Ich kann’s nicht erwarten, dass es endlich vorbei ist. Ich kann’s nicht erwarten, zu sehen, was als Nächstes kommt.

»Wie fühlst du dich, Skye?«, fragt Grayson und legt eine Hand auf meine Schulter. Es kommt mir ein bisschen überdramatisch vor, aber ich schätze, es gibt einen Grund, warum ich keine Realityshows produziere.

»Ich hab mir selbst versprochen, nicht zu weinen«, antworte ich, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich, ohne eine Miene zu verziehen, verkünden könnte, wie traurig ich bin. »Und ich habe nicht geweint.«

Grayson drückt meine Schulter. »Du hast es mit derselben Würde und Anmut getragen, die das ganze Land inzwischen so an dir liebt. Es tut mir leid. Ich wünsche dir nur das Beste.«

Und dann ist es plötzlich vorbei. Ich werde in mein Hotel zurückgebracht, Jordy in seines. Wird er allein dort sein? Oder zusammen mit Perrie? Oder werden sie eine siegreiche Maya eine ganze Woche lang dort mit ihm einschließen, obwohl sie ihn abgewiesen hat?

Ich hoffe, sie tun es nicht, auch wenn die Chancen eher schlecht stehen. Ich hoffe, Maya wartet, siegreich oder nicht, in meinem Hotelzimmer auf mich, wenn ich zurückkomme. Ich hoffe, ich kann zu ihr rennen und sie küssen, ohne vorher checken zu müssen, wer in der Nähe ist. Keine Geheimnisse mehr, keine Spiele, keine Trennung.

Endlich.