13

Skye

Ich bleibe für mich, als wir auf unsere Zimmer gehen. Dieser unerwartete Strich durch meine Rechnung verändert alles. Er bedeutet nicht nur, dass Maya noch eine weitere Woche hier sein wird, sondern auch, dass meine Fähigkeiten, vorauszusagen, was Jordy tun wird, ziemlich eingerostet sind. Mit anderen Worten: Ich habe keine Ahnung, ob Maya nicht noch wochenlang hierbleiben wird. Unter mir schlafen. Mit mir essen. Tagein, tagaus.

Ich warte, bis wir unser Zimmer erreicht haben und ich die Tür geschlossen habe, bevor ich Maya mitteile, dass ich mit ihr reden will.

»Tja, ich will aber nicht mit dir reden«, erwidert sie, auch wenn ihr keine andere Wahl bleibt, denn wo will sie schließlich hin?

»Pech gehabt, ich aber schon«, beharre ich, verschränke die Arme vor der Brust und lehne mich gegen die Leiter des Etagenbetts. »Wir sitzen jetzt zusammen hier fest, weißt du?«

»Wie, hattest du etwa gehofft, ich müsste schön früh wieder nach Hause fahren?«, blafft sie mich an. »Tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muss.«

Na ja, ja. Aber darum geht es hier nicht. »Das hab ich damit nicht gemeint.«

»Und was hast du dann gemeint?«

»Ich meine, dass du ganz offensichtlich ein Problem mit mir hast. Und ich schlage vor, du versuchst, darüber hinwegzukommen.«

Maya glotzt mich mit offenem Mund an. »Wie bitte?«

Ich werfe die Hände in die Luft. »Okay, dann war ich eben nach dir mit Jordy zusammen. Wen interessiert’s? Es war immer klar, dass er irgendwann wieder jemanden kennenlernen würde. Und es tut mir leid, aber ihm das zwei Jahre lang nachzutragen, allen zu erzählen, er wäre damals noch mit dir zusammen gewesen und mich vom ersten Moment an so schrecklich zu behandeln … Komm schon, Maya, das ist echt erbärmlich. Diese ganze ›Eifersüchtige Ex‹-Nummer ist so ein Klischee.«

Maya sieht richtig entsetzt aus und ich wappne mich für ein Defensivmanöver oder einen direkten Gegenangriff.

»Du glaubst, ich mag dich nicht, weil ich eifersüchtig auf dich bin?«, fragt sie schließlich.

»… Ja? Warum, gibt’s noch einen anderen Grund?«

Sie will sich das Zimmer nicht teilen müssen? Sie hasst mein Gesicht? Sie hasst … Kanadier?

»Äh, ja«, antwortet sie. »Wie wär’s mit dem Offensichtlichen? Du hattest was mit meinem Freund, während er noch mein Freund war, und dann hast du ihn mir weggenommen. Klingelt da irgendwas?«

»Maya, ganz ehrlich, glaubst du das ernsthaft? Wirklich und wahrhaftig? Das würde ich ehrlich gerne wissen.«

»Ich glaube es nicht, Skye. Es ist die Wahrheit. Und hattest du wirklich und wahrhaftig keine Ahnung, dass er noch mit mir zusammen war, als er schon mit dir was hatte?«

Ich werfe erneut die Hände in die Luft. »Ich lüge nicht. Obwohl, vielleicht sollten wir darüber noch mal genauer reden. Lauren meinte, zwischen dir und Jordy wäre es damals vielleicht einfach zu einem Missverständnis gekommen.«

Maya betrachtet mich, lange und ausführlich. »Weißt du, was?«, sagt sie dann schließlich und lässt sich mit einem Federnquietschen schwer aufs Bett plumpsen. »Ich glaube dir. Ich glaube, du wusstest wirklich nicht, dass Jordy noch vergeben war.«

»Dann diskutieren wir also gar nicht erst über die Theorie mit dem Missverständnis?«

»Aber«, prescht sie weiter vor, »du bist trotzdem nicht aus dem Schneider. Du bezeichnest mich die ganze Zeit als Lügnerin. Du hilfst Jordy dabei, alle davon zu überzeugen, dass ich mir die schlimmste Erfahrung meines Lebens nur ausgedacht habe, weil ich total eifersüchtig und kleingeistig bin.«

»Na ja, auf mich hast du bislang nicht unbedingt den besten Eindruck gemacht«, fauche ich sie an. »Warum hätte ich mich also auf deine Seite schlagen sollen?«

»Es ist nicht meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir zwei einen reibungslosen Start hinlegen. Ich bin hier diejenige, die beschissen wurde.«

»Aber du hast doch gerade gesagt, du glaubst mir, dass ich nichts von dem wusste, was deiner Ansicht nach passiert ist, also was ist es denn jetzt, Maya? Hab ich dich beschissen oder bin ich eine ahnungslose Komplizin?«

Wir starren einander an. Mayas Miene verändert sich innerhalb mehrerer Sekunden mehrmals. Schachmatt.

»Ich …«, versucht sie es, bevor sie sich räuspert und mit niedergeschlagenem Tonfall sagt: »Ich will, dass du mir glaubst.«

»Ich glaube, dass du denkst, ihr wärt noch zusammen gewesen«, erwidere ich. »Ich glaube nicht, dass du es nur behauptest, um mich schlecht dastehen zu lassen.«

»Nein, Skye, wir waren noch zusammen.«

»Okay, vielleicht wart ihr das!«, platze ich heraus. »Aber betrachte es doch mal aus meiner Perspektive. Ich kenne dich nicht. Aber ich kenne Jordy. Er hat mir nie einen Grund gegeben, ihm nicht zu vertrauen.« Seine »märchenhafte Geschichte« von heute kommt mir wieder in den Sinn, aber ich verdränge den Gedanken sofort. »Ich war nicht dabei, als Jordy von dir weggezogen ist. Du bittest mich, dir zu glauben – ausschließlich auf der Basis deiner Behauptung –, dass Jordy mich angelogen, dich vor mir versteckt hat und umgekehrt, und das zwei ganze Monate lang. Ich gebe zu, dass ich es nicht mit Sicherheit weiß. Und ich kann vielleicht auch anerkennen, dass eure Trennung nicht so eindeutig war, wie Jordy sie gemeint hat. Aber wenn du von mir hören willst, dass ich dir völlig vertraue und dir glaube, Jordy hätte mich in der ersten Zeit unserer Beziehung nur angelogen, dann kann ich das nicht tun.«

»Aber du weißt es nicht mit Sicherheit«, hakt Maya nach.

»Natürlich nicht. Im Augenblick steht dein Wort gegen Jordys.«

»Aber solange nur die Möglichkeit besteht, mein Freund könnte mich mit dir betrogen haben«, fährt sie fort, »ist das okay für dich?«

»Nein. Es ist nicht okay für mich. Ich bin nur …« Ich seufze frustriert. »Was, wenn wir Jordy gemeinsam zur Rede stellen würden? Vielleicht können wir die ganze Sache ja ein für alle Mal klären?«

»Er wird einfach nur weiterlügen, Skye. Das macht er immer.«

»Er hat auch gesagt, dass du das immer machst.«

Wir verfallen in Schweigen. Besser, als sich endlos im Kreis zu drehen, schätze ich. Es ist wie ein Rätsel ohne Lösung. Wenn Maya im Unrecht ist, muss sie sich bei mir entschuldigen. Wenn Maya im Recht ist, muss ich mich bei ihr entschuldigen. Aber damit Maya im Recht sein kann, muss Jordy im Unrecht sein. Und das kann einfach nicht stimmen. Nicht Jordy. Jemand anders, vielleicht, aber nicht Jordy. Nicht der süße Jordy, der sich für mich interessiert hat. Der angefangen hat, mit mir zu flirten.

Doch dann muss ich an den Jordy mit der eingeölten Brust denken, der affektiert in die Kamera lächelt. Wie er, ohne zu zögern, eine neue Kennenlerngeschichte für uns erfunden hat. An die abgedroschenen Phrasen, die ein bisschen zu roboterhaft klangen, um wirklich romantisch zu sein.

Daran, wie er am Telefon mit mir gesprochen hat, wie er genau die richtigen Worte gefunden hat, um mich davon zu überzeugen, hierherzukommen. Wie er mich davon überzeugt hat, ich wäre etwas Besonderes, obwohl sich das in seinem Verhalten heute nicht wirklich widergespiegelt hat. Ich stoße mich vom Bett ab und beginne, langsam auf dem Teppich hin und her zu gehen, die Arme um meine Brust geschlungen.

Maya fährt mit ruhiger Stimme fort: »Er wollte die Fernbeziehung. Wir haben jeden Tag per Videochat gequatscht und miteinander telefoniert. Zu Weihnachten hat er mir einen Ring geschenkt.« Ich schüttle den Kopf, während sie weiterspricht: »Anfang Dezember ist er zurückgeflogen, um mich zu besuchen. Er hat mehrere Tage in unserem Gästezimmer gewohnt. Klingt das für dich nach ›Trennung‹?«

Ich höre auf, auf und ab zu tigern, und gehe stattdessen zum Schreibtisch, um mich mit den Händen darauf abzustützen und die Wand anzustarren. »Nein.«

Vielleicht war es ein Irrtum, zu denken, dass sie diese Version der Ereignisse tatsächlich glaubt. Sie könnte sich diese ganze Geschichte auch nur ausgedacht haben, um mich zu verunsichern oder um einen Keil zwischen Jordy und mich zu treiben.

Aber was, wenn nicht?

Was, wenn er tatsächlich ein sehr, sehr talentierter Lügner ist?

»Meine Cousine hat gesehen, wie ihr zwei auf einer Silvesterparty miteinander rumgeknutscht habt, und es mir erzählt. Am Anfang hat er behauptet, es wäre nur ein betrunkener Fehler gewesen, und mich angefleht, ihn nicht zu verlassen. Ich war so nahe dran, ihm zu verzeihen. Einen Tag später ist er dann zurückgekommen und hat mir verkündet, er könne nicht mit jemandem zusammen sein, der so besitzergreifend ist, und hat mit mir Schluss gemacht. Er hat mich betrogen, und er hat mit mir Schluss gemacht, weil ich nicht gut genug damit klarkam. Und dann warst du plötzlich überall in seinen Social Media.«

Ich zucke zusammen.

Kann das wirklich wahr sein? Hat Jordy gesagt, mich … seine Freundin … zu küssen, wäre ein betrunkener Fehler gewesen? An Silvester waren wir schon über einen Monat lang zusammen. Wir waren immer noch in dieser frisch verliebten Anfangsphase und haben unsere Tage damit verbracht, »Filme zu gucken«, aber kein Wort davon mitgekriegt, weil wir die ganze Zeit nur geknutscht, einander in die Augen geschaut und uns liebevollen, kitschigen Unsinn zugeflüstert haben, der mir damals wie erderschütternde Wahrheiten vorkam.

Ein Fehler?

Plötzlich schnappt Maya nach Luft und springt auf. »Ich kann es beweisen«, sagt sie, halb zu sich selbst. Sie saust zu ihrer Kommode, wühlt durch ihre Klamotten und taucht mit einem iPad in der Hand wieder auf. Sie reckt es triumphierend in die Höhe und lässt sich wieder auf ihr Bett fallen, während ich sie schweigend beobachte. Nach einem Moment blickt sie zu mir hoch. »Bitte, sag niemandem, dass ich das Ding habe.«

Ich zucke mit den Schultern. »Geht mich nichts an.«

Sie grinst schelmisch und widmet sich dann der Aufgabe, durch ihre Chatgeschichte mit Jordy zu scrollen. Mir wird klar, was sie mit Beweisen meint, und ein Knoten schnürt sich langsam in meinem Magen zusammen.

»Hier«, verkündet sie schließlich und reicht mir das iPad. »Lies von hier an weiter. Du kannst das jeweilige Datum sehen.«

Ich kann das jeweilige Datum sehen. Trotz Mayas Erlaubnis habe ich das Gefühl, ihre Privatsphäre zu verletzen. Obwohl, ich schätze, ich verletze eher Jordys Privatsphäre. Aber nachdem ich die ersten paar Nachrichten gelesen habe, verpuffen sämtliche Schuldgefühle, die ich deswegen hatte.

Da ist eine Nachricht von Jordy an Halloween, in der er ihr sagt, dass er sie liebt.

Dann tauschen Jordy und Maya Selfies aus.

Maya und Jordy erzählen einander, wie ihr Tag war, und versichern sich gegenseitig, wie sehr sie den anderen vermissen.

Jordy und Maya schicken sich Fotos vom Thanksgivingessen. Maya und Jordy schmieden Pläne, sich im Dezember zu sehen. Maya schreibt Jordy, dass sie am Flughafen ist.

Anfang Dezember. Als Jordy angeblich zum Geburtstag seiner Tante in die USA geflogen ist. Aber es sieht für mich eher nicht so aus, als hätte er bei seiner Tante gewohnt. Es sieht nicht so aus, als wäre er überhaupt bei seiner Tante gewesen.

Die Ränder meines Blickfelds verdunkeln sich langsam und mir dreht sich der Magen um. Als kleine Vorwarnung sammelt sich Wasser in meinem Mund. Ob es am Alkohol liegt oder an diesen Neuigkeiten oder an beidem, aber ich muss mich gleich übergeben.

»Ich muss kurz …«, presse ich hervor und renne zur Tür.

Ich rausche den Flur hinunter ins Bad und bleibe keuchend am Waschbecken stehen.

Jordy hat mich betrogen.

Nein. Er hat sie betrogen. Mit mir.

Er hat uns betrogen.

Alles. Die Zeit, die ich ihm gegeben habe. All die Dinge von mir, die ich ihm mit solcher Vorsicht geschenkt habe. Die Seiten von mir, die ich ihm anvertraut habe und die ich so gut wie nie jemandem zeige. Die Küsse und die ersten Male und das Wissen, dass wir einst wir waren, Skye und Jordy, unaufhaltsam und etwas ganz Besonderes. Es war alles nur. Eine. Gottverdammte. Lüge. Eine einzige verfickte Lüge.

Ich bin es. Ich bin hier die Böse. O mein Gott, ich habe jemandem den Freund ausgespannt. Und dann hab ich ihr gesagt, dass sie drüber wegkommen soll. Ich hab sie als Lügnerin bezeichnet, ganz direkt. Ich hab allen hier erklärt, sie wäre eine Lügnerin. O mein Gott, o mein Gott, o mein Gott.

Wie oft habe ich Freunden erklärt, es gäbe immer zwei Seiten einer Geschichte? Wie oft habe ich skeptisch eine Augenbraue hochgezogen, wenn Frauen als Psychos oder als manipulativ oder als Kletten bezeichnet wurden? Nur, um es dann bei der nächstbesten Gelegenheit selbst zu tun – und warum? Weil ich glauben wollte, ich wäre etwas Besonderes. Dass meine Situation anders aussah. Dass ich Jordy und mich nur gegen diese Person verteidigen wollte, die uns wehtun wollte. Habe ich Jordy jemals wirklich etwas bedeutet? War überhaupt irgendetwas davon echt? Woher soll ich das wissen, wenn ihm das Lügen so leichtfällt? Er hat mich angelogen. Er lügt mich immer noch an. Er hat Maya angelogen.

Ich hätte es wissen müssen. Es gibt einen Grund, warum ich keine zweiten Chancen verteile – und genau das ist er. Die Leute wachsen nicht und sie werden auch nicht besser. Wenn sie dir einmal wehgetan haben, werden sie dir immer wieder wehtun.

Die Wahrheit ist, Jordy und ich haben uns nicht einvernehmlich getrennt. Er hat das Land verlassen und mich geghostet, und ich wusste das, bis ich seine Stimme am Telefon gehört habe und meine Version der Realität abgestritten wurde. Bis er darauf bestanden hat, er hätte, abgesehen von ein paar Nachrichten, nie was von mir gehört, obwohl er es sich so sehr gewünscht hat. Nachrichten, die er ignoriert hat.

Dieses ganze Konstrukt von der richtigen Person zum falschen Zeitpunkt? Ich wollte so verzweifelt glauben, es wäre die Wahrheit, dass ich es geschluckt habe. Ich hatte geglaubt, diesmal würde es vielleicht anders laufen, weil Jordy anders ist. Aber natürlich tut es das nicht. Es läuft nie anders. Und diese glühenden Qualen, dieses Gefühl, in zwei Teile gerissen zu werden? Das habe ich mir selbst zuzuschreiben. Ich wusste, dass es am Ende so kommen würde, aber ich habe mich geweigert, auf meine eigene Vernunft zu hören. Ich wusste es besser.

Japsend spritze ich mir Wasser ins Gesicht und trinke dann ein bisschen aus dem Hahn, um meinen Magen zu beruhigen. Meine Kehle fühlt sich an wie die Sahara.

Okay. Ich betrachte mich selbst im Spiegel, heftig keuchend. Konzentrier dich. Schlachtplan.

Der Schlachtplan ist ziemlich offensichtlich. Ich werde verdammt noch mal von hier verschwinden. Morgen. Und wenn sie behaupten, ich könnte nicht einfach gehen … tja, dann werde ich damit drohen, der Presse alles zu erzählen, sobald die Dreharbeiten abgeschlossen sind. Dann müssen sie mich gehen lassen. Sie können mich nach London fliegen, wo ich mit Chloe videochatten kann, und mit Dad, und wo ich mit Leuten, die es verstehen werden, über alles reden kann, nicht mit irgendwelchen willkürlichen Mädels, von denen ich bis vorgestern überhaupt nicht wusste, dass sie existieren. Dann kann ich all diese Gefühle unter fantastischem Essen und neuen Erlebnissen begraben und dann … dann gehe ich in einen Club und mache mit irgendwem rum oder auch mit zehn und vergesse, dass ich je auch nur ein My für Jordy Miller übrighatte.

Als ich ins Zimmer zurückkomme, liegt Maya bereits im Bett, unter der Decke. Ich setze mich auf ihre Bettkante und sie stützt sich auf den Ellenbogen auf. Ihre Augen wirken verdächtig verquollen und rot.

»So, jetzt weißt du es mit Sicherheit«, sagt sie.

Ich nicke. Wir sitzen lange Zeit schweigend da, in Verlegenheit gehüllt. Ich weiß, was ich sagen muss, aber es ist die reinste Folter, es über meine Lippen zu bringen.

»Es tut mir so, so leid«, sage ich schließlich. »Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich es niemals getan. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung, aber …«

»Eigentlich ist es sogar eine ziemlich gute Entschuldigung«, unterbricht sie mich. »Was hättest du denn tun sollen? Es rausfinden, indem du ein Tarot legst? Er hat uns verarscht. Das ist sein Stil.«

»Aber ich hätte es merken müssen. Er hat dir Nachrichten geschickt und dich besucht, es muss also irgendwelche Anzeichen gegeben haben …«

»Damals kanntest du ihn doch gar nicht. Nicht richtig, jedenfalls. Du hättest nicht wissen können, dass er sich seltsam verhält, weil du es mit nichts vergleichen konntest.«

»Ich versuche hier, mich zu entschuldigen.«

»Und ich sage dir, dass du das nicht tun musst.« Sie streicht mit einem Finger über ihr Kinn. »Eigentlich sollte ich mich bei dir entschuldigen. Jordy hat behauptet, du wüsstest über alles Bescheid, als er mit mir Schluss gemacht hat, aber ich hätte ihm nicht glauben sollen. Das geht auf meine Kappe. Also, mir tut es leid, wie ich mich gestern aufgeführt habe.«

»Es tut dir leid, dass du mir nicht geglaubt hast?«, wiederhole ich ungläubig. »Maya. Mir tut es leid, dass ich dir nicht geglaubt habe.«

»Ich bin dran gewöhnt«, murmelt sie.

Das macht es nur noch schlimmer.

»Ich wünschte, ich hätte dir geglaubt, noch bevor ich die Nachrichten gelesen habe«, sage ich schlicht.

»Ja, ich auch. Aber ich verstehe, warum du es nicht getan hast. Ich verstehe es wirklich.« Sie blickt stirnrunzelnd auf ihre Decke hinab und schaut dann durch blasse Wimpern wieder zu mir rauf, auch das letzte bisschen ihrer Wimperntusche ist verschwunden. »Geht’s dir gut?«

»Mir?«

»Ja, dir. Ich hab hier grade eine ziemliche Bombe platzen lassen.«

Stimmt. Vielleicht sollte es mir nicht gut gehen. Vielleicht sollte ich schluchzend den Verlust von etwas betrauern, das ich vermutlich nie hatte. Aber ehrlich gesagt fällt es mir schwer, irgendetwas anderes zu empfinden als eiskalte Verbitterung. »Mir geht’s gut. Ich hab beschlossen, morgen abzureisen.« Ich schenke ihr ein freudloses Lächeln. »Und wahrscheinlich geht mich das nichts an, aber ich hoffe inständig, du hast das wirklich durchdacht. Hierherzukommen, meine ich.«

Maya lässt sich ungewöhnlich lange Zeit, bevor sie antwortet. Sie macht mehrmals den Mund auf und schließt ihn dann wieder, so als wollte sie sich selbst ausreden, was immer sie gleich sagen wird. Schließlich seufzt sie. »Und das war’s? Du verschwindest einfach? Keine Konfrontation, keine Rache, gar nichts?«

»Ich hatte nicht unbedingt vor, beim Auszugsinterview ins Schwärmen zu geraten, falls du darauf anspielst.«

»Du willst also darauf vertrauen, dass die Produzenten wirklich im Fernsehen zeigen, wie du in Folge zwei ihren romantischen Hauptdarsteller niedermachst? Niemand will eine Show sehen, in der ein notorischer Fremdgeher die Liebe findet. Außerdem hat Isaac mir verraten, die königliche Familie würde es sowieso nie zulassen. Sie würden es einfach nicht ausstrahlen.«

Ich zucke mit den Schultern. »Na und, dann strahlen sie es eben nicht aus. Ich kann nicht kontrollieren, was andere Leute tun. Die einzige Person, die ich kontrollieren kann, bin ich selbst, und ich werde gehen. Und wenn du nur ein bisschen Selbstachtung hättest, würdest du es auch tun.« Ich halte einen Moment inne und lasse mir meine letzten Worte noch mal durch den Kopf gehen. »Das sollte eigentlich nicht so harsch klingen.«

»Ich stimme dir zu«, erwidert sie. »Du zeigst den Leuten quasi, wie sie dich behandeln sollen, wenn du akzeptierst, dass dich jemand schlecht behandelt.«

»Ja, ich schätze, da hast du wohl recht.«

»Ich wollte eigentlich gar nicht hierherkommen«, gesteht sie mir zögernd. »Aber dann dachte ich, er hat mich vor allen gedemütigt, die ich kenne. Was, wenn ich das Gleiche mit ihm machen würde?«

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Was meinst du denn damit?«

»Ich dachte, wenn ich es bis zum Ende schaffe, kann ich ihm das Herz brechen, genauso, wie er meins gebrochen hat.«

Ein leises Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. »Du verfolgst also eine langfristige Strategie«, erwidere ich. Okay, das beantwortet die Frage, die schon die ganze Zeit an meinem Hinterkopf nagt. Sie ist nicht hierhergekommen, um sich noch mal das Herz brechen zu lassen. Sie ist hier, um ihn bezahlen zu lassen.

Maya grinst hämisch angesichts meiner beeindruckten Miene. »Also, du hast mich heute Abend als erbärmlich beschimpft und mir vorgeworfen, ich hätte keine Selbstachtung. Willst du vielleicht schon irgendwas davon zurücknehmen oder …?«

Ich verziehe verlegen die Lippen. »Vielleicht könnte ich mich mit weiteren Urteilen zurückhalten, bis ich die ganze Geschichte kenne«, räume ich ein.

»Oder du lässt es einfach ganz sein. Komplett.«

Es dauert einen Moment, bis mir klar wird, dass sie mich nur aufzieht. Obwohl ich sie nur zwei Tage lang gehasst habe, wird mir jetzt schon klar, dass es eine Umstellung werden wird, nicht mehr das Schlimmste von ihr zu erwarten.

»Also«, sage ich. »Du willst es bis zum Ende schaffen?«

»Das ist der Plan.«

Ich wage mich vorsichtig noch etwas weiter vor. »Das soll jetzt keine Beleidigung sein, aber … du machst deine Sache wirklich mies.«

Maya verpasst mir unter der Decke einen Tritt. »Weißt du, jedes Mal, wenn jemand ›das soll jetzt keine Beleidigung sein‹ sagt, gibt er sich anschließend alle Mühe, den anderen wenigstens so freundlich wie möglich zu beleidigen.«

»Ich mag keine Spielchen.«

»Das ist kein Spiel, es ist eher, na ja, ein gesellschaftlicher Konsens.«

»Wundervoll, ich werde es mir merken.«

»Na, wenn du es so sagst, werde ich es dir wohl kaum abkaufen, oder?«

»Gut, du lernst schnell. Wie dem auch sei, Maya, Jordy fand dich gestern Abend richtig süß – bevor du durchgedreht bist und ihn bei allen schlechtgemacht hast, jedenfalls. Ich glaube, du wirst meine Hilfe brauchen, wenn du es bis zum Ende schaffen willst.«

Maya wirkt ein wenig gereizt. »Ich war mal mit ihm zusammen, schon vergessen? Ich kenne ihn.«

»Ja, aber ich habe ihn analysiert

»Wie romantisch«, erwidert sie trocken.

Ich falte die Hände. »Ich gehe nur dann ein Risiko ein, wenn ich nicht verlieren kann. Ich schenke mein Herz niemandem, den ich nicht in- und auswendig verstehe.«

»Ich schätze, bei Jordy hast du dich dann wohl verkalkuliert«, erwidert Maya. »Aber das verstehe ich. Er ist ziemlich überzeugend.«

Mein Lächeln ist plötzlich angespannt und kalt. »Jordy zu vertrauen, war ein Fehler. Aber es war kein so großer Fehler wie der, den er gerade begangen hat.«

»Soll heißen?«

»Soll heißen, vielleicht sollte ich doch noch bleiben und wir ziehen die Sache gemeinsam durch?«

Sie zögert. »Oh. Wow. Ich … weiß nicht so recht.«

Ich lasse nicht locker. »Denk mal drüber nach. Wir könnten einander den Rücken stärken. Wir könnten vor Jordy die andere in den höchsten Tönen loben. Außerdem erkennen vier Augen besser als zwei, ob die Produzenten oder eins der anderen Mädels irgendeinen Sabotageakt planen. Diejenige von uns, die er am Ende wählt, darf ihm dann den Todesstoß versetzen.«

»Aber ich will diejenige sein, die ihm den Todesstoß versetzt«, protestiert sie.

Ich widerstehe dem Drang, mit den Augen zu rollen. »Dann werden wir unser Bestes tun, dich in diese Position zu bringen. Mir ist egal, wer von uns beiden es tut. Und wenn wir die Sache gemeinsam angehen, erhöht das unsere Chancen auf dreiunddreißig Komma drei Prozent, wenn alles total ausgeglichen ist.«

»Hast du das gerade einfach so ausgerechnet?«

»Es ist ein Drittel, Maya, vielleicht hättest du in Mathe besser aufpassen sollen«, sage ich und sie errötet.

»Was auch immer. Und woher weiß ich, dass du mich nicht hintergehen wirst?«

»Ganz ehrlich? Wenn ich wieder mit diesem Arschloch zusammenkommen wollen würde, müsste ich nicht mit schmutzigen Tricks arbeiten. Ich würde es einfach tun.«

Maya denkt darüber nach. »Na schön«, willigt sie schließlich ein. »Willkommen im Team ›Zieh den Scheißkerl durch die Scheiße‹.«

Ich starre sie an. »An dem Namen müssen wir noch arbeiten.«

»Was stimmt denn nicht mit dem Teamnamen?«

Ich würdige das nicht mit einer Antwort. Stattdessen stehe ich wieder auf und strecke mich. »Mir schwirrt der Kopf. Ich geh ins Bett, bevor ich noch umkippe. Wir sehen uns morgen?«

Maya schaut zu, wie ich die Leiter hochklettere. »Wirst du ihm sagen, dass du es weißt?«, fragt sie. »Das mit mir?«

Gute Frage. »Das weiß ich noch nicht. Es könnte vielleicht lustig sein, zuzusehen, wie er sich windet. Aber ich glaube, es würde nur dazu führen, dass er in unserer Anwesenheit zu sehr auf der Hut ist. Schauen wir erst mal, wie es läuft.«

Mayas Lachen klingt verbittert, als ich unter meine Decke schlüpfe. »Okay, dann, gute Nacht.«

»Meinst du es diesmal wirklich so?« Ich muss unfreiwillig grinsen.

Wenn ich Mayas Tonfall richtig deute, grinst sie auch. »Ja. Diesmal schon.«

»Gut.«

»Gut.«

»Nacht.«

Ich schließe die Augen, und mein Verstand versucht sofort, Gedanken der Trauer und des Verrats heraufzubeschwören, aber ich zwinge sie wieder nach unten. Dann taucht auch noch ausgerechnet Moms Gesicht vor meinem inneren Auge auf und ich verdränge es genauso.

Nicht heute Nacht.

Ich bin noch nicht bereit, das alles zu verarbeiten.

Ein Schritt nach dem anderen.