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Maya

Ich werde aus der Bewusstlosigkeit ins Land der Lebenden gerissen, als »Get Ready« mit ungefähr einer Billion Dezibel zu dröhnen beginnt.

Nach Luft schnappend schieße ich hoch und blicke mich nach der Quelle um, bereue es jedoch sofort, als Bowlingkugeln von einer Seite meines Schädels zur anderen rollen und dabei jedes Mal ziemlich hart anstoßen. Ich umklammere meinen Kopf mit beiden Händen, um ihn ruhig zu halten, während ich vor Schmerzen jaule.

»Oh, du bist wach«, brüllt Skye über die Musik hinweg. »Gut.«

Dann, durch den Nebel der Qualen, setze ich zusammen, was hier gerade passiert. Skye sitzt auf ihrem Bett und spielt Musik aus tragbaren Lautsprechern ab. Das Sonnenlicht drängt sich durch die Spalten zwischen den Vorhängen und der Wand herein und irgendetwas an der grellen Intensität und der Hitze im Raum sagt mir, dass es nicht die ersten Sonnenstrahlen der Morgendämmerung sind. Wir haben es hier eher mit Mittagssonne zu tun. Was bedeutet, ich hinke verflucht noch mal meilenweit hinter dem Zeitplan her, wenn man bedenkt, dass wir, oh, direkt nach dem Mittagessen anfangen, zu drehen.

Aber es ist okay, super, alles okay. Bestens.

Dann brechen die Ereignisse der letzten Nacht über mich herein. Wackelpudding. So viel Wackelpudding. Limette, Himbeere, Heidelbeere … Der Streit mit den Mädels und wie ich Jordy angezickt habe. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, ich habe Skye irgendwann in einem Interview mit einem wilden Tier verglichen?

Scheiiiiiiße.

Ich greife nach meinem Handy, bevor mir einfällt, dass ich keins habe. Ernsthaft, wie haben die Leute bitte die Neunziger überlebt? »Wie spät ist es?«, frage ich durch einen Nebel aus Schmerzen.

»Oh, du willst wissen, wie viel Uhr es ist?«, fragt Skye und hüpft so wild auf der oberen Matratze herum, dass das ganze Etagenbett wackelt. Das hat sie verdammt noch mal zu einhundert Prozent mit Absicht gemacht.

»Ja«, presse ich durch meine Zähne hervor.

»Das kommt mir hier doch verdächtig wie eine Unterhaltung vor. Ich dachte, ich soll mich mit den anderen unterhalten, wenn ich mit jemandem reden will?«

Ich beiße die Zähne zusammen und schließe die Augen gegen das viel zu grelle Licht. »Du willst mir ernsthaft nicht sagen, wie spät es ist?«

»Ich würde dir definitiv sagen, wie spät es ist, Maya, definitiv. Aber du bist echt schrecklich, also …« Sie bringt das Bett erneut zum Wackeln – ich finde, damit treibt sie es ein bisschen zu weit –, bevor sie auf den Boden hüpft. Ich öffne die Augen einen Spaltbreit und sehe, dass sie bereits komplett angezogen ist: Shorts und ein Flanellhemd. Kein gutes Zeichen. Sie ertappt mich beim Gucken und schenkt mir ihr bestes beschissenes Grinsen. »Ich hoffe aufrichtig, du schaufelst dir heute endgültig dein Grab. Du redest im Schlaf. Laut. Ich hätte heute Nacht wirklich gern ein Zimmer für mich.«

Ich zeige ihr den Mittelfinger und ziehe mir die Bettdecke über den Kopf, damit sich meine Augen daran gewöhnen können, offen zu sein, ohne dass mir der Schädel platzt. Hätte nicht schon vor Stunden jemand an die Tür klopfen und uns wecken müssen? Haben sie uns vergessen oder hab ich es nur komplett verschlafen?

Mit einer Hand am Kopf strecke ich meinen Hals so starr wie möglich durch und zwinge mich, aus dem Bett aufzustehen und in die Kleid-und-Stiefel-Kombi zu schlüpfen, die ich mir – ich Genie – gestern Nachmittag bereits zurechtgelegt habe. Ich könnte mein vergangenes Ich glatt küssen, wenn ich nicht so sauer auf sie wäre, weil sie sich gestern Abend so abgeschossen hat. Ich schäme mich und mir tut alles weh, und das ist so ungefähr die schlimmste Kombination, die mir einfällt.

Weh bin ich. Ich bin Weh.

Ungefähr fünfzig Liter Wasser und zwei Aspirin später bin ich bereit, in den Flur zu schlurfen und herauszufinden, wie spät es wirklich ist. Perries Tür steht offen, Gott sei Dank, und sie und ihre Zimmergenossin, Francesca, sind noch drin. Sie sind beide angezogen, aber wie es aussieht, hat sich noch keine von ihnen um ihre Haare oder ihr Make-up gekümmert. Was entweder bedeutet, sie sind beide seltsam gechillt, wenn es darum geht, wie sie heute vor den Kameras aussehen werden, oder es ist doch noch nicht so spät, wie ich befürchtet hatte.

»Du siehst echt scheiße aus«, begrüßt Francesca mich, ohne auch nur ein falsches Lächeln zu versuchen.

Ich ignoriere sie. »Weißt du, wie spät es ist?«, frage ich Perrie. Sie zeigt auf den Digitalwecker auf ihrem Schreibtisch – wieso hab ich nicht daran gedacht, so ein Relikt mitzubringen? –, und ich stelle zu meiner großen Erleichterung fest, dass es erst halb elf ist.

»Cool«, sage ich, rolle mich dann auf dem Teppich zu einer Kugel zusammen und ziehe den Kopf ein, um das Licht auszublenden.

Oh, süße Linderung.

»Du kannst nicht hier drin schlafen«, sagt Francesca. »Warum schläft sie auf unserem Teppich?«

»Hast du schon ein paar Schmerztabletten geschluckt, Süße?«, erkundigt sich Perrie. Ihre Stimme ist ganz nah. Sie muss sich neben mich gekniet haben.

»Ja«, antworte ich leise.

»Okay, du wirst schon wieder. Wir wollten uns gleich mal stylen. Ich schätze, wir tragen dich lieber für die zweite Schicht im Bad ein?«

Ich versuche, mit einem Ja zu antworten, aber dank der unvorstellbaren Qualen kommt es eher als ersticktes Stöhnen über meine Lippen.

»Alles klar.«

Es folgt eine lange Stille. So lange, dass ich schon glaube, sie hätten mich vielleicht allein im Zimmer zurückgelassen, während ich fasziniert feststelle, dass ich meine eigenen Augäpfel hören kann. Dann durchbricht Francesca die Stille, indem sie pseudoflüstert: »Sie verschwindet nicht wieder.«

Ich hebe den Blick, funkle sie an und nehme dann wieder meine Embryonalhaltung mit dem Gesicht nach unten ein.

»Ich fürchte, du wirst einfach warten müssen, bis sie’s überstanden hat«, erwidert Perrie diplomatisch.

Falls ich diesen Kater überlebe, werde ich es zu meiner persönlichen Mission machen, dafür zu sorgen, dass auf diese Frau für den Rest ihres gottverdammten Lebens nichts als Glück und Regenbögen warten.