39

Maya

Isaac packt mich in dem Moment, als ich das Set verlasse, zieht mich mit sich und sagt mit leiser, angespannter Stimme: »Ich schwöre, ich hatte keine Ahnung, dass sie das mit Jordy vorhatten. Anscheinend haben sie es schon vor ein paar Tagen geplant. Jordy hatte Angst, du könntest allen erzählen, dass er dich betrogen hat, deshalb wollte er seine Seite zuerst schildern. Und Gwendolyn dachte, wenn wir dein Video direkt danach zeigen, zündet es nur noch besser. Weil dann alle darüber reden würden.«

»Schon okay«, versichere ich ihm. »Danke, dass du das für mich klargestellt hast.«

»Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich versucht, es zu verhindern.«

»Ich fürchte, wir müssen das hier später zu Ende bringen«, sage ich, als wir den Green Room erreichen, weil Jordy bereits dort wartet, knallrot im Gesicht und schnaubend vor Wut.

Skye hat sich zu den anderen gesellt, die ein Stück entfernt von ihm stehen und ihn misstrauisch beäugen. Isaac löst sich von mir und stellt sich ein paar Schritte weiter neben Violet. Es ist offensichtlich, dass uns die beiden aus dem Augenwinkel beobachten – genau wie alle anderen im Raum.

»Na«, sagt Jordy, »und plötzlich ergibt alles einen Sinn.«

Es kommt mir vor, als wäre das die Stelle, an der ich Tut mir leid sagen soll. Das Problem ist nur: Es tut mir zu einer Million Prozent nicht leid, deshalb warte ich einfach weiter ab.

Jordy zeigt zwischen Skye und mir hin und her, ein gefährliches Lächeln im Gesicht. »Sag mir nur eins: Wann hat das angefangen?«

Ich zucke gelassen mit den Schultern. »Oh, schon vor Wochen.«

»Vor Wochen«, wiederholt er mit einem kurzen Lachen. Dann, urplötzlich, explodiert er. »Vor Wochen. Vor Wochen! Ha. Wow. Ich verfluchter Vollidiot. Schön zu wissen, dass du mich die ganze Zeit betrogen hast, Maya!«

»Betrogen?«, schieße ich ungläubig zurück. »Betrogen? Jordy, wir haben für eine Realityshow zusammen abgehangen. Diese ganze Scheiße hatte nichts Monogames an sich! Tut mir leid, dass du diese hübsche kleine Fantasie hattest, in der du sechs dich anhimmelnde Frauen gleichzeitig daten kannst, die alle die Sekunden zählen, bis sie einmal pro Woche in den Genuss kommen, endlich wieder dieselbe Luft atmen zu dürfen wie du. Aber du hättest wissen müssen, was das hier in Wirklichkeit ist.«

»Was? Deine Chance, mit jedem rumzuhuren, den du davon überzeugen kannst, auf dich reinzufallen?«

»›Rumhuren‹? Bitte, sag mir, dass du gerade nicht ›rumhuren‹ gesagt hast, Jordy.«

»Weißt du, was ich glaube?«, fragt er. »Ich glaube, du bist so durchgedreht, als wir Schluss gemacht haben, weil du wusstest, dass ich dich so gesehen habe, wie du wirklich bist. Du bist krankhaft eifersüchtig, du bist eine Klette, du bist manipulativ – und jetzt bist du offensichtlich auch noch jemand, der fremdgeht.«

»Hey!«, zischt Skye und geht auf ihn zu. »Erstens, Maya ist nichts von alldem. Und zweitens bist du der Einzige in diesem Raum, der fremdgeht.«

Jordy blickt zwischen uns hin und her, dann zu den hinter uns stehenden Mädels und den versammelten Crewmitgliedern, die so tun, als würden sie das nicht alles mit anhören. Dann setzt er ein höhnisches Grinsen auf. »Maya, du und ich wissen beide, was für ein Mensch du bist«, sagt er. »Ich werde mich wohl einfach damit trösten müssen, dass es auch alle anderen früher oder später herausfinden werden.«

»Dito«, erwidere ich.

»Und Skye«, fügt er hinzu und ignoriert meine Bemerkung. »Wie ich sehe, hat sie deinen Blick auf die Realität total verzerrt. Das macht sie immer. Du sollst nur wissen, dass ich dir deswegen keine Vorwürfe mache, und falls du dich je wieder bei mir melden und dich entschuldigen willst, dann würde ich mich freuen, von dir zu hören.«

Skye bricht in schallendes Gelächter aus. »Oh, danke, Jords. Ich werd dran denken, dieses großzügige Angebot niemals anzunehmen.«

Jordy holt tief Luft und dreht sich dann wieder zu mir um. »Alle werden dich hassen«, sagt er. »Das weißt du, oder? Oder hast du wirklich keine Ahnung, was es bedeutet, im Rampenlicht zu stehen?«

Ich zucke nur mit den Schultern.

Er nickt langsam und schenkt mir ein giftiges Lächeln. »Na, wenn es passiert, kannst du wenigstens ausnahmsweise nicht mir die Schuld dafür geben. Das hier kannst du unmöglich so hindrehen, dass es nach irgendwas anderem aussieht als deiner eigenen Schuld. Viel Spaß mit den Konsequenzen deines Handelns.«

Skye nimmt meine Hand, bevor meine Wut zu sehr hochkochen kann. Ich drücke sie und ein Teil meines Zorns verebbt.

Sicher, ich habe beschlossen, meine Gefühle wegen Jordy loszulassen. Aber das bedeutet nicht, dass ich sie ausknipsen kann wie eine Glühbirne. Höchstens runterdrehen wie einen Dimmer.

Aber das ist okay für mich, glaube ich. Und es wird auch in Zukunft okay für mich sein.

Genau wie für uns beide.

Skye und mich, meine ich.

Als ich den Blick durch den Raum schweifen lasse, sind die Produzenten und anderen Crewmitglieder mit einem Mal wieder sehr an dem interessiert, was sie vorhin noch getan haben. Abgesehen von Isaac und Gwendolyn. Er blickt dem davonstolzierenden Jordy mit einem Ausdruck hinterher, der verdächtig nach angewidert aussieht. Sie wirkt eher amüsiert von der ganzen Sache. Ich wette, sie wünscht sich, sie hätte den großen Showdown filmen können.

Die anderen Mädels scharen sich um uns.

»Geht’s euch gut?«, fragt Lauren.

»Ja«, antwortet Skye, während ich nicke.

»Ihr zwei seid echt total irre«, findet Kim.

»Total«, stimmt Francesca ihr zu. »Wer zur Hölle macht so was? Aber Respekt, Mädels. Scheiß auf Jordy.«

»O ja«, fügt Kim hastig hinzu. »Ich meine, ihr seid total irre, aber auf die bestmögliche Weise.«

»Ich kann nicht fassen, dass wir nichts bemerkt haben«, sagt Lauren.

»Ich kann auch nicht fassen, dass ihr nichts bemerkt habt«, wirft Perrie ein. »Ich wusste es die ganze Zeit.«

»Ja, dir entgeht wirklich nichts«, sage ich und verdrehe grinsend die Augen.

»Moment mal, du wusstest es?«, fragt Skye und Perrie zuckt mit einer Schulter.

»Ich kann nicht glauben, dass sie diesen Einspieler über dich gezeigt haben, Maya«, bemerkt Kim. »Das war echt das Letzte. Und so aus dem Zusammenhang gerissen.«

»Ich hab das ungute Gefühl, ein großer Teil der Show wird aus dem Zusammenhang gerissen sein, wenn wir sie uns zu Hause anschauen«, erwidert Perrie.

Lauren, Kim und Francesca nicken einstimmig und wir anderen stöhnen.

»Und was passiert jetzt?«, will Kim wissen. »Bleibt Jordy einfach … Single?«

»Na, also, ich will ihn nicht«, sage ich und Skye prustet. »Welche von euch schnappt ihn sich?«

Die Mädels schürzen für einen Moment lang die Lippen und brechen dann gleichzeitig in schallendes Gelächter aus.

»Nein, danke, ich verzichte«, sagt Kim, während Perrie so tut, als müsste sie würgen.

Skye ist plötzlich ganz still und starrt auf den Boden, deshalb entschuldige ich mich bei den anderen und bitte sie, mit mir zu kommen. Wir finden eine Tür, die in einen Außenbereich führt, wo wir uns eng an die Hauswand lehnen, nur für den Fall, dass uns jemand aus dem Publikum erkennt. Doch im Moment ist niemand hier. Nur wir und die kalte Nachtluft.

»Also«, sage ich, »das war … ganz schön viel.«

»Ja«, erwidert sie mit einem angespannten Lächeln. Sie schlingt die Arme um sich selbst, als wollte sie verhindern, dass etwas aus ihr herausbricht.

»Du wirkst aufgebracht?«, sage ich und berühre ihren Arm. Zu meiner Erleichterung zieht sie sich nicht zurück, sondern lehnt sich stattdessen an mich.

»Ich will das hier nicht ruinieren«, sagt sie und mein Magen schlägt Purzelbäume.

»Wahrscheinlich ist es besser, du lässt einfach alles raus, jetzt, wo du schon damit angefangen hast«, sage ich leichthin.

»Okay. Ja. Es ist nur … das hier wäre unsere letzte gemeinsame Woche gewesen und wir haben sie verpasst. Ich will deswegen nicht streiten, aber … heute Abend fliegen die anderen Mädels und ich direkt nach Hause.«

Oh. Bei der ganzen Aufregung habe ich irgendwie dieses eine sehr offensichtliche Detail vergessen. In meinem Kopf ist es schon völlig normal, dass Skye jeden Tag, wenn ich aufwache, einfach da ist.

Aber morgen wird sie nicht da sein. Sie wird in einem anderen Land sein.

Und ich … ich schätze, ich werde auf einem anderen Kontinent sein. Angenommen, sie haben immer noch vor, mich morgen auch in einen Flieger nach Hause zu setzen. Isaac hat mir vor ein paar Tagen erklärt, ich könnte abreisen, nachdem ich morgen Vormittag einen Solo-Presseauftritt absolviert habe. Solo im Sinne von ohne Jordy, Gott sei Dank.

»Verstehst du jetzt, warum ich uns kein Etikett verpassen wollte, bevor wir wissen, was als Nächstes kommt?«, fragt sie süß-säuerlich.

»Wir kriegen das schon hin«, erwidere ich.

»Das hat Jordy auch mal zu mir gesagt.«

»Es sind nur sieben Stunden Flug.«

»Das hat Jordy auch gesagt.«

»Damals warst du noch ein Mädchen ohne Bankkonto.«

»Ich bin immer noch ein Mädchen ohne nennenswertes Bankkonto.«

»Ich such mir ’nen Job.«

Skye neigt den Kopf zur Seite und blickt mich mit zusammengekniffenen Augenbrauen an. »Maya.«

»Das werde ich, verdammt noch mal. Wenn wir wollen, dass es funktioniert, dann wird es auch funktionieren. Uns«, sage ich bestimmt, »fällt schon was ein. Okay?«

»Mhm.«

»Okay?«

»Okay«, sagt sie widerwillig.

»Nein, nicht so. Komm schon. Vertraust du mir?«, frage ich.

Sie lässt sich besorgniserregend lange Zeit, bevor sie antwortet. Aber schließlich seufzt sie und nickt.

»Gut«, sage ich. »Dann gehen wir jetzt wieder rein, besorgen uns die Handynummern der Mädels und sparen uns diese ganze Ausflipperei. Wenn uns fürs Erste nur noch eine Stunde zusammen bleibt – willst du sie dann wirklich damit verbringen, dir wegen etwas Sorgen zu machen, das nicht passieren wird? Oder willst du sie lieber genießen?«

Skye nimmt meine Hände und dreht mich herum, bis ich sie direkt ansehe, nur wenige Zentimeter von ihr entfernt. Dann schiebt sie mich rückwärts gegen die Wand, presst sich ganz fest an mich und lehnt sich zu mir, bis ihre Lippen nur noch um Haaresbreite vor meinen schweben. »Ich schätze, ich will sie lieber genießen«, haucht sie mir zu, bevor sie die Lücke zwischen uns schließt.