Das Sprichwort, dass geteiltes Leid halbes Leid sei, ist völliger Schwachsinn. Leid und Einsamkeit hingegen gehen Hand in Hand. Selbst wenn ich von Leuten umgeben bin, fühle ich mich, als wäre ich allein auf einer Insel namens Herzschmerz-Hölle und mein SOS würde von niemandem bemerkt.
Liebe ist scheiße. So scheiße wie ein riesiger Misthaufen. Ich vermisse Griffin so sehr, dass es ein physischer Schmerz in der Brust ist. Ich kann nicht schlafen. Ich kann nicht essen. Ich kann nicht einmal richtig denken.
Zwei Tage, nachdem er aus meiner Wohnung und meinem Leben verschwunden ist, statte ich meiner Praktikumsberaterin einen Besuch ab.
»Cosy, wie geht es Ihnen?« Ms Doobie schenkt mir ein leicht besorgtes, fragendes Lächeln.
Es ist diese Miene, die alle aufsetzen, wenn sie mich sehen. Ich bin erschöpft und deprimiert. Selbst wenn ich lächle, spüre ich, wie mir die Traurigkeit aus den Poren quillt und als abschreckende Pheromone fungiert. Selbst Landon, der mich ignoriert, seit Griffin mir im Grunde ein »Sie gehört mir« auf die Stirn geschrieben hat, hat gefragt, ob es mir gutgeht.
»Bestens.« Meine Stimme ist tonloser als das Brummen eines Kühlschranks.
»Ganz sicher?«
»Ja, auf jeden Fall.« Ich zwinge mich zu einem Lächeln, das mir wahrscheinlich einen irren Ausdruck verleiht. »Ich wollte mit Ihnen über meinen Praktikumsplatz sprechen.«
»Natürlich, kommen Sie rein. Obwohl die Vergabe noch ein paar Tage dauert, kann ich Ihnen bereits verraten, dass Sie gute Chancen haben, Ihre bevorzugte Stelle zu bekommen.« Sie zwinkert mir zu und führt mich in ihr Büro.
»Ach, ich weiß, ich hatte New York ganz oben auf meiner Liste, aber ich habe gründlich darüber nachgedacht und das Gefühl, dass aufgrund meiner Erfahrung ein anderes Vorgehen besser wäre. Ich weiß, dass es vielleicht nicht möglich ist, aber ich wäre an dem Kreuzfahrtschiff interessiert, und ich würde es gerne an erste Stelle setzen.« Ich lasse meine Hände fest verschränkt und rühre mich nicht.
Ich befände mich mitten auf dem Meer, weshalb keine Gefahr bestünde, dass ich etwas Dummes tue, wie Griffin aufzuspüren, weil wir in derselben verdammten Stadt wären.
Ms Doobie tut das, was Menschen tun, wenn sie einen erziehen wollen, aber nicht die Eltern sind. »Waren Sie schon mal auf einem Kreuzfahrtschiff?«
»Ja.« Ich bin Kanu und Kajak gefahren, und einmal war ich auf einem Hausboot für eine Nacht, was beinahe das Gleiche ist.
»Sind Sie sicher, dass Sie nicht nach New York wollen? Ich weiß, dass man sich dort über Sie freuen würde.«
»Bestimmt. Ich würde aber gerne mehr von der Welt sehen und denke, das wird eine großartige Erfahrung.« Und vom amerikanischen Festland wegzukommen hilft meinem gebrochenen Herzen vielleicht, zu heilen.
Sie betrachtet mich einen Moment lang und setzt dann ein breites Grinsen auf. »Dann habe ich vielleicht die perfekte Stelle für Sie.« Sie wühlt in mehreren Papierstapeln auf ihrem Schreibtisch – er ist ziemlich chaotisch, und überall türmen sich Unterlagen –, bis sie eine Broschüre findet. »Das hier ist heute Morgen auf meinem Schreibtisch gelandet. Es ist sehr kurzfristig, aber eine fantastische Gelegenheit bei einer namhaften Kreuzfahrtlinie. Das Praktikum dauert sechs Wochen anstatt vier, und wenn Sie sich gut schlagen, werden Ihre Jobaussichten rosig sein.«
»Das klingt großartig, und je länger, desto besser.« Es klingt nicht sehr begeistert, also setze ich ein strahlendes Lächeln auf. »Mehr praktische Erfahrung ist sicher nützlich, stimmt’s?«
»Wenn es das passende Praktikum ist, auf jeden Fall, und bestimmt ist es wie für Sie geschaffen. Witzig, nicht? Ich habe mir gerade den Kopf darüber zerbrochen, welcher Student der richtige dafür wäre, und da kommen Sie vorbei.«
»Wirklich ein glücklicher Zufall.« Danke, Karma, dafür dass du heute nicht fies warst.
»Das kann man wohl sagen. Das Problem ist nur, dass das Praktikum wegen der Dauer zwei Wochen früher beginnt, was bedeutet, dass Sie Ihre Abschlussarbeit fertigstellen und online einreichen müssen oder wenn sie zurückkommen. Wenn Sie es ernst meinen, kann ich das problemlos mit Ihren Professoren klären, aber es ginge schon am kommenden Montag los. Ich weiß, Sie haben einen Job, was wegen der Kurzfristigkeit ein Problem sein könnte.«
»Ich regle das.« Nev braucht sowieso einen Job.
»Wunderbar. Ich freue mich für Sie, Cosy. Das ist eine großartige Gelegenheit, und ich weiß, Sie werden uns alle stolz machen. Ich schicke Ihnen den Übersichtsplan für das Praktikum und eine Liste mit allem, was Sie mitnehmen müssen. Sie werden in der kommenden Woche viel zu tun haben!«
»Danke, Ms Doobie. Ich verspreche, mir Mühe zu geben.«
»Ganz ohne Zweifel.«
Ich verlasse ihr Büro in der Gewissheit, das Richtige zu tun, auch wenn es sich anfühlt, als hätte ich mein Herz zertrampelt.
Das Telefon auf meinem Bett summt und stößt dabei gegen meinen Koffer. Ich schaue auf das Display und mein Magen krampft sich zusammen. In vierundzwanzig Stunden werde ich keine solchen Benachrichtigungen mehr bekommen. Ich bin vorgewarnt worden, dass Internet und Empfang auf dem Schiff lückenhaft sind, wenn ich nicht wöchentlich fünfzig Dollar extra für W-LAN zahle.
Ich kann es mir leisten, aber in Anbetracht der vielen Male, die mir Griffin diese Woche geschrieben hat, ist es besser für mich, nur dann Zugang zu haben, wenn wir im Hafen liegen. Ich habe noch Klamotten von mir in seinem Hotel, außerdem Zahnbürste, Haarbürste, Unterwäsche, Lippenbalsam und einen Notizblock.
Er hat vergessen, mein Herz zu erwähnen, aber vielleicht ist ihm nicht klar, dass er das ebenfalls hat.
Ich habe ihm daraufhin geantwortet und gefragt, ob etwas auf dem Notizblock steht. Natürlich war es ein Trick, um mich dranzukriegen, denn es steht nichts drauf.
Ich unterdrücke den Wunsch, die neue Nachricht zu lesen. Ich habe einen Kloß im Hals und balle die Hände zu Fäusten, um stark zu bleiben. Mein Telefon summt erneut, und meine Stärke ist wie weggewischt. Ich will Worte, die ich nie von ihm zu hören bekommen werde, aber es scheint mich nicht davon abzubringen, doch darauf zu hoffen.
Ich kehre Ende nächster Woche nach New York zurück. Kann ich dich vorher sehen?
Ich lasse mich zu Boden plumpsen und wünschte, ich könnte mein Telefon an die Wand werfen, wünschte, ich hätte die richtigen Worte und den eisernen Willen, den ich brauche, wenn es um Griffin geht. Aber den habe ich nicht. Ich möchte ihn so dringend sehen. Mein Herz tut weh und mein Körper ebenfalls. Sogar meine Seele tut weh. Ich vermisse ihn sehr. »Nev!«, rufe ich. »Ich brauche dich!«
Meine Schwester ist nicht besonders zuverlässig. Sie hat keinen Job und keinen Freund länger als ein paar Monate, und sie tut immer so, als wär’s ihr egal, was nicht stimmt. Sie ist kaputt, und ich weiß nicht, warum. Aber jetzt, wo es mir schlecht geht, ist sie auf eine Weise zur Stelle, wie sie es noch nie war.
Das Trappeln ihrer Schritte auf dem Flur ist beruhigend. Ich weiß, dass sie mich vor mir selbst schützen wird. Ich starre auf die Worte auf dem Display, rühre mich aber nicht, um zu antworten. Stattdessen strecke ich Nev das Handy entgegen, als sie in der Tür erscheint. »Er will mich sehen, bevor er abreist.«
»Arschloch.« Sie schnappt sich das Telefon. »Was möchtest du?«
»Er soll damit aufhören. Es tut zu weh. Wieso lässt er mich nicht los?« Mein Herz fühlt sich an wie Sägespäne in meiner Brust. Ich fühle mich schrecklich und kann nicht richtig atmen. Ich frage mich, ob sich so Sterben anfühlt.
Nev kauert sich neben mich und schlingt die Arme um mich. »Keine Sorge, Cosy. Ich kümmere mich darum.«
Sie drückt ihre Lippen auf meinen Scheitel, wie es eine Mutter mit einem kranken Kind tun würde, und verlässt anschließend das Zimmer. Sekunden später höre ich, wie die Tür zuknallt und Nevs Begrüßung abschneidet, die mit den Worten beginnt: »Fick dich, du Scheißkerl.«
Ich kämpfe mit dem Wunsch, seine Stimme zu hören, und dem Selbsterhaltungstrieb, ihm aus dem Weg zu gehen. Ein paar Minuten später lässt sich Nev neben mir aufs Bett sinken und schließt die Arme um mich. »Es tut ihm leid, und er ruft nicht wieder an.«
Ich sollte erleichtert sein, aber alles, was ich empfinde, ist Einsamkeit und Verlust.
»Das wird einfach großartig. Vor allem weil du nicht mehr Jungfrau bist und jetzt einfach so zum Spaß vögeln kannst und dir um emotionale Bindungen und diesen ganzen Unsinn keine Gedanken machen musst«, sagt Nev, während sie an ihrer E-Zigarette zieht. Heute riecht sie nach Wassermelone.
»Nicht hilfreich, aber trotzdem danke.«
Sie drückt meine Schulter. »Ich weiß, es ist hart, aber das ist wirklich gut. Du bist weg von allem, was dich an ihn erinnert. Ich mache deinen Job bei STW, während du fort bist, und kümmere mich um die Wohnung.«
»Versuch, einmal die Woche zu staubsaugen.«
»Mach ich. Das ist gut, Cosy. Du machst alles richtig«, versichert sie mir.
Abgesehen von dem Wassermelonengeruch bin ich froh, dass meine Schwester die über fünfstündige Fahrt zum Hafen von Long Beach auf sich genommen hat; andernfalls hätte ich das ganz allein machen müssen. Ich biege auf den Parkplatz ein und finde einen freien Platz. Das Schiff ist riesig, größer als alles, was ich zuvor gesehen habe. Es ist wahrhaftig ein schwimmendes Hotel. Und ich werde die nächsten sechs Wochen darauf verbringen, ohne jeden Kontakt zur Außenwelt bis auf den Aufenthalt in den Häfen.
»Wann wird es sich nicht mehr so anfühlen, als müsste ich sterben?«
Nev fingert an meinem Zopf herum, ohne mich anzuschauen. In diesem Moment weiß ich, dass mein Herz endgültig gebrochen ist. Nev fällt nämlich sonst immer eine bissige Erwiderung ein.
»Ich weiß es nicht.«
»Was ist dir passiert?« Es ist eine komplexe Frage so kurz bevor ich für sechs Wochen weg sein werde, aber meine Schwester gehört zu den Menschen, die einen vor die Tür setzen mit der Begründung, dass die Mafia ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt hat – völlig egal ob es nun stimmt oder nicht.
»Ich habe mich in jemanden verliebt, der meine Liebe nicht erwidern konnte. Mach nicht denselben Fehler, Cosy. Nutze die Zeit auf dem Schiff, um über ihn hinwegzukommen. Da draußen wartet etwas Besseres auf dich.«
»Und wenn nicht?«
»Doch, ganz bestimmt. Du bist zu gut, um nicht geliebt zu werden.«
»Du auch.«
Sie lächelt traurig und öffnet den Sicherheitsgurt. »Komm schon, bringen wir dich zu deinem nächsten Abenteuer.«
Ich vermisse sie bereits.
Und Griffin noch viel mehr.