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eit zehn Minuten befinden wir uns auf der Ranch. Seit zehn Minuten schweigen wir uns an.
Auf der Autofahrt hierher haben wir wenige Worte miteinander gewechselt, und diese auch nur, weil das Anschweigen Noyce nervös gemacht hat. Immer wieder hat er versucht, ein paar sinnbefreite Small-Talk-Themen anzuschneiden, die mich viel mehr provoziert haben, als alles andere.
Außerdem ist die Wirkung des Kokains, das ich mir reingezogen habe, ab einem gewissen Zeitpunkt ins Gegenteil umgeschlagen und in der Kombination mit dem Tequila, den ich mir hinter die Binde gekippt habe, wurde ich müde. Mir sind ständig die Augen zugefallen.
Die Fahrt von meiner Gran zur Ranch dauert in der Regel nur zwanzig Minuten. Im Grunde fahren wir keine fünfzehn Meilen südwestlich, von Mesquite Hills zum ehemaligen Militärgelände Fort Bliss, allerdings sind wir in den frühmorgendlichen Berufsverkehr geraten und haben dreimal so lange gebraucht.
Als der Range Rover ruckartig zum Stehen gekommen ist, habe ich mich alarmiert aufgesetzt und scheine damit gleichzeitig Mia eingeschüchtert zu haben, mit der ich mir die Rücksitzbank teile. Nur, dass sie sich wie ein überängstliches
Tier in die linke Ecke hinter den Fahrersitz gedrängt hat, konsequent aus dem Fenster schaut und ich es mir auf dem Rest der Bank bequem gemacht habe. So, dass ich sowohl Noyce als auch Mia die ganze Zeit im Blick habe. Die Füße habe ich auf der Mittelkonsole abgelegt und meine Hand um das Messer geschlossen, dass sich nach wie vor in meiner Tasche befindet.
Ich traue dem Braten nicht. Noch immer nicht.
Ich weiß, dass Mia sich zu Noyce hingezogen fühlt und dass er sie ficken will.
Vielleicht sollte ich die beiden wirklich lassen. Schon allein, um herauszufinden, ob sich mehr zwischen ihnen entwickeln könnte, oder ob die Faszination füreinander verpufft, sobald ich ihnen nicht mehr im Weg stehe.
Mit der Wirkung des Kokains ist auch ein Teil meiner Aggressionen verschwunden. Aus keinem anderen Grund habe ich mir das Zeug reingepfiffen. Weil ich mein Vorhaben endlich durchziehen wollte.
Ich wollte Mia von der Bildfläche verschwinden lassen.
Nicht, weil ich sie nach wie vor abgrundtief verachte.
Sie ist meine verdammte Schwäche. Sie hat die Fähigkeit, mich zu verletzen. Allein der Gedanke, dass sie es ohne mein Einverständnis mit Noyce treiben könnte, macht mich wahnsinnig.
Ich weiß, wie es ist, wenn man jemanden begehrt, den man nicht haben kann. Es lässt dich durchdrehen. Manchmal allerdings, sofern man diese Jagd am Ende doch gewonnen hat, ist der Reiz vollkommen verloren gegangen.
Vielleicht ist es mit mir und Mia dasselbe. Vielleicht verliert sie jeglichen Reiz für mich, sobald ich sie endlich gevögelt habe.
Doch ich fürchte, darüber sind wir längst hinaus.
Wenn es einfach nur mein Verlangen wäre, dass mich zu ihr treibt, besäße sie nicht die Fähigkeit, mich so gnadenlos zu
enttäuschen.
Und das hat sie getan.
Nicht nur sie. Auch Noyce hat mein Vertrauen missbraucht und er hat keine Ahnung, wie verdammt beschissen das für mich ist.
Damals habe ich ewig gebraucht, um mich für die Zusammenarbeit mit Adler zu entscheiden, und es hat Jahre gedauert, bis ich wirklich so weit war, mich ihm zu öffnen.
Ich habe es bereut.
Es wird nicht leicht. Für jeden von ihnen.
In erster Linie wird es nicht leicht für Mia und selbst meine Gran muss mein Vertrauen erst einmal wieder für sich gewinnen.
Erschöpft fahre ich mir mit der Hand durchs Gesicht.
Noyce ist direkt vor meinem Bungalow zum Stehen gekommen, welchen Mia nun skeptisch beäugt. Fragend schaut sie zu mir, als weder ich noch Noyce Anstalten machen, auszusteigen.
»Die Tür ist offen«, ertönt Noyce’ Stimme in der ohrenbetäubenden Stille. »Geh schon mal rein. Chase kommt gleich nach.«
Ihr Blick bleibt auf mir haften und schließlich nicke ich. »Es ist okay, Mia. Geh rein.«
»Wirklich?«
Irritiert runzele ich die Stirn. »Ich werde Noyce schon nicht umbringen. Und er mich erst recht nicht.«
»Nein.« Nervös fährt sie sich durch ihr wirres Haar. »Ich meine … du könntest befürchten, dass ich mich durch die Hintertür …«
»Es gibt keine Hintertür«, merke ich achselzuckend an. »Nur eine Terrassentür. Und die ist diebstahlgesichert. Sofern du also den Sicherheitscode nicht kennst, wird das ein kurzer Lauf für dich. Und selbst wenn du nach wie vor den Drang empfindest, vor mir wegzulaufen, werde ich dich finden.
Überall.«
Sie nickt. »Okay.« Dann schnallt sie sich ab und öffnet die Tür. Noch einmal sieht sie sich zu mir um und scheint etwas sagen zu wollen, doch es kommt kein Ton über ihre Lippen.
Sie lässt die Tür zufallen und schlendert zur Haustür des Bungalows. Dabei prägt sie sich unverhohlen die Umgebung ein, was mich wiederum gereizt den Kiefer anspannen lässt.
Vielleicht irre ich mich auch und sie sieht sich lediglich neugierig um.
Ich kann sie wirklich schlecht einschätzen, wenn sie nicht schon wieder gerade ihre bescheuerten Selbstgespräche führt.
»Okay, Mann«, beginnt Noyce auf einmal. »Ich weiß, dass ich dein Vertrauen missbraucht habe, und das ist verdammt scheiße. Du weißt, wie wichtig mir Loyalität ist, und demzufolge war ich wahrscheinlich der Letzte, dem du das zugetraut hättest.« Er schnallt sich ebenfalls ab und dreht sich vollends zu mir herum. »Deswegen solltest du dich daran erinnern, dass meine Loyalität Adler gilt und nicht dir. Es war für mich eine Selbstverständlichkeit, ihn über jeden deiner Schritte aufzuklären. Schon lange, bevor du mich in deine bescheuerten Gedankengänge eingeweiht hast.«
Ich gebe vor, als würden mir Noyce’ Worte vollkommen am Arsch vorbeigehen. »Wie dringend willst du sie ficken?«, erkundige ich mich stattdessen mit einem vergleichsweise neutralen Tonfall.
»Was?«
»Beantworte meine Frage, Unicorn.« Ich lehne mich zu ihm vor. »Und ich will keine dämlichen Ausflüchte hören, falls du denkst, dass ich sonst einen erneuten Wutausbruch bekomme. Sag mir, wie dringend du sie ficken möchtest.«
Nervös ringt Noyce die Hände. »Ich weiß nicht, was du hören willst, Alter.«
»Wenn ich dir erlaube, sie in meinem Beisein zu ficken, willst du sie dann erst recht oder kann es sein, dass du danach
das Interesse an ihr verlierst?«
Mit einer viel zu ernsten Miene sieht er mich an. »Ich kann es dir nicht sagen.«
»Mir war so, als hättest du etwas für Heaven übrig.«
»Na und?« Gleichgültig zuckt er mit den Schultern. »Das heißt nicht, dass ich keine anderen Frauen mehr vögeln will.«
»Also ist es für dich nichts Ernstes mit ihr?«
»Bisher nicht.« Er räuspert sich und weicht für eine Sekunde meinem Blick aus. »Sie hat irgendetwas zu verbergen. Adler hat mich auf sie angesetzt.«
»Okay.« Das ist etwas ganz Neues für mich. Etwas, das Noyce mir anvertraut, weil … wahrscheinlich, ist es seine Art, sich bei mir für sein bisheriges Verhalten zu entschuldigen. »Ich weiß es zu schätzen, dass du mich darüber aufklärst.«
»Wieso? Du kannst sie weiterhin ficken, falls dir danach ist. Mir macht das nichts aus.«
»Mir ist klar, dass du kein Problem damit hast, deine Frauen zu teilen. Mia ist allerdings ein ganz anderes Thema. Kapierst du das?«
»Natürlich kapiere ich das. Ich bin nicht blind.« Er lacht spöttisch auf. »Sie gehört dir, Alter. Aber sie lässt mich nicht kalt, wenn du es genau wissen willst. Also falls du dich doch noch dazu entscheiden solltest, sie um die Ecke zu bringen, bin ich derjenige, der sie dir gerne abnimmt.«
»Ich werde es mir merken«, knurre ich angepisst.
Noyce mustert mich neugierig. »Alles klar. Du wirst sie niemals gehen lassen. Du willst sie wirklich, kann das sein?«
Jetzt bin ich derjenige, der kurzzeitig den Blick senkt. »Ich wollte sie schon immer. Mehr als alles andere. Ich kann dir bloß nicht sagen, ob ich ihr jemals verzeihen kann.«
»Hmm.« Nachdenklich schaut er zum Bungalow, in dem Mia vor wenigen Sekunden verschwunden ist. »Indem du es nicht versuchst, wirst du es nicht herausfinden.«
»Ich weiß.« Seufzend nehme ich meine Füße von der
Mittelkonsole. »Allerdings ist meine größere Befürchtung, dass ich sie mit meinem Misstrauen verjage. Oder sie in deine Arme treibe.« Ich bin selbst überrascht, dass ich Noyce gegenüber so ehrlich bin.
»Na, wenn es nur das ist, behältst du sie wenigstens in deiner Nähe. Ich bin immer bereit, mit dir zu teilen, Anton.« Es ist das erste Mal seit Wochen, dass er sich traut, mich genauso provozierend wie sonst anzugrinsen. »Und bei dem anderen Problem würde ich vorschlagen, dass du es Adler gleichtust und ihr so ein dämliches Fußkettchen andrehst. Dann bekommt sie wie Blair den Eindruck, selbst entscheiden zu können, es zu tragen. Du kannst sie jederzeit tracken, falls ihr nicht gerade aufeinander hockt. Und über die Vitalzeichenkontrolle erfährst du sofort, wenn sie das Kettchen abgelegt hat oder tot umgefallen ist. Ich würde sagen, indem sie es freiwillig trägt, beweist sie dir, dass sie damit einverstanden ist, pausenlos von dir kontrolliert zu werden. Auf der anderen Seite zeigst du ihr, dass du sie zwar kontrollieren willst, ihr aber ausreichend vertraust, um sie selbst bestimmen zu lassen, ob sie dir die Kontrolle vollständig überlässt. Das wäre möglicherweise genau das Richtige für euch.«
»Das stimmt.« In gewissem Maße würde ihr das Fußkettchen auch bedeuten, dass ich sie nicht verlieren will.
»Also könntest du mir nun endlich verraten, was verdammt dein exaktes Problem ist, Mann?!«
»Ich
bin das Problem.«
»Das glaube ich allerdings auch.« Er seufzt. »Wir gehen jetzt beide da rein. Du überredest sie zum Vögeln und ich passe auf, dass du nicht die Fassung verlierst.«
Ich starre ihn an. »Ich meinte das ernst, Noyce. Ich will, dass du sie fickst, weil ich wissen muss, ob da mehr zwischen euch ist.«
»Und wenn es so ist? Knallst du mich dann ab? Und Mia auch?«
»Ich weiß es nicht.« Grimmig schürze ich die Lippen. »Ich habe keine Ahnung, wem ich vertrauen kann, Noyce. Nicht einmal mir selbst kann ich mehr vertrauen.«
»Doch. Du kannst Mia vertrauen.« Nachdenklich schaue ich auf. »Das Einzige, was dich an ihr stört, ist, dass ich sie beinahe gevögelt hätte. Und das war nur, weil sie in diesem Moment wohl jemanden gebraucht hat, der ihr Nähe gibt. Sie ist davon überzeugt, dass ich sie beschützen werde und dass sie bei mir in Sicherheit ist. Kapierst du es nicht? Das ist alles, was sie sich wünscht. Sie ist verdammt … kaputt. Was teilweise deine Schuld ist. Anstatt sie weiterhin fertigzumachen, solltest du ihr das Gefühl geben, für sie da zu sein und ihr helfen, sich besser zu fühlen.«
»Und wenn ich das nicht kann?«
»In dem Fall übernehme ich das für dich, Bro. Aber dann solltest du mich auch lassen.«