K eine Kameras, keine Feier, keine Kinder mit Blumen in den Händen warten auf sie, als sie endlich wieder in Sichuan eintreffen. Li Chiara hat Tao nicht einmal zum Gespräch einbestellt, sondern nur Befehl gegeben, dass die Kinder so lange bei ihr wohnen bleiben sollen, bis entschieden wurde, was mit ihnen passieren soll. Tao habe doch wohl genug Platz, oder etwa nicht?
Mei-Ling setzt sie vor dem Wohnkomplex ab.
»Braucht ihr Hilfe mit dem Gepäck?«
Tao schüttelt den Kopf. »Nein, das schaffen wir schon.«
Sie dreht sich zu den Kindern um. »Oder?«
Lediglich Runa antwortet höflich. »Jaja, das geht.«
Mei-Ling steigt aus dem Auto aus und sieht Tao an.
»Tja«, sagt sie. »Das war es also.«
Tao nickt. »Dann erst mal danke. Eine ganz schön abenteuerliche Reise.«
Mei-Ling grinst. »Ach, findest du?«
»Nein, vielleicht auch nicht.«
Dann wird Mei-Ling ernst. »Ich werde mich jedenfalls für immer daran erinnern.«
Tao nickt.
»Und viel Glück«, sagt Mei-Ling und deutet auf die Kinder, die sich ein wenig zurückgezogen haben. »Mit den dreien.«
»Danke«, sagt Tao.
Sie bleiben kurz stehen, um Worte verlegen. Mei-Ling scharrt mit den Füßen.
Dann breitet sie plötzlich die Arme aus und zieht Tao an sich. Mei-Ling ist einen Kopf größer als sie, und ihr Körper ist muskulös und fest. Geborgen, denkt Tao, ich habe mich bei dir geborgen gefühlt.
»Pass gut auf die Kinder auf. Und auf dich selbst«, sagt Mei-Ling mit ungewohnt rauer Stimme.
»Du auch«, erwidert Tao.
»Ich doch nicht«, sagt Mei-Ling, und die selbstsichere Miene ist wieder da. »Mach es gut. Wir sehen uns.«
Dann fährt sie davon. Tao weiß, dass Mei-Ling bereits ihren nächsten Arbeitsauftrag erhalten hat. Vermutlich werden sie sich nie wieder begegnen.
Sie schließt die Tür auf und lässt die Kinder in die Wohnung, die seltsam leer ist und in der es stickig riecht. Tao gibt Runa das kleine Zimmer, das einmal Wei-Wen gehört hat. Runa sieht sich darin um, ehe sie sich auf das Bett setzt und über die Matratze streicht.
»Meinst du, das wird dir gefallen?«, fragt Tao.
Runa nickt, wendet jedoch das Gesicht ab.
Dann öffnet Tao die Tür zu ihrem eigenen Schlafzimmer und zeigt es den Brüdern.
»Ihr könnt hier drinnen schlafen.«
»In dem großen Bett?«, fragt Hilmar.
»Ein Erwachsenenbett«, sagt Henry.
»Ja, ihr müsst es euch teilen.«
Für einen kurzen Moment vergessen die Jungen alles und hechten kopfüber ins Bett und stürzen sich jubelnd in eine Kissenschlacht. Tao lässt sie toben, während sie ihre Klamotten in die große Kommode an der Längsseite packt.
Sie lächelt ein wenig über ihr wildes Spiel, doch schon nach ein paar Minuten verschwindet Hilmar mit einem Buch aus dem Zimmer. Henry bleibt zurück.
Er geht zum Fenster und steht eine Weile nachdenklich davor.
»Warum ist es hell?«, fragt er.
»Was meinst du?«
»Ich dachte, wenn wir ankommen, wäre es dunkel?«
»Es ist tagsüber hell und nachts dunkel. Genau wie auf dem Weg hierher.«
»Aber wir haben doch Winter?«
Er ist blass, ein wenig rot unter der Nase, verschnupft und mitgenommen.
»Ja, so ist der Winter hier.«
»Aber wie kann es denn Weihnachten werden, wenn es nicht dunkel ist?«
Das Zimmer geht nach Westen, die Wolken am Himmel reißen auf, und die Sonne trifft sein Gesicht. Es ist verschlossen.
»Wie kann es dann Weihnachten werden?«, fragt er erneut, ohne sie anzusehen.
Dann verlässt er das Fenster und das Zimmer.
Sie hört ihn in der Wohnung umherschlurfen, während sie die restlichen Klamotten in die Schubladen legt.
Die Sachen der Jungs finden dort Platz, wo früher Kuans Kleidung war. Sie hält einen Pullover hoch, der aus vielen verschiedenen Wollsorten gestrickt ist. Die Farben beißen sich. Sie muss den Kindern noch mehr zum Anziehen besorgen, denkt sie. Neue, saubere Baumwollsachen.
Als sie fertig ist, geht sie in die Küche. Auf dem Tisch steht das Kurzwellenfunkgerät. Henry sitzt auf einem Stuhl daneben und lauscht.
Sie zaust ihm durchs Haar.
»Komm«, sagt sie. »Schlafenszeit.«
Er steht gehorsam auf und geht ins Bad, ohne zu protestieren.
Als er anschließend frisch gewaschen und mit einem sauberen Pyjama im Bett liegt, setzt sie sich auf seine Bettkante. Sie sind allein im Schlafzimmer, Hilmar hat sich noch nicht hingelegt.
»Na dann, gute Nacht, Henry.«
»Du kannst die Geschichte ruhig jetzt erzählen«, sagt er.
»Welche Geschichte?«
»Darüber, wie die Welt entstanden ist.«
»Bist du sicher, dass du nicht zu müde bist?«
»Ja, erzähl sie mir jetzt.«
»Gut. Dann fange ich an … Es war einmal ein Ei«, sagt sie. »Das Ei war riesengroß, und es war schwarz, ungefähr so wie die Kohle auf Spitzbergen.«
Henry setzt sich ein wenig auf, drückt das Kissen gegen die Wand, um sich abzustützen.
»Kam es aus den Gruben?«
Sie denkt ein wenig nach. »Ja, vielleicht war es genau so. Ein Ei, das tief in einer der schwarzen Gruben lag.«
»In welcher davon?«
»Tja, ich weiß nicht … vielleicht Grube 7?«
»Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, das Ei hat im Tresor gelegen.«
»Ja, da muss es gewesen sein, da war es in Sicherheit. Und in dem Ei hat der Gott Pangu geschlafen.«
»Ich glaube nicht an Götter«, sagt Henry. »Tommy sagt immer …«, er sucht nach den richtigen Worten, »an Gott glauben wäre so, als würde man an Märchen glauben.«
»Dann ist meine Geschichte vielleicht einfach nur ein Märchen.«
»Na gut.«
»Ja?«
Er nickt. »Du kannst jetzt weitererzählen.«
»Gut. Dann mache ich das. Pangu erwachte also nach achttausend Jahren.«
»Er hat achttausend Jahre geschlafen?«
Henry richtet sich auf und beäugt sie skeptisch.
»Ja. Und er fühlte sich ziemlich eingesperrt, das kann man ja auch verstehen, immerhin lag er in einem Ei, in einem Tresor.«
»8000 Jahre lang.«
»Ja, 8000 Jahre. Und dann fand er eine Axt.«
»Er hatte eine Axt in dem Ei? War die denn nicht verrostet, nach 8000 Jahren?«
»Ich habe mir die Geschichte nicht selbst ausgedacht. Aber ja, er hatte wohl eine Axt. Und mit der hat er ein Loch in die Schale geschlagen. Aus dem Ei strömte Licht heraus.«
Henry runzelt die Stirn. »In dem Ei war also Licht?«
»Ja, genau. Ein sehr kräftiges Licht. Und das Licht wurde zum Himmel und das Ei zur Erde, und Pangu stand weitere achttausend Jahre da und hielt die beiden auseinander, während er wuchs. Am Ende war er so groß, dass er Himmel und Erde für immer voneinander getrennt hatte. Und da starb Pangu.«
»Warum das denn?«
»Er war wohl erschöpft.«
»Das kann ich gut verstehen.«
»Doch er verschwand nicht, als er starb. Denn aus seinem Atem entstanden Wolken und Wind. Aus dem einen Auge wurde der Mond, aus dem anderen die Sonne, aus seinem Körper wurden hohe Berge und aus den Muskeln Ackerboden, aus seinen Tränen Flüsse, aus dem Blut Wasser und aus dem Schweiß Regen.«
»Igitt, aus dem Schweiß wurde Regen?«
»Denk dran, dass es nur ein Märchen ist.«
»Jaja … aber was wurde aus seinen Haaren?«
»Die Haare wurden zu Sternen.«
»Oh. Das ist schön.«
»Meine Mutter hat mir diese Geschichte immer erzählt«, sagt Tao. »Und als ich selbst einen Sohn bekam, habe ich sie ihm erzählt.«
»Und jetzt erzählst du sie mir«, sagt Henry.
Er rutscht wieder tiefer in das Bett und knautscht sich das Kissen zurecht, um es sich gemütlich zu machen.
»Ja, jetzt erzähle ich sie dir.«
Henry überlegt. »Aber du, Tao, was ist, wenn das Ei immer noch dort liegt?«
»Im Tresor?«
»Vielleicht hat jemand das Ei tief da drinnen vergessen, und Pangu ist noch darin, in Sicherheit, und wird erst in achttausend Jahren herauskommen. Vielleicht ist bisher noch nichts von alledem passiert.«
»Das wäre schön«, sagte Tao.
»Ja.«
Sie wagt es, ihm über die Stirn zu streichen. Ganz vorsichtig. Für einen kurzen Moment kommt sie in Kontakt mit ihm. Doch dann entgleitet ihr sein Blick, und er entzieht sich ihr wieder.
Anschließend bleibt sie lange wach, wälzt sich im Bett. Tommys Gesicht taucht die ganze Zeit vor ihrem inneren Auge auf. Seine Überraschung dort im Tresor hatte echt gewirkt, sie hatte ihm geglaubt. Doch gleichzeitig auch daran gezweifelt, denn sie kannte ihn nicht, sie wusste nicht, wie er von all dem, was er erlebt hatte, geprägt worden war.
Und was war mit Rakel? Der hoffnungsvollen Rakel, die ein neues Leben in sich trug. Von hinten hatte man es ihr nicht angesehen. Sie bewegte sich leicht und geschmeidig, schien vollkommen unbeeinträchtigt vom Babybauch.
Als sie wieder vom Gewölbe hinabstiegen, entschuldigte sie sich immer wieder. Und als sie zum Strand zurückkehrten, waren die Kinder hungrig, und Tommy verschwand mit ihnen nach Hause, ohne zu fragen, ob es in Ordnung sei.
Mei-Ling und Tao blieben mit Rakel zurück. Sie hatte Tränen in den Augen.
»Entschuldigung«, sagte sie erneut. »Ich … ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen … ich dachte ja, dass … ich habe keine Ahnung, was passiert ist.«
»Hast du die Samen denn jemals selbst gesehen?«, fragte Mei-Ling.
Rakel schüttelte den Kopf, starrte zu Boden.
»Du hast uns den ganzen Weg hierhergelockt für etwas, was du nicht einmal selbst gesehen hast?«
Rakel sank auf einen Stein, fasste sich an den Rücken, ihr Gesicht weiß wie die Wand.
Tao bedachte Mei-Ling mit einem strengen Blick. »Reiß dich zusammen«, sagte sie leise.
Dann legte sie Rakel eine stützende Hand auf die Schulter.
»Es ist kein Wunder, dass du erschöpft bist. Weißt du, wann das Kind kommt?«
»Schon in ein paar Wochen. Am 24. September.«
»Neun Monate nach Heiligabend?«, fragte Mei-Ling.
Rakel nickte.
»Na, dann hattet ihr jedenfalls ein nettes Weihnachtsfest«, murmelte Mei-Ling.
»Ich bitte dich«, sagte Tao.
»Dann wirst du das Kind während der Reise auf die Welt bringen«, sagte Mei-Ling. »Denn wir werden es bestimmt nicht schaffen, vor dem Termin wieder zurück zu sein. Du musst dich wohl auf eine Geburt tief in den einsamen russischen Steppen einstellen, im Auto. Wenn wir überhaupt so weit kommen.«
»Mei-Ling«, sagte Tao. »Es reicht!«
Rakel krümmte sich auf dem Stein zusammen, zog die Beine an, verbarg ihr Gesicht in den Armen. Tao erinnerte sich an ihre eigene Schwangerschaft, die Rückenschmerzen, die Wadenkrämpfe, all die unruhigen Nächte. Sie tätschelte dem jungen Mädchen weiter beruhigend den Rücken. Wie sollte das gehen, wenn sie die Kinder mit zurücknahmen? Sollten sie Rakel und Tommy allein mit einem Baby in einer Wohnung unterbringen? Zwei Teenager mit schmalen Schultern, albtraumhaften Erinnerungen und entfesselten Hormonen, sollten die zwei sich um ein Baby kümmern? Armes kleines Ding, dachte Tao und wusste nicht, ob sie in erster Linie Rakel meinte oder das kleine Wesen in ihrem Bauch.
»Du kannst nichts dafür«, sagte sie.
Mei-Ling musste sich sichtlich beherrschen. »Das vielleicht nicht. Aber die Samen sind nicht im Tresor. Und dafür kann durchaus jemand etwas.«
»Fragt Tommy«, sagte Rakel leise.
»Wir haben ihn schon gefragt. Er war doch die ganze Zeit dabei«, sagte Mei-Ling.
»Fragt ihn noch einmal.«
Tao und Mei-Ling sahen sich an.
»Das musst du übernehmen«, sagte Mei-Ling. »Ich bin gerade viel zu wütend.«
Rakel nahm Tao mit ins Haus. Tommy war in seinem Zimmer, die anderen Kinder saßen gerade unten in der Küche beim Essen. Rakel gesellte sich zu ihnen und ließ Tao allein zu Tommy hinaufgehen.
Er saß auf seinem Bett, umgeben von Chaos.
Auf seinem Schreibtisch standen mehrere leere Teller. Aus einer Tasse roch es nach Suppe. Überall auf dem Boden und auf dem Tisch lagen Bücher, viele davon aufgeschlagen, als wäre er gerade mitten in der Lektüre. Der einzige Stuhl im Zimmer war mit schmutzigen Anziehsachen bedeckt, rings um das Bett lagen benutzte Socken verstreut. Hier wohnte ein Junge. Ob Wei-Wens Zimmer auch so aussähe, wenn er noch am Leben wäre?
Tommy stand auf und hob den Klamottenberg vom Stuhl, damit sie sich setzen konnte.
»Entschuldigung«, sagte er, während er sich nach einem besseren Ort für seine Sachen umsah.
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung.
Nachdem er seine Sachen in einen Schrank gestopft hatte, der sich nicht mehr schließen ließ, setzte er sich ihr gegenüber, auf die äußerste Bettkante, vorgebeugt, die Hände über dem einen Knie verschränkt, ein wenig posenhaft, dachte sie.
»Du glaubst mir nicht«, sagte er. »Du denkst, ich wüsste, wo die Samen sind.«
»Ich kenne dich nicht«, sagte sie und bemühte sich, dabei eher freundlich zu klingen als streng. »Aber ich würde dir gern glauben.«
»Ich war nur ein einziges Mal im Tresor, vor ein paar Jahren. Meine Oma hatte mich auf eine Inspektion mitgenommen. Damals war der Tresor voller Kisten, mit Samen aus aller Herren Länder. Danach bin ich nie wieder dort gewesen, ich weiß nicht mal, wo der Schlüssel ist.«
»Hast du danach gesucht?«
»Natürlich habe ich das. Aber ich fürchte, meine Oma hat ihn mit ins Grab genommen.«
Er hatte die Selbstsicherheit eines älteren Menschen, und gleichzeitig wirkte er so verletzlich. Sie sprach mit einem alten Mann, der zugleich ein kleiner Junge war.
»Und wo liegt sie begraben?«
»Wir haben sie aufs Meer hinausgeschickt.«
»Aber könnte sie …«
»Hör zu«, sagte er. »Das letzte Jahr war … ziemlich außergewöhnlich.«
»Ziemlich außergewöhnlich« war ihrer Meinung nach stark untertrieben, aber sie ließ ihn reden.
»Alle sind gestorben. Wir wurden von einem Eisbären angegriffen. Dann starb auch meine Oma. Obendrein wurde Rakel schwanger, und dann wart ihr plötzlich unterwegs.«
»Es war Rakels Wunsch, dass wir kommen«, erwiderte Tao. »Ich kann verstehen, wenn du dich hintergangen fühlst.«
Er wandte das Gesicht ab. »Das stimmt. Ich wollte nicht, dass ihr kommt.«
»Aber warum nicht?«
»Muss ich das wirklich erklären?«
Seine Widerspenstigkeit machte sie zunehmend ungeduldig. »Du verstehst aber schon, warum ich nur schwer glauben kann, dass du nichts über den Verbleib der Samen weißt?«
»Weil ich nicht wollte, dass ihr kommt?«
Sie nickte.
»Nein.« Er starrte sie an, wieder mit diesem trotzigen Blick. »Nein, ich verstehe nicht, was das eine mit dem anderen zu tun haben soll.«
Sie holte tief Luft. »Na gut … aber du musst doch irgendeine Idee haben, wo sie sein könnten?«
Er schüttelte den Kopf und schwieg eine Weile.
»Ich glaube, dass es meine Oma war«, sagte er schließlich. »Als wir uns vor der Krankheit versteckt haben, war sie lange weg. Hinterher hat sie behauptet, sie wäre allein geblieben, um uns zu schützen und weil sie Zeit gebraucht hätte, um zu trauern. Aber sie könnte diese Wochen auch genutzt haben, um die Samen zu verlegen. Und wenn meine Oma sie versteckt hat, dann, weil sie nicht wollte, dass sie gefunden werden.«
Tommy stand auf, blieb mitten im Zimmer stehen, sein Mund war ein gerader Strich, die Augen schmal.
»Die Person, die sie versteckt hat, möchte jedenfalls nicht, dass sie gefunden werden«, sagte er, jetzt lauter. »Von niemandem.«
Sie stand ebenfalls auf, aber sie war kleiner als er und fühlte sich ihm und seinem großen, gelenkigen Jungenkörper unterlegen. Er musste es bemerkt haben, denn er trat einen Schritt zum Fenster, als wollte er weniger bedrohlich wirken.
»Tao«, sagte er. »Es ist nicht so, dass ich etwas gegen dich hätte. Oder gegen euch. Aber meine Großmutter war die Samenwächterin. Und sie hat diese Entscheidung getroffen.«
»Was ist, wenn sie sich getäuscht hat?«
»Sie hat sich fast nie getäuscht.«
»Ich habe auch nichts gegen dich, Tommy. Und es tut mir leid, dass wir gegen deinen Willen hergekommen sind, aber wir werden nicht ohne die Samen wieder fahren. Und wir würden es sehr zu schätzen wissen, wenn du uns bei der Suche hilfst.«
»›Wir würden es sehr zu schätzen wissen …‹ … das hat mein Vater auch immer gesagt. Und meinte damit immer, dass ich irgendetwas tun musste.«
»Ich wüsste nicht, was die Alternative sein sollte.«
»Die Alternative wäre, dass ihr die Entscheidung meiner Großmutter akzeptiert, wieder dorthin zurückkehrt, wo ihr hergekommen seid, und uns unser Leben weiterleben lasst, genau wie vorher.«
»Wir verlassen Spitzbergen niemals, solange wir nicht die Samen gefunden haben.«
»Oder dass ich abhaue und euch hierlasse. Ich bin Longyearbyen inzwischen sowieso ziemlich leid.«
Er wandte sich so zum Fenster, dass das Licht auf sein Gesicht fiel und seine Verletzlichkeit bloßlegte.
»Ich glaube nicht, dass du das tun wirst«, sagte Tao mild. »Wo solltest du denn hinziehen?«
»In eine Trapperhütte. Am Grønfjord oder der Colesbucht. Es gibt viele Orte, an die ich gehen kann. Ich würde schon klarkommen.«
»Allein?«
Er reckte den Nacken, gab sich betont selbstbewusst. »Das würde bestimmt gutgehen.«
Sie bekam Mitleid mit ihm. »Nein … du wirst nicht abhauen. Nicht, solange deine Brüder bei dir sind. Und das Kind unterwegs ist.«
Er sackte in sich zusammen.
»Tommy, du musst uns helfen, das verstehst du doch?«, fragte sie. »Kannst du uns bitte dabei unterstützen, die Samen zu finden?«