KAPITEL 4

Als wäre das alles nicht schon schlimm genug, wuselte Mrs Hudson auch noch zu Levi rüber und kratzte mit der Pfote an seinem Hosenbein. Ich ging die paar Schritte zu ihnen und wollte sie gerade hochheben, als Levi sich nach unten beugte. Die Berührung unserer Hände schickte ein Kribbeln meinen Arm hinauf.

Ohne mich anzusehen, reichte er mir den leise winselnden Hund. Mrs Hudson auf dem Arm, ging ich zurück zum Sofa und nahm erneut neben Rafael Platz.

»Wie die meisten von euch wissen«, wandte Levi sich währenddessen an die Runde, »habe ich während der letzten beiden Monate versucht, Beweise dafür zu finden, dass Jackson Wu an der Geldwäsche in Hedon beteiligt war.«

Hatte er das? Den Gesichtsausdrücken der anderen nach zu schließen, war das nur Rafael und mir neu.

»Luca Bianchi, den Kontakt der Geldwäscher vor Ort, hat uns die Königin entzogen, und Priya und Miles haben mit ihrem Team keine Unregelmäßigkeiten in der Buchhaltung der fraglichen Firma aufdecken können«, fuhr er fort.

Priya gab einen frustrierten Laut von sich. »Sie haben ihre Spuren gut verwischt.«

Statt um die Rundumerneuerung der Cybersicherheit von House Pacifica kümmerte sie sich jetzt also darum? Warum hatte sie mir nichts davon gesagt?

Das hier sollte eigentlich ein Meeting von Team Jezebel sein, doch die Grenzen waren neu gezogen worden. Inzwischen war es Team House Pacifica, und Rafael und ich blieben als Einzige im Dunkeln. Ich warf meinem Sekretär einen Seitenblick zu. War er sein ganz eigenes Hütchenspiel und mir gegenüber nur wegen dem loyal, wofür ich als Jezebel stand?

Eilig verdrängte ich die Zweifel, die in mir aufstiegen. »Warum erfahre ich erst jetzt davon?«

»Mir war nicht klar, dass ich dir Rechenschaft schuldig bin«, erwiderte Levi.

»Ich habe die Allianz mit der Königin eingefädelt, dank der du die Info überhaupt erst bekommen hast, und die Karriere meiner Mutter hängt an der Partei. Du hättest mich auf dem Laufenden halten sollen.«

Priya senkte den Blick auf ihre halb geleerte Tasse.

Rafael schaute besorgt zu ihr rüber. »Ash …«

»Warum?«, fragte Arkady. »Der Großteil der Arbeit hat Computerkenntnisse erfordert, die du nicht hast, und die Undercover-Einsätze habe ich übernommen.« Seine Loyalität hatte schon immer Levi gegolten, aber seine Reaktion tat trotzdem weh.

Und Levi? Er beobachtete das Ganze mit einem leicht ungeduldigen Gesichtsausdruck.

Ich ließ Mrs Hudson laufen, schnappte mir stattdessen ihre Leine und wickelte sie mir um die Hände. »Ich habe nicht darum gebeten, bei dieser Sache mitzumachen, aber es ist unhöflich, mich zu benutzen, wenn es euch gerade passt, und mich dann wieder fallen zu lassen.«

»Ich beziehe dich ja jetzt mit ein«, meinte Levi.

»Weil du mich für irgendwas brauchst.« Ich spannte die Leine straff zwischen meinen Händen.

Rafael stieß mir den Ellenbogen in die Seite, woraufhin ich die Leine auf der Armlehne der Couch ablegte.

Levi lehnte sich mit der Hüfte gegen den Schreibtisch. »Ja, Ashira. So läuft das. Ich bin das Hausoberhaupt, und ich entscheide, wer wann informiert wird.«

Dann waren wir also wieder beim vollen Namen? Ein Muskel an meinem Kiefer zuckte, und ich salutierte. »Aye, aye, Boss.«

Mrs Hudson trottete unter Levis Schreibtisch und stupste dort eine heruntergefallene Büroklammer mit der Nase an.

»Arkady, bring sie auf den neuesten Stand«, forderte Levi ihn auf.

»Jackson Wu hat seine Karriere nach seinem Wirtschaftsstudium begonnen«, sagte Arkady. »Sein erster Job nach der Uni war bei der Allegra Group , einem Bauträgerunternehmen von Richard Frieden.«

»Frieden war einer der Gründer der Reinheitsallianz«, erklärte ich Rafael, der ein bisschen verwirrt dreinschaute.

»Wu war der Goldjunge, der herangezogen wurde, um eines Tages die Firma zu übernehmen, wechselte dann aber vor sieben Jahren ganz plötzlich in die Politik.«

»Frieden hat ihn also auch anderweitig aufgebaut«, sagte Rafael.

Arkady stützte die Ellenbogen auf der Stuhllehne auf. »Ja, aber Wu blieb auch nach seinem Ausstieg bei Allegra der zweitgrößte Anteilseigner des Unternehmens, nach Frieden. Friedens Anteile wurden nach seinem Tod unter seinen Erben aufgeteilt.«

»Trotzdem hat Wu nicht direkt für die Firma gearbeitet, als die Geldwäsche betrieben wurde«, warf ich ein. »Wenn er nur Anteilseigner war und sonst nichts, kann er eine Beteiligung sehr glaubwürdig leugnen.«

Levis Computer zeigte mit einem »Ping« eine Benachrichtigung an. Er warf einen Blick darauf und schloss den Laptop dann. »Alle Fakten, die wir zusammentragen konnten, weisen darauf hin, dass Jackson nach wie vor im operativen Geschäft von Allegra involviert ist. Nie im Leben hat er das nicht mitbekommen. Allerdings brauchen wir immer noch stichhaltige Beweise, um ihn zu Fall zu bringen und seine Glaubwürdigkeit so weit infrage zu stellen, dass er den Gesetzesentwurf nicht länger vorantreiben kann.«

Arkady hob eine Hand. »Und an dieser Stelle kam ich ins Spiel. Ich habe die letzten beiden Monate als Officemanager bei Allegra gearbeitet. Damit kam ich an die Mitarbeiter ran, insbesondere an Olivia Dawson, die Leiterin der Buchhaltung. Sehr intelligente Frau. Eine Weltige, die rund um die Uhr arbeitet. Geschieden, keine Kinder, nicht leicht, sich mit ihr anzufreunden. Aber ich habe sie geknackt.«

Miles verdrehte die Augen.

»Wir waren ein paarmal nach der Arbeit was trinken«, fuhr Arkady fort. »Sie brauchte immer ein paar Drinks zur Entspannung nach einem langen Arbeitstag, und sie war durchaus empfänglich für ein mitfühlendes Ohr, wenn sie darüber redete, dass ihr Leben praktisch nur noch aus dieser Firma bestand. Außerdem wurde sie jedes Mal stinksauer, sobald Wus Name im Zusammenhang mit der aktuellen Situation aufkam. Offensichtlich konnten die beiden sich schon nicht ausstehen, als er noch bei Allegra gearbeitet hat. Letzte Woche hat sie dann in einem Nebensatz eine ›Versicherung‹ erwähnt.« Arkady deutete mit den Fingern Anführungszeichen in der Luft an. »Und dass manche Leute nicht so schlau sind, wie sie denken. Frieden ist tot, also ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie sich damit auf Wu bezogen hat.«

»Wenn sie Beweise gesammelt hat, um ihren eigenen Arsch zu retten, hat sie vielleicht Namen für uns«, meinte Priya.

»Dann konzentriert euch auf Olivia«, sagte ich.

»Hatten wir vor«, erwiderte Miles. »Aber sie ist gestern Abend bei einem Autounfall gestorben.«

»Fremdeinwirkung?«, wollte Rafael wissen.

Miles schüttelte den Kopf. »Sie ist betrunken gefahren. War nicht das erste Mal.«

»Das hatte sie nicht verdient«, meinte Arkady.

Miles machte eine ausladende Geste mit beiden Händen.

»Ich nehme an, dass ihr das Zuhause und das Büro der Frau durchsucht habt?«, fragte Rafael.

Arkady nickte. »Gründlich.«

»Es gibt vielleicht noch eine andere Möglichkeit, Beweise zu finden, sofern sie denn existieren«, sagte Levi. »Ein Bücherwurm, aber die sind so selten, dass man sie schon als modernen Mythos verbuchen kann.«

»Was ist ein Bücherwurm?«, wollte ich wissen.

»Sie können sich im übertragenen Sinn durch gedrucktes Material auf der ganzen Welt wühlen«, erklärte Levi.

Ich schaute mit hochgezogenen Brauen Rafael an, der jedoch nur die Augen verdrehte. Übertrieben. »Wenn du versuchst, einen auf fünfzehnjähriges Mädchen zu machen, solltest du weniger Tweed tragen, geschätzter Sekretär.«

Rafael blickte auf sein braunes Jackett mit den Ellenbogenschonern runter. »Tweed ist ein überaus vielseitiges Material, und Bücherwürmer sind vollkommen meschugge.«

»Kennst du denn einen?«, fragte ich. »Warum nutzen wir den nicht, um mehr Infos über Chariot zu bekommen? Wir könnten Zugriff auf Isaacs Korrespondenz kriegen und herausfinden, wo sie die Schriftrolle verstecken.«

»Hast du nicht gehört, dass sie unglaublich selten sind? Und wir haben schon mal einen benutzt. Oder besser gesagt, wir haben es versucht«, erwiderte er. »Vor etwa dreißig Jahren, als Vishranti die Jezebel war. Das war der erste Bücherwurm, den wir gefunden haben, seit ihre Existenz uns vor etwa dreihundert Jahren bekannt geworden ist.«

Priya zupfte an seinem Ärmel. »Dreißig Jahre, das ist nicht so lange her. Könntest du diese Person noch mal finden?«

»Leider nein. Er wurde von Leuten ermordet, die ein bisschen zu sehr an seinen Fähigkeiten interessiert waren.«

»Verdammt«, brummte ich.

»Es stimmt schon, dass Bücherwürmer sämtliche Informationen finden können, die aktuell irgendwo auf Papier gedruckt existieren.« Rafael schob seine Brille nach oben. »Aber das große Manko daran: Ihre Fähigkeiten funktionieren im digitalen Bereich nicht.«

»Selbst Papierinfos müssen doch irgendwas über Chariot hergegeben haben«, sagte ich.

»Sicher, aber das, was wir gefunden haben, war rund hundert Jahre veraltet. Chariot weiß ebenfalls, dass es Bücherwürmer gibt, und sie haben entsprechende Vorkehrungen getroffen, um ihre Spuren zu verwischen.«

»Und warum meintest du, Bücherwürmer sind meschugge?«, erkundigte sich Miles.

»Informationsüberlastung«, meinte Rafael. »Ihre klaren Momente sind dünn gesät. Wirklich traurig.«

»Dennoch heißt ›unglaublich selten‹ keineswegs ›nicht existent‹«, sagte Levi.

Ich verlagerte mein Gewicht ein wenig und streckte mich. »Wenn Olivias Versicherung auf ihrem Laptop gespeichert war, bedeutet das wohl eher: Pech gehabt.«

»War sie nicht«, erwiderte Priya. »Ich habe alle Geräte durchsucht, auf die sie Zugriff hatte.« Wenn Priya mit ihren krassen Hackerfähigkeiten etwas nicht fand, existierte es digital nicht.

»Nach allem, was unsere Bibliothekarin Elke gehört hat, gibt es im Moment wohl tatsächlich einen Bücherwurm. Und wenn dem so ist, gibt es jemanden, der genug Interesse an diesen speziellen Fähigkeiten haben dürfte, dass er den Aufenthaltsort der Person kennt«, meinte Levi.

»Die Königin?«, hakte ich nach. »Frag sie doch selbst.«

»Das habe ich versucht. Sie hat geleugnet, etwas darüber zu wissen, aber Wissen ist Macht, oder? Du hast eine persönlichere Beziehung zu ihr, und vielleicht teilt sie Informationen mit dir, die sie mir nur ungern geben würde«, sagte er. »Geh dem nach. Treib mir einen Bücherwurm auf.« Er rieb sich mit einer Hand übers Gesicht, stockte dann jedoch, als hätte er damit eine Schwachstelle in seiner Rüstung offenbart.

Levi war verzweifelt. Das Provinzialparlament befand sich in der Sommerpause, doch das hielt die Reinheitsallianz nicht davon ab, an ihren Allianzen zu arbeiten. Schließlich ging das Gesetz im Herbst in die erste Lesung. Der Vorstoß zur Aushebelung der Nefesh-Selbstregierung ließ sich am besten aufhalten, indem man den Gesetzesentwurf kippte, bevor das Parlament wieder zusammenkam.

Ich kaute auf meiner Unterlippe. Wenn Levi nicht die Optionen ausgegangen wären, hätte er mich dann überhaupt mit an Bord geholt? Seit er mich abserviert hatte, hatte er mir keinen Fall mehr übertragen, wie stark war unsere berufliche Verbindung also eigentlich noch?

»Wir werden unser Bestes tun«, meinte Rafael. »Nicht wahr, Ashira?«

»Klar.« Auf diesem beknackten neuen Sofa tat mir der Hintern weh.

»Danke. Gibt es von eurer Seite noch etwas Neues?« Levi machte sich nicht mal die Mühe, mich dabei anzuschauen. Rafael war inzwischen zum Vermittler zwischen Team Jezebel und Levi geworden.

Mein Sekretär trank seinen Tee aus. »Ash hat ein weiteres potenzielles Mitglied der Zehn aufgedeckt.« In seiner Zusammenfassung über Deepa Anand erwähnte er nicht, wie ich darauf gestoßen war, doch Levis Blick sagte mir, dass er da so eine Vermutung hatte.

»Priya«, wandte sich Rafael an sie. »Könntest du sie überprüfen?« Er stimmte meiner Theorie zu, dass jeder der Zehn seine eigenen Fähigkeiten in die Organisation einbrachte. »Deepas Tod könnte vielleicht Hinweise auf andere Mitglieder zutage bringen.«

»Sicher.« Ihre Schultern sackten nach unten.

»Sag es ihnen, Priya«, drängte Arkady sie.

Ich lehnte mich über Rafael und tippte ihr aufs Knie. »Pri?«

Sie drehte die leere Tasse in den Händen. »Ich bin allein und habe gerade das Gefühl, zwischen dem House und Team Jezebel aufgerieben zu werden. Ich kann nicht alles auf einmal machen.«

Das hatte sie Arkady anvertraut, anstatt zu mir zu kommen? Meine Magie prickelte unter meiner Haut, doch der vorsichtige Blick, den Priya mir zuwarf, dämpfte meinen Ärger.

»Das solltest du auch nicht müssen«, erwiderte ich. Priya hatte jedes Recht, uns Grenzen zu setzen. »Levi, wir hatten einen Deal, und der bestand nicht darin, dass du ihre komplette Zeit für dich beanspruchst.« War das sein Plan? Mich zu untergraben, indem er alle meine Teammitglieder von mir abzog?

»Ich habe die verfügbaren Ressourcen nach Dringlichkeit eingesetzt«, entgegnete er. »Und der Gesetzesentwurf steht nun mal ganz oben auf der Liste.«

»Die digitale Spur ist kalt«, warf Miles ein. »Und Priya bis zum Burn-out zu überlasten, hilft auch niemandem. Schon gar nicht der Sicherheitsabteilung.«

Ich grinste, und Levis Gesichtsausdruck wurde noch verschlossener. Da biss ihn doch glatt das Pflichtgefühl seines eigenen Sicherheitschefs in den Hintern.

»Priya gehört ganz dir. Sind wir dann fertig?« Levi zog eine Augenbraue nach oben.

Rafael warf Priya einen Seitenblick zu, die ihm ein mattes Lächeln schenkte und nickte. »Ich denke schon«, sagte er. Er wusste noch nichts von Nicola und der bamah . Nachdem ich es Levi erzählt hatte, würde ich auch ihn informieren.

Ich hob die Hand. »Ich muss dich unter vier Augen sprechen.«

»Gib mir noch einen Moment mit Miles«, sagte Levi.

»Alles okay zwischen uns?«, fragte ich Priya.

»Du bist meine beste Freundin, aber ich sitze zwischen den Stühlen, wenn es um dich und Levi geht, und das ist echt anstrengend. Ich konnte keine Projekte von anderen Kunden annehmen, weil ich jeden Tag Überstunden mache. Das war so nicht ausgemacht, Ash. Ich glaube an deine Sache, aber ich muss auch an meine berufliche Zukunft denken. Und dafür brauche ich das House.«

»Sag nächstes Mal einfach was.« Priyas normalerweise strahlende Lebendigkeit war zu einem trüben Schein verblasst. Wenn ich so zurückdachte, kam sie in letzter Zeit immer spätabends heim und ging direkt ins Bett.

»Habe ich versucht«, erwiderte sie leise.

Arkady kam zu uns rüber. »Willst du mich weiterhin ignorieren, Pickle?«

Ich stand auf, damit ich nicht so sehr zu ihm aufsehen musste. »Erzählst du mir, was du bisher vor mir verheimlicht hast?«

»Es gibt da diese tolle Sache von wegen ›unschuldig, bis die Schuld erwiesen ist‹«, meinte er. »Hast du irgendwelche Beweise dafür, dass ich dich belogen habe, oder sitzt du so fest auf deinem hohen Selbstgerechtigkeitsross, dass du davon überzeugt bist, dass jeder dir was Böses will und ich nicht einfach nur deswegen neben euch eingezogen bin, weil ich eine Wohnung gebraucht habe?«

Ich verengte die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie bitte?«

Priya sprang auf und stellte sich zwischen uns. »Das reicht. Ich zwinge euch jetzt, euch damit auseinanderzusetzen. Morgen Abend werdet ihr das ein für alle Mal klären.«

Arkady und ich warfen ihr einen ähnlich beleidigten Blick zu.

»Schmollt, so viel ihr wollt, aber ich habe die Nase voll davon. Rafael?«

Er schaute von seinem Handy auf.

»Wir gehen morgen aus«, sagte Priya. »Komm mit. Mit Ash als einzigem Sozialkontakt musst du doch langsam durchdrehen.«

»Seiner Jezebel zu dienen, ist die größte Freude, die einem Sekretär zuteilwerden kann«, erwiderte ich.

»O Graus.« Er erschauderte. »Es wäre mir ein Vergnügen.«

Priya nickte und hakte Mrs Hudsons Leine an deren Halsband ein. »Ich durchforste mal Deepas Finanzen. Schauen wir, wohin das führt.«

Ich streckte die Hand nach der Leine aus. »Kann ich meinen Hund wiederhaben?«

»Nein.« Priya schenkte mir einen Augenaufschlag, um mir zu zeigen, dass zwischen uns alles wieder in Ordnung war, aber den Hund rückte sie trotzdem nicht raus.

»Kann ich dich um noch einen Gefallen bitten?«, fragte ich.

»Kommt drauf an.«

»Talia wird erpresst.« Ich beobachtete Arkadys Reaktion, aber er stieß nur einen leisen Pfiff aus, und seine Überraschung wirkte echt.

Priya schnappte nach Luft. »Was?«

»Ach du Schande«, sagte Rafael. »Wer würde so was tun?«

»Sie bekleidet eine wichtige Position in einer kontroversen politischen Partei«, meinte Arkady. »Hat das was mit dem Gesetzesentwurf zu tun?«

»Könnte sein«, sagte ich.

Nachdem ich Priya die Einzelheiten erzählt hatte, stimmte sie zu, das Handy meiner Mutter zu durchforsten und festzustellen, ob die erpresserische Nachricht, die unterdrückte Nummer oder das Video selbst Hinweise auf den Absender lieferten.

Miles kam zu uns rüber und drückte Arkadys Schulter. »Gehen wir.«

Die beiden verließen das Büro zusammen mit Priya und Mrs Hudson, während Rafael mir noch mitteilte, dass wir uns gleich in der Bibliothek des House treffen würden. Er wollte mit Elke darüber sprechen, wie man möglicherweise einen Bücherwurm aufspüren könnte. Dann schloss er die Tür hinter sich und ließ mich mit Levi allein.

»Wird das lange dauern?«, fragte der.

Du unerträglicher Mistkerl. »Deine Mutter will deinen Vater verlassen.« Ich klopfte mir die Hände ab. »Bitte sehr. Alles gesagt.«

Levi blieb der Mund offen stehen, dann runzelte er die Stirn. »Woher willst du das denn wissen?«

»Nicola hat sich mit der Bitte um Hilfe an die dafür geeignetste Person gewandt.«

Sein Gesichtsausdruck wurde immer eisiger, während ich das Gespräch mit seiner Mutter wiedergab. Er hätte seine Dienste für Partys zur Verfügung stellen und sich dort Bierflaschen ins Hemd stecken können. Was für eine tolle Möglichkeit, Eis zu sparen.

»Stell jemanden zu ihrer Überwachung ab, falls sie nicht in der Lage ist, so weiterzumachen wie bisher. Wenn Isaac Verdacht schöpft, muss sie da unverzüglich rausgeholt werden«, sagte ich. »Oh, und du bist ab sofort unser Mittelsmann.«

Levi holte sein Handy raus. »Dann erkläre ich ihr, dass du deine Meinung geändert hast.«

»Habe ich nicht.«

»Meine Mutter hat keine Ahnung, worauf sie sich bei dir einlässt. Im Gegensatz zu mir. Wenn du bei ihr nur verbrannte Erde hinterlässt …«

»Also habe ich bei dir nur verbrannte Erde hinterlassen?« Zum einen stimmte das so gar nicht, und zum anderen … War ich für ihn nach allem, was wir zusammen durchgemacht hatten, nur noch eine zerstörerische Kraft? Ich schlug mir eine Hand vor den Mund, um eine hasserfüllte Erwiderung zu unterdrücken. Oder einen schmerzerfüllten Laut.

Ich schnappte mir meine Handtasche und wandte mich zum Gehen. Ich brauchte Abstand.

Levi seufzte und legte das Handy auf seinen Schreibtisch. »Ich bitte dich, das zu lassen.«

Auf seinem Gesicht war keine Spur mehr von dem Mann zu sehen, mit dem ich so liebevolle Stunden verbracht und meine Geheimnisse geteilt hatte. »Deine ›Bitte‹ klingt mehr nach einem Befehl.«

In diesem Moment klopfte es an der Tür, und Veronica kam mit einigen Akten in der Hand herein. »Ich brauche hier noch Unterschriften.«

»Danke.« Levi lächelte ihr zu, als sie wieder ging. Es erreichte sogar seine Augen. Er wechselte so schnell zwischen Gefühlslagen … War das eine weitere Maske? Nahm er je die Masken ab?

Bei mir hat er das mal getan …

»Wenn du diese bamah findest, wird Isaac vermuten, dass Nicola ihn verraten hat, wenn auch vielleicht nicht sofort«, sagte Levi und beugte sich über seinen Schreibtisch, um die Dokumente zu unterzeichnen. »Du weißt ja noch nicht einmal sicher, ob es dabei um das Sefer geht.«

Den Anflug von Mitgefühl schob ich rigoros beiseite. »Natürlich geht es dabei um das Sefer. «

»Was, wenn meine Mom das gleiche Schicksal ereilt wie Adam?«

»Wir werden dafür sorgen, dass es nicht dazu kommt. Und wenn ich ihr nicht helfe, wird sie sich irgendwen anders suchen, der vielleicht nicht so vorsichtig ist wie ich. Du warst nicht dabei. Sie wird das durchziehen, und deswegen bin ich ihre beste und sicherste Option. Ihr wird nichts passieren , solange ich auf sie aufpasse.«

»Kannst du schwören, dass du ihr Vertrauen in dich über alles andere stellst?« Seine Worte klangen gewichtig, und er musterte mich grimmig.

Ging es hier noch um Nicola?

Levi klickte ein paarmal mit seinem Kugelschreiber, und dann war der Moment auch schon vorbei. »Ich werde Mom ihre Pläne ausreden und dir genug Fälle verschaffen, mit denen du dich beschäftigen kannst, während du nach dem Bücherwurm suchst.«

»Danke, oh gnädiger Großmächtiger, für dieses Almosen.« Ich griff nach einer Ausgabe der Zeitschrift Business Insider , betrachtete sie stirnrunzelnd und klatschte sie dann wieder auf den Couchtisch. Seit wann interessierte Levi sich für weltige Wirtschaftsthemen? Was für eine Maske war das nun wieder? Ich senkte die Stimme. »Hör zu, du weißt, dass das so nicht funktioniert. Ich bin eine Jezebel. Soll ich den Zweck meiner Existenz verleugnen?«

»Vor drei Monaten wusstest du nicht mal was von diesem Zweck. Wie viel von dem, was du gerade tust, dient tatsächlich einem höheren Ziel und wie viel deiner Rache wegen Adam?«

Ich erstarrte unter seiner giftigen Bemerkung, unfähig, die Wut zurückzudrängen, die mich bei seiner Verächtlichkeit durchflutete. »Vor zwei Monaten hattest du noch kein Problem damit, dass ich Rache für die Ermordung meines Vaters nehmen wollte. Du hast mir sogar versprochen, mir zu helfen, also wag es ja nicht, mir das jetzt vorzuwerfen.«

»Ich wollte nicht … verdammt.«

Ein seltsames Gefühl der Ruhe überkam mich. »Tja, hast du aber.«

Levi streckte eine Hand aus, und sein Ausdruck wurde flehend. »Sie ist meine Mutter. Würdest du das einfach so durchziehen, wenn Talias Leben auf dem Spiel stehen würde? Oder Adams?« Er zögerte. »Hättest du auch dann nicht aufgehört, wenn er dadurch sicher gewesen wäre?«

»Es gibt kein ›sicher‹ mehr. Nicht für deine Familie und auch nicht für meine. Dieser Zug ist vor mehr als fünfzehn Jahren abgefahren. Jetzt muss ich mich Tag für Tag vorwärtshangeln und dabei tun, was ich kann. Und du musst das auch, und den Kopf in den Sand zu stecken, wird daran nichts ändern. Was glaubst du denn, was passiert , wenn die Zehn Unsterblichkeit erlangen?«, fragte ich. »Wie sicher wird deine Mutter dann wohl noch sein? Wie sicher ist sie jetzt, wo sie jeden Tag in Angst vor diesem Monster lebt?« Ich schob mir meine Handtasche ein wenig höher auf die Schulter. »Willst du, dass Nicola ewig in der Ehe mit ihm gefangen ist? Isaac hat meinen Vater ermordet, weil der es gewagt hat, zu gehen. Nur wenn dieser Mann ein für alle Mal aus dem Verkehr gezogen wird, kann sie wirklich frei sein.«

Levi machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich kann ihr auch anders helfen.«

»Ach ja? Warum hast du das dann bisher nicht gemacht?«

Levi ließ den Stift fallen und wandte sich ab. Seine Mutter hatte ihn während seiner Kindheit so gut beschützt, wie sie konnte, und er hatte sich selbst das Versprechen gegeben, dass er ihr helfen würde, sobald er sich mächtig genug fühlte, um es mit seinem Vater aufzunehmen. Aber an diesen Punkt war Levi nie gekommen, und solange er zögerte, blieb Nicola bei Isaac.

Ich streckte eine Hand aus, um ihn zu berühren, ihn zu trösten, ließ sie dann jedoch wieder sinken. Ich war nicht mehr diejenige, von der er getröstet werden wollte, und ich hatte keine Ahnung, ob er überhaupt noch die Version von sich selbst war, die Trost annehmen würde. »Ich hätte nicht sagen sollen, dass sie in Angst lebt. Deine Mutter ist eine starke Frau. Sie hätte ihn verlassen können, nachdem du aus dem Haus warst, aber da war sie noch nicht so weit. Jetzt ist sie es.«

»Such bitte nicht nach dieser Kultstätte. Es ist zu gefährlich für sie, wenn sie in diese Sache verwickelt wird. Ich bitte dich, den Menschen den Vorzug vor deiner Mission zu geben.«

»Bei meiner Mission geht es doch genau darum: Menschen zu schützen. Alle Menschen. Vor einer Gruppe machthungriger Psychos.«

Er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Du weißt, was ich meine.«

»Ja, tue ich. Wo war deine tiefe Sorge um alle Menschen, als du mich verlassen hast?«

Darauf antwortete Levi nicht. War auch egal. Ich wollte sowieso nichts mehr von ihm hören.

»Nicola will es«, sagte ich. »Sie muss sich die Kontrolle über ihr Leben von Isaac zurückholen. Du solltest dir mal ein Beispiel an ihr nehmen.« Ich schleuderte ihm meine Worte wie Darts entgegen und genoss sein Zusammenzucken. »Sorg für die Sicherheit deiner Mutter, und komm mir nicht in die Quere.«