Ich muss in meinem früheren Leben was richtig gemacht haben, denn das Karma dankte es mir in großem Stil. Also besser, als ich es mir je hätte erhoffen können. Ich dachte, dass meine Chance mit Ash in der Minute verloren war, als ich vor einem Jahr seine Wohnung verlassen hatte. Auch bekannt als das letzte Mal, als ich mich wie ich selbst gefühlt hatte. Seitdem fühlte ich mich… falsch. Verloren. Unvollkommen.
Es war kein augenblicklicher Verlust. Eigentlich war es ein langsames Heranschleichen der Unzufriedenheit. Ich dachte, ich sei nur aufgeregt, wieder nach Hause zu kommen. Dann schob ich es auf die Aufregung, dass ich an eine neue Uni ging. Aber als die Wochen zu Monaten wurden, hatte ich immer mehr das Gefühl, dass etwas fehlte. Ich dachte nie, dass ich mich wieder normal fühlen würde.
Aber das tat ich.
In der Sekunde, in der Ash diesen Raum betreten hatte, fühlte sich alles auf der Welt richtig an. Die Erinnerung an unsere gemeinsame Nacht schoss mir in den Kopf und ich wollte ihn in meine Arme ziehen und ihn festhalten. So fest, dass ich an seinem Duft schnuppern und seinen Mund schmecken konnte. Ich fühlte mich plötzlich wieder in die Zeit zurückversetzt, als sei nicht ein ganzes Jahr vergangen.
Wären wir nicht in der Öffentlichkeit gewesen, hätte ich ihm die Klamotten vom Leib gerissen und meinen Knoten so tief in ihn vergraben, dass wir immer noch miteinander verbunden wären. Aber er widerstand. Etwas war ihm definitiv unangenehm. Er war für meine Annäherungsversuche nicht so empfänglich, wie ich es erwartet hätte. Er schien fast paranoid. Er versuchte, mir irgendeinen Scheiß über unseren Status als Professor und Student zu erzählen und dass das das Problem sei, aber ich wusste, dass es nicht der wahre Grund war. Etwas anderes machte ihn nervös und versetzte ihn in Aufregung.
Eigentlich, je mehr ich die Situation analysierte, desto nervöser wurde ich. Was immer er mir zu sagen hatte, es war schlimm. Also so wirklich schlimm. Ich wusste, dass er nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, denn er wurde soeben von der Uni eingestellt. Und es schien auch, als sei mit ihm alles in Ordnung. Er kam mir nicht krank oder auf irgendeine Weise behindert vor. Also ließ das Raum für nur eine mögliche Schlussfolgerung.
Ash hatte bereits einen Alpha gefunden, und das war nicht ich.
Das war der einzige Grund, wieso er mir widerstanden hatte, obwohl ich nicht einmal die Omega-Wissenschaften belegte. Er muss kurz nachdem wir zusammen waren jemand neuen kennengelernt haben und war jetzt nicht mehr zu haben. Vom bloßen Gedanken daran, dass Ash einen anderen als geprägten Gefährten erwählt hatte, wütete mein Magen und meine Brust schmerzte.
Jemand anderes hatte sich genommen, was mir gehörte. Was hätte mir gehören sollten. Nicht was, sondern wer. Ash hätte mir gehören sollen, aber ich war ein Idiot und bin gegangen. Ich hatte eine Chance und hatte sie vermasselt, und jetzt plant er wahrscheinlich, seinen Alpha auf mich zu hetzen, um mich von sich fernzuhalten.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten und drückte sie an meine Stirn, versuchte mir vorzustellen, was ich getan hatte, um das Karma in diesem Ausmaß anzupissen. „Scheiße!“
„Was ist denn dein Problem?“ Die Stimme meines Bruders hallte durch den Flur, als er meine Wohnung betrat. Ich musste wirklich das Schloss austauschen. Nur, weil diese Wohnung vor mir seinem Gefährten gehört hatte, bedeutete das nicht, dass er immer noch das Recht hatte, zu kommen und zu gehen, wie es ihm gerade passte.
Ich öffnete meine Augen lang genug, um sicher zu sein, dass er alleine war, ehe ich weiter im Selbstmitleid schwelgte. „Schon mal was von Klopfen gehört?“
„Ich habe geklopft.“ Er kickte seitlich meinen Fuß an, als er an mir vorbeiging und dann auf die Couch neben mich plumpste. „Du warst viel zu sehr in deinen Gedanken und hast mich nicht gehört.“
Naja, das war möglich. Der Raum war dunkel, obwohl die Sonne immer noch hell geschienen hatte, als ich mich um sechs hingesetzt hatte. „Wie spät ist es?“
„Kurz nach acht.“ Killian schmiss sein Handy auf den Kaffeetisch und stupste dann mein Knie mit seinem an. „Also, wer hat dir denn auf deine MANties gespritzt?“
„Was?“ Ich entspannte meine Fäuste, rieb meine Handflächen über meine Oberschenkel, um mich zu beruhigen. „Was sind MANties?“
„Insiderscherz. Du kannst Marcus danach fragen, wenn du ihn das nächste Mal siehst.“ Killian lachte und winkte meine Frage ab. „Aber, was ist denn los mit dir?“
Ich dachte darüber nach, ob ich mich meinem Bruder gegenüber öffnen sollte oder nicht. Er war ein starker Alpha und hatte einen wunderschönen Omega zum Partner. Vielleicht könnte er mir dabei helfen, einige dieser verrückten Ideen in meinem Kopf auszusortieren. „Weißt du etwas über Professor Crawford?“
Killian runzelte seine Stirn, als würde er versuchen, den Namen zuzuordnen. „Von den Omega-Wissenschaften?“
„Genau den.“ Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn an, wollte jedes Wort, das er über Ash sagte, in mir aufnehmen. „Was weißt du?“
„Nicht viel.“ Er lehnte sich mit in seinem Nacken verschränkten Händen zurück. „Er ist erst dieses Jahr gekommen. Ich glaube, dass er und seine Frau im Omega House untergekommen sind, aber ich habe zufällig mitbekommen, dass er auf eine Familienherberge auf dem Campus wartet.“
„Seine Frau?“ Meine Haut fühlte sich viel zu angespannt an, als würde mein Inneres jeden Moment explodieren. Ash war verheiratet… mit einer Frau. „Eine Omega?“
„Wie zum Teufel soll ich denn das wissen?“ Killian schüttelte seinen Kopf über meine Frage. „Wir sind ja nicht Kumpel oder so. Ich habe nur gehört, wie er Leuten erzählt hat, dass er sich nach Hause zum Abendessen beeilen muss und so ein Scheiß. So eilig, wie er es hatte, zu ihr
nach Hause zu kommen, schätze ich, ist sie eine Alpha, die ihn ziemlich fest um den kleinen Finger gewickelt hat.“
Ich konnte keine Worte formen. Ich konnte keine Gedanken formen. Alles war gut und richtig und wunderschön gewesen… etwa fünf Minuten lang. Und dann stürzte alles auf mich ein. Die perfekte Fantasie, die in meinem Kopf herumgeschwirrt war, davon, dass ich Ashs Herz im Sturm erobern und ihn für mich beanspruchen würde, würde nie wahr werden. Eine Frau war gekommen und hatte sich meinen Ash gekrallt, ehe ich meine Chance hatte. Natürlich stimmte das nicht ganz. Ich habe meine Chance bei ihm gehabt, aber ich habe sie vermasselt. Ich hatte dem einen Menschen den Rücken gekehrt, der mir seit dem Moment, in dem ich ihn gesehen hatte, nicht mehr aus dem Kopf gegangen war, und jemand, der viel intelligenter war als ich, kam dazwischen und krallte ihn sich.
„Ich muss weg.“ Ich stand auf und tätschelte meinen Geldbeutel, um sicherzustellen, dass ich meine Schlüssel dabei hatte. „Du findest selber raus?“
„Wo zum Teufel willst du denn jetzt hin?“ Killian folgte mir durch die Tür. „Ich dachte, du wolltest mir helfen, die Trockenbauwand zu reparieren, wo Whispers Biotop war…“
„Tut mir leid, Mann.“ Ich umarmte schnell meinen Bruder und ging den Flur entlang. „Ein anderes Mal.“
Ich parkte fast
eine ganze Stunde draußen vor dem Omega House, versuchte, den Mut aufzubringen, reinzugehen, und Ash zu finden. Ich wollte verlangen, dass er mir ins Gesicht sagte, dass das, was ich gefühlt hatte, nicht echt war, und dass er mit jemand anderem glücklich war. Eigentlich wollte ich, dass er mir sagte, dass es ihm ohne mich elend ging und dass er alles tun würde, um mit mir zusammen zu sein. Ich hätte mir fast eingeredet, dass das genau das war, was passieren würde, wenn ich dieses Gebäude betrat und mir meinen Mann holte. Aber das war bevor eine wunderschöne Frau mit langen, roten Haaren und einem hochschwangeren Bauch aus einem Bus vor dem Omega House stieg und begann, in Richtung Tür zu wackeln. Mein Alphainstinkt trieb mich dazu, den Türknauf greifen zu wollen, um ihr reinzuhelfen, als sich mein schlimmster Alptraum vor meinen Augen enthüllte.
Als hätte er gewusst, dass jemand auf ihn wartete, kam Ash durch die Tür und rannte an die Seite der Frau. Ich wollte kotzen, als er seinen Arm um sie legte und sie an sich heranzog und sie über die Schwelle trug, als wäre es ihre Hochzeitsnacht.
Er war tatsächlich mit einer Frau verheiratet. Einer schwangeren Frau. Einer Frau, an die er wegen des gemeinsamen Kindes bis ans Ende seines Lebens gebunden sein würde.
Ich erinnere mich nicht an die Rückfahrt, aber ich war irgendwie nach Hause gekommen. Ich bin in meinen Klamotten ins Bett gestiegen und habe meinen Kopf unters Kissen vergraben, wünschte mir, dass der Alptraum, dem ich soeben beigewohnt hatte, endlich vorbei wäre und ich weitermachen könnte.
Meine Gedanken rasten und mein Herz zerbrach mit jeder elenden Sekunde in immer kleinere Stücke. Und während der nächsten achtundvierzig Stunden verließ ich mein Bett nur, um aufs Klo zu gehen oder mir eine Flasche Wasser zu holen, damit ich mir noch ein paar Tylenol-Tabletten reinschmeißen konnte. Ich musste bloß den Schmerz und die Erinnerungen ausschlafen. Ich hatte meine Vorlesungen am Freitag verpasst, aber es war mir egal. Und ich hatte mein Treffen um vier Uhr mit Ash verschlafen.
Aber dafür war er wahrscheinlich dankbar. Ich wusste bereits, was er mir sagen wollte, und ich konnte es nicht aushalten, ihn mit seiner schwangeren Frau zu sehen und wie er sie mit seinem liebevollen Blick ansah, von dem ich gehofft und geträumt hatte, dass er eines Tages mir gelten würde.
Nein, es war besser so.
Ash hatte eine Familie und ich konnte das respektieren. Ich war mir nicht sicher, wie ich mich jemals wieder dem stellen könnte, ihn zu sehen, ohne kotzen zu müssen oder ihn anzubetteln, sie zu verlassen, aber die Grenze würde ich erst dann überschreiten, wenn es soweit war.
Und wenn ich Glück hatte, würde das Karma sich vielleicht damit zufriedengeben, dass es komplett und total mein Leben zerstört hatte und mich verdammt noch Mal für eine Weile in Ruhe ließ, damit ich dem Leben nachtrauern konnte, das ich nie haben würde.
Dem Omega, den ich nie wieder berühren würde.
Und dem Kind, das niemals meins sein würde.