Sechs
Coop
„Coop!“ Killian und Jax standen in meinem Schlafzimmer, bevor ich komplett aufgewacht war. „Geht’s dir gut?“
Ich öffnete vorsichtig ein Auge und zuckte vor dem hellen Licht zusammen, das durchs Fenster kam. „Ich hatte geschlafen, falls euch das nicht aufgefallen ist.“
„Alter, ist hier drin etwas gestorben?“ Killian ging direkt aufs Fenster zu und öffnete es ganz weit. „Es riecht nach Arsch und Tod.“
Der Tod meiner Träume. „Mir geht es in den letzten paar Tagen nicht gut.“
Jax setzte sich ans Bettende und ich musste rutschen, damit er nicht auf meinen Beinen saß. „Ist dein Handy tot? Ich habe seit gestern Nacht versucht, dich zu erreichen.“
„Letzte Nacht?“ Ich griff nach meinem Handy, um nach der Zeit zu sehen, und erinnerte mich dann, dass ich es nach der ersten Nachricht, die ich vom Ash bekommen hatte, ausgeschaltet hatte. Er kam mir nicht wie jemand vor, der fremdgehen würde, also waren seine Nachrichten wohl freundschaftlich gemeint, aber ich konnte nicht mit ihm befreundet sein. Wir brauchten einen sauberen und permanenten Schlussstrich, wenn ich vorhatte zu überleben. „Tut mir leid, ich habe den Spieleabend vergessen.“
Killian lehnte sich ans Fenster und schaute immer noch auf mich herab. „Was ist passiert? Du hast keine Grippe, also spuck es aus.“
Ich setzte mich im Bett auf und starrte auf meine Finger, wich dem Blickkontakt mit den beiden Menschen aus, die die meisten meiner Geheimnisse kannten. „Ich hatte mich in jemanden verguckt, der nicht auf mich stand. Und ich bin jetzt deprimiert. Keine große Sache. Ich brauchte nur ein paar Tage, um mich selbst zu bemitleiden, aber jetzt geht’s mir gut. Ich lasse mein Handy jetzt eingeschaltet, versprochen.“
Killian machte ein paar Schritte nach vorn, sodass er mit seinen Händen an den Hüften neben mir stand. „Du sprichst aber nicht von Professor Crawford, oder?“
Ich wollte es leugnen und so tun, als wüsste ich nicht, wovon er sprach. Aber ich konnte es nicht. Es fühlte sich etwas so ganz falsch daran an, die kurze, aber sehr echte Verbindung zu leugnen, die ich zu Professor Crawford gespürt hatte. Also sagte ich nichts. Und das sagte alles.
„Professor Crawford?“, unterbrach Jax. „Das ist der Professor, mit dem du gestern geredet hattest, nicht? Der heiße, ältere Typ?“
„Der heiße und vergebene ältere Typ“, stellte ich mit einem Knurren richtig. „Ich habe ihn und seine schwangere Partnerin zusammen gesehen.“
Mein Bruder schüttelte nur seinen Kopf, wusste aus erster Hand, dass, wenn Ash eine Partnerin hatte, ich null Chancen bei ihm hatte. „Tut mir leid, Mann.“
„Ist in Ordnung.“ Ich schwang meine Beine über den Bettrand und stand auf, bereute gleich meine Entscheidung, meine Arme über meinen Kopf zu heben, um mich zu strecken. „Aber verdammt, ich brauche eine Dusche.“
Ich versuchte, jedes Mal mein Handy zu ignorieren, wenn es piepste. Ich räumte die Wohnung auf, erledigte verschiedene Projekte, die ich vor mir hergeschoben hatte, und flickte endlich die Löcher in der Trockenbauwand, wie ich es Killian schon vor Monaten versprochen hatte. Als Marcus aus der Wohnung gezogen war, die ich untervermietete, und seine riesige Schlange mitgenommen hatte, hatte er auch das beeindruckende, an der Wand montierte Biotop mitgenommen. Ich war mehr als glücklich, dass es weg war, aber ich konnte das Zimmer nicht zu Ende dekorieren, ehe die Wände repariert waren. Also hielten mich mein Bruder und Jax mit einem Projekt nach dem anderen übers Wochenende beschäftigt und lenkten mich von meinem Omega-Kummer ab.
Es war ein tapferes Unterfangen. Herkulisch sogar. Aber, egal wie sehr ich versuchte, diese blauen Augen und das schüchterne Lächeln aus meinem Kopf fernzuhalten, es war einfach nicht möglich. Ich dachte immer wieder daran, wie sich Ashs Lippen an meinen angefühlt hatten, als ich meine auf sie gedrückt hatte. Wie warm und nass seine Zunge war, als sie sich mit meiner verflochten hatte. Daran, wie sein Duft mich lockte, und wie sich nur ein subtiler Hauch von meinem mit seinem vermischte. Es war, als wäre ich irgendwie ein Teil von ihm. Wenn wir in jüngerer Zeit miteinander zusammen gewesen wären, hätte ich mich gefragt, ob er wohl schwanger war. Aber das war nicht möglich. Es war über ein Jahr her, seit ich ihn in meinen Armen gehalten hatte, während mein Knoten ihn an meinen Körper gepresst hatte.
Aber die Vorstellung von Ashs Bauch, der von meinem wachsenden Baby in ihm geschwollen war, erinnerte mich an die grobe Realität, die mein Leben war. Ash erwartete zwar ein Baby, aber es war nicht in ihm und es war nicht meins. Mein Magen fühlte sich an, als müsste er seinen Inhalt erbrechen, aber ich schaffte es, mich zusammenzureißen, bis Jax und Killian endlich gingen. Ich musste Jax versprechen, mich nicht in ein Loch zu verkriechen und nicht mehr wie ein kleines Mädchen zu weinen. Das war eine einfache Lüge. Er war noch nie in einer ernsthaften Beziehung mit jemandem, an dem ihm aufrichtig was lag. Ich auch nicht, aber ich hatte das Gefühl, als wüsste ich, wie es war. Killian war schlauer und ließ mich keine derartigen Versprechen machen. Sein wissender Blick und die feste Umarmung übermittelten mehr, als es Worte hätten tun können. Er war da für mich, wenn ich ihn brauchte, aber er gab mir Zeit, über meinen Verlust dessen zu trauern, was niemals sein würde.
Nachdem ich mich eine Stunde lang in meinem Bett hin und her gewälzt hatte, griff ich schließlich nach meinem Handy. Ich war bereit, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen und weiterzumachen. Außerdem konnte ich Ashs Nachrichten nicht für immer ignorieren. Seine Nachrichten waren zuerst süß und wurden dann besorgt, als ich nicht aufgetaucht war… und am Ende waren sie verletzt. Und ich hasste es verdammt noch mal, ihn zu verletzen.
Ich mag ihn zuerst geküsst haben, aber er hatte mich nicht gleich aufgehalten. Er hatte meinen Kuss erwidert. Mit Leidenschaft. Wieso hatte er das getan? Wenn er glücklich vergeben war, sollte er nicht in meiner Nähe sein wollen. Fuck!
Er hätte es mir einfach sagen sollen, als wir da in dem Flur gestanden hatten. Ich hätte mich sofort zurückgezogen. Ich wäre nicht glücklich drüber gewesen, aber ich hätte mir keine Hoffnungen gemacht, dass sich etwas zwischen uns aufbauen könnte. Ich hätte nicht die Fantasie gehabt, dass die Änderung seines Dufts von etwas mehr kam als nur von einem schnellen Strich über meine Brust. Dass ich mich genauso tief in ihn gegraben hatte wie er sich in mich. Nach nur einer Nacht.
Ich war dumm. Es ist nur eine Nacht gewesen. Es war zwar eine wunderschöne, magische, perfekte Nacht. Aber das war’s auch schon. Er hatte weitergemacht und das musste ich auch. Vielleicht dachte er, er könnte mit mir befreundet sein, aber ich konnte nicht mit ihm befreundet sein. Jetzt, da sich so eine lebhafte Fantasie in meinem Kopf aufgebaut hatte, darüber, wie unsere Leben aussehen könnten, wenn wir zusammen wären. Von der Familie, die wir eines Tages großziehen würden.
Ich starrte lange seine letzte Nachricht an. Zu lange. Lange genug, dass ich meinen Entschluss fast in den Wind geschossen hätte. Aber nicht ganz.
Coop, ich hoffe, dir geht es gut. Und ich hoffe, ich habe nichts gemacht, um dich zu verärgern.
Wieso schien er so traurig darüber zu sein, dass er mich nicht gesehen hatte? Er hatte sein eigenes Leben und ich war nicht nach Gelegenheitssex mit einem vergebenen Omega auf der Suche. Ich wollte, dass er mir gehörte. Zu einhundert Prozent. Und wenn ich das nicht haben konnte, dann wollte ich nichts haben. Es wäre zu hart.
Ich musste einen sauberen Schlussstrich ziehen. Ich musste alle Bande mit dem einzigen Omega zerschneiden, der jemals mit einem unerschütterlichen Griff meine Seele gekrallt hatte. Ich durfte Ash nie wiedersehen. Ich würde eine letzte Nachricht schicken und dann seine Nummer auf meinem Handy blockieren. Es war die einzige Möglichkeit, die ich hatte, um diesen Schmerz zu überleben.
Hey, Ash. Ich habe dich mit ihr gesehen. Sie ist wunderschön und ihr scheint sehr glücklich zu sein… aber ich kann das nicht. Pass auf deine Familie auf… aber ruf mich bitte nicht wieder an.