Neun
Ash
Ich wachte auf, Sylvia war an mich geschmiegt und verlangte nach ihrem Frühstück. Der Plan, ihr ein Bettchen zu machen, war einer, den wir ohne sie gemacht hatten, und sie war innerhalb von fünf Minuten zwischen uns eingenistet. Ich war noch nie dafür, zusammen im Bett zu schlafen, hatte immer Angst, sie würde vom Bett fallen oder ich würde sie ersticken, aber irgendwie hatte sich die vergangene Nacht einfach so komplett perfekt angefühlt, so, wie sie zwischen ihrem Vater und mir eingenistet war.
Die Dinge waren aber nicht perfekt. Sogar das komplette Gegenteil. Ich war immer noch ein Professor, nur, dass er jetzt ein Student in der Einrichtung war, die mich beschäftigte. Ich musste so bald wie möglich eine neue Stelle finden, denn ich würde Coop nie im Leben wegen eines Jobs verlieren. Aber ich musste immer noch arbeiten, wegen des reizenden Teils des Lebens, der sich Rechnungen nannte.
Als Coop mich gefragt hatte, ob ich bei ihm einziehen möchte, schrie ein Teil von mir, langsamer zu machen und verantwortungsvoll zu sein. Natürlich sprang der andere Teil von mir ihm praktisch um den Hals, brauchte seinen Duft, seine Berührung, seinen Knoten mehr als alles andere. Aber jetzt, wo fast das Morgenlicht dämmerte, musste ich pragmatischer sein.
Ich führte Sylvia an meine Brust, hoffte, mir ein paar zusätzliche Minuten im Bett zu erkaufen, ehe ihre Windel gewechselt werden musste und wir uns alle der Realität stellen mussten.
„Wacht sie immer so auf und will gleich Frühstück?“, fragte Coop, sein Blick haftete an unserer Tochter.
„Normalerweise schon. Sie haben im Grunde drei Aktivitäten: essen, schlafen und Kaka machen. Obwohl sie so langsam aus dieser Phase herauswächst und es jetzt viel mehr Kichern, Greifen und Aufmerksamkeit zu dem Ganzen gibt.“
„Wenn sie also aufwacht kann ich nicht übernehmen und helfen?“, fragte er und hörte sich ernüchtert an. Seine Sorge war so reizend, dass mein Herz flatterte. „Der Partner meines Bruders meinte, dass Killian den nächtlichen Dienst übernehmen zu lassen, das Beste war, was er jemals gemacht hat.“
„Wenn das etwas ist, was du machen möchtest, dann kann ich dir bestimmt eine zusätzliche Flasche für sie abpumpen. Ich pumpe meine Milch sowieso für die Krippe ab.“ Es war scheiße, dass ich sie nicht den ganzen Tag über füttern konnte, aber für den Moment war das das beste Szenario. Wenn die Einrichtung in der Uni einen Platz für sie haben würde, würde ich zwischen den Vorlesungen vorbeikommen und sie füttern können. Nur wäre das erst nach diesem Semester möglich und es sah nicht so aus, als würde ich so lange da bleiben.
„Das würde ich gern.“ Seine Hand lag auf Sylvias Rücken. Von all den Szenarien, die ich mir im Kopf ausgemalt hatte, falls ich Coop jemals wieder begegnen sollte, war es mir nie in den Sinn gekommen, dass er unsere Tochter gleich liebgewinnen würde. Wahrscheinlich weil ich zu große Angst vor seiner Reaktion hatte. Ich wusste tief in meinem Inneren, dass er Verantwortung übernehmen und nicht wie einer von diesen pflichtvergessenen Alphas sein würde, die ihre Kinder entweder verleugneten oder sich einfach nicht um sie kümmerten. Es war etwas an ihm dran, dass das nicht zulassen würde. Abgesehen davon hatte ich keine Ahnung.
„Ich kann dann daran arbeiten.“
Seine Hand bewegte sich von Sylvia weg, ehe sie ihren Weg zu meiner Hüfte fand. „Ich habe… über so ziemlich alles nachgedacht, nachdem du gestern eingeschlafen bist. Ihr beide.“
Sylvia wurde launisch, ein Anzeichen dafür, dass sie die Seite wechseln wollte, was ich auch tat, während ich darauf wartete, dass Coop weitersprach. Was immer er sagen wollte, war ihm wichtig, wenn man danach urteilen könnte, wie konzentriert er war. Das Mindeste, was ich tun konnte, war zuzuhören.
„Also, diese Bude… naja, sie ist nicht die allerbeste. Das weiß ich. Aber sie ist alles, was ich im Moment habe und ich möchte sie teilen. Killian wird mir dabei helfen, sie besser herzurichten. Aber wenn du Ja sagst und zustimmst, unsere Familie zu einer echten Familie zu machen, die zusammen lebt und zusammen wächst, dann verspreche ich dir, dass das nur vorübergehend ist. Ich habe ein ausstehendes Jobangebot von meinen Praktika mit einem Gehalt, das uns locker versorgen könnte, mit Zuschüssen. Und wenn du nicht mehr dahin zurück willst, dann bin ich mir sicher, dass ich dank der Erfahrung, die ich bei denen gesammelt habe, ähnliche Angebote bekommen könnte.“
Er redete wie ein Wasserfall und ich ließ ihn einfach alles aus sich rauslassen. Im Gegensatz zu mir, der wie ein Stein geschlafen hatte, sah es so aus, als wäre Coop viel zu lange wachgelegen und hätte viel zu sehr nachgedacht. Und während es an seiner Logik ein paar Ungereimtheiten gab, machte sie auch genauso viel Sinn.
„Mir ist noch immer nicht vollkommen bewusst, dass du ein Student bist und was das für uns bedeuten wird.“ Ich wusste, was ich wollte, und das war „Scheiß drauf“ zu sagen, Coop gehört zu mir und er ist der Vater meines Babys, und jeder, dem das nicht gefiel, könnte sich zum Teufel scheren, aber so funktionierte das Leben nicht.
Meine letzte Stelle endete mit der Vertraulichkeitsklausel. Ich bezweifelte, dass dasselbe an einer öffentlichen Einrichtung passieren würde. Ihnen würde sowieso nichts daran liegen, Geheimnisse unter den Teppich zu kehren. Es bestand auch eine Möglichkeit, dass ihnen meine Beziehung egal sein würde, oder was das auch immer am Ende sein würde. Technisch betrachtet hatten wir unser Baby bekommen, ehe ich an der Uni, zu der er ging, eingestellt wurde, aber das bedeutete nicht, dass man die Situation gerne sehen würde.
„Student im dritten Semester“, sagte er, bevor er sich hinsetzte. „Und das bedeutet, dass wir anders planen müssen. Nichts weiter.“
Trotz seines Alters war er so sehr der Alpha, die so viele Alphas in meinem Alter gerne wären. Er setzte die Familie an die erste Stelle, obwohl es eine Familie war, von der er eben erst erfahren hatte. Und was tat ich? Verletzte ihn mit meinen wenig durchdachten Worten.
„Dem stimme ich zu.“ Ich zog mich hoch, Sylvia streckte sich zwischen uns aus, halb benommen von der Milch.
„Das tust du?“
Ich nickte und legte meine Hand auf seinen Oberschenkel.
„Ich hatte Angst, dass…“
„Schau mich an.“ Ich wartete, bis er meinen Blick traf. Das war wichtig. „Als ich sagte, es sei ein Problem, dass du Student bist, meinte ich, dass wir uns gemeinsam da durcharbeiten müssen, weil die Gesellschaft nun mal das ist, was sie ist, und nicht, dass es für mich persönlich ein Problem sei. Du musst das verstehen – du musst es glauben.“ Mehr als alles andere wollte ich mich rüber lehnen und ihn küssen, bis er schwor, es verstanden zu haben, aber dafür war später noch genug Zeit.
„Das tue ich. Es ist nur… es bringt mich um, nicht der Alpha sein zu können, den du brauchst. Meine Instinkte sagen mir, dass ich mich um euch beide kümmern muss, euch beide versorgen. Verdammt, meine Erziehung sagt mir dasselbe, und doch kann ich es nicht. Ich bekomme kaum das Geld für die Miete zusammen, weil das Geld, dass ich im Sommer verdient habe, für die Schulkosten draufgegangen ist.“
Sein Geständnis zu hören tat mir in der Seele weh. Er dachte, er reiche nicht aus, wegen derselben blöden gesellschaftlichen Standards, die mir eintrichterten, dass ich nichts wert und irgendwie eine Schande sei, weil ich schwanger und alleinstehend war. Na, wenn sich da mal nicht zwei getroffen hatten.
„Und doch verdiene ich genug.“ Ich hasste es, es dermaßen zu betonen, wenn doch sein Einkommen ihm offensichtlich so große Sorgen bereitete, aber er musste es wissen. „Ich habe was gespart.“
Sein Kinn fiel runter und er starrte unsere Tochter an, während er mit ihren Händen spielte, beobachtete sie, als wären sie das faszinierendste Wunder auf dem Planeten. Für sie waren sie das wahrscheinlich auch. Sie war so verdammt süß.
„Aber ich sollte euch versorgen.“ Er sprach zu mir, aber mit einer trällernden Stimme für Sylvia, während er ihren kleinen Fuß hielt.
„Was unterrichte ich?“, fragte ich, zerrte ihn aus seinen Gedanken. Sein Blick schoss zu mir, als sei ich verrückt, oder schlimmer noch, als würde ich ihm einen unangekündigten Test geben.
„Omega-Wissenschaften.“
„Genau. Und was denkst du, verrät das darüber, wie ich zu den Rollen stehe, die ein Omega einnehmen sollte oder nicht?“ Es verriet, dass ich die Alpha-Omega-Hierarchie in unserer Gesellschaft für Hühnerkacke hielt, aber ich wollte wissen, was er meinte, dass es bedeutete.
„Oh, schau mal. Sylvia braucht eine neue Windel.“ Er nahm sein Kissen und legte es an ihre andere Seite. Ich nahm an, er wollte verhindern, dass sie fiel, ehe er aufstand und über seine Schulter sagte: „Ich kümmere mich darum.“
Ehe ich antworten konnte, war er aus dem Zimmer verschwunden.
Er kam mit einem Handtuch, einer Windel und feuchten Tüchern in der Hand zurück. Er breitete das Handtuch auf dem Bett aus, wechselte schnell ihre Windel und machte dabei mit dem Mund Pupsgeräusche auf ihrem Bauch.
„Du bist gut darin.“
„Ich bin ein Onkel. Ich habe schon etwas Übung.“ Er strahlte bei dem Wort „Onkel“. Ich wusste, dass Killian einen schwangeren Omega und ein Kind zu Hause hatte, weil er das in den Vorlesungen gesagt hatte, aber jetzt waren sie irgendwie mehr als das. Sie waren Onkel und Cousins meiner süßen Babytochter.
„Wie viele Nichten und Neffen hast du?“ Ich zuckte zusammen, weil ich nicht einmal wusste, wie viele Geschwister Coop überhaupt hatte. Es fühlte sich manchmal irgendwie an, als würde ich ihn schon seit Ewigkeiten kennen, und dann wieder war es mehr als klar, dass ich ihn überhaupt nicht kannte.
„Nur Ez. Ähm, Ezekiel Everest Daye. Er ist über ein Jahr alt, und Marcus, mein Schwager, ist wieder schwanger. Ihm ist es nur wichtig, Babys zu bekommen.“ Coop kitzelte Sylvia, als er „Babys“ sagte und mein Herz rutschte mir in die Knie. Wenn Coop viele Babys haben wollte, wusste ich, dass ich nicht der Omega für ihn war – sosehr es auch wehtat, das zuzugeben.
„Su solltest wissen, dass Sylvia wahrscheinlich das einzige Kind für uns bleiben wird. Ich bin kein junges Küken. Fortgeschrittenes Vateralter war meine blöde Diagnose. Es ist schon ein Wunder, dass ich überhaupt erst schwanger geworden bin.“ Und da war auch noch der üble Notkaiserschnitt, den ich erst später erwähnen würde. Manche Geschichten konnten warten, und er hatte dank der Haare, die ihn bedeckten, den Schnitt nicht bemerkt.
„Sylvia ist perfekt und wenn sie die einzige Prinzessin ist, die uns geschenkt wird, dann bin ich glücklich.“ Coop nahm sie, kuschelte sie eng an sich heran und tippte ihre Nase an. „Sie ist vollkommen perfekt.“ Er legte sie wieder hin, als sein Gesichtsausdruck ernst wurde. „Bist du deswegen nicht ausgerastet, als ich dich gestern Nacht ohne Kondom geknotet habe? Denn, wenn ich im Nachhinein darüber nachdenke, hätten wir das besprechen sollen.“
Um ehrlich zu sein hatte ich keinen blassen Schimmer, wieso ich es zugelassen hatte, dass er mich ohne Kondom knotete. Zu dem Zeitpunkt war es mir in den Sinn gekommen, Kondome zu erwähnen, aber etwas Größeres hatte die Macht übernommen.
Verlangen.
„Im Nachhinein ja, wir hätten es besprechen sollen, aber ich würde es nicht anders machen. Ich musste dich spüren – ganz. Es war egoistisch, wenn man bedenkt, dass wir nicht die Unterhaltungen hatten, die wir hätten haben müssen, aber ich würde es nicht rückgängig machen.“
Ich hielt meinen Atem an, wartete darauf, dass Coop antwortete. Seine Antwort kam in Sekundenschnelle und nicht erst nach Stunden, wie es sich angefühlt hatte. Kondome waren keine Kleinigkeit.
„Ich auch nicht.“ Er lächelte, war beschämt. „Mit dem Verlangen, meine ich.“
„Du warst mein erster Knoten“, rutschte mir aus, ehe ich darüber nachdenken konnte, wie diese Worte die Dinge verändern könnten. Ein erster Knoten zu sein, vor allem, wenn man über vierzig war, war eine große Sache. Es bedeutete, dass ich auf etwas gewartet hatte. Und um ehrlich zu sein hatte ich das auch. Ich hatte es zu dem Zeitpunkt nur nicht gewusst.
„Du warst eine Jungfrau?“, fragte er, verstand nicht, was ich meinte.
„Wohl kaum, aber du warst mein erster Alpha.“
Sein Blick verdunkelte sich. Oh, ihm gefiel meine Wortwahl nicht. Guter Mann.
„Der einzige?“ Er knurrte die Frage, die eher eine Feststellung war.
„Der einzige Alpha“, schwor ich, die Forderung seiner Verkündung machte mit mir viel mehr, als sie es sollte. „Ich wusste sogar damals schon, dass du es wert warst, dass ich deinetwegen meine Regeln breche.“
„Regeln?“ Sein sexy Schmunzeln war wieder da. Ich wollte daran knabbern, aber Sylvias Gurren brachte mich zurück in die Gegenwart.
Verdammte Pheromone.
„Mich an keinen Alpha zu binden.“ Ich zuckte mit der Schulter, rollte mit den Augen darüber, wie albern sich meine Regel anhörte, wenn ich sie laut aussprach.
„In dieser Regel warst du aber ganz schlecht.“ Coop lachte.
„Und dafür bin ich sehr dankbar.“ Ich griff nach vorn, schnappte mir seine Hand und drückte sie.
Coop drückte auch meine und hob eine Augenbraue. „Frühstück?“
Wie aufs Stichwort antwortete mein Magen mit einem Knurren.
„Du kochst?“ Denn Kochen war sexy. Nicht, dass ich das zugeben würde, ehe ich wusste, ob er kochte.
„Ich dachte eher an das Diner um die Ecke, aber ja, ich kann auch kochen.“ Er hätte den Satz genauso gut mit einem „Was denn sonst “ beenden können, wenn man seinen Tonfall bedachte.
Also konnte er kochen. Super Doppelbonus vom Professor.
„Beeindruckend. Ich bin dafür, dass wir hier essen und dann können wir das ein oder andere besprechen und da ansetzten.“
Und mit „das ein oder andere“ meinte ich alles.
„Hört sich wie ein Plan an.“ Er lehnte sich zu mir, küsste meine Wange, ehe er in mein Ohr flüsterte: „Sei gewarnt, ich werde ich mit meinen Kochkünsten aus den Socken hauen und du wirst keine andere Wahl haben als einzuziehen.“
„Betrachte mich als gewarnt.“